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DOI: 10.1055/s-0035-1552767
„Gefährdung Dritter als Rechtfertigung einer öffentlich-rechtlichen Unterbringung psychisch Kranker?“ – Kontra
“Should Danger to Third Parties Justify Involuntary Admission to Psychiatric Hospitals Under Public Law?” – ContraDie geschlossene Unterbringung von Menschen mit psychischen Erkrankungen gegen oder ohne ihren Willen in einer psychiatrischen Akutklinik, im Folgenden nur Unterbringung genannt, darf betreuungsrechtlich ausschließlich zum Wohle des Patienten erfolgen (§ 1906 Abs. 1 BGB). Hingegen ist die öffentlich-rechtliche Unterbringung eine polizeirechtliche Maßnahme, die auf der Basis von Unterbringungs- und Psychiatriekrankengesetzen der Länder diese Maßnahme auch bei Gefährdung Dritter ermöglicht. Diese wird nicht selten sehr weit gefasst, wie z. B. im Bayerischen Unterbringungsgesetz, welches von einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (sic !) in erheblichem Maße spricht.
Untergebracht werden darf aber nicht jedermann, der die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet, sondern nur derjenige, der „psychisch krank oder infolge Geistesschwäche oder Sucht psychisch gestört ist“ (BayrUnterbrG Art. 1, Abs.1).
Ich möchte im Folgenden begründen, warum nach meiner Ansicht die Gefährdung Dritter weder aus medizinischer noch aus juristischer Perspektive ein überzeugender Rechtfertigungsgrund für die Unterbringung in einem psychiatrischen Akutkrankenhaus ist. Um ein in diesem Zusammenhang häufig auftretendes Missverständnis zu vermeiden, soll aber schon zu Beginn betont werden, dass es nicht darum geht, Patienten, die andere gefährden, grundsätzlich von psychiatrischen Krankenhäusern fernzuhalten und ihnen eine notwendige Behandlung vorzuenthalten. Bei vielen, wenn nicht sogar bei den meisten dieser Patienten, gibt es durchaus einen Rechtfertigungsgrund für die Unterbringung, nämlich die Einleitung und Durchführung einer Behandlung im Interesse des Patienten selbst. Dabei gehe ich von einem weiten Behandlungsbegriff aus, der auch Maßnahmen umfasst, die dem Schutz des Patienten dienen, ggf. also schon die Unterbringung selbst [1] [2]. Dieser Behandlungsbegriff versteht Maßnahmen dann – und nur dann – als Behandlungsmaßnahmen, wenn sie im Interesse des Patienten medizinisch indiziert sind und sein Selbstbestimmungsrecht respektieren. Die Maßnahmen müssen also beim selbstbestimmungsfähigen Patienten mit dessen expliziten informierten Einverständnis erfolgen bzw. bei nicht selbstbestimmungsfähigen Patienten seinem vorausverfügten oder mutmaßlichen Willen entsprechen. Ich gehe ferner davon aus, dass es im Interesse eines selbstbestimmungsunfähigen Patienten ist, zu verhindern, dass er andere gefährdet, wohingegen ein selbstbestimmungsfähiger Patient, der bewusst und mit freiem Willen handelnd andere gefährdet, kein eigenes Behandlungsinteresse hat, wenn er einer Behandlung nicht zustimmt.
Akzeptiert man diese Argumentation, dann sind sämtliche Maßnahmen, die entweder gegen den selbstbestimmten (freien) Willen eines Patienten durchgeführt werden oder die beim nicht Selbstbestimmungsfähigen nicht zumindest auch seinem eigenen Wohl dienen, keine Behandlungsmaßnahmen und damit auch keine ärztliche Aufgabe. Wie ich andernorts ausführlich dargelegt habe [3], entspricht diese Sichtweise den allgemeingültigen medizinethischen Prinzipien und findet sich entsprechend auch in der Berufsordnung der Ärzteschaft wieder.
Dient also eine öffentlich-rechtliche Unterbringung ausschließlich dem Wohl Dritter, dann ist eine medizinische Behandlung weder indiziert noch statthaft. Damit fällt eine solche Art der Unterbringung auch nicht in den Aufgabenbereich von Krankenhäusern, die nach allgemeinem Verständnis, aber auch sozialrechtlich, die Aufgabe haben, Krankheiten zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten und Krankheitsbeschwerden zu lindern (§ 107 SGB V).
Damit stellt sich die prinzipiell nicht von Psychiatern zu beantwortende Frage, ob in anderen, nicht ärztlich geleiteten Einrichtungen ohne Behandlungsauftrag eine Freiheitsentziehung zur ausschließlichen Abwehr von Gefahren für Dritte statthaft ist um, in der Terminologie der Unterbringungsgesetze, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten. Wenn die Drittgefährdung der rechtfertigende Grund für die Freiheitsentziehung ist, dann müssten entsprechende gesetzliche Regelungen zur Wahrung des grundgesetzlich verankerten Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 3, Abs. 1 GG) sowohl für psychisch Kranke also auch für anderweitig Erkrankte und Gesunde gelten. Dann müsste also jedermann, der andere oder die öffentliche Sicherheit und Ordnung in erheblichem Umfang gefährdet, freiheitsentziehenden Maßnahmen unterworfen werden können, egal ob der Gefährdung eine psychische Erkrankung zugrunde liegt oder nicht. Auch die Lektüre der UN-Behindertenrechtskonvention legt dies nahe, denn Art. 5 verbietet jede Ungleichbehandlung aufgrund einer Behinderung und Art. 14 Satz 1 bestimmt sogar explizit, dass das Vorliegen einer Behinderung in keinem Fall eine Freiheitsentziehung rechtfertigt. Damit kommt eine psychische Erkrankung, die in aller Regel einer Behinderung im Sinne der UN-Behindertenkonvention gleichkommt, per se nicht als Rechtfertigung für eine Unterbringung in Betracht. Rechtfertigt man die Freiheitsentziehung aber mit einer Gefährdung Dritter, dann darf die Frage keine Rolle spielen, ob ein Mensch krank oder gesund ist. Auch diese juristische Sichtweise unterstützt also die medizinische Position, die die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus durch eine Gefährdung Dritter nicht hinreichend rechtfertigt.
Um es abschließend noch einmal deutlich zu sagen: Die hier vertretene Position richtet sich nicht gegen die Unterbringung und Behandlung von Menschen mit psychischen Erkrankungen, die Dritte gefährden. Rechtfertigung einer solchen Unterbringung muss aber immer die medizinische indizierte und rechtlich zulässige Behandlung einer psychischen Erkrankung sein. Es kann und darf nicht die Aufgabe medizinischer Einrichtungen sein, wie es psychiatrische Kliniken sind, im Auftrag der Gesellschaft selbstbestimmungsfähige, aber behandlungsunwillige Menschen mit psychischen Erkrankungen dauerhaft zu verwahren, oder solche die zwar nicht zur Selbstbestimmung fähig sind, aber aus anderen Gründen nicht behandelt werden können oder dürfen [1].
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Literatur
- 1 Pollmächer T. Ordnungspolitische Funktion der Psychiatrie – Kontra. Psychiat Prax 2013; 40: 305-306
- 2 Pollmächer T. Die Behandlung Einwilligungsunfähiger gegen ihren natürlichen Willen aus medizinischer Sicht. In: Henking T, Vollmann J, Hrsg. Gewalt und Psyche. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft; 2014: 169-195
- 3 Pollmächer T. Moral oder Doppelmoral? Das Berufsethos des Psychiaters im Spannungsfeld zwischen Selbstbestimmung, Rechten Dritter und Zwangsbehandlung. Der Nervenarzt 2015; 86: 1148-1156
Korrespondenzadresse
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- 1 Pollmächer T. Ordnungspolitische Funktion der Psychiatrie – Kontra. Psychiat Prax 2013; 40: 305-306
- 2 Pollmächer T. Die Behandlung Einwilligungsunfähiger gegen ihren natürlichen Willen aus medizinischer Sicht. In: Henking T, Vollmann J, Hrsg. Gewalt und Psyche. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft; 2014: 169-195
- 3 Pollmächer T. Moral oder Doppelmoral? Das Berufsethos des Psychiaters im Spannungsfeld zwischen Selbstbestimmung, Rechten Dritter und Zwangsbehandlung. Der Nervenarzt 2015; 86: 1148-1156

