Laryngorhinootologie 2015; 94(11): 735-737
DOI: 10.1055/s-0035-1552366
Tipps & Tricks
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Nahinfrarotreizung des Gleichgewichtsorgans: Gerätetechnische Realisierung für den Einsatz in der Praxis

Caloric irrigation of the vestibular organ using near infrared: A device for use in clinical practice
L. E. Walther
Further Information

Prof. Dr. med. habil. Leif Erik Walther
HNO-Gemeinschaftspraxis, Main-Taunus Zentrum
65 843 Sulzbach (Taunus)
Phone: +49 (069) 309 905   
Fax: +49 (069) 3 089 096   

Publication History

Publication Date:
20 November 2015 (online)

 

Walther stellt in diesem Artikel einen Prototyp für die thermische Reizung des Gleichgewichtsorgans mit Strahlungsenergie (Infrarot) vor. Basierend auf bisherigen Untersuchungen ist die Methodik der Infrarot (IR) Reizung effektiver als die Stimulation mit trockener, warmer Luft. Darüber hinaus besitzt die vorgestellte gerätetechnische Variante einige wesentliche Vorteile: Paradoxe Nystagmen, wie bei der Luftreizung möglich, treten nicht auf. Das Reizmedium (Strahlung) erlaubt eine lautlose und als angenehm empfundene Applikation. Darüber hinaus ist der Stimulus steuerbar (Dauer- und „Puls“-Modus). Eine Indikation dieser neuen Methode besteht in erster Linie für Fälle mit chronischer Otitis media, bei Trommelfelldefekten, nach Operationen mit exponierten Innenohrstrukturen (Ohrradikalhölen), feuchten Ohrverhältnissen, bei empfindli-chen Personen aber auch bei normalen Verhältnissen im äußeren Gehörgang und als Screeningmethode.

Dr. med. Jan Löhler, Bad Bramstedt

Abstract

Für die thermische Stimulation des Gleichgewichtsorgans werden heute unterschiedliche Reizmethoden eingesetzt. Neben der Reizung mit Raum- und wasserdampfgesättigter Luft ist auch Wärmestrahlung (Infrarot, IR) eine effektiver Stimulus, um mit Hilfe eines kalorischen Warmreizes des Gleichgewichtsorgans einen vestibulookulären Reflex zu induzieren, der für die Diagnostik genutzt werden kann. Vor allem die Vorteile machen den Einsatz dieses diagnostischen Verfahrens interessant: Die Reizapplikation erfolgt lautlos, berührungslos und mit einem „sterilen“ Reizmedium. Im Vergleich zur Stimulation mit warmer trockener Luft sind die induzierten auswertbaren Nystagmusparameter (Geschwindigkeit der langsamen Nystagmusphase, Nystagmusfrequenz) größer. Ein paradoxer Nystagmus infolge Verdunstungskälte, wie bei trockener warmer Luft, tritt nicht auf. Die Stimulation wird im Gegensatz zu allen anderen Methoden als angenehm empfunden oder nicht wahrgenommen. Der applizierte Reiz ist steuerbar und flutet langsam an. Der IR-Warmreiz kann mit wählbaren Reizmodalitäten appliziert werden: Dauerstimulation in unterschiedlichen Intensitäten und „Puls“-Modus. Diese Steuerbarkeit des Stimulus erlaubt eine Anpassung an individuelle Gegebenheiten. So kann die IR-Reizung z. B. bei speziellen anatomischen Situationen, wie bei chronischen Mittelohrentzündungen (Trommelfellperforation), Entzündungen der Ohrregion, nach Ohrradikaloperationen mit Anlage einer offenen Mastoidhöhle und subjektiver Überempfindlichkeit bei anderen thermischen Reizen eingesetzt werden. Darüber hinaus spricht nichts gegen einen Einsatz als Screeningmethode im klinischen Alltag.


#

Background

Irrigation of the vestibular organ for diagnostic purposes can be performed by using different caloric stimuli. Apart from traditional stimulation by the use of water, dry and wet air can be applied. Furthermore, infrared (IR) radiation provides an effective warm stimulus of the vesti-bular organ. A device for IR based irrigation of the equilibrium organ via the external auditory canal is presented, which is useful for further use in clinical practice. IR radiation as a caloric stimulus combines a number of advantages: The stimulus can be easily applied and is quiet. Contrary to stimulation with warm dry air, the IR stimulus is more effective. A paradoxical nystagmus does not occur. During application, no arousal effects or unpleasant feeling can be observed. The warm stimulus can be applied by different stimulus modalities such as continuous stimulation with different intensities and pulsating stimulation. This allows to apply a warm stimulus according individual anatomical situations such as according to individual chronic otitis media (ear drum defects), inflammation of the external auditory canal, chronic mastoid cavities, and conditions in which individuals show hypersensitivity to water stimulation. Moreover, the method can be used also in normal individuals.


#

Einleitung und Grundlagen

Die drei Bogengänge, insbesondere die lateralen Bogengänge, sowie der Nervus vestibularis, sind mit ihren Sinneseingängen in der Lage, Drehbeschleunigungsreize aus der Umwelt sensorisch aufzunehmen und weiterzuleiten (vestibulookulärer Reflex, VOR). Damit wird, gemeinsam mit anderen sensorischen Systemen, eine störungsfreie und somit für den menschlichen Organismus unter gesunden Bedingungen nicht realisierbarer Beitrag zur Orientierung im Raum bei den Anforderungen im Alltag aber auch bei höheren Beanspruchungen gewährleistet.

Störungen des VOR führen zu einer Störung der Orientierung im Raum. Symptome sind unter anderem Blickunschärfen bei Kopf-Körperbewegungen, die individuell unterschiedlich als „Schwindel“ interpretiert werden.

Für die Differentialdiagnostik von Störungen des VOR stehen heute mehrere Methoden zur Verfügung. Aufgrund Ihrer Objektivität und Seitenspezifität zählen der Video-Kopfimpulstest und die thermische Prüfung zu den wichtigsten Untersuchungsverfahren. Sie reflektieren Störungen des VOR im geringen (thermische Prüfung) und höheren Frequenzbereich (Video-Kopfimpulstest). Beide Methoden sind für eine exakte Aussage über das Stö-rungsmuster bei peripheren Vestibulopathien notwendig.

In der klinischen Praxis werden hauptsächlich Wasser und Luft als Reizmedien eingesetzt, um eine Aussage über die thermische Erregbarkeit zu erhalten. Einen internationalen Konsens über den Einsatz dieser Methoden gibt es nicht, ebenso fehlen evidenzbasierte Untersuchungen. Während Wasser nur bei intakten und reizlosen Verhältnissen im Gehörgang verwendet werden kann, muss bei großen Trommelfelldefekten oder Entzündungen mit Luft gereizt werden. Auf Grund der niedrigen Wärmekapazität wird Luft beispielsweise bei der Funktionsprüfung exponierter Gleichgewichtsorgane (Radikalhöhle eines Ohres) verwendet.

Bei diesen Patienten kann Schwindel schneller entstehen und intensiver sein, denn bereits geringe Temperaturunterschiede in der Nähe der Bogengänge genügen, um einen Nystagmus (VOR) zu generieren.

Ein Luftreiz lässt sich im Gegensatz zu Wasser schlechter dosieren und ist mit einer Geräuschentwicklung im Gehörgang verbunden. Bei der Reizung mit Raumluft (44 Grad) kann unter Umständen Verdunstungskälte zur Entstehung eines paradoxen Nystagmus führen.

Die Nahinfrarotreizung stellt eine weitere Möglichkeit dar, um eine Aussage über den durch Warmreiz induzierten VOR zu erhalten.


#

Grundlagen der Nahinfrarotreizung des Gleichgewichtsorgans

Sichtbares Licht wird in einem Wellenlängenbereich von menschlichen Auge 400 bis 760 nm wahrgenommen. Für das Auge unsichtbares Nahinfrarot (Wärmestrahlung) hingegen wird in einem Wellenlängenbereich von ca. 760 nm bis 1400 nm emittiert. Die Ausbreitung der nah-infraroten Strahlung erfolgt mit Lichtgeschwindigkeit. Ein Energieeintrag, z. B. in den Gehörgang, führt in Abhängigkeit von der Wellenlänge und der optischen Strahlungsleistung zu einer Erwärmung der Haut des äußeren Gehörgangs, die als inhomogenes Medium eine Grenzschicht darstellt. Beim Auftreffen auf die Haut kommen Wechselwirkungen zustande. Dadurch werden Effekte wie Reflexion, Streuung und Absorption induziert. Die besondere Eigenschaft von Nahinfrarotstrahlung ist ihre große Eindringtiefe in die Haut. Bei 900 bis 1000 nm erreicht diese „Tiefenwirkung“ ihr Maximum und beträgt je nach optischer Strahlungsleistung und Art der Strahlungsquelle mehrere Millimeter. Dieser Effekt kann bei der Reizung des Gleichgewichtsorgans mit monochromatischen und breitbandigen Lichtquellen (mit relevantem Nahinfrarot und sichtbarem Lichtanteil) ausgenutzt werden (sogenanntes „diagnostisches Fenster“). Somit ist Nahinfrarotstrahlung hervorragend geeignet, Wärmemengen effektiv und schonend in den Organismus einzutragen, was bei der thermischen Reizung genutzt werden kann.

Die Methode der Nahinfrarotreizung wurde bisher in mehreren Studien bei Patienten mit normalen und pathologischen Gehörgansverhältnissen untersucht. (Walther LE et al. Laryngorhinootologie. 2003; 82: 687–92; Walther LE et al. Laryngorhinootologie. 2004; 83: 88–95; Walther LE et al. HNO. 2004; 52: 525–32; Walther LE et al. Acta Otorhinolaryngol Ital. 2011; 31: 90–5; Ferrè ER et al. PLoS One. 2015 Apr 13; 10(4):e0124573. doi: 10.1371/journal.pone.0124573. eCollection 2015).


#

Vorteile der Nahinfrarotreizung und Indikationen

Die Reizapplikation erfolgt bei einer Nahinfrarotreizung lautlos. Da es sich um Strahlungsenergie handelt, ist das Reizmedium „steril“. Im Vergleich zur Stimulation mit warmer trockener Luft sind die induzierten auswertbaren Nystagmusparameter (Geschwindigkeit der langsamen Nystagmusphase, Nystagmusfrequenz) höher. Ein paradoxer Nystagmus infolge Verdunstungskälte, wie bei trockener warmer Luft, tritt bei der Nahinfrarotreizung nicht auf. Die Stimulation wird im Gegensatz zu allen anderen Methoden als angenehm empfunden oder nicht wahrgenommen. Der applizierte Reiz ist steuerbar (Dauer- und Impulsapplikation) und flutet relativ langsam an.

Die Nahinfrarotreizung kann bei speziellen anatomischen Situationen, wie bei chronischen Mittelohrentzündungen (Trommelfellperforationen), Entzündungen der Ohrregion, nach Ohrradikaloperationen mit Anlage einer offenen Mastoidhöhle und subjektiver Überempfindlich-keit bei anderen thermischen Reizen und somit auch bei normalen Verhältnissen im Gehörgang eingesetzt werden. Sie stellt damit eine Ergänzung zu den existierenden Verfahren bei der Prüfung auf Warmreiz dar.


#

Gerätebeschreibung

Das Nahinfrarot-Reizgerät besteht aus einem handlichen Gerät mit austauschbaren Baugruppen. Ein Bedienfeld mit LED-Leuchten gestattet eine wahlweise Einstellung des Stimulus (Dauer- bzw. Impulsmodus mit unterschiedlichen Reizzeiten und Intensitäten). Der abnehmbare Kopfteil mit Ohrtrichter gestattet einen Einblick in den Gehörgang wie bei einem Otoskop. Als Quelle für die Infrarotstrahlung dient eine speziell hergestellte Halogenlampe. Sie ist für die Einkopplung von IR-Strahlung optimiert und deckt den Wellenlängenbereich des diagnostischen Fensters (900 –1000nm) effektiv ab. Das Nahinfrarot-Reizgerät funktioniert mit einem aufladbaren Akku und steht in einer Ladeschale mit Netzteil, über welche der Akku geladen wird. Das Gesamtgewicht des Gerätes beträgt ca. 700 g.

Zoom Image
Abb. 1: Baugruppen des IR-Reizgerätes.
Zoom Image
Abb. 2: Bedienfeld des IR-Reizgerätes.

#

Fazit für die Praxis

Die vorgestellte gerätetechnische Realisierung der Methode der Nahinfrarotreizung des Gleichgewichtsorgans eignet sich für den Einsatz in der Praxis. Vorteile der Warmreizung mit Nahinfrarot ist die lautlose und „sterile“ Reizapplikation. Die IR Stimulation ist der Reizung mit Raumluft überlegen. Sie ist vor allem bei speziellen anatomischen Situationen, wie bei chronischer Otitis media, Entzündungen der Ohrregion, nach Ohrradikaloperationen mit Anlage einer offenen Mastoidhöhle und subjektiver Überempfindlichkeit bei anderen thermischen Reizen aber auch bei normalen Verhältnissen im äußeren Gehörgang, einsetzbar.

Danksagung

Herrn Eckart Rogge, Berlin, wird für die technische Beratung bei der Abfassung dieses Artikels gedankt.


#
#
#
Zoom Image
L.E. Walther

Interessenkonflikt: Der korrespondierende Autor gibt keine Interessenkonflikte an.

Prof. Dr. med. habil. Leif Erik Walther
HNO-Gemeinschaftspraxis, Main-Taunus Zentrum
65 843 Sulzbach (Taunus)
Phone: +49 (069) 309 905   
Fax: +49 (069) 3 089 096   

Zoom Image
L.E. Walther
Zoom Image
Abb. 1: Baugruppen des IR-Reizgerätes.
Zoom Image
Abb. 2: Bedienfeld des IR-Reizgerätes.