Z Orthop Unfall 2015; 153(05): 461-464
DOI: 10.1055/s-0035-1564946
Orthopädie und Unfallchirurgie aktuell
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Arztbewertungsportale – Jens Gmerek: „Ich rate zum Dialog mit Portal und Bewerter“

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Publication Date:
09 October 2015 (online)

 
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    Rechtsanwalt Jens Gmerek, geboren 1974 bei Leipzig, ist Mitinhaber der Kanzlei Gmerek & Manthe in Mainz. Der Fachanwalt für IT-Recht zählt vor allem Firmen, dabei auch Betreiber von Arztbewertungsportalen, zu seinen Kunden. Darunter auch das Portal Sanego, für das die Kanzlei letztes Jahr vor dem BGH ein wichtiges Urteil erstritt.

    ? Sie haben Sanego letztes Jahr vor dem Bundesgerichtshof (BGH) vertreten?

    Ja, die Entscheidung des BGH vom Juni 2014 (Az.: VI ZR 345/13, Anm. Red.) ist auf unser Hinwirken hin ergangen. Der Fall ging vom Oberlandesgericht Stuttgart zum BGH, wo uns, nebenbei, ein Kollege vertreten hat – nur 46 Anwälte in Deutschland haben bekanntlich eine Singularzulassung für Verfahren vor dem BGH. Wir wollten Rechtssicherheit schaffen in der Frage, ob und wann ein Arztbewertungsportal einen Bewerter wirklich nennen muss, seine Identität aufdeckt. Der BGH hat ja eindrucksvoll bestätigt, dass es das normalerweise eben nicht muss.

    ? Worum ging es?

    Ein Bewerter hatte sich auf Sanego schlecht über einen Arzt geäußert, geschrieben, dass dieser Arzt Quantität vor Qualität setzen würde, dass sich Wäschekörbe bei ihm in den Praxisräumen stapeln und so weiter... Das Portal hat sich dann an uns gewandt.

    ? Wieso?

    Weil der Arzt vom Portal die Löschung dieses Eintrags gefordert hatte. Und vor allem, weil er Auskunft über die Identität des Bewerters wünschte.

    ? Mit welchem Argument?

    Es lägen falsche Tatsachenbehauptungen und damit eventuell sogar eine Straftat vor. Der Arzt wollte gegen den Bewerter direkt vorgehen. Und in den ersten Instanzen ist er damit auch durchgekommen, auch die Bewertung musste komplett gelöscht werden. Der Fall ging dann zum BGH. Und der hat bekanntlich den Auskunftsanspruch abgewiesen. Komplett. Die Portale haben jetzt Klarheit, dass sie ihre Bewerter grundsätzlich anonym halten müssen.

    ? Das heißt, wenn ich als Patient heute einen Arzt bewerte, muss das Portal sicherstellen, dass ich anonym bleibe – unabhängig davon, ob ich nun berechtigte Kritik übe, Unsinn schreibe oder gar beleidige?

    Nein, so ist das nicht richtig. Das Gebot zur Sicherstellung der Anonymität ergibt sich aus dem Gesetz und zwar §13, Absatz 6, Telemediengesetz (TMG). Dort steht, dass der Bewerter anonym zu bleiben hat.

    ? E-Mail und weitere Angaben, meist bei der Registrierung abgegeben, bleiben unter Verschluss.

    Richtig. Aber, und jetzt kommt das Aber – es gibt Ausnahmefälle. Auskunftsverpflichtungen bestehen natürlich gegenüber den Strafverfolgungsbehörden. Wenn ein Richter oder Staatsanwalt etwas anordnet, dann wäre das Portal verpflichtet, die Daten rauszugeben.

    ? Wie oft kommt das vor?

    Das passiert häufiger. Es gibt zum Beispiel regelmäßig Anfragen an Sanego von Strafverfolgungsbehörden, die dann die Identität einer bestimmten Person haben wollen. Da geht es dann um Verleumdung und Beleidigung.

    ? Ein Beispiel?

    Beleidigungen, da denken Sie zunächst mal an die klassischen Formalbeleidigungen. Wenn Sie schreiben, der Arzt ist ein Mistkerl, der ist ein Quacksalber, dann ist das eine Beleidigung.

    ? Als Einfallstor für Beleidigungen gelten die Freitextfunktionen. Müssen Portale nicht von Anfang an, solche Freitexte akribisch prüfen, bevor die freigeschaltet werden?

    Nein. Es gibt bestimmte Filter, die automatisch eingerichtet werden können und einzurichten sind, mit denen sich manche Beleidigung gleich filtern lässt. Aber eine ganz wichtige Entscheidung dazu ist eben die im Fall Sanego vom letzten Jahr. Da hat der BGH auch entschieden, dass es keine Vorabprüfungspflicht der Portale gibt. Sie müssen erst auf „Zuruf“ aktiv werden, sobald sich jemand meldet und beschwert.

    ? Was raten Sie dem Arzt – wenn der zur Einsicht kommt, dass ihn da jemand auf einem Portal beleidigt. Geh zum Anwalt? Oder erstatte Anzeige bei der Polizei?

    Mein Rat lautet Kommunikation ist alles. Eigentlich dürfte ich als Anwalt das hier gar nicht so sagen. Aber wenden Sie sich mit einer Beschwerde doch zunächst mal an den Betreiber. Etliche Portale benachrichtigen Ärzte, wenn sie neu bewertet worden sind. Mitunter führt dann auch eine Verlinkung direkt zum Eintrag und zu einer Kommentarfunktion. Darüber könnten Sie auch mit dem Bewerter unmittelbar in Kontakt treten.

    ? Kein Risiko, sich Blößen zu geben?

    Naja. Sehen Sie es mal so: Es gibt Ärzte, die sagen auch bei einer polemischen Kritik auf dem Internet, Nee – lass ruhig drin. Indem ich dazu via Kommentarfunktion Stellung nehme, macht das meine Person und meine Tätigkeit als Arzt am Ende für andere Leser sogar glaubwürdiger. Allerdings hat es da ein Restaurant leichter. Denn als Arzt muss man die Schweigepflicht beachten. Man darf nicht schreiben, um welchen Patienten es sich dabei handelte.

    ? Das weiß der Arzt doch zu dem Zeitpunkt gar nicht, wer das ist, der Betreiber wird es ihm nicht sagen?

    Es kann durchaus sein, dass ein Arzt aufgrund des Datums eines Eintrags und der Beschwerde von sich aus zuordnen kann, wer da geschrieben hat.

    ? Darf der Arzt dann diesen Patienten im Internet direkt angehen, seine Identität aufdecken?

    Nein, darf er, anders als die Staatsanwaltschaft, nicht.

    ? Wieso kommt ein Arzt dann überhaupt auf die Idee, von einem Portalbetreiber die Identität eines seiner Patienten erfahren zu wollen? Er ist doch zur völligen Verschwiegenheit verpflichtet?

    Ja, aber bei der Wahrnehmung berechtigter eigener Interessen wird die Schweigepflicht durchbrochen.

    ? Angenommen, da steht eine Beleidigung, und der Arzt wendet sich an den Portalbetreiber. Was passiert dann?

    Eine klare Beleidigung muss gelöscht werden, sofort. Hakelig wird es dann aber schnell, wenn da Formulierungen stehen, die sehr unterschiedlich bewertet werden.

    ? Ein Beispiel?

    Nehmen wir die Aussage „Dieser Arzt schaut mehr auf Quantität als auf Qualität.“ Ist das eine Beleidigung? Oder ist das vielleicht eine Tatsachenbehauptung? Das sind schwierige Abwägungen.

    ? Was meinen Sie?

    Ich halte diesen Satz für eine sehr heftige, für eine grenzwertige Meinungsäußerung, die die Grenze zur Schmähkritik so gerade eben noch nicht überschreitet.

    ? Die Ihrer Meinung also online bleiben könnte.

    Ja.

    ? Und was ist eine Tatsachenbehauptung?

    Im juristischen Sinne alles, was dem Beweis zugänglich ist. Dieser Arzt hat meinem Sohn Ritalin gegeben, das ist eine Tatsachenbehauptung. Die Wertung danach – Das war eine falsche Behandlung – wäre dann eine Meinung. Der Satz mit den Waschkörben in der Praxis war auch eine, wenngleich eben falsche Tatsachenbehauptung. Oder der Satz – Dieser Arzt hat falsch abgerechnet.

    ? Woher kann das Portal wissen, wer nun Recht hat?

    Bei Tatsachenbehauptungen muss der Bewerter Beweise liefern, die Beweislast dreht sich um.

    ? Wie läuft das?

    Der Arzt wendet sich an das Portal und sagt – hier, das ist eine falsche Tatsachenbehauptung. Er muss dabei eine substantiierte und sehr konkrete Schilderung abgeben.

    ? Er muss erklären, da standen keine Wäschekörbe herum und meine Sprechstundenhilfe kann das bezeugen..

    Richtig, ja. Oder seine Dokumentation vorlegen, nach der er das Ritalin aus den und den diagnostischen Gründen appliziert hat. Der Arzt, keine ganz neue Message, muss im Zeitalter des Internets noch mehr dokumentieren.

    ? Und dann?

    Dann schreibt das Portal den Bewerter an und bittet ihn um Stellungnahme. Dabei wird der anonym bleiben.

    ? Es gibt Portale, wo Nutzer völlig anonym bewerten können, keine Angaben zur Person machen, keine E-Mail hinterlegen, nichts?

    Richtig, das bedeutet aber auch, dass solche Einträge bei Beschwerden gleich runtergenommen werden, da es keine Rückfragemöglichkeit gibt.

    ? Zurück zum Anhörungsverfahren, was ist, wenn der Bewerter dann auf Anfrage des Portals schlicht sagt – ich bleibe dabei.

    Auch das reicht nicht, auch der Bewerter muss jetzt mehr nachfüttern. Wenn wir für solch ein Portal als Mandant tätig sein können und, angenommen, der Patient Privatpatient ist, dann bitten wir ihn, die Privatrechnung vorzulegen. Die anonymisieren wir und schicken sie an den Arzt. Oder wir verfassen ein Schreiben an ihn: Ihr Vortrag dahingehend ist falsch, wir haben dazu Ihre Abrechnung vorliegen.

    ? Und dann?

    Am Ende muss das Portal entscheiden, ob es die Bewertung stehen lässt, also für richtig hält, oder aber löscht.

    ? Solche Streitigkeiten, nimmt deren Zahl zu oder ab?

    Im Moment haben wir eine Phase, wo es ein wenig abnimmt. Mein Eindruck ist, dass die Nutzer heute zunehmend wissen, was sie wie schreiben können und was eben nicht. Die Entspannung hängt natürlich auch mit der Sachbearbeitung des jeweiligen Portals zusammen. Die gehen durchaus häufiger dazu über, bei Beschwerden eine Bewertung rascher zu löschen. Man muss ja auch dazu sagen, es besteht immer auch ein wirtschaftliches Interesse daran. Die Ärzte sind wichtige Kunden der Portale.

    ? Die man am Ende nicht vergrätzen will? Das wiederum birgt aber das Risiko eines verzerrten Bewertungsbildes, wenn gerade kritische, vielleicht aber durchaus berechtigt kritische Bewertungen, womöglich rasch gelöscht werden?

    Das ist richtig.

    ? Stichwort falsche Tatsachenbehauptung – gesetzt den Fall, das Portal nimmt die Geschichte nach den Stellungnahmen runter. Bezahlen muss es nichts, Schadensersatz?

    Nein, muss es nicht. Das Portal gibt ja die Bewertung nicht selbst ab, sondern verwaltet sie nur. Für Schadensersatz muss man sich an den Bewerter wenden, den Sie im Zweifel nur per Strafanzeige herausfinden werden. Allerdings bleibt auch dann die Frage, welcher Schaden soll ersetzt werden?

    ? Die Anwaltskosten?

    Richtig. Die könnten Sie in dem Fall nur gegenüber dem Bewerter geltend machen.

    ? Wenn ich als Arzt zum Anwalt gehe, wird das teuer?

    Durchaus. Auch das ist einer der Punkte, warum ich rate, es erst mal mit direkter Kommunikation zu versuchen. Es gibt Fälle, wo eine Rechtsschutzversicherung die Kosten für den Arzt übernommen hat.

    ? Was wäre mit dem Thema Verdienstausfall? Der Arzt kann argumentieren, ich habe soundso viele Privatpatienten wegen der Schmähkritik oder der falschen Tatsachenbehauptung verloren, macht soundso viele Euro.

    Das wäre denkbar, doch ist solch eine Beweisführung sehr sehr schwierig. Für einen wirklichen Schadensersatz in Euro und Cent müsste ein Arzt die Kausalität des Schadens nachweisen.

    ? Wie?

    Er müsste belegen, dass Patienten wirklich alle wegen dieser bestimmten Schmähkritik ferngeblieben sind. Das ist meiner Meinung nach fast unmöglich.

    Diesen Schadensersatz bekommt der Arzt nicht. Wenn Sie die Staatsanwaltschaft einschalten, bei einer offenkundigen Beleidigung, dann läuft das vor Gericht in der Regel über eine Geldstrafe, die nach Tagessätzen bemessen wird – und die an den Staat geht. In der Regel können Sie damit rechnen, dass ein Bewerter dann 10–20 Tagessätze kriegt. Minimum pro Tag an die 10 € und ein Maximum bei 5.000 bis 6 000 €, das gibt dann Summen, die schon wehtun können.

    ? Stichwort Werbung auf Arztbewertungsportalen. Jameda ist im März verdonnert worden, so genannte Premium-Einträge viel besser als Werbung kenntlich zu machen. Ist das Urteil wegweisend (Az.: 37 O 19 570/14, Anm. Red.)?

    Für wegweisend sind wir noch zu früh. Das Urteil ist nicht rechtskräftig und man muss abwarten, wie das jetzt in Gänze von der weiteren Rechtssprechung aufgenommen wird.

    ? Es geht ja um Premium-Einträge, wie sie viele Portale im Internet haben. Vor die Ergebnisse von Suchlisten werden ganz oben noch bezahlte werbende Einträge gepackt.

    Auf jeden Fall müssen die Betreiber das sauber trennen. Wo ich ein Riesenproblem sehe, ist, dass ich als Bewertungsportal mit meinem Ranking dem Verbraucher immer suggeriere, wer bei mir oben steht ist der Beste. Da bin ich ganz schnell im unlauteren Wettbewerb, wenn ich die oberste Position für Werbung nutze.

    Auch der Arzt könnte hier übrigens, wenn er solch eine Anzeige bucht, das Problem haben, dass er sich einer Stellung rühmt, die er nicht hat. Sie dürfen nicht schreiben, ich bin der Beste, wenn Sie das nicht sind.

    ? Da ist noch Luft für juristische Bewertungen?

    Oh ja, da ist noch sehr viel Luft für die Anwälte. Eine Verquickung von Werbung und echtem Ranking ist auf jeden Fall schlecht. Natürlich muss man auch sehen, dass der deutsche Gesetzgeber und die deutschen Richter dazu neigen, den deutschen Verbraucher als total unmündig einzuschätzen.

    ? Es gibt Portale, wie das der Weissen Liste, die keine Werbung schalten – schalten müssen, da sie nicht kommerziell agieren. Der bessere Ansatz?

    Da bin ich ein Kind meiner Erfahrungen aus meiner Jugendzeit in der DDR. Beim Kapitalisten weiß ich zumindest, dass er Geld verdienen will, das ist überschaubar, bei allen anderen Lobbygruppen habe ich immer das Problem, das ich nicht so genau weiß, was deren Interessen sind.

    ? Darf der Arzt einen Patienten bitten, nach der Behandlung eine Bewertung auf solchen Portalen abzugeben?

    Sicher. Sie können auch einen Aushang in Ihrem Wartezimmer machen: Waren Sie zufrieden, sagen Sie es weiter, waren Sie nicht zufrieden, sagen Sie es mir.

    ? Gekaufte Pseudobewertungen verhindern die Portale, sagen sie. Findet das nach wie vor statt?

    Es findet definitiv statt, auch wenn es seine technischen Grenzen hat.

    ? Sollten Portale auf die Freitexte verzichten, die als Einfallstor für Beleidigungen gelten?

    Nein, ich halte sie für wichtig. Weil sie der Bewertung Hintergrund geben. Wenn ich in manchen Portalen nur die reinen Noten bekomme, kenne ich den Hintergrund eines Bewerters nicht. Im Freitext aber können Sie nachlesen, warum die Leute Kritik üben.

    Und das ist dann auch wieder das Gute für den Arzt. Wenn ich eine ganz negative Bewertung habe und der Freitext schwirrt nur so von Rechtschreibfehlern und Grammatikfehlern, wissen Sie auch als Leser, was Sie von der Bewertung zu halten haben.

    ? Wie lange kann eine Bewertung online bleiben.

    Zu den konkreten Zeiten gibt es nach wie vor juristische Klärungen.

    Auch wir haben deswegen schon Verfahren geführt. Das Oberlandesgericht Frankfurt, Außenstelle Kassel, hat uns mal in ein Urteil geschrieben, dass eine Bewertung nach 2,5 Jahren offline gehen muss. Andere Gerichte halten 3 Jahren für kein Problem. Wir gehen von einer Zeit von maximal 5 Jahren aus. Denn je länger eine Bewertung online steht, desto stärker wird der Persönlichkeitsrechtsschutz, und das Rechtsgut des öffentlichen Interesses an der Arbeit eines Berufsstands wird schwächer.

    ? Sie nützen solche Portale selber?

    Ich gehe lieber über Mund zu Mund Propaganda. Fast noch wichtiger als die Bewertung selbst, ist für mich der Bewertende, warum bewertet er was. Wenn, dann will ich die Einzelbewertungen sehen.

    ? Können diese Portale einen Beitrag zu Information und Qualitätssicherung stellen?

    Ich denke, dass die Entwicklung dahingeht, ja. Ein gutes Stück Arbeit liegt dabei gar nicht bei den Portalen, sondern beim Verbraucher. Ein ganz großes Problem im Internet ist immer noch die Textgläubigkeit des Verbrauchers. Nur weil was im Internet steht, glauben die Leute das. Es gibt sehr wenige Verbraucher, die wirklich differenziert lesen können.

    Das Interview führte Bernhard Epping


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