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DOI: 10.1055/s-0035-1555738
„Was zählt, ist der Moment“ – Ergotherapie auf der Palliativstation
Subject Editor:
Publication History
Publication Date:
12 June 2015 (online)
Ellen von dem Berge arbeitet mit sterbenskranken Menschen. Im Interview erzählt die Ergotherapeutin von ihrer Arbeit, wie sie mit dem Thema Tod umgeht und was die palliative Ergotherapie ausmacht.
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Frau von dem Berge, Sie arbeiten mit schwerkranken Menschen, die sterben werden – das machen nicht viele Ergotherapeuten. Wie sind Sie zu diesem Schwerpunkt gekommen?
Das hat sich zufällig ergeben. Ich arbeitete schon längere Zeit im Klinikum in Minden, als ich gefragt wurde, ob ich mir vorstellen kann, als Kunsttherapeutin Palliativpatienten zu betreuen. Ich habe dem zugestimmt und schon nach kurzer Zeit festgestellt, dass ich die Patienten häufig mit einer ergotherapeutischen Arbeit sinnvoller begleiten und unterstützen kann als mit kunsttherapeutischen Maßnahmen. Da sich die Patienten oft in Situationen befinden, in denen sich ihr gesundheitlicher Zustand plötzlich verändert, spielt für viele Betroffene und ihre Angehörigen das Gestalten ihrer unmittelbaren Zukunft eine wesentliche Rolle. Dabei kann die Ergotherapie einen hilfreichen Beitrag leisten, zum Beispiel mit einer Hilfsmittelversorgung, der Angehörigenberatung oder dem Erarbeiten von Kompensationsstrategien.
Ellen von dem Berge
ist Ergotherapeutin. Seit 2004 arbeitet sie am Johannes-Wesling-Klinikum in Minden. Ihre Schwerpunkte sind die neurologische und die onkologisch-palliative Ergotherapie. Die Therapeutin setzt sich stark für die Ergotherapie im palliativen Bereich ein: Seit ihrer Gründung im Jahr 2011 ist sie Mitglied in der Arbeitsgruppe Palliativversorgung im DVE. Außerdem gibt sie regelmäßig Fortbildungen zu diesem Thema.
Hatten Sie anfangs Befürchtungen, in dem Arbeitsfeld tätig zu sein und jeden Tag den Tod vor Augen zu haben?
Als ich den Beruf erlernt habe, hätte ich nicht gedacht, dass die Arbeit im onkologischen Bereich etwas für mich sei. Denn eine onkologische Erkrankung beinhaltete für mich auch ein mögliches Sterben. Die Arbeit mit Menschen, die eventuell sterben müssen, war für mich mit Angst behaftet und nicht vorstellbar. Ich habe vor meiner Tätigkeit im Johannes- Wesling-Klinikum in einem Therapie- und Pflegezentrum mit neurologischem Schwerpunkt gearbeitet. Dort hatte ich dann das erste Mal mit palliativen Patienten zu tun und habe erfahren, wie wertvoll diese Tätigkeit ist. Die Arbeit mit schwerstkranken und sterbenden Menschen hatte eine besondere Intensität. Für mich war es mit dieser Vorerfahrung keine Hürde mehr.
Welche Menschen kommen zu Ihnen?
Wir haben bei uns auf der Station fast ausschließlich onkologisch erkrankte Patienten. Die Erkrankung befindet sich in einem fortgeschrittenen Stadium, sodass kein kurativer Behandlungsansatz mehr möglich ist. Die Patienten wissen entweder bereits um ihre Situation oder werden vor Ort von dem behandelnden Stationsarzt über ihre Krankheitssituation aufgeklärt.
Wie setzt sich das Team zusammen?
Unser Team besteht aus Fachärzten, Pflegekräften, Seelsorgern, Psychologen, Ergotherapeuten, Physiotherapeuten, Sozialarbeitern und Mitarbeitern der physikalischen Therapie. Bei Bedarf werden auch die Kollegen von der Logopädie mit in die Behandlung einbezogen.
Welchen Part übernimmt die Ergotherapie in der Behandlung der Patienten?
Ein Schwerpunkt liegt in der Hilfsmittelversorgung. Unser Ziel ist es, die Patienten zu befähigen, die Tätigkeiten, die ihnen wichtig sind, so selbstständig wie möglich ausführen zu können. Das kann zum einen eine Rollstuhlversorgung bei einer Schwäche in den Beinen sein oder eine Greifzange (helfende Hand) bei einer Atemnot oder Kurzatmigkeit. Andere Maßnahmen können die Anleitung von Angehörigen sein, beispielsweise bei einem Lagewechsel vom Bett in den Rollstuhl.
» Die Arbeit mit schwerstkranken oder sterbenden Menschen hat eine besondere Intensität. «
Der ergotherapeutische Ansatz ist immer betätigungsorientiert. Auch wenn Patienten aufgrund starker Schmerzen oder einer Schwäche nicht mehr in der Lage sind, aktiv ihren Alltag zu gestalten, geht es in der Ergotherapie immer darum, sie in ihren Wünschen zu begleiten. So kann eine Mobilisation in den Rollstuhl eine ergotherapeutische Behandlung dar stellen oder eine gute Lagerung im Bett, die es dem Menschen wieder ermöglicht, aus dem Fenster zu schauen oder passiv an für ihn bedeutungsvollen Betätigungen teilzuhaben.
Wie erfolgreich kann eine Therapie sein, wenn doch am Ende immer der Tod stehen wird?
Erfolg ist Lebensqualität. Es ist schön zu wissen, wenn ein Patient gerne seine letzten Lebenstage zu Hause verbringen möchte und dies mit einigen Hilfsmitteln und der Unterstützung der Angehörigen auch möglich wird. So etwas kann dann sowohl für den Betroffenen als auch für die Angehörigen eine ganz wichtige und schöne Zeit sein, selbst wenn es sich dabei vielleicht nur um wenige Tage handelt. Es kann aber auch eine gute Lagerung sein, die es dem Patienten ermöglicht, eine Zeit schmerzfrei zu liegen, sodass er sich entspannen, eine schöne Zeit mit der Familie verbringen oder vielleicht eine für ihn wichtige Sendung oder Serie im Fernsehen gucken kann.
Würden Sie sagen, dass Palliativarbeit eine dem Leben zugewandte Arbeit ist?
Ja.
Die Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross beschreibt, dass sterbende Menschen verschiedene Phasen durchlaufen: Verleugnen, Zorn, Verhandeln, Depression und Akzeptanz. Wie unterstützen Sie diesen Prozess in der Therapie?
Diese Phasen sind in unterschiedlicher Ausprägung sicher bei vielen Betroffenen und auch bei deren Angehörigen zu erkennen. Ich denke, dass sie ein Prozess sind, durch den jeder zunächst für sich selbst geht, der sich mit seinem eigenen absehbaren Sterben auseinandersetzt. Jeder Mitarbeiter auf unserer Station ist selbstverständlich für den Patienten und auch für seine Angehörigen da, wenn sie das Gespräch suchen. Außerdem bieten Psychologen und Seelsorger regelmäßig Gespräche und Begleitung an. Um die Sterbe- und Trauerphasen zu wissen, macht es mir auf jeden Fall häufig leichter, sowohl die Patienten als auch ihre Angehörigen zu verstehen.
» Da ich täglich mit dem Tod konfrontiert bin, bekommen alltägliche Dinge eine ganz andere Bedeutung. «
» Auf einer Palliativstation wird sicherlich getrauert, aber es wird auch viel gelacht. «
Was sind besonders schöne Momente in Ihrer Arbeit?
Ich freue mich immer über Situationen, in denen der Patient besondere Anliegen oder ganz bestimmte Vorhaben hat, die ihm am Herzen liegen und die wir dann gemeinsam realisieren können. Das kann eine Mobilisation in einen Rollstuhl sein, um den eigenen Hund noch ein letztes Mal zu sehen. Es kann aber auch sein, dass ein Patient es wieder schafft, selbstständig zur Toilette zu gehen oder tatsächlich noch die Möglichkeit hat, für einige Tage zu Hause zu leben. Das sind Momente, an die ich mich immer gerne erinnere.
Hat sich nach 7 Jahren auf der Palliativstation Ihre Einstellung zum Leben und zum Sterben verändert?
Eindeutig ja. Da ich täglich mit dem Tod konfrontiert bin, bekommen alltägliche Dinge eine ganz andere Bedeutung. Eigene Alltagsprobleme werden vor diesem Hintergrund mitunter sehr klein. Aber auch Prioritäten haben sich bei mir deutlich verändert, sodass ich mir zum Beispiel mehr Zeit für meine Familie oder gute Freunde nehme. Ich glaube, dass sich diese Arbeit bei mir auch in allen anderen Therapiesituationen bemerkbar macht. Ich gehe anders auf die Menschen zu. Was zählt, ist der Moment. Ich würde sagen, es gelingt mir durch diese Erfahrung besser, die Betroffenen mit ihren Bedürfnissen in den Mittelpunkt zu stellen.
Was sollten Ergotherapeuten mitbringen, die im palliativen Bereich arbeiten möchten?
Ein Interesse an der palliativen Arbeit ist, wie in allen anderen Fachbereichen auch, die allerbeste Voraussetzung. Aufmerksamkeit, Aufrichtigkeit und Empathie für den Menschen, sodass seine Wünsche und Bedürfnisse im Mittelpunkt der Therapie stehen, spielen bei der Arbeit natürlich eine zentrale Rolle – also ganz im Sinne einer klientenzentrierten Ergotherapie.
Was sagen Sie Leuten, die sich eine Arbeit mit sterbenden Menschen nicht vorstellen können?
Viele denken, dass es schlimm sein muss, auf einer Palliativstation zu arbeiten. Das Sterben ist eben nicht mehr Teil unserer Alltagserfahrung. Vielleicht schürt das die Angst davor, dass es einen irgendwann selbst betreffen wird. Auf einer Palliativstation wird sicherlich auch getrauert und Abschied genommen, aber es wird auch viel gelacht, und ich erlebe Momente von tiefer Verbundenheit. Für mich ist das immer wieder eine kostbare Erfahrung.
Umhüllende Fürsorge
Der Begriff palliativ stammt von dem lateinischen palliare ab und bedeutet so viel wie „mit einem Mantel bedecken“. Unter Palliative Care versteht man die gesamte Versorgung unheilbar schwerkranker und sterbender Patienten. Eine Palliativstation ist dagegen eine Station in einem Krankenhaus. Behandlungsziel ist, den gesundheitlichen Zustand des Patienten so weit zu stabilisieren, dass er wieder nach Hause, in eine Pflegeeinrichtung oder in ein Hospiz entlassen werden kann. Unter Hospiz (lat. hospitium = Herberge) versteht man eine stationäre Einrichtung der Sterbebegleitung. Hospize haben sich zum Ziel gesetzt, das Sterben und den Sterbenden in das Leben zu integrieren und Normalität im Umgang mit der Situation zu vermitteln. Er wird medizinisch-pflegerisch versorgt und bekommt mit seinen Angehörigen Begleitung und Beratung.
Palliative Ergotherapie
Theoretisches und praktisches Rüstzeug für die Arbeit auf einer Palliativstation bekommen Interessierte in einem zweitägigen Kurs bei Ellen von dem Berge. Mehr zu Terminen, Inhalten und Kosten erfahren Sie über die jeweiligen Kursanbieter.
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→ Zielgruppe: Ergotherapeuten
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→ Kursdauer: zweitägig (16 UE)
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→ Kursinhalte: Hintergrund-informationen zum Thema Palliative Care, Lagerungs- und Transfermöglichkeiten, therapeutische Maßnahmen bei Fatigue und Atemnot, Entspannungsangebote, basale Stimulation, Hilfsmittelversorgung, Angehörigenberatung, Selfcare
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→ Kursorte: Köln (DVE Akademie) Reutlingen (Reutlinger Gesundheitsakademie) Wien (Ergo Austria) Hannover (DDH Akademie)
Das Gespräch führte Tina Pruschmann.
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