Der Klinikarzt 2015; 44(10): 490
DOI: 10.1055/s-0035-1566181
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Neuromuskuläre Erkrankungen – Klinische Zeichen als Wegweiser für die Differenzialdiagnose

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Publication Date:
04 November 2015 (online)

 
 

    Seltene neuromuskuläre Erkrankungen sind aufgrund der Vielfalt an möglichen Symptomen wie fasziale Zeichen, Muskelkrämpfe, kardiale Beschwerden und Belastungsdyspnoe selbst für erfahrene Neurologen oft nicht leicht zu erkennen. Dabei ist eine frühe Diagnose von großer Bedeutung – vor allem dann, wenn wie bei Morbus Pompe mit Alglucosidase alfa (Myozyme®) eine kausale Therapie existiert. Denn nur wenn die Erkrankung frühzeitig erkannt wird, ist es möglich, rechtzeitig eine adäquate Behandlung einzuleiten, durch die sich irreversible Folgeschäden vermeiden lassen.

    Welche Symptome sind charakteristisch für welche Krankheitsbilder?

    Anhand von Fallbeispielen verdeutlichte Prof. Peter Young, Münster, dass fasziale Zeichen für eine Reihe von neuromuskulären Erkrankungen klinisch wegweisend sein können. So deuten horizontales Lächeln, vertikale Grübchen und eine Lidschlussparese auf eine fazioskapulohumerale Muskeldystrophie (FSHD) hin. Ptosis und Dysphagie können Anzeichen einer Okulo-pharyngealen Muskeldystrophie (OPMD) sein, während Ptosis und belastungsabhängige Doppelbilder kennzeichnend für ein Kearns-Sayre-Syndrom oder – wenn Schluckstörungen hinzukommen – für eine Myasthenie sind. Schluck- und Sprechstörungen treten auch beim Kennedy-Syndrom auf.

    Muskelkrämpfe, also Spontanentladungen einer oder vieler motorischer Muskeleinheiten, sind ebenfalls charakteristisch für bestimmte neuromuskuläre Erkrankungen, erklärte Dr. Bertold Schrank, Wiesbaden. So beginnt die Becker-Kiener-Muskeldystrophie häufig mit belastungsinduzierten Myalgien und/oder Muskelkrämpfen. Wenig schmerzhafte Verkrampfungen, vor allem der Hände, deuten auf eine myotone Erkrankung, z. B. eine myotone Dystrophie hin; beim Fehlen myotoner EMG-Aktivität könnte auch eine seltene Brody-Erkrankung vorliegen. Typisch für Myophosphorylase-Mangel (Morbus McArdle) sind schmerzhafte Krämpfe bei Belastung in Kombination mit dem „second wind“-Phänomen, also einer Besserung der Symptome nach ca. 10 min durch Umstellung des Energiestoffwechsels im Muskel.

    Eine kardiale Beteiligung ist bei vielen neuromuskulären Erkrankungen klinisch relevant, erklärte Prof. Young. Hierzu gehören unter anderem myotone Dystrophie Typ 1 und 2, Kearns-Sayre-Syndrom, Emery-Dreyfuss-Dystrophie sowie die infantile und juvenile Form des Morbus Pompe. Die adulte Form zeigt hingegen keine Kardiomyopathie.

    Eine Belastungsdyspnoe infolge von Atemmuskelschwäche tritt in unterschiedlichen Stadien fast aller neuromuskulärer Erkrankungen auf, erläuterte Dr. Schrank. Myopathien mit frühem Befall der Atemmuskulatur sind z. B. Gliedergürteldystrophie Typ 2I und Morbus Pompe. Bei einer Konstellation aus Atemproblemen, Schwierigkeiten beim Aufstehen aus der Hocke oder dem Stuhl bzw. beim Treppensteigen (proximale Muskelschwäche) und einer Erhöhung der Kreatinkinasewerte sollte der Arzt an einen juvenilen/adulten Morbus Pompe denken und weitere Laboruntersuchungen einleiten.

    Stefan Oetzel, Tübingen

    Quelle: Satellitensymposium „Lernen am Fall – ein interaktives Videoseminar neuromuskulärer Erkrankungen“ am 20. März 2015 in Tübingen im Rahmen der 59. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung (DGKN), Veranstalter: Genzyme GmbH.


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