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DOI: 10.1055/s-0035-1564746
Interstitielle Zystitis – Behandlung mit Natriumpentosanpolysulfat
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
21. September 2015 (online)
Zur medikamentösen Therapie der interstitiellen Zystitis bzw. des Blasenschmerzsyndroms (engl. interstitial cystitis/bladder pain syndrome, IC/BPS) ist neben dem trizyklischen Antidepressivum Amitriptylin und dem Antihistaminikum Hydroxyzin in den USA und Kanada Natriumpentosanpolysulfat (PPS) in einer oralen Zubereitungsform zugelassen. Das Ziel der randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Studie bestand darin, die niedrigste mögliche therapeutisch effektive PPS-Dosis zu evaluieren.
J Urol 2015; 193: 857–862
mit Kommentar
In die Multicenter-Studie in den USA und Kanada wurden zwischen 2003 und 2011 368 Patienten mit mindestens 6-monatiger IC/BPS-Symptomatik eingeschlossen. Keiner der Studienteilnehmer hatte innerhalb von 4 Wochen vor der Randomisierung eine Zystoskopie, eine intravesikale oder eine medikamentöse Behandlung erhalten. Über einen Zeitraum von 24 Wochen erhielten
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122 Patienten das von der FDA empfohlene Dosisschema (100mg PPS 3-mal tgl.),
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129 Patienten wurden 1-mal tgl. mit 100mg PPS behandelt und
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118 erhielten ein Placebo.


Die IC/BPS-Beschwerden wurden vor Studienbeginn sowie nach 4, 8, 12, 18 und 24 Wochen mithilfe des ICSI- (O‘Leary-Sant Interstitial Cystitis Symptom Index) und des PORIS-Fragebogens (Patient‘s Overall Rating of Improvement of Symptoms) sowie mithilfe einer numerischen Schmerzskala objektiviert. Der primäre Studienendpunkt umfasste den Anteil von Patienten aller 3 Gruppen, bei denen bei Studienende ein klinisches Ansprechen, d.h. eine mindestens 30%ige Abnahme des ICSI-Scores, zu verzeichnen war. Die Studie wurde maßgeblich von Janssen Research & Development unterstützt.
Die Studie wurde nach einer Interimsanalyse nach einem Zeitraum von 6 Jahren, in dem lediglich 57% der geplanten 645 Patienten rekrutiert worden waren, vorzeitig beendet. 162 Probanden waren von der Studienteilnahme zurückgetreten. Hinsichtlich des primären Studienendpunkts zeigten sich weder zwischen den beiden PPS-Gruppen noch im Vergleich zu Placebo signifikante Unterschiede. Ein deutliches Ansprechen der IC/BPS-Symptomatik zeigten 48 von 118 Patienten (40,7%) der Placebogruppe, 51 von 128 (39,8%) der 1-mal tgl. und 52 von 122 (42,6%) der 3-mal tgl. mit PPS behandelten Patienten.
Die häufigsten, meist als moderat eingestuften behandlungsbedingten Nebenwirkungen umfassten Blasenschmerzen, Nausea, Kopfschmerzen sowie Exazerbation der IC-Beschwerden. 12 (10,2%), 17 (13,3%) bzw. 14 (11,5%) Patienten beendeten die Studie aufgrund von (meist gastrointestinalen) Nebenwirkungen. Schwere unerwünschte Nebenwirkungen traten bei 4, 4 und 0 Patienten der 3 Gruppen auf.
Anhand der Studienergebnisse lässt sich kein therapeutischer Effekt einer Medikation von PPS im Vergleich zu Placebo bei Patienten mit IC/BPS belegen. Eine mögliche Verfälschung der Ergebnisse sehen die Autoren unter anderem in der Patientenselektion begründet. So wurden beispielsweise auch Patienten mit milder Symptomatik in die Studie eingeschlossen und Patienten mit bestimmten Komorbiditäten, wie psychosomatischen und depressiven Störungen, nicht von der Teilnahme ausgeschlossen. Nickel et al. empfehlen weitere Untersuchungen, um diejenige Patienten-Subgruppe zu identifizieren, die von einer oralen PPS im Rahmen einer Monotherapie oder eines multimodalen Behandlungskonzepts profitiert.
Studie wenig hilfreich
Natriumpentosanpolysulfat (PPS) ist ein aus Buchenholz gewonnenes, semisynthetisches Polysaccharid. Das Heparinoid PPS ist das einzige in den USA von der FDA zugelassene orale Medikament zur Behandlung des chronischen Blasenschmerzsyndroms/interstitielle Zystitis (BPS/IC). Das Wirkkonzept von PPS basiert einerseits auf Ersatz der muzinösen Deckschicht des Urothels, andererseits auf einer Veränderung der natürlichen Adhärenz der Blasenschleimhaut infolge erhöhter Wasserbindung (sog. Coating-Effekt). Die Bildung einer zusätzlichen Wasserschicht zwischen Urothel und Blaseninhalt soll dabei die Adhärenz von Bakterien, Kristallen und Proteinen vermindern und der potenziell schädigende Einfluss dieser Substanzen auf das Urothel hiermit verringert werden.
Die häufigste Nebenwirkung der PPS-Therapie in der empfohlenen Dosis von ca. 300–400mg pro Tag ist bei 10% der Patienten Übelkeit. Insbesondere von Frauen wird eine Alopezie besonders gefürchtet (Rate ca. 2,5%). Diese scheint jedoch vollständig reversibel zu sein. Wegen der oralen Bioverfügbarkeit von höchstens 5% und einer bis zu 11-monatigen Latenzzeit bis zum Wirkeintritt, muss das Präparat stets über einen langen Zeitraum eingenommen werden [1]. Höhere Dosen von bis zum 900mg in der Therapie des BPS/IC erhöhen die Häufigkeit gastrointestinaler Nebenwirkungen und weisen keine höhere Wirksamkeit auf, wie Vorgängerstudien, u.a. auch von Curtis Nickel, dem Autor der rezensierten Arbeit, bestätigten [2].
In einer Metaanalyse aus dem Jahre 1997 kamen Hwang und Koautoren nach Analyse von insgesamt 4 randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Studien zur Schlussfolgerung, dass „PPS in der oralen Therapie von Schmerz, Harndrang und Pollakisurie effektiver als ein Placebo ist, in der Therapie der Nykturie jedoch nicht“ [3]. Eine Steigerung der PPS-Wirksamkeit durch tägliche Applikation von 3x5000E unfraktioniertem Heparin, hat sich im klinischen Alltag infolge eines anspruchsvollen hämatologischen Monitorings des Patienten nicht bewährt [4].
2015 wurden nun oben zusammengefasste Langzeitergebnisse einer randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Studie zur Wirksamkeit der zugelassenen Tagesdosis von 300mg sowie zur Anwendung einer erniedrigten Dosis von lediglich 100mg veröffentlicht. Hierbei handelt es sich um die Ergebnisse einer Dosisfindungsstudie, welche von der FDA zum Zulassungszeitpunkt als sog. Post-Marketing-Studie oder Nachsorgestudie im Weiteren verlangt worden war.
Die Studie, welche im Studienregister des US-Gesundheitsministeriums unter NCT00086684 gelistet wird, wurde im Januar 2013 abgebrochen, da keine Wirksamkeit nachgewiesen werden konnte. Nickel und Kollegen fassen somit in der 2015 veröffentlichten Analyse korrekt zusammen, dass „ein Behandlungseffekt im Vergleich zum Placebo bezüglich einer PPS-Monotherapie in der aktuell vorgeschriebenen Dosis (von 300mg) als auch in einem Drittel dieser Dosis in der über 24 Wochen laufenden Studie nicht beobachtet werden konnte“.
Die negativen Studienergebnisse befeuern die Diskussion zur Wirksamkeit von PPS und des zugrundeliegenden therapeutischen Konzepts. Die Autoren scheuen in ihrer Diskussion jedoch dezidiert, dem Präparat eine Wirkung abzusprechen. Es müsse bedacht werden, so die Autoren entschuldigend, dass pharmakologische Therapiestudien, welche nach einer Zulassung des angewandten Medikaments durchgeführt würden, mit erschwerter Patientenrekrutierung zu kämpfen hätten (Medikament auf Rezept erhältlich). Folglich würden frühzeitige Studienabbrüche sowie ein hohes Risiko, Patienten mit Vortherapie mittels des untersuchten Präparats einzuschließen, drohen. Derartige Studien, wie auch die Vorliegende, könnten daher verstärkt unerkannte, vorherige Non-Responder als Ursache der Erfolglosigkeit eingeschlossen haben. Die gleiche Arbeitsgruppe hatte im Jahr 2005 an 380 Patienten beschrieben, dass Dosissteigerungen auf 600 bzw. 900mg pro Tag keine statistische jedoch klinisch signifikante Symptomlinderung erzielen konnten, die in allen 3 Gruppen vergleichbar war. Es wurde geschlussfolgert, dass wohl die Therapiedauer und weniger die Dosis für den Erfolg bedeutsam sei [2].
Überzeugender waren die Ergebnisse einer kombinierten oralen und intravesikalen PPS-Anwendung, über die Davis im Jahre 2008 im Rahmen einer randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Studie berichtete [5]. 41 Frauen erhielten dabei 400mg flüssiges PPS 2-mal pro Woche intravesikal sowie 2x200mg tgl. in Tablettenform. Der Placebo-Vergleich bezog sich jedoch lediglich auf die Instillationen, das orale PPS erhielten über insgesamt 18 Wochen alle eingeschlossenen Patienten. Die oben erwähnte milde Alopezie wurde bei 4 Patienten beobachtet, davon 1-mal in der Placebo-Gruppe. In der Abschlussuntersuchung nach Therapiewoche 18 konnte in der Verum-Gruppe eine statistisch signifikante Verbesserung in allen Lebensqualität-Domänen des SF36-Fragebogens im Vergleich zum Placebo beobachtet werden.
Zusammenfassend kann die vorliegende Arbeit keine überzeugende Hilfestellung für Abwägungen zur Wirksamkeit von PPS bei BPS/IC oder zur Dosierung des Präparats geben. Vermutlich hat PPS seinen höchsten Wert in einer Kombinationstherapie und dieses auch nur in einem multimodalen Therapiekonzept. Infolge der oben skizzierten Datenlage und seiner FDA-Zulassung ist es Bestandteil der AUA-Therapieleitlinien, in Deutschland stellt seine orale oder intravesikale Anwendung eine Selbstzahlerleistung dar. Zusammenfassend hilft die vorliegende Studie dem Urologen im Alltag nicht, bezüglich Indikation und Dosis einer oralen PPS-Anwendung bei BPS/IC zu entscheiden.
Univ.-Prof. Dr. Arndt van Ophoven, Herne
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Literatur
- 1 Hanno PM. Analysis of long-term Elmiron therapy for interstitial cystitis. Urology 1997; 49 (5A Suppl.): 93-99
- 2 Nickel JC, Barkin J, Forrest J et al. Randomized, double-blind, dose-ranging study of pentosan polysulfate sodium for interstitial cystitis. Urology 2005; 65: 654-658
- 3 Hwang P, Auclair B, Beechinor D et al. Efficacy of pentosan polysulfate in the treatment of interstitial cystitis: a meta-analysis. Urology 1997; 50: 39-43
- 4 van Ophoven A, Heinecke A, Hertle L. Safety and efficacy of concurrent application of oral pentosan polysulfate and subcutaneous low-dose heparin for patients with interstitial cystitis. Urology 2005; 66: 707-7114
- 5 Davis EL, El Khoudary SR, Talbott EO et al. Safety and efficacy of the use of intravesical and oral pentosan polysulfate sodium for interstitial cystitis: a randomized double-blind clinical trial. J Urol 2008; 179: 177-185
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Literatur
- 1 Hanno PM. Analysis of long-term Elmiron therapy for interstitial cystitis. Urology 1997; 49 (5A Suppl.): 93-99
- 2 Nickel JC, Barkin J, Forrest J et al. Randomized, double-blind, dose-ranging study of pentosan polysulfate sodium for interstitial cystitis. Urology 2005; 65: 654-658
- 3 Hwang P, Auclair B, Beechinor D et al. Efficacy of pentosan polysulfate in the treatment of interstitial cystitis: a meta-analysis. Urology 1997; 50: 39-43
- 4 van Ophoven A, Heinecke A, Hertle L. Safety and efficacy of concurrent application of oral pentosan polysulfate and subcutaneous low-dose heparin for patients with interstitial cystitis. Urology 2005; 66: 707-7114
- 5 Davis EL, El Khoudary SR, Talbott EO et al. Safety and efficacy of the use of intravesical and oral pentosan polysulfate sodium for interstitial cystitis: a randomized double-blind clinical trial. J Urol 2008; 179: 177-185



