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DOI: 10.1055/s-0036-1577022
Ausweg verzweifelt gesucht
Kommunale Kliniken in HessenPublication History
Publication Date:
08 March 2016 (online)
Hessens kommunale Kliniken sind großteils defizitär. Ein Gutachten des Landesrechnungshofs zeigt nun, wie kurzsichtig die Kliniken teilweise investiert haben. Derweil bastelt das hessische Gesundheitsministerium weiter am Konstrukt einer hessischen Klinik-Stiftung. Die Erfolgsaussicht ist jedoch spärlich.
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Wieso baut ein Haus eine Geburtshilfe, wenn die Nachbarkommune bereits eine vorhält? Weil Landräte und Stadtkämmerer nicht über den Tellerrand schauen wollen, lautet die einfache Antwort. In Hessen ist das nicht anders als vielerorts in Deutschland: Statt zu kooperieren, schlagen sich viele kommunale Kliniken als Einzelkämpfer und Konkurrenten durch. Fast alle Landesgesundheitsminister erzürnt dieser Umstand, doch in Hessen sind die Folgen besonders deutlich. Schon jetzt ist über ein Viertel der Klinikbetten in privater Hand, deutlich mehr als im Bundesdurchschnitt. Zuletzt traf es zwei Maximalversorger aus dem Rhein-Main-Gebiet: Wiesbaden und Offenbach gingen an Rhön und Sana. Viel verdient haben die Kommunen an diesen Veräußerungen nicht. Es waren Notverkäufe abgewirtschafteter Häuser – und die Lage im Rhein-Main-Gebiet, in dem die Krankenhausdichte besonders hoch ist, bleibt dramatisch. Mehrere öffentliche Maximalversorger graben sich in einem ruinösen Kampf um Patienten gegenseitig das Wasser ab.
Ohne Abstimmung investiert
Der Landesrechnungshof hat diesen planungspolitischen Irrsinn jetzt in einem Bericht veranschaulicht. Die Behörde hat sieben hessische Maximalversorger detailliert prüfen lassen. Sechs der Häuser machten 2011 Miese, summiert schrieben alle sieben 2011 einen Verlust von rund 79 Millionen Euro. Die Behörde wird in ihrer Kritik an den Kliniken und ihren Trägern sehr deutlich: Für die bauliche Infrastruktur und die Ausstattung der sieben Häuser wurden zwischen 2001 und 2011 rund 1,1 Milliarden Euro investiert. Allein 470 Millionen Euro davon wurden für die Kliniken des Main-Taunus-Kreises, des Hochtaunuskreises und in Frankfurt-Höchst genehmigt. „Diese drei Krankenhäuser liegen lediglich bis zu 25 Kilometer voneinander entfernt. Die Krankenhäuser hatten zu Beginn der Prüfung Mitte 2012 untereinander keine Abstimmungen ihrer baulichen Maßnahmen getroffen”, moniert der Rechnungshof. Er prangert fragwürdige Baumaßnahmen an, wie etwa das Trauma-Zentrum der Kliniken des Main-Taunus-Kreises (MTK) in Bad Soden mit Dachlandeplatz für Hubschrauber. In unmittelbarer „Flugnachbarschaft” befinden sich die Landeplätze der Uniklinik und der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik in Frankfurt. Der Rechnungshof kritisiert auch einen Teilneubau für Konservative Medizin des Klinikums Darmstadt. „Die Kosten von 59 Millionen Euro dieser eigentlich wenig komplexen Baumaßnahme lagen – verglichen mit den Investitionen bei den anderen Krankenhäusern – im oberen Bereich. Trotzdem ist es nicht gelungen, mit dem Haus eine zukunftsfähige, flexibel nutzbare Infrastruktur zu schaffen.”
Ohne gemeinsame Strategie, so das Fazit des Rechnungshofs, werden Baumillionen unnötig verprasst. Am Ende müssen die klammen Kommunen die Verluste ihrer Kliniken begleichen und scheitern daran. Es müsse „im Interesse der Trägervielfalt gelingen, neben privaten und frei-gemeinnützigen Krankenhäusern auch kommunale Krankenhäuser zu erhalten”, mahnt der Rechnungshof. Er fordert insbesondere die Kliniken im Rhein-Main-Gebiet zur Kooperation auf und unterstreicht: Zwar seien kurzfristig auch durch Zentralisierung der Pathologie, Radiologie, Labore oder des Einkaufs Einsparungen möglich. Doch erst wenn die Kliniken in der direkten Patientenversorgung kooperieren, komme es zu einer qualitativen Verbesserung der Patientenversorgung und einer weiteren ökonomischen Verbesserung, unnötige Doppelvorhaltungen werden so vermieden. Dadurch ließen sich allein in den sieben betrachteten Krankenhäusern mindestens 500 Betten abbauen. Konkreter wird der Rechnungshof aber nicht. Immerhin, die MTK-Kliniken und das Klinikum Frankfurt Höchst, beide defizitär, wollen mittlerweile fusionieren. Diese Überlegung, erklärt MTK-Landrat Michael Cyriax (CDU), sei eine Konsequenz aus den Gesprächen mit den Rechnungsprüfern.
Was der Rechnungshof fordert ist unbestritten sinnvoll: Aber ist es auch umsetzbar? „Ich halte die Forderungen des Rechnungshofs in höchstem Maße für blauäugig”, erklärt Gerhard Sontheimer, Chef der Gesundheit Nordhessen Holding (GNH). „Es gibt kein Druckmittel und keinen Anreiz für Klinikchefs oder Träger zu kooperieren. Wieso sollten Wettbewerber zusammenarbeiten, Portfolios und Investitionen abstimmen? Ein gemeinsamer Träger ist für so ein Projekt unerlässlich.”
Lehre aus der gescheiterten Werra-Meißner-Übernahme
Stefan Grüttner (CDU), der Gesundheitsminister Hessens, hat so ein Modell vor genau einem Jahr vorgestellt. Doch die geplante hessische Klinikstiftung, unter deren Dach sich die Kommunalen sammeln sollen, kommt nicht aus den Startlöchern. Thomas Köhler, der den Konzeptvorschlag für das Ministerium erarbeitet hat, erklärt: „Klassische Holding-Strukturen scheitern meist bereits an der Frage, wer wie viele Anteile an der Holding bekommt. Deshalb sieht das Konzept eine Trägerstiftung als Eigentümerin vor. Die eingebrachten Kliniken bleiben als Tochterunternehmen erhalten”, erklärt er. Ein Vorteil wäre laut Köhler auch, dass eine solche Stiftung kartellrechtlich erst ab einer Umsatzgrenze von 500 Millionen Euro relevant wird. In den heutigen Strukturen ist diese Grenze schnell erreicht, weil städtische Träger oft viele und umsatzstarke Beteiligungen halten – vom heimischen Stadtwerk bis zur Schnapsbrennerei. All diese Umsätze, mögen sie auch nichts mit Krankenversorgung zu tun haben, sind kartellrelevant. Die Übernahme der zwei Werra-Meißner-Kliniken durch die Gesundheit Nordhessen Holding (GNH) im Jahr 2009 ist aus diesem Grund am Kartellamt gescheitert. Das Veto des Bundeskartellamts gegen die Übernahme hatte bundesweit Beachtung gefunden, weil damit die gesundheitspolitisch gewollte Bildung von regionalen Klinikverbünden deutlich erschwert wurde
Nur lahme Enten in die Stiftung?
Mit einer Stiftung als Eigentümerin – wie sie das hessische Konzept vorsieht – wäre die Übernahme der Werra-Meissner-Kliniken durch die GNH am Kartellamt nicht gescheitert, denn die Übernahme wäre gar nicht erst anmeldepflichtig gewesen, schätzt Köhler. Würde die Klinik-Stiftung rechtlich funktionieren, wäre eine Übernahme der Werra-Meissner-Kliniken durch die GNH vielleicht möglich. GNH-Chef Sontheimer überzeugt das Argument jedoch nicht. „Damit diese Rechnung aufgeht, müssen sehr viele Dinge gleichzeitig klappen”, bemerkt er. Sontheimer möchte der Stiftung ausdrücklich nicht beitreten. Das schmerzt Minister Grüttner und Thomas Köhler. Denn die GNH vertritt mit dem Klinikum Kassel eines der wenigen großen kommunalen Häuser in Hessen, das schwarze Zahlen schreibt. Wieso sollte ein erfolgreich geführtes Krankenhaus mit hoch defizitären Häusern zusammengehen? Eine befriedigende Antwort fehlt. Köhler: „Der operative Bereich des Verbunds muss so aufgestellt werden, dass er sich selbst finanzieren kann. Eine finanzielle Inanspruchnahme der Träger, wie sie heute die Regel ist, darf es nicht geben. Daher müssen alle teilnehmenden Krankenhäuser die gleichen wirtschaftlichen Mindestbedingungen erfüllen. Der Verbund übernimmt einen angemessenen Teil der Verbindlichkeiten und der nicht durchgeführten Investitionen, was die Träger entlastet.” Er stellt aber auch klar: „Nach seiner Gründung kann und muss dann der Grundsatz „es gibt nur einen gemeinsamen Geldbeutel” gelten. Nur wenn der Einfluss der Träger in der Klinikstiftung gegen Null geht, kann sie betriebswirtschaftlich sinnvoll entscheiden. Konkret könnte die Stiftung dann so oder ähnlich funktionieren: Der zentrale Einkauf der Stiftung sitzt in Kassel, die Finanzabrechnung in Frankfurt, und regional stimmen die Stiftungskliniken ihr Leistungsangebot ab. So wie die Privaten. „Nicht mehr die einzelne Stadt und der einzelne Landkreis ist damit den Zukunftsrisiken ausgesetzt, sondern der Solidargemeinschaft der öffentlichen Hand obliegt als ‚Zweckverband‘ die Erfüllung des Versorgungsauftrags”, unterstreicht Köhler.
Träger diskutieren miteinander
Rainer Greunke, Geschäftsführer der hessischen Krankenhausgesellschaft, glaubt nicht, dass sich die Hessen-Stiftung durchsetzt: „Ich denke, in regionalen Strukturen nach dem Vorbild der GNH gelingt der Einstieg leichter.” Immerhin sei es positiv, dass derzeit eine Diskussion stattfindet. „Stadtkämmerer und Bürgermeister verschiedener Landkreise sprechen miteinander. Das Problembewusstsein erhöht sich.” Man darf also gespannt sein, ob sich in Hessen etwas in Richtung Kooperation oder Stiftung bewegt. Positive Beispiele sind vorhanden: Schließlich hat mit Agaplesion einer der größten kirchlichen Verbünde seinen Stammsitz in Frankfurt. Laut Ministerium haben 13 Kliniken Interesse an der Stiftung gezeigt und lassen derzeit begutachten, wie hoch die finanzielle Entlastung der Träger durch einen öffentlichen Krankenhausverbund wäre. Ergebnisse werden Ende August 2013 vorliegen.
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