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DOI: 10.1055/s-0035-1559636
Äußere Strahlenexposition des Personals bei der Therapie mit Ra-223-dichlorid
Merkblatt des Bundesamts für Strahlenschutz – Mai 2015Publication History
Publication Date:
19 August 2015 (online)


Ra-223-dichlorid ist ein Radiopharmakon zur palliativen Therapie von Knochenmetastasen bei kastrationsresistentem Prostatakarzinom. Ra-223 wird selektiv im Knochengewebe gespeichert, was zu einer Bestrahlung der Tumorzellen führt.
Das Ra-223 Präparat Xofigo® der Firma Bayer Pharma AG wurde Ende 2013 für die ambulante Behandlung in Deutschland zugelassen. Es besitzt auch eine Zulassung der europäischen (EMA), [EMA 2014] und der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde (FDA).
Die Behandlung erfolgt i. d. R. durch 6 i. v. Injektionen von je 50 kBq pro kg Körpergewicht im Abstand von 4 Wochen. Für eine Therapie wird Xofigo® in Durchstechflaschen mit 6 ml Radium-223-dichloridlösung und einer Aktivität von 6,0 MBq am Referenzdatum geliefert [Bay 2014].
Radium-223 ist ein Alphastrahler und hat eine Halbwertszeit von 11,4 Tagen. Es zerfällt über 4 α-Emitter (Alphaenergie 5,0–7,5 MeV) und 2 β-Emitter (E β, max =1,37 und 1,42 MeV) in das stabile Tochternuklid Pb-207 ([Abb. 1]). Bei einigen dieser Tochternuklide treten auch γ-Strahlen unterschiedlicher Energie (E=0,01–1,27 MeV) auf, deren Emissionswahrscheinlichkeit in der Summe 0,7 pro α-Zerfall des Mutternuklids Ra-223 beträgt.



Alle Tochternuklide des Ra-223 sind vergleichsweise kurzlebig, was zur Folge hat, dass sich wenige Stunden nach der Abtrennung des Mutternuklids ein radioaktives Gleichgewicht mit den Töchtern einstellt. In dieser Zeit erhöht sich die Gesamtaktivität des Nuklidgemisches aus Ra-223 und dessen Töchtern auf etwa das 6-fache der ursprünglichen Ra-223 Aktivität, und auch das angelieferte Vial enthält als Gesamtaktivität bis zum 6-fachen der angegebenen Ra-223 Aktivität zum Referenzzeitpunkt ([Abb. 2]).



In den Fachinformationen der Firma Bayer und der Zulassungsbehörden wird mitgeteilt, dass die von α-Teilchen, β-Teilchen und Gammastrahlung abgegebenen Energieanteile 95,3, 3,6 und 1,1% betragen [Bay 2014], [EMA 2014]. Diese Zahlen sind jedoch nur bedingt geeignet, um die Gefährdung des Personals durch äußere Strahlenexpositionen beim Umgang mit Ra-223-dichlorid zu bewerten. Hierfür sind nicht zuletzt die β-strahlenden Tochternuklide Pb-211 und Tl-207 von Bedeutung, deren Aktivität im Gleichgewicht 33% der Gesamtaktivität ausmacht. Aufgrund dieser Tatsache und wegen der relativ hohen Energie der β-Teilchen (Eβ , max =1,37 und 1,42 MeV) sind äußere Strahlenbelastungen nicht auszuschließen. Bei genauerer Betrachtung muss zwischen einer möglichen Ganzkörperexposition und einer Exposition der Haut, vor allem an der Hand, unterschieden werden.
Die Messgröße für die externe Strahlenbelastung des Körpers ist die Tiefen-Äquivalentdosis, H*(10). Die entsprechende Dosisleistung beträgt, unter Berücksichtigung der Folgeprodukte, in 50 cm Abstand von einer Ra-223 Punktquelle 0,3 µSv/h pro MBq Ra-223 [BfS 2015]/[1]. Das würde bei 6 MBq Therapieaktivität zu einer Dosis von 0,03 µSv pro min führen. Signifikante Ganzkörperexpositionen des Personals können folglich nahezu ausgeschlossen werden.
Hautexpositionen werden vor allem durch β-Strahlung verursacht. Für die Messgröße der Hautdosis, die Oberflächen-Äquivalentdosis, H‘(0,07), ist der entsprechende Dosisleistungskoeffizient mit 130 µSv/h pro MBq deutlich größer, das Modell der Punktquelle jedoch ungeeignet. Unter realistischen Expositionsbedingungen führen die Selbstabsorption in der Radionuklidlösung und die Schwächung der β-Teilchen in der Wand von Spritzen oder Vials zu einer deutlichen Reduzierung dieser Größe. Andererseits ist beim Hantieren mit Radiopharmaka der Abstand zu den Händen viel kleiner als 50 cm und kann bei unsachgemäßem Umgang nahe Null sein, z. B. wenn eine Spritze oder das Vial nicht abgeschirmt ist und mit den Fingern berührt wird. Dann können hohe lokale Hautdosisleistungen auftreten.
Vom Hersteller des Präparates wurden Messungen der Dosisleistung mit verschiedenen Verfahren an einem Vial veranlasst. Diese ergaben eine relativ geringe Dosisleistung von maximal 0,7 mSv/h pro MBq [Bay 2014].
Für ein anderes realistisches Szenario, den Kontakt mit einer 5 ml-Spritze, stehen berechnete Dosisleistungskoeffizienten zahlreicher Nuklide zur Verfügung [Del 2002], aber leider nicht für Ra-223. Aus den Daten von Nukliden mit ähnlicher β-Energie lässt sich jedoch ableiten, dass die Oberflächen-Dosisleistung (mit Folgeprodukten) an einer mit Ra-223-dichlorid gefüllten 5 ml-Spritze 20–30 mSv/h MBq beträgt.
Zur Verifizierung dieses Sachverhalts hat das BfS Messungen durchgeführt. Dazu wurden Thermolumineszenzdosimeter (TLD) axial an der Oberfläche einer 5 ml-Spritze mit 2,77 MBq Ra-223 fixiert und 30 min bestrahlt. Die Kalibrierung der TLD erfolgte mit Y-90 (E β, max =2,28 MeV). Der gemessene Dosisleistungskoeffizient betrug 20±3 mSv/h MBq und stimmte somit recht gut mit der theoretischen Vorhersage überein. Das ist ein deutlich höherer Wert, als der an einem Vial gemessene. Dafür sind insbesondere die unterschiedliche Geometrie (geringerer Durchmesser der Spritze, d. h. weniger Selbstabsorption) und das andere Wandmaterial (0,5 mm Plastik statt 1 mm Glas) verantwortlich.
Aus den oben erwähnten Messungen der Firma Bayer an einem Vial wurde abgeleitet, dass Mitarbeiter beim Umgang mit 1 MBq Ra-223 höchstens eine Hautdosis von 15 µSv pro min erhalten können. Damit wird die Gefährdung deutlich unterschätzt, denn die Messwerte an der Spritze ergeben eine Hautdosis von 330 µSv pro min, also mehr als das 20-fache.
Wegen dieses großen Dosisleistungskoffizienten gehört Ra-223 zu der Gruppe von β-strahlenden Nukliden mit dem höchsten Gefährdungspotential durch Hautexpositionen. Für diese Nuklide, zu denen z. B. auch Y-90 zählt, werden Teilkörperdosimeter (Ringdosimeter) der amtlichen Personendosismessstellen zur Überwachung des Grenzwertes der Hautdosis (500 mSv/a) empfohlen, wenn die jährliche Umgangsaktivität 1 GBq überschreitet. [BfS 2015]/[1].
Verglichen mit anderen Radionuklidtherapien ist das Risiko von Hautexpositionen des Personals bei Therapien mit Ra-223-dichlorid aber dennoch gering, da die applizierte Ra-223 Aktivität relativ niedrig ist. Auch die Höhe der äußeren Ganzkörperexposition von Pflegekräften oder Angehörigen durch Patienten wird als vernachlässigbar eingeschätzt, da die Dosisleistung in 1 m Abstand den Wert von 0,2 µSv/h nicht übersteigt [Dau 2014].
Aus den angeführten Gründen sollten sich Strahlenschutzmaßnahmen zum Schutz des an der Therapie beteiligten Personals, von Pflegekräften und Angehörigen im Wesentlichen auf die Vermeidung von Inkorporationen und Kontaminationen konzentrieren. Hierzu sind die üblichen strahlenhygienischen Maßnahmen zur Vermeidung von Inkorporationen beim Umgang mit offenen Radionukliden einzuhalten, z. B. das Tragen von Handschuhen, Laborkitteln und Mundschutz, sowie regelmäßige Kontaminationskontrolle. Darüber hinaus wird zwecks Minimierung äußerer Strahlenexpositionen, insbesondere der Haut, die Verwendung geeigneter Abschirmungen für Spritzen und Vials empfohlen. Hierfür sind keine speziellen Abschirmungen für β-strahlende Radiopharmaka erforderlich. Es können z. B. auch kommerzielle Spritzenabschirmungen aus Wolfram für γ-Strahler wie Tc-99m verwendet werden. Weitere Hinweise zum Strahlenschutz des Personals beim Umgang mit Ra-223-dichlorid finden sich unter [BfS 2015]/[2], [Bay 2013], [Bay 2014] sowie in einer Muster-Strahlenschutzanweisung [MHH 2014].