Aktuelle Urol 2015; 46(03): 200-201
DOI: 10.1055/s-0035-1555696
Referiert und kommentiert
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Spina bifida – Nachweis von Plexusschäden in der MRT

Contributor(s):
Elke Ruchalla
Haakma W et al.
J Urol 2014;
192: 927-933
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Publication History

Publication Date:
12 June 2015 (online)

 

Bei Patienten mit Spina bifida liegt in den meisten Fällen eine neurogene Blasenentleerungsstörung vor, die unbehandelt die Prognose der Betroffenen stark einschränkt. Die frühzeitige Diagnose ist daher von Bedeutung, um weitere neurologische Schädigungen zu verhindern, aber die komplexe und hochgradig variable Anatomie im Bereich des Plexus sacralis macht dessen nicht invasive Beurteilung schwierig. Parameter der Diffusions-Tensor-MRT, die die Diffusion der Wassermoleküle im Gewebe darstellt, könnten das jetzt ermöglichen, wie Wieke Haakma und Kollegen berichten.
J Urol 2014; 192: 927–933

mit Kommentar

Die Diffusions-Tensor-MRT (DT-MRT) des Plexus sacralis bei Patienten mit Spina bifida zeigt deutliche anatomische und funktionelle Veränderungen im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen. Zu diesem Ergebnis kamen die niederländischen Wissenschaftler, die 10 Kinder mit Spina bifida im Alter zwischen 8 und 16 Jahren mit Myelomeningozele zwischen L5 und S2 in ihre Observationsstudie aufgenommen haben. Zehn neurologisch unauffällige Erwachsene dienten als Kontrollgruppe.

Die Untersuchungen erfolgten im 3-T-M von L4 bis zum Beckenboden, beurteilt wurden

  • der gesamte Plexus im Verlauf (Traktografie)

  • fraktionale Anisotropie (FA) als Maß für die anatomische Integrität der weißen Substanz

  • axiale Diffusivität (AD – Wasserdiffusion entlang der Faserrichtung) als Maß für die Unversehrtheit der Axone

  • radiale Diffusivität (RD – Diffusion senkrecht zum Faserverlauf) als Hinweis auf Schäden der Myelinscheiden

  • mittlere Diffusivität (MD) als Durchschnitt der Eigenwerte

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Verlauf des N. pudendus und des N. coccygeus bei der Frau und beim Mann. a Sagittalschnitt durch ein weibliches Becken, Ansicht von links lateral; b Sagittalschnitt durch ein männliches Becken, Ansicht von links lateral. (Bild: Wesker KH. In: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus. Lernatlas der Anatomie. Kopf, Hals und Neuroanatomie. 3.Aufl. Stuttgart: Thieme; 2012)

Desorganisierte Plexusstrukturen darstellbar

Die Auswertung der 3-dimensionalen Traktografie ergab bei allen 10 Patienten asymmetrische und desorganisierte Plexusstrukturen im Vergleich zu den Kontrollen. Bei 2 Patienten konnten die Nerven auf Höhe von L5 nicht rekonstruiert werden, obwohl sie auf den anatomischen T2-gewichteten Aufnahmen sichtbar waren. S4 und S5 ließen sich weder bei Patienten noch bei Kontrollen visualisieren. Die Verbindung mit der Cauda equina war bei den Spina-bifida-Patienten vor allem auf Höhe des Defekts nur schwer zu lokalisieren, bei den Gesunden war das in allen Fällen gut möglich.

Die Diffusionsparameter zeigten (gepoolt für rechte und linke Seite) auf Höhe von L4 vergleichbare Werte in beiden Gruppen. Ab Höhe L5 fanden sich nach kaudal bis S3 dann jedoch signifikant geringere Werte der MD und ebenso der AD und der RD, als Hinweise auf strukturelle Schäden der betroffenen Fasern.

Fazit

Die DT-MRT könnte ein neues Verfahren sein, den Plexus sacralis bei Patienten mit Spina bifida darzustellen und pathologische Veränderungen der Nervenstrukturen deutlich zu machen, meinen die Autoren. Auch wenn wegen der geringen Zahl der Patienten weitere Studien notwendig sind, zeichnet sich doch die Möglichkeit ab, durch die Korrelation von Daten der 3-dimensionalen Anatomie, der Traktografie und der Diffusionsparameter mit den zugehörigen klinisch-neurologischen Befunden die Diagnostik bei diesen Patienten zu verbessern. Weiterhin könnte das Verfahren auch bei anderen neurologischen Erkrankungen von Nutzen sein, ebenso bei der Lokalisierung von Nerven vor Implantation eines Schrittmachers zur sakralen Neuromodulation.


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Kommentar

Neue diagnostische Möglichkeiten

Die Studie von Haakama und Kollegen zur Darstellung des Plexus sacralis mit der Diffusions-Tensor-Bildgebung (Diffusion Tensor Imaging – DTI) ist ein wichtiger Schritt in Richtung einer genaueren Diagnostik der Nervenfaserschädigung bei Kindern mit Spina bifida. Die Beurteilung des Plexus sacralis bei Kindern mit Spina bifida in der Magnetresonanztomografie (MRT) ist noch immer eine große Herausforderung.

Einige Fragestellungen, beispielsweise nach einer Wiederanheftung von Konus oder Kaudafasern an die Meningen des dorsalen Spinalkanals nach initialer operativer Mobilisierung (Re-Tethering) sind auch heute noch MR-morphologisch schwer zu beantworten. Eine Weiterentwicklung der Untersuchungsmethoden ist wichtig, um die Diagnostik zu verfeinern und so die Entwicklung verbesserter und individualisierter Behandlungskonzepte zu ermöglichen.

Insgesamt ist die Darstellung peripherer Nerven mit der DTI ein sehr junges Forschungsgebiet, das jedoch insbesondere bei der Untersuchung des Plexus brachialis bereits interessante und vielversprechende Ergebnisse geliefert hat [ 1 ].

Die Darstellung des Plexus sacralis und des Nervus pudendus mit einer DTI-basierten Faserdarstellung ist eine innovative Methode, die erstmalig 2012 an einem gesunden Kollektiv beschrieben wurde [ 2 ]. Haakama und Kollegen bedienen sich dieser neuen Methode, um Läsionen des Plexus sacralis bei Kindern mit Spina bifida und neurogener Blasenstörung zu untersuchen. Eine Stärke dieser Studie ist die Anwendung einer innovativen Methode auf ein klinisch relevantes Patientengut.

Leider wurde in der Studie nur eine relativ kleine Stichprobe von 10 Patienten zwischen 8 und 16 Jahren untersucht. Zudem bestand das Kontrollkollektiv aus Erwachsenen und war nicht alterskorreliert. In weiterführenden Studien wäre ein Vergleich mit altersentsprechenden Kontrollen wichtig, weil in der vorliegenden Studie ein Teil der beschriebenen Effekte auch durch den Altersunterschied und die damit verbundene unterschiedliche Reifung der Nervenfasern verbunden sein könnte.

Zudem sind die genauen Symptome der Patienten sowie die Ausprägung ihrer Befunde nicht aufgeführt. So wären beispielsweise Informationen über Voroperationen sowie begleitende Veränderungen wie Chiari-II-Malformationen, Hydrozephalus, Syringohydromyelie oder Diastematomyelie, interessant. Insbesondere in Anbetracht der kleinen Stichprobe könnte eine große Variabilität der Befunde die Interpretierbarkeit der Ergebnisse einschränken.

Auch die Tatsache, dass die Ergebnisse nicht für multiples Testen korrigiert wurden, schränkt die statistische Aussagekraft ein.

Auch bleibt unklar, warum zwar einige Parameter der Faserintegrität, wie die axiale, radiale und mittlere Diffusivität, signifikante Gruppenunterschiede aufwiesen, sich die fraktionale Anisotropie jedoch zwischen den Gruppen nicht signifikant unterschied. Zudem liefert die Studie zwar Gruppenunterschiede in der Faserintegrität, eine Korrelation zu klinischen Symptomen wurde jedoch nicht durchgeführt. Um eine klinische Relevanz zu erlangen, wäre jedoch genau diese Korrelation zwischen Symptomatik und Nervenfaserintegrität in der DTI essenziell.

Während die vorläufigen Ergebnisse der reduzierten Faserintegrität des Plexus sacralis bei Kindern mit Spina bifida durchaus erfolgversprechend sind, stellt die Darstellung des Nervus pudendus selbst noch eine größere Herausforderung dar. Da die Methode selbst bei gesunden Erwachsenen nur in 4 von 10 Fällen den Nervus pudendus zuverlässig darstellen konnte [2], scheint sie für die Feindiagnostik des Nervs bei Kindern derzeit noch nicht geeignet.

Die DTI-basierte Darstellung des Plexus sacralis bei Kindern mit Spina bifida hingegen ist eine vielversprechende, neue Methodik, die jedoch weiterer Entwicklung und Forschung bedarf und daher zumindest in naher Zukunft noch nicht in die klinische Routine Einzug finden wird.

Dr. Sophia Müller, Prof. Dr. Birgit Ertl-Wagner, München


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Dr. Sophia Müller


Institut für klinische Radiologie am Universitätsklinikum München

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Prof. Dr. Birgit Ertl-Wagner


ist Oberärztin am Institut für klinische Radiologie am Universitätsklinikum München

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  • Literatur

  • 1 Vargas MI, Viallon M, Nguyen D et al. Diffusion tensor imaging (DTI) and tractography of the brachial plexus: feasibility and initial experience in neoplastic conditions. Neuroradiology 2010; 52: 237-243
  • 2 van der Jagt PK, Dik P, Froeling M et al. Architectural configuration and microstructural properties of the sacral plexus: a diffusion tensor MRI and fiber tractography study. Neuroimage 2012; 62: 1792-1799

  • Literatur

  • 1 Vargas MI, Viallon M, Nguyen D et al. Diffusion tensor imaging (DTI) and tractography of the brachial plexus: feasibility and initial experience in neoplastic conditions. Neuroradiology 2010; 52: 237-243
  • 2 van der Jagt PK, Dik P, Froeling M et al. Architectural configuration and microstructural properties of the sacral plexus: a diffusion tensor MRI and fiber tractography study. Neuroimage 2012; 62: 1792-1799

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Verlauf des N. pudendus und des N. coccygeus bei der Frau und beim Mann. a Sagittalschnitt durch ein weibliches Becken, Ansicht von links lateral; b Sagittalschnitt durch ein männliches Becken, Ansicht von links lateral. (Bild: Wesker KH. In: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus. Lernatlas der Anatomie. Kopf, Hals und Neuroanatomie. 3.Aufl. Stuttgart: Thieme; 2012)