Suchttherapie 2016; 17(01): 10-16
DOI: 10.1055/s-0035-1559657
Schwerpunktthema
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Crystal-Meth als Herausforderung für das Suchthilfesystem – Klinische Empfehlungen

Clinical Recommendations to Meet the Different Needs of Users of Crystal-Meth
R. Härtel-Petri
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Korrespondenzadresse

Dr. med Roland Härtel-Petri
FA Psychiatrie und Psychotherapie
Luitpoldplatz 10
95444 Bayreuth

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Publication Date:
28 September 2015 (online)

 

Zusammenfassung

Auch Deutschland ist mittlerweile von der Verdrängung des d-Amphetamines durch das N-Methamphetaminhydrochlorid in seiner hochkonzentrierten Form „Crystal-Meth“ in bestimmten Drogenszenen betroffen. Es ist mit einer vermehrten Behandlungsnachfrage zu rechnen.

Diese Übersichtsarbeit fasst die Erfahrungen anderer Länder, auch mit der Amphetaminsubstitution, zusammen.


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Abstract

As seen in other countries, dextroamphetamin is replaced by the N-methamphetaminehydrochloride in the almost pure form “Crystal Meth” in drugscenes favouring psychostimulants in Germany. With increasing seizures of methamphetamine and its precursors by German drug enforcement institutions, Germany is confronted with a lack of epidemiological data on abuse and little scientific work on therapeutic approaches. Preventive and therapeutic measures have to be adapted from other countries to this phenomenon emerging over the last two decades. Amphetamine replacement therapy might be one option.


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Einleitung

Die Methamphetaminabhängigkeit gilt als ein weltweites Problem mit hohen sozialen Folgekosten. Nach Cannabis ist Methamphetamin die weltweit am häufigsten konsumierte illegale Droge [1]. Über die Synthese wurde 1893 in Japan von Nagayoshi berichtet, ab 1919 war die Herstellung bereits als kristallines Methamphetamin durch Reduktion des Ephedrins mit rotem Phosphor und Jod in industriellem Maßstab möglich [2]. In Deutschland wurde es von Temmler ab 1923 als Medikament Pervitin® in Dosierungen von 3 mg bis 30 mg /Tag Maximaldosis vertrieben.


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Epidemiologie

Der von den vereinten Nationen früh bemerkte weltweite Trend zu den „Amphetaminartigen Substanzen (ATS)“ [1] zeigte sich in Deutschland zunächst in den Statistiken der Polizei zu den erstauffälligen Konsumenten. Bereits seit 2003 waren die Amphetamine für mehr als 50% der erstauffälligen Konsumenten verantwortlich [1]. Dabei war und ist die Hauptsubstanz bundesweit bisher das Dextroamphetamin, das klassische „Speed“ ([Abb. 1]).

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Abb. 1 Zunahme der ATS-Erstauffälligen seit 2000 aus ATS Global Assesment 2011.

Die Hinweise aus Suchtsurveys zur Lebenszeitprävalenzen der Amphetaminartigen Substanzen (ATS) blieben diskret. In der Altersgruppe der heute 40–49 jährigen beträgt die Lebenszeitprävalenz für Amphetamineinnahme 2,1%. Dies ist die Generation, die in ihren 20igern in der frühen Technoszene mit dem XTC (damals MDMA) in Berührung kam, „DER“ Partydroge, die bis 1986 zunächst noch ein „legal high“ war und klassisches Speed in den gleichen Szenen zur Verfügung stand. Bei den heute 21 bis 29- jährigen beträgt die Lebenszeitprävalenz für Amphetamineinnahme bereits 4,5 bzw. 6,8% [3].

Diese Zunahme ab der Jahrtausendwende könnte auch in dem Wandel der Konsumgewohnheiten in der ursprünglichen Techno-Rave-Szene liegen. Vom oral eingenommenen niedrig dosierten XTC, sowie den Speedpillen, ging es über einen, als „normal“ erlebten nasalen Amphetaminkonsum mit stärkerer Euphorie und höherem Abhängigkeitspotential, zum kristallinen Methamphetaminkonsum. Kristallines Methamphetamin gilt als schneller zu einem abhängigen Konsum führend, mit nachfolgend vermehrten psychiatrischen Komplikationen [4] [5].

Zunehmende Behandlungsnachfragen wurden z. B. aus den Suchthilfeeinrichtungen Sachsens berichtet [6] ([Abb. 2]). Es war in den späten 90er Jahren bereits auf das, in den Grenzregionen seit ca. 1995 endemische kristalline Methamphetamin, hingewiesen worden [7]. Bis ca. 2009 blieb das kristalline Methamphetamin „Crystal-Meth“ noch weitgehend auf die an die Tschechische Republik angrenzenden Landesteile Deutschlands und Österreichs beschränkt. Ab 2009 war der Markt für die Straßensubstanz „Crystal“, „C“, „Meth“, „Crystal-Speed“, „Piko“ in der Tschechischen Republik von abgeschotteten asiatischen Gruppen übernommen worden. Diese Gruppen hatten ansonsten auf den sogenannten Asiamärkten hinter der Deutsch-Tschechischen Grenze, traditionell unbehelligt, geschmuggelte Zigaretten, gefälschte Uhren, Taschen usw. vertrieben. Seit 2010 wird von Polizei und Zoll von vermehrten Einfuhrversuchen auch größerer Mengen aus der tschechischen Republik berichtet. Nach Polizeiangaben sei der Reinheitsgrad seitdem stark gestiegen, die Preise von früher um 100.-€/Gramm auf 15.-€ verfallen.

In einer Untersuchung des IFT München [8] in Suchtberatungsstellen in den betroffenen Bereichen entlang der Grenze zur Tschechischen Republik war bei 17% der Konsumenten das Crystal-Meth die erste illegalisierte Substanz vor Cannabis. Jüngste Funde von Rohstoffen wie APAAN in Drogenlaboren in Deutschland deuten auf Produzenten und Abnehmer im Westen Deutschlands hin, sowie Zeitungsnachrichten auf die Beteiligung der Neonaziszene [9] [10] [11].

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Abb. 2 Zunahme der Behandlungsnachfragen wegen Stimulantien, Sächsische Landesstelle gegen die Suchtgefahren 2012 [6].
Wirkung

Wie das klassische d-Amphetamin unterdrückt das Methamphetamin als „Weckamin“ die Müdigkeit und löst eine Euphorie mit gesteigertem Selbstwertgefühl aus. Bei erhöhtem Rede- und Bewegungsdrang sowie reduzierten sozialen Ängsten erleben sich die Konsumenten kontaktfreudig und sexuell angeregt. Bei vermindertem Schmerz- und Hungergefühl machen „alle Tätigkeiten Spaß“. Es kommt zu stereotypen Verhalten „Punding“ mit zwanghaft anmutendem Schrauben sortieren, Mitesser ausdrücken oder Putzen. Bei Verlust des Zeitgefühls können derartige Tätigkeiten stunden- bis tagelang durchgeführt werden.

Als eher unerwünschte Wirkung kommt es zu einer gereizten Getriebenheit mit reduzierter Konzentrationsfähigkeit und Gedankendrängen sowie bei Überdosierung oder chronischem Konsum zu paranoid psychotischem Erleben. Der erhöhte Muskeltonus der Rückenmuskulatur führt zu Rückenschmerzen, durch die Tonuserhöhung der Gesichtsmuskulatur kommt es zu einem Grimassieren („Gesichtsfasching“) und Zähneknirschen (Bruxismus). Der Nebeneffekt einer Gewichtsabnahme wird anfangs häufig begrüßt. Hypertherme Krisen mit Rhabdomyolyse sind beschrieben. Durch die Hypertonie und Tachycardie kommt es zu cardialen Komplikationen sowie Apoplexien.


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Methamphetamin als Droge

Unterschiede zu d-amphetamin und dem Medikament Pervitin®

Methamphetamin (metamfetamin) und d-amphetamin wurden als Weckamine (Kaffeeersatz) und Appetitzügler sowie als Antidepressivas bereits vor dem 2. Weltkrieg in Dosierungen von 3–30 mg/Tag als Medikament (z. B. Pervitin®) oral eingesetzt. Die klinischen Erfahrungen mit der raschen Toleranz- und Abhängigkeitsentwicklung sowie der Auslösung von Psychosen, auch in diesen „therapeutischen“ Dosierungen, führte in Deutschland bereits 1942 zur BTMG-Unterstellung. Heutzutage wird das kristalline Methamphetaminhydrochlorid (= Crystal-Meth/Crystal-Speed) bei dem ersten, meist nasalen Konsum, bereits in einer Dosis von fast 100 mg (Wirkstoffgehalt 80–90%) eingenommen, im Gegensatz zu dem „recreational“ Konsum von ca. 20 mg bei oralem -Konsum von „Speedpillen“ (d-amphetamin) in den 70er und 80er Jahre. Methamphetamin kann, im Gegensatz zu den meisten Phenetylaminen, wegen des geringen Siedepunktes verdampft und geraucht werden, mit ähnlich schnellem Wirkeintritt wie bei intravenösem Konsum.


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Wirkweise

Die zentralen Wirkungen werden über eine starke indirekt dopaminerge (Aktivierung der Freisetzung, Hemmung der Wiederaufnahme), starke noradrenerge und geringergradige serotonerge Mechanismen vermittelt.

Verschiedene neuroadaptiven Prozesse wie up- and down Regulationen [12] [13] sind für die rasche Toleranzentwicklung bei wiederholtem Konsum verantwortlich [14]. Als Grund für eine raschere Abhängigkeitsentwicklung als z. B. bei Kokain [4] werden neben den deutlich höheren Dosierungen der reinen, kristallinen, nasal konsumierten Substanz die geringere Tachycardieneigung durch die höhere Lipophilie als z. B. beim d-amphetamin, postuliert. Eine noradrenerge periphere Wirkung (Tachycardie) wird meist als unangenehm erlebt und begrenzt sonst die Dosierung der ATS bei Drogenkonsumenten.

Methamphetamin wird in das präsynaptische Axon aufgenommen und wirkt dort über verschiedene Mechanismen neurotoxisch (s.u.). Die Toleranzentwicklung entwickelt sich für die verschiedenen Transmittersysteme und Wirkbereiche mit unterschiedlicher Geschwindigkeit. Die zur Erhaltung der Euphorie notwendigen hohen Dosierungen führen zu einer überreizten Wachheit, bei gleichzeitiger körperlicher Erschöpfung. Um Schlaf anzustoßen, entwickelt sich dann häufig ein polyvalentes Konsummmuster mit dem Übergang in Opiat-[15] und Benzodiazepinkonsum [16]. Auch THC wird dann „zum Runterkommen“ in hoher Dosierung als Selbstmedikation konsumiert, was die diagnostische Zuordnung der nicht selten auftretenden Psychosen erschwert.

Methamphetamin wird über Cytochrom P450 CYP2D6 per N-Demethylierung zum Amphetamin verstoffwechselt und über die Niere ausgeschieden. Somit kann es mit herkömmlichen Drogentests nachgewiesen werden.


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Die Folgen

Mit der Verdrängung des d-amphetamin durch Methamphetamin kam es in Australien zu einer Zunahme von Todesfällen wegen cardialer Komplikationen bzw. intracerebralen Blutungen [17] sowie zum gehäuften Auftreten von Amphetaminpsychosen [18]. Die Zunahme von Notfallaufnahmen in den US-Bundesstaaten wegen cardialer oder psychiatrischer Komplikationen war ein frühes Warnzeichen für die Ausbreitung von West nach Ost [19].

Frühe Überlegungen zu einer, bereits in den 80er Jahren bei der XTC-Forschung postulierten Auslösung einer Parkinsonerkrankung durch ATS-Konsum [20] [21], wurden bestätigt [22] [23].

Bei abstinenten Methamphetaminabhängigen wurden schon früh (bei Abstinenz rückbildungsfähige) neurokognitive Störungen nachgewiesen, mit Beeinträchtigung von Alltagstätigkeiten [24] [25]. In Bildgebungsstudien war eine Zuordnung der funktionellen Einschränkungen zu strukturellen bzw. metabolischen Veränderungen bestimmter Hirnbereiche möglich, was mit der klinischen Erfahrung korreliert [26] [27] [28] [29]. Trotz grundsätzlicher methodologischer Kritik an Bildgebungsstudien [30] dürfen diese Befunde als gesichert gelten. Auch die Erfahrung der Angehörigen, einer im Verlauf des Konsums zunehmenden Gefühlskälte mit Verlust einer Empathiefähigkeit -die psychiatrische Gutachter zur Fehldiagnose einer dissozialen Persönlichkeitsstörung verleiten kann- finden sich in ersten Untersuchungen plausible Korrelate [31] [32].

Die die Neurotoxizität begründenden Mechanismen einer retrograden Apoptose monoaminer Bahnen durch die Aufnahme des Methamphetamines in die präsynaptische Nervenzelle sind gut untersucht [33] [34] [35].

Der in den Medien gerne bemühte Methmouth konnte auch bei deutschen Patienten nachgewiesen werden [36] [37], obgleich unsere Patienten, anders als in den USA, über eine Krankenversichertenkarte verfügen und die bei adrenerg bedingter Hyposalivation kariesbedingten Schäden im klinischen Alltag bereits zahnärztlich saniert und so weniger offensichtlich sind. Besonders betroffen sind hierbei die Kauflächen der Backenzähne durch den Bruxismus.


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Safer-Use-Überlegungen

Mit Ethnologischer Methodik konnten in Deutschland verschiedene Subpopulationen mit höherer Konsumfrequenz herausgearbeitet werden [38]. Die größte und bekannteste Gruppe, in der bereits über Partydrogenprojekte Peergroup basierte Aufklärung betrieben wird, ist die Elektronische Dance Musik-Szene, früher Technoszene. Die Applikationsformen sind nicht nur bei Medikamenten, sondern auch beim Drogenkonsum relevant für Wirkstoffkonzentrationsspitzen und somit für die Neurotoxizität. Als relativ „safe use“ für Gelegenheitskonsumenten könnte nur ein niedrig dosierter oraler Konsum von z. B. <20 mg gelten. [39]. Dies würde die Substanz aber für die jetzigen Konsumenten, denen es auch um eine schnell einsetzende Euphorie geht, eher unattraktiv machen. Methamphetamin kann wegen des geringen Siedepunktes verdampft und geraucht werden. Diese, in einer Untersuchung [40] schneller zu Psychosen führende Konsumweise, war eine Zeitlang im Rahmen von safer-use-Projekten als Alternative zum i.V. Konsum wegen der geringeren HIV-Übertragungsrate propagiert worden. Eher sollten „rotzende“ nasal konsumierende Gelegenheitskonsumenten zum niedrig dosierten oralen Konsum angehalten werden oder dazu, wenigstens immer ein eigenes Röhrchen zu verwenden und bei Sexualkontakten auf safer sex zu achten. Die Steigerung des sexuellen Antriebs erhöht das Risiko für gefährliches Sexualverhalten [41] [42], da wegen der substanzbedingten Schmerzunterdrückung, verletzungsträchtigere Sexualpraktiken zur Erreichung eines Höhepunktes notwendig werden. Die Durchseuchungsrate in Californien war unter Methusern höher als bei i. v. Opiatabhängigen [43]. Dies betrifft besonders die Homosexuellenszene [44]. Frühzeitig wurde in Europäischen Großstädten mit einer aktiven Darkroom-undergroundszene entsprechende Aufklärung angeboten [45] [46] [47].


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Klinische Konsequenzen

Postkonsum- bzw. Entzugssymptome

Durch Dopamin- Noradrenalin- und Serotoninverbrauch sind die Symptome zu erklären: Anhedonie, Antriebslosigkeit, psychomotorische Verlangsamung im Wechsel mit hyperkinetischen Phasen, ein generelles Schwächegefühl, gereizt- depressive Stimmung mit reduziertem Selbstwertgefühl und Suizidgedanken sowie Kopfschmerzen führen zum Craving und dem erneuten Konsum, um o.g. Symptome zu lindern. Im Entzug sind vegetative Entgleisungen kaum zu erwarten, aber suizidale Ideationen häufig und im Praxisalltag zu berücksichtigen. Gesteigertes Hungergefühl führt zu einer besonders Patientinnen belastenden Gewichtszunahme über das ursprüngliche Gewicht hinaus. In Entzug und Rehabilitation ist Ernährungsberatung zur Verhütung solcher, subjektiv nicht tolerierter Gewichtszunahme, bei dieser Klientel besonders sinnvoll.

Auch die Schlafstörungen sind Rückfallauslöser. Die Langzeitwirkung der Amphetamine auf den Schlaf sind seit den 60er Jahren gut beforscht [48]. Im Entzug kommt es zunächst zu einer „crashphase“ [49] mit vermehrtem Schlaf, nach wenigen Tagen zu einem REM- Rebound mit nächtlichem Erwachen und vermehrten Drogenträumen, die ein Risiko für Rückfälligkeit und Therapieabbrüche darstellen. Die Anhedonie und Antriebslosigkeit kann wegen der neuroadaptiven Prozesse und der Neurotoxizität über Monate bestehen bleiben. Die Patienten sind durch die, bei chronischem Konsum häufig zu bemerkenden kognitiven Störungen, beeinträchtigt. Überforderungserleben in der Alltagsbewältigung bzw. im stationären Setting sind erlebbare Rückfallgründe.

Bei Aufnahme auf einer Entzugsstation im intoxikierten Zustand ist das Team durch das hohe Redebedürfnis („Laberflash“), die motorische Unruhe und Umtriebigkeit gefordert. Ergotherapeutische Maßnahmen wie Mandalas ausmalen, die Übernahme von Tischputzdiensten sowie ein immer verfügbarer Kunst-Ergotherapieraum mit der „Erlaubnis“, verschiedenste Projekte zu beginnen und auch abzubrechen, sind Milieugestaltungsmaßnahmen, die nach unserer klinischen Erfahrung die Abbruchquote in dieser Phase des Entzuges reduzieren können. Teams von Drogenentzugsstationen sehen und spüren bei akuter Alkohol-, Benzodiazepin- oder Opioidintoxikationen, dass gegebene Informationen zu den Stationsabläufen usw. nicht gespeichert werden. Stimulantienuser erscheinen wach, focussiert und aufmerksam- nur leider sind sie „eingeschaltet“ auf ganz andere Dinge focussiert, z. B. auf die Anordnung der Sommersprossen im Gesicht des über die Stationsabläufe informierenden Pflegers. Sie haben wegen der oben beschriebenen kognitiven Störungen Mühe, sich selber den Alltag zu organisieren. Patienten im niedrigschwelligen stationären Entzug mit der Hauptsubstanz Methamphetamin kommen im Vergleich zu Opiatpatienten schneller zur Behandlung, waren rascher für weiterführende Behandlungen zu motivieren und schlossen die Behandlung häufiger regulär ab [50]. Therapiesettings sind an die hohe, teils primäre, teils sekundäre Comorbidität anzupassen [51].


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Psychosen

Die Zunahme amphetamininduzierter Psychosen bei Auftreten des Methamphetamins in der Drogenszene wurde an verschiedenen Orten nachgewiesen [18] [52]. Auftreten und Verlauf scheinen, wie die methamphetaminassoziierte Gewalttätigkeit, gesamtdosisabhängig zu sein. [53] [54]. Überlegungen zu einer genetischen Vulnerabilität sowie die Fragen der Auslösung einer eigenständigen Erkrankung vs. der Auslösung einer Schizophrenie (Vulnerabilitäts- Stressmodell) werden in den unterschiedlichen Psychiatriekulturen noch kontrovers diskutiert z. B. [55]. Bei der Behandlung der Methamphetaminassoziierten Psychosen (MAP) gibt es neben der klinischen Erfahrung auch Hinweise aus Tierversuchen, eher auf Haloperidol zu verzichten [56] [57]. Bei längeren Wachphasen vor Beginn der Psychose kann der Schlafentzug auslösend sein. In der akutpsychotischen Phase erscheint eine kurzfristige Benzodiazepingabe auch deshalb klinisch hilfreich, jedoch fehlt hierzu wissenschaftliche Evidenz. Bei der Auswahl der Neuroleptika ist zu bedenken, dass abhängigen Konsumenten im Entzug nach eigenen Daten ohnehin mit einer mittleren Gewichtszunahme von ca 8 kg zu rechnen haben.

Patienten mit einer drogeninduzierten Psychose profitieren subjektiv von einem 3 stündigen Psychoedukationsprogramm, auch bereits auf einer beschützenden Station (nach Abklingen eines Erregungszustandes) [58].

Ein Ansäuern des Harns kann die Wirkungsdauer des Methamphetamins verringern.


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Beratung

Für die ambulante Behandlung hat sich eine Terminvergabe innerhalb von 24 h bewährt. Amphetaminpatienten gelten im intoxikierten Zustand wegen des Verlustes des Zeitempfindens und der zwanghaft anmutenden Focussierung auf Banalitäten als wenig zuverlässig bezüglich Termineinhaltung. Moderne Kommunikationsmittel mit Erinnerungs-SMS sowie Erinnerungsanrufen scheinen nach Erfahrungen der bereits betroffenen Suchtberatungsstellen die Teilnahmequote zu verbessern.

Selbstbehandlungsstrategien sind wirksam [59] und werden gegenwärtig in einem Onlineportal in Deutschland gefördert [60].


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Rehabilitation

Aus den USA liegen verschiedene Studien zu den Psychotherapieergebnissen vor. Eine Haltequote von 43% und 69% Punktabstinenz bei der 6-Monatskatamnese konnten im integrativen „Matrix“-Programm gezeigt werden [61] [62] [63]. Das Manual ist in der englischen Version frei verfügbar [64], eine autorisierte Übersetzung liegt bisher nicht vor. Sowohl kognitiv verhaltenstherapeutische und Community Reinforcement-Ansätze, als auch das 12-Schritte-Programm, erwiesen sich als wirksam [65]. Kontingenz-Management (CM) war bei dem, für die USA-typischen Sozialsystem, jedoch genauso hilfreich, um während der Studienzeit drogenfreie Urintests zu erreichen [66] [67] [68]. Aus Deutschland liegt bisher nur eine eigene unspezifische Untersuchung zum Verlauf nach stationärer Entgiftung vor [69].


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Medikamentöse Behandlungsstrategien

In Metaanalysen blieben klassisch pharmakopsychiatrische Ansätze bisher nur von bescheidener Wirksamkeit für das Ziel der Abstinenz [70] [71].

Die häufig eingesetzten SSRIs werden nur bei vordiagnostizierter Depression empfohlen, die Haltequote war bei unzureichender Wirkung gegen Antriebsstörung und Anhedonie geringer als bei Placebo, was mit den Nebenwirkungen begründet wurde. Die Anhedonie im Methamphetaminentzug sei nicht mit der Anhedonie bei Major Depression vergleichbar, was in Abwägung der hauptsächlichen dopaminerg vermittelten Wirkung einleuchtend ist [72]. Bupropion konnte in ersten Studien eine Wirksamkeit, allerdings auch nur bei nicht täglich konsumierenden Patienten, zeigen [73]. Naltrexon war gegenüber Placebo bezüglich Haltequote, Selbstangaben des Amphetaminkonsums und dies überprüfenden Drogenscreenings überlegen [74].


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Dopaminanaloga/Amphetaminsubstitution?

Eine Reihe von Forschungsgruppen bemüht sich um die Dopamin-Analogabehandlung, d. h. Substitutionsbehandlung z. B. mit retardiertem Amphetaminsulfat [Übersicht 75]. Erst in höheren Dosierungen scheint dies neben schadensminimierenden Erfolgen, wie Einstellung des i. v.-Konsums [76] auch zu einer Beigebrauchsreduktion zu führen [77] [78]. Methylphenidat (retardiert) zeigte in Studien bisher in den üblichen Dosierungen diesbezüglich keine ausreichende Wirksamkeit. Die Haltequote war gegenüber Placebo jedoch verbessert [79].

Zur Milderung der Entzugssymptome im stationären Entzug, ist Modafinil in ersten Studien hilfreich gewesen [80] [81]. Untersuchungen zum, nach klinischer Erfahrung wirksamen, Koffein, fehlen.

Bei weiterer Ausbreitung des Methamphetaminproblems könnte eine Dopaminanalogabehandlung (z. B Substitution mit retardiertem Amphetaminsulfat bzw. stationärer fraktionierter homologer Entzug mit Modafinil) in betroffenen Großstädten Ziel von Forschungsvorhaben werden. Bei immer kürzer werdenden Behandlungszeiten im stationären qualifizierten Entzug, könnte die Rehabilitationsfähigkeit ebenfalls durch vorübergehende Dopaminanalogabehandlung [82] verbessert werden.

Fazit für die Praxis

Es ist unwahrscheinlich, dass Zentraleuropa vom weltweiten Trend zu kristallinen Methamphetamin ausgenommen bleibt. Unter Kenntnis der höheren Wirksamkeit der nasal, hochrein eingenommenen Substanz sind spezifische safer use- und Präventionstrategien für Subpopulationen zu entwickeln. Die Behandlungsergebnisse aus anderen Ländern sind ermutigend, müssen aber auf den deutschen Sprachraum übertragen werden. Medikamentöse Strategien sind noch unzureichend beforscht. Für eine Analogabehandlung mit d-amphetamin (Amphetaminsubstitution) besteht in Deutschland wegen den notwendigen großen Verordnungsmengen nach der BTMVV weder eine Rechtsgrundlage, noch eine legitimierende Datenlage. Die Gefahr der Neurotoxizität, im Gegensatz zur Opiatsubstitution, muss bei der Planung von Amphetaminsubstitutionsstudien genau abgewogen werden.


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Zur Person

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Dr. Härtel Petri war langjähriger Leiter der Fachklinik Hochstadt sowie des Suchtbereiches am Bezirkskrankenhaus Bayreuth. Durch die Nähe zur Tschechischen Republik musste sich sein Team ab 1997 auf die sich freiwillig und selbstmotiviert zum qualifizierten Entzug einfindenden, aber auch auf die notfallmäßig eingelieferten intoxierten Patienten einstellen und die Behandlungssettings nach angelsächsischem Vorbild anpassen. Als Leiter einer Substitutionsambulanz und in persönlicher Kenntnis der Amphetaminsubstitution in Großbritannien sieht er deren wissenschaftlich begleitete Implementierung als zukünftig notwendig an, sofern der Trend zum Methamphetamin bestehen bleibt. Er ist mittlerweile in eigener psychotherapeutisch-psychiatrischer Praxis niedergelassen.

Interessenkonflikt:

Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Dr. med Roland Härtel-Petri
FA Psychiatrie und Psychotherapie
Luitpoldplatz 10
95444 Bayreuth


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Abb. 1 Zunahme der ATS-Erstauffälligen seit 2000 aus ATS Global Assesment 2011.
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Abb. 2 Zunahme der Behandlungsnachfragen wegen Stimulantien, Sächsische Landesstelle gegen die Suchtgefahren 2012 [6].