Der Klinikarzt 2015; 44(06): 314-315
DOI: 10.1055/s-0035-1556693
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Anämien – Wann kann Eisen im Rahmen des PBMs gegeben werden und wann nicht?

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Publication Date:
26 June 2015 (online)

 
 

Das Konzept, Patienten mit Anämien bereits frühzeitig im Vorfeld eines elektiven operativen Eingriffs zu identifizieren und zu behandeln, liegt ganz im Trend. Dies zeigt die hohe Resonanz auf das Symposium „Elemente des Patient Blood Management: Transfusionsvermeidung in Theorie und Praxis“ im Rahmen der 62. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin. Beim Vorliegen einer Anämie und nach Ausschluss von Kontraindikationen kann die Therapie mit intravenösem Eisen eine effiziente Option bieten, um Eisen schnell und nachhaltig zu substituieren und Transfusionsraten zu senken.

Erhöhte Anämie-assoziierte Morbidität und Letalität

Anämien gehören zu den häufigsten chronischen Erkrankungen weltweit:

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht von einer Prävalenz von 1,62 Milliarden Menschen aus [ 1 ]. In Europa ist die Anämie ebenfalls sehr häufig im elektiven präoperativen Setting anzutreffen [ 2 ]. Für das Outcome des Patienten ist die präoperative Anämie besonders ungünstig, da ein direkter Zusammenhang zwischen einer schon präoperativ bestehenden, schweren Anämie und dem postoperativen Outcome besteht: Betroffene Patienten haben ein erhöhtes Mortalitäts- und Morbiditätsrisiko [ 3 ], [ 4 ], neigen zu längeren Krankenhausaufenthalten [ 5 ] und weisen einen erhöhten Transfusionsbedarf auf [ 6 ]. Zur Anämie-assoziierten Morbidität und Letalität komme mit dem erhöhten Transfusionsbedarf ein weiteres Problemfeld hinzu, gab Prof. Pascal Knüfermann, Gemeinschaftskrankenhaus Bonn, zu bedenken. Mittlerweile spreche die umfangreiche Datenlage bei großen Patientenkollektiven dafür, dass EK-(Erythrozytenkonzentrat)Transfusionen die Morbidität und Letalität des Patienten durch häufigere Komplikationen wie Infektionen, Immunreaktionen [ 7 ] und Myokardischämien [ 8 ] ungünstig beeinflussen können.

Prof. Patrick Meybohm vom Universitätsklinikum Frankfurt berichtete, dass sich das Konzept des evidenzbasierten „Patient Blood Managements“ (PBM) vor diesem Hintergrund wachsender Beliebtheit erfreut. In vielen Zentren hat es bereits Einzug gehalten. Das multimodale, interdisziplinäre Konzept trägt dazu bei, dem Patienten insbesondere bei elektiver Indikationsstellung unnötige intra- oder postoperative EK-Transfusionen zu ersparen. Eine der 3 Hauptsäulen des PBM-Konzepts stellt die Optimierung des Erythrozytenvolumens dar. Im präoperativen Setting ist dazu die Durchführung einer Anämie-Diagnostik und ggf. die Behandlung der Grunderkrankung vorgesehen, bevor der Patient zur Operation vorgestellt wird.

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(Bild: Fotolia, Fotograf/Grafi ker: V. Yakobchuk)

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Optimierte Prozessabläufe zum Anämie-Screening

Dem Erfahrungsbericht von Knüfermann zufolge kann die Integration der präoperativen Anämiediagnostik ein Umdenken und die Anpassung der bisherigen Prozessabläufe vor Ort erforderlich machen. Im Idealfall werde der elektiv präoperative Patient (d. h. der Termin ist > 2 Wochen verschiebbar) im Sinne eines Anämie-Screenings frühzeitig auf das Vorliegen einer Anämie sowie irregulärer Antikörper hin untersucht (z. B. nicht-invasive Hb-Messung durch Arzthelferin oder Krankenschwester). Der Patient werde nach einem vordefinierten Algorithmus hinsichtlich der Anämie („Anämie-Sprechstunde“) bzw. den positiven Antikörpersuchtest erneut einbestellt. Die frühzeitige Anämie-Diagnose ermögliche es, die Zeit bis zum Eingriff zu nutzen (wozu auch der Ausschluss anderer Ursachen wie z. B. gastrointestinale Blutung gehört) und den Patienten optimal vorzubereiten: Denn die Behandlung einer schweren Anämie lasse sich postoperativ nicht mehr „aufholen“, betonte Knüfermann.


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Eisenhomöostase im Fokus

Wie Dr. Andrea Steinbicker, Universitätsklinikum Münster, erklärte, ist der Eisenmangel die häufigste Ursache einer Anämie, gefolgt von der Anämie der chronischen Erkrankung (ACD, „anemia of chronic disease“). Da der menschliche Körper seinen Eisenhaushalt ausschließlich über die Aufnahme regelt und über kein Eisenexportsystem verfügt, sollten die wichtigsten Mitspieler der Eisenhomöostase im Auge behalten werden: Pathogenetisch spielt das Typ-II-Akut-Phase-Protein Hepcidin bei allen Eisenmangelanämien sowie durch chronische Erkrankungen induzierten Anämien die wichtigste Rolle. Hepcidin werde in der Leber synthetisiert und binde an das Eisenexportprotein Ferroportin, das auf Enterozyten, Makrophagen sowie Hepatozyten exprimiert werde, so Steinbicker, wodurch das Ferroportin internalisiert und degradiert wird. Ein niedriger Hepcidinspiegel signalisiere einen erhöhten Eisenbedarf und führe zu einer vermehrten Eisenabgabe ins Plasma (Exprimierung von Ferroportin erhöht), ein hoher Hepcidinspiegel blockiere dagegen die Eisenaufnahme (Abbau von Ferroportin).

Auch wenn der Hepcidinspiegel als früher Indikator für einen Eisenmangel dienen könne, komme die Bestimmung von Hepcidin für den Praxisalltag derzeit nicht infrage. Wurde die Anämie anhand des erniedrigten Hb-Werts nachgewiesen (Grenzwert von < 12 g/dl bei Frauen und < 13 g/dl bei Männern), wird daher der Eisenstatus bestimmt (Transferrin, Transferrin-Sättigung, Serum-Ferritin und Serumeisen). Dabei repräsentiert die Transferrin-Sättigung denjenigen Anteil an Transferrin, der bereits mit Eisen beladen ist: Bevor eine Eisensubstitution erfolge, müsse ein Transferrin-Sättigungswert von unter 20 % nachgewiesen worden sein, um die Gefahr einer Eisenüberladung auszuschließen, betonte Steinbicker.


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Differenzialdiagnose der 2 häufigsten Anämien

Da die Zeit bis zum geplanten elektiven Eingriff häufig auf wenige Wochen limitiert ist, bietet Eisencarboxymaltose (ferinject®) bei der präoperativen Anämie die effektivste Möglichkeit, um Eisen intravenös (i. v.) zu substituieren [ 9 ]. Wie Steinbicker aus ihrer eigenen klinischen Praxis berichtete, profitierte ein 75-jähriger Patient, der sich zu einer elektiven Hüft-OP vorgestellt hatte, von der frühzeitigen Anämie-Diagnostik und -Therapie in der PBM-Sprechstunde (Hb-Wert von 9,9 g/dl, erniedrigtes Ferritin und Eisen sowie Transferrin-Sättigung von 6 %): Die Eisenmangelanämie wurde mittels i. v.-Eisensubstitution behoben. Der Patient zeigte einen schnellen Hb-Anstieg (+ 2 g/dl) und benötigte intraoperativ keine EK-Transfusionen (Tab. [ 1 ]).

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Tab. 1 Fallbeispiele: i. v.-Eisensubstitution bei Eisenmangelanämie (Quelle: Vortrag Dr. Steinbicker).

Gelegentlich spricht auch eine Thrombozytose für eine Eisenmangelanämie, wie Steinbicker anhand eines weiteren Fallbeispiels zeigte: In diesem Fall sei die Patientin postoperativ nach einer Sectio mit einer ausgeprägten Anämie vorstellig geworden (Tab. [ 1 ]). Trotz des stark erniedrigten Hb-Wertes, zusätzlich zu den entleerten Eisenspeichern, sei auch diese Patientin mit einer alleinigen i. v.-Eisentherapie therapierbar gewesen.

Liegt der Anämie eine chronische Erkrankung zugrunde (v. a. aufgrund einer akuten oder chronischen Entzündung, Tumorerkrankung), entfalle die Option auf eine orale Eisengabe ganz, gab Steinbicker zu bedenken: In diesem Fall liege eine Störung der Eisenhomöostase vor, bei der das Hepcidin infolge der Inflammation ansteige und zu einer Zerstörung der Ferroportinkanäle führe (gestörter Hepcidin-Feedback-Mechanismus). Oral zugeführtes Eisen könne daher nicht an seinen Zielort gelangen und werde einfach wieder ausgeschieden. Das Serum-Ferritin kann bei Patienten mit ACD im Gegensatz zu Patienten mit Eisenmangelanämie trotz normaler Eisenspeicher falsch hoch sein (Tab. [ 2 ]).

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Tab. 2 Differenzialdiagnose der 2 häufigsten Anämieformen (Quelle: Vortrag von Dr. Steinbicker).

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Eisen ist nicht gleich Eisen

Während orale Eisenpräparate bei ACD schlecht resorbiert und deshalb wenig wirksam sind, kommt eine i. v.-Gabe von Eisen (ggf. nach Kontrolle des Serum-Ferritinwerts) infrage, da die Hepcidin-bedingte Hemmung der Eisenresorption durch die intravenöse Applikation umgangen wird. Allerdings sollte das Vorliegen einer akuten Infektion nach Möglichkeit ausgeschlossen werden, da es bis dato keine prospektiven Daten zur Auswirkung von i. v.-Eisengaben bei Entzündungsprozessen vor elektiven Eingriffen gebe, so Steinbicker.

Beim Einsatz von i. v. applizierbarem Eisen sei es zudem aus ihrer Sicht wichtig, auf die Molekülgröße des eingesetzten Präparates zu achten: Hochmolekulare Eisen(III)verbindungen wie Eisencarboxymaltose würden aufgrund ihres größeren Molekulargewichts langsamer zerfallen und weniger als Präparate mit kleinem Molekulargewicht dazu neigen, sich irreversibel im Gewebe einzulagern [ 10 ].

Dr. med. Yuri Sankawa, Stuttgart

Quelle: Symposium im Rahmen der 62. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DAC) „Elemente des Patient Blood Management: Transfusionsvermeidung in Theorie und Praxis“ am 7. Mai 2015 in Düsseldorf. Veranstalter: Vifor Pharma und Ferring Arzneimittel.
Der Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung von Vifor Pharma und Ferring Arzneimittel.


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(Bild: Fotolia, Fotograf/Grafi ker: V. Yakobchuk)
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Tab. 1 Fallbeispiele: i. v.-Eisensubstitution bei Eisenmangelanämie (Quelle: Vortrag Dr. Steinbicker).
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Tab. 2 Differenzialdiagnose der 2 häufigsten Anämieformen (Quelle: Vortrag von Dr. Steinbicker).