Psychiatrische Praxis, „Aktuelles und die Arbeit im AK Gerontopsychiatrie der BDK“
Halbjährlich behandelt der Arbeitskreis aktuelle Themen aus der Versorgungsperspektive. Eine enge Verbindung besteht zur DGGPP. Die Tagungen finden kontinuierlich wechselnd in Kliniken der Teilnehmer der AG statt.
Die Teilnahme am Arbeitskreis steht allen klinisch-gerontopsychiatrisch leitend tätigen Kolleginnen und Kollegen offen. Ausführlichere Tagungsberichte sind in den internen Seiten der BDK-Website nachzulesen.
Eine von möglichst wenig Zwang geprägte Behandlung flächendeckend in gerontopsychiatrischen Kliniken, in der Somatik bzw. Pflegeheim zu etablieren, ist eines der Ziele des Arbeitskreises. Fixierungen und Bettgitter gehen mit der Nutzung von Niederflurbetten ganz erheblich zurück. Zwangsmedikation mit Psychopharmaka spielt in der Gerontopsychiatrie eine sehr untergeordnete Rolle. Man versucht ohnehin, so wenig Medikamente wie möglich zu geben, sieht die Risiken, rät zu Absetzvisiten. Als Problem wird jedoch gesehen, dass viele hilfreiche Präparate nicht für ältere Patienten zugelassen sind, sodass man oft im Off-Label-Bereich behandeln muss, was einen besonderen Aufklärungsaufwand erfordert, rechtliche Risiken birgt und sogar mancherorts zur Verweigerung der Kostenübernahme durch die Kassen geführt hat.
Bezüglich der UAWs wurden im Arbeitskreis u. a. Hyponatriämien (Hewer) fokussiert, die insbesondere bei Antidepressivabehandlung Aufmerksamkeit erfordern.
Ein Fokus wurde auf den Umgang mit Opioiden bei älteren Patienten gelegt (Wolter). Kriterien zur Identifizierung eines Missbrauchs bzw. einer Abhängigkeit sind auch hier auszumachen. Die Abgrenzung des Schmerzerlebens zu somatisiert-depressiven Symptomen ist schwierig, aber lohnend. Bei neuropathischen Schmerzen kann die analgetische Komponente von Antidepressiva zu einer deutlichen Reduzierung der Opioiddosis beitragen. Auf die Neufassung der LONTS 2-Kriterien (2014) ist explizit hinzuweisen.
Erörtert wurde der Stellenwert von Psychotherapie in der stationären Gerontopsychiatrie (Baumgarte). Eine psychotherapeutische Grundhaltung ist überall verankert. Es finden jedoch nicht nur schulenspezifische Verfahren Anwendung. Gewarnt wurde vor der Zuschreibung zu psychotherapeutisch angehbaren Erkrankungen bereits vor gründlicher somatischer Abklärung. Gruppenangebote für Leicht-Demente sollten Biografieelemente enthalten. Konflikte werden hier nicht angesprochen. Praktisch orientierte Themen stehen im Vordergrund. Wenn aber z. B. das Thema auf Schwangerschaftsabbrüche kam, entstand eine lebhafte Diskussion bei den beteiligten Frauen. Die im Setting mögliche Psychotherapie soll ressourcenorientiert sein, die Atmosphäre möglichst natürlich. Auch schwer demente Patienten können sich nicht immer verbal, stets aber über ihr Verhalten ausdrücken. Musiktherapie wird erfolgreich eingesetzt. Angebote über die Entlassung hinaus fehlen jedoch häufig. Wünschenswert ist ein longitudinales Angebot, ggf. niederfrequent. Dieses generiert jedoch einen hohen Zeitaufwand.
Die Möglichkeit, z. B. mit MRSA o. Ä. infizierte Patienten psychiatrisch zu behandeln, ist dann gegeben, wenn ausreichend Einzelzimmer in den gerontopsychiatrischen Abteilungen zur Verfügung stehen. Ebenso sind Patienten mit lautstarken Vokalisationen und bestimmten Verhaltensstörungen in Einzelzimmern unterzubringen, will man Irritationen oder Behandlungsabbrüche von Mitpatienten vermeiden. Eine spontane Umfrage bei 16 Kliniken im Arbeitskreis zeigte, dass im Durchschnitt 18 % der Betten gerontopsychiatrischer Abteilungen in Einzelzimmern stehen.
Das Thema Migranten in der Gerontopsychiatrie (Bransi) fand besonderes Interesse.
19,3 % Menschen in Deutschland haben einen Migrationshintergrund, besonders häufig sind das Menschen aus der Türkei bzw. aus den GUS-Staaten. Ältere Migranten haben spezifische Erwartungen an Leistungen des Gesundheitssystems. Im Alter > 45 Jahre weisen Migranten eine höhere Erkrankungsrate als Deutsche auf, < 45 Jahren umgekehrt. Man beobachtet häufig eine frühere Alterung. Typisch ist das eher „leibhaftige Erleben“ seelischer Erkrankung – die Interpretation der Symptomatik als körperliche Erkrankung. So erfolgt oft jahrelang eine somatische Behandlung, weil man psychische Probleme nicht wirklich anzugehen weiß, ein „Einverständnis im Missverständnis“. In der Psychiatrie sind Migranten deshalb gemessen am Bevölkerungsanteil unterrepräsentiert.
Meißnest stellte das Programm: „Lern von mir“ … Unterstützung von Menschen mit Demenz in Allgemeinkrankenhäusern: Übertragung eines Programms aus Sterling (GB) vor, das zu einem verbesserten Umgang mit Demenzkranken in Allgemeinkrankenhäusern beitragen soll.
Auch Gerontopsychiater werden alt. Mehrere Mitglieder des Arbeitskreises sind mittlerweile altersbedingt aus dem regulären Beschäftigungsverhältnis ausgeschieden, möchten aber ihre fachliche Kompetenz in die immer noch unzureichende gerontopsychiatrische Versorgung einbringen. Sie verstehen gut, dass es in der Behandlung darum gehen muss, mit altersspezifischen Einschränkungen ein lebenswertes Leben führen zu können und können biografische Aspekte gut einordnen und ggf. revalorisieren. Kortus schlug beim Herbsttreffen 2014 in Göppingen einen „Senior Expert Service“ vor. Chancen wurden in der Implementierung in Honorarärzteorganisationen oder in Übernahme von Gutachtertätigkeiten gesehen.
Dr. med. Manfred Koller, Göttingen