Z Orthop Unfall 2016; 154(02): 105-107
DOI: 10.1055/s-0036-1583210
Orthopädie und Unfallchirurgie aktuell
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Reform der GOÄ – Risiko auf Vollbremsung kurz vor Verhandlungsende

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Publikationsdatum:
13. April 2016 (online)

 

    Eigentlich ist seit dem Votum des Ärztetags vom 23. Januar 2016 die Bahn frei für eine Novellierung der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ). Doch hinter den Kulissen gärt es. Denn schließlich geht es ums Geld – und davon war bislang noch gar nicht wirklich die Rede.

    Das bisherige Verhandlungsergebnis sei „inakzeptabel“ und der Vorstand der Bundesärztekammer (BÄK) müsse endlich einen fairen und offenen Dialog mit der gesamten Ärzteschaft sicherstellen, „statt durch intransparente Verhandlungsführung dazu beizutragen, die für Patienten und Ärzte entscheidende Reform zu gefährden“. Sprach immerhin der SpiFa, der Spitzenverband Fachärzte Deutschlands e. V. Und das nicht vor dem außerordentlichen Ärztetag vom 23. Januar, die Pressemeldung datiert 2 Tage danach. Reine Nachhutgefechte einer Minderheit auf dem Rückzug? Bekanntlich endete der außerordentliche Ärztetag mit einer krachenden Niederlage für die Gegner des vorliegenden Entwurfs zu einer Reform der GOÄ. Oder besser: Davon, was vom Entwurf bekannt ist. Die große Mehrheit der 250 Delegierten gab der BÄK Grünes Licht. Tenor: Weiter machen, die GOÄ soll möglichst in diesem Jahr kommen.

    Allerdings steht der ganz große Klops erst noch an. Im nachstehenden Interview (siehe ab Seite 108) erklärt der Verhandlungsführer der Orthopäden & Unfallchirurgen, Prof. Dr. Karl-Dieter Heller, dass erst kurz vor Ende der Verhandlungen der große Streit noch richtig losgehen könnte. Denn was Ärzte in Zukunft für ihre Leistungen in Euro und Cent abrechnen dürfen, scheint noch völlig unklar. Auch wenn Heller mit den Neuformulierungen des so genannten Ziffernteils der GOÄ d’accord geht, kritisiert er, dass die monetären Werte für die Einzelpositionen noch nirgends öffentlich sind. Die eigentlichen Beträge hinter den Leistungsziffern werden erst ganz am Ende der Verhandlungen auf den Tisch gelegt. Und – wie schon alles Relevante zuvor, bis dahin hinter verschlossenen Türen verhandelt. Hellers Befürchtung: „Wenn die Geldwerte erst kurz vor Ende veröffentlicht werden, sind die Chancen auf Nachverhandlung gering.“ Die Wahl könnte lauten: Annehmen, wie sie dasteht oder eben gar keine Reform. Heller: „Wenn wir am Ende monetär drauflegen, wäre mir lieber, wir lassen die ganze Reform.“

    Damit teilt er die Kritik mancher Fachkollegen. Man sei für eine Novellierung der GOÄ, erklärte im Januar 2016 BVOU-Präsident Dr. Johannes Flechtenmacher. Das Problem sei: Offiziell kenne niemand den Entwurf, außer den Verhandlungsführern. An dieser „Intransparenz des Diskussionsprozesses“ entzündet sich auch seine vorrangige Kritik. Und noch ein kleiner Hinweis in Richtung BÄK: 60 % der Vorstandsmitglieder seien schließlich angestellte Kolleginnen und Kollegen und angestellten Ärzten sei per se die „Wichtigkeit der GOÄ nicht bewusst, da sie die Abrechnungen nicht selbst vornehmen, sondern die Klinik, für die sie arbeiten“.

    Beim Geld hört der Spaß bekanntlich sowieso immer auf. Und gerade für niedergelassene Orthopäden geht es in der Tat um einen recht hohen Betrag. 3519 Praxen für Orthopädie, die 5352 Ärzten gehörten, zählte das Statistische Bundesamt in seinem letzten Bericht zu „Kostenstruktur bei Arzt- und Zahnarztpraxen...“ für das Jahr 2011. Eine Praxis machte danach im Durchschnitt 602 000 € Umsatz im Jahr. Und immerhin 40 % davon sind Einnahmen von Privatpatienten, gehen auf das Konto „ambulanter und stationärer Privatpraxis“. Als Reinertrag, alias Gewinn, verblieben 293 000 € in jeder Praxis, machte im Jahr 2011 193 000 € pro Arzt. In allen 76 122 Praxen in Deutschland (107 872 Inhaber) geht ein deutlich geringerer Einnahmenanteil auf Privatpatienten zurück. Hier findet sich ein Umsatz von über einer halben Million je Praxis, davon 28 % aus der Privatliquidation (69 % aus der Gesetzlichen Krankenversicherung, 3 % als „Sonstige Einnahmen“). Im Jahresdurchschnitt 2011 war es je Praxis ein Gewinn von 235 000. Macht pro Praxisinhaber 166 000 €.

    Das Geld der „Privatpraxis“ kommt aus mehreren Töpfen – der privaten Krankenversicherung, bei Beamten ein großer Teil von der staatlichen Beihilfe und aus echten Selbstzahlerleistungen (IGEL). Der PKV-Verband nennt für 2014 Ausgaben von 24,79 Milliarden Euro für die 8,83 Millionen Versicherten in seinen Mitgliedsunternehmen. Bei 4,27 Millionen Versicherten deckte allerdings die staatliche Beihilfe zwischen 50 und 80 % der Kosten ab. Zum Vergleich: die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) berappte im gleichen Jahr 193,63 Milliarden für 70,65 Millionen Versicherte. Damit ist klar: Privatpatienten sind „teurer“ als Kassenpatienten, so wie sie einem Teil des Parteienspektrums in Berlin teuer sind, ein anderer sie hingegen als Auslaufmodell sieht.

    So oder so: mit einem Einkommen von 100 000 € zählen freiberuflich tätige Ärzte zumindest als Gesamtgruppe nach wie vor zu den Spitzenverdienern, getoppt von Zahnärzten oder Fluglotsen. Steuerberater und Rechtsanwälte rangieren dahinter, noch weiter hinten kommen Architekten. Abgerechnet wird allerdings von diesen freien Berufen nicht nach freier Rechnung, sondern nach einer staatlich geregelten Ordnung – für Weißkittel die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ). Die aktuelle Fassung hält vorne in 12 Paragraphen juristische Grundlagen bereit. Danach folgt der rund 3000 Positionen umfassende Ziffernteil. Jede Ziffer mit einem eigenen Punktwert, zu multiplizieren mit 0,0582873 €, um den einfachen Gebührensatz zu berechnen. Steigerungen bis zum 3,5fachen Satz sind erlaubt. „Beratung, auch mittels Fernsprecher“ ist so eine Ziffer, macht 80 Punkte, macht 4,66 € – einfacher Satz. Chirurgen und Orthopäden finden sich und ihre Leistungen in Kapitel L. Ziffer 2320 steht dort für den Behandlungskomplex „Einrichtung der gebrochenen knöchernen Nase einschließlich Tamponade gegebenenfalls einschließlich Wundverband“ – macht in diesem Fall 189 Punkte, macht bei einfacher Behandlung 11,02 € (GOÄ unter: http://www.e-bis.de/goae/defaultFrame.htm).

    Alles nicht ganz einfach, aber für die meisten Praxen vertrautes Terrain. Allerdings stammt die Ordnung in aktueller Fassung weitestgehend aus dem Jahr 1982 – und ist damit ein bisschen überholt:

    • Was 30 Jahre Stillstand für die Abrechnung der Medizin bedeuten, die fast im Jahrestakt rasante methodische und technische Fortschritte bietet, lässt sich erahnen. Das Hantieren mit so genannten Analogziffern ist zum Alltag in den Praxen und Krankenhäusern geworden. Immerhin, so Karl-Dieter Heller, lässt die existierende Vorlage für eine Neufassung jetzt die Hoffnung zu, dass neu eingerückte Ziffern die Gebührenordnung auf Höhe der Zeit hieven.

    • Seit 1983 wurden die Multiplikatoren um 14 % angehoben, die letzte Novellierung nebst Anhebungen als Inflationsausgleich gab es 1996. Seither, rechnen Kritiker vor, sind weitere 30 % Inflation aufgelaufen – ohne Entschädigung für die Ärzte.

    Schon seit 2008 tüftelt daher die BÄK an einer Vorlage für eine Novellierung – „auf Basis betriebswirtschaftlicher Kalkulationen“. Dito der PKV-Verband, der Spitzenverband der Privaten Versicherer. Beide, PKV-Verband wie BÄK, marschierten 2010 mit eigenen Konzepten beim Bundesgesundheitsminister auf. Das BMG lehnte ab. Lehnte dito die wiederholt erhobene Forderung nach Einführung eines pauschalen Inflationsausgleichs ab und forderte vielmehr ein Jahr später BÄK und Versicherungsverband auf, bitteschön einen konsentierten Vorschlag für eine neue GOÄ vorzulegen. 2013 kam dann auch noch die Staatliche Beihilfe dazu, diese sitzt seither am Konsentierungstisch mit dabei.

    Der geforderte Konsens mit den Kostenträgern zwingt die Ärzte in ein seltsames Korsett. Bei Juristen, Architekten, Steuerberatern behält sich der Staat zwar ebenfalls vor, mittels Rechtsverordnung, in die Privatrechnung einzugreifen. Doch wenn, dann verfasst der Gesetzgeber bei diesen Branchen eine Neufassung, verhandelt das anschließend im Beratungsverfahren mit den Betroffenen oder hört sich deren Beschwerden zumindest an. Dass Ärzte jetzt ihre neue Gebührenordnung selber entwerfen und dies wohlgemerkt im Konsens mit denen, die für Leistungen zahlen – und somit ein Interesse daran haben könnten, dass es nicht allzu teuer wird – ist ein Unikum. Eine „reine Bequemlichkeitslösung“ des Gesetzgebers, der eigentlich zuständig sei und die Verordnung vorlegen müsse, kommentierte bereits auf dem DKOU Ende 2014 der „GOÄ-Verhandlungsbeauftragte“ der BÄK, Dr. Bernhard Rochell – in Hauptfunktion seit 2014 Verwaltungsdirektor der KBV.

    BÄK wie PKV-Verband nahmen den Auftrag des Ministeriums an, legten am 11.11.2013 eine Rahmenvereinbarung vor, die Grundzüge einer neuen GOÄ wurden skizziert. Tenor: Beide wollen die privatärztliche Versorgung stärken. Was seither in mühsamer Kleinarbeit ausgetüftelt wurde, ist eine weitgehend komplette Überarbeitung des Ziffernteils der GOÄ. Seit Anfang 2015 sind bereits an die 400 so genannte Pareto-Ziffern nebst Zuschlagsleistungen neu definiert worden, die an die 85 % aller medizinischen Leistungen umfassen (siehe auch das Interview S. 108). Und seit Mai 2015 diskutiert man bereits in einer beim BMG eingerichteten Arbeitsgruppe zusammen mit dem potentiellen Verordnungsgeber.

    Einige weitere Elemente des neuen Ziffernwerks:

    • Multiplizieren entfällt in Zukunft in der Regel. Es gibt feste Geldsätze für Gebührenpositionen, dabei sollen diese „einfachen“ Sätze laut BÄK in der Regel mehr als das Doppelte des heutigen „einfachen“ Satzes ausmachen.

    • Steigerungen auf das Doppelte des einfachen Gebührensatzes sollen möglich sein – dann, wenn bestimmte Kriterien vorliegen, die einen Mehraufwand begründen. In anderen Fällen werden Steigerungen hingegen dezidiert ausgeschlossen.

    • Wann was gilt, soll eine neu einzurichtende Gemeinsame Kommission (GeKo) in Form von Positiv- und Negativlisten festlegen.

    • In dieser GeKo sollen 4 Delegierte der BÄK, 2 des PKV-Verbands und 2 der Beihilfe alle Beschlüsse, alias Empfehlungen, an das BMG einstimmig fassen.

    • Eine „abweichende Honorarvereinbarung“ soll für Leistungen, die nicht auf der Negativliste stehen, weiterhin möglich sein. Mithin in diesen Fällen: Liquidation auch über das hinaus, was die neue GOÄ bringt.

    • Die GeKo soll sich außerdem um eine fortlaufende Pflege der GOÄ kümmern, damit diese den medizinisch-technischen Fortschritt möglichst rasch integriert.

    • Die Entscheidung über mögliche Änderungen an der GOÄ bleibt immer Sache des Gesetzgebers.

    • Mehr dazu im Deutschen Ärzteblatt:
      www.aerzteblatt.de/archiv/173690
      www.aerzteblatt.de/achiv/173391

    Man haben die „Hausaufgaben erledigt“, erklärte im Januar BÄK-Chef Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery. Und der außerordentliche Ärztetag am 23. Januar gab der BÄK Recht.

    Der genaue Stand des Entwurfs ist hingegen nach wie vor unklar (siehe das Interview S. 108). Spätestens bis zum 119. Deutschen Ärztetag im Mai sollen „erste Ergebnisse“ (Deutsches Ärzteblatt) vorliegen. Spätestens dann sei der Gesetzgeber am Zug, betont die BÄK. Das BMG hat in der Tat einen Referentenentwurf für den Sommer 2016 angekündigt. Der Entwurf für die 5. Änderung der GOÄ müsste durch das Bundeskabinett, danach durch die Länderkammer. BÄK wie PKV-Verband wollen, dass eine neue GOÄ ab 01. Oktober 2016 da ist.

    Wäre da nicht eben ein klitzekleiner Knackpunkt: Die konkreten Geldbeträge, die es für medizinische Leistungen in Zukunft geben soll, sind zum Teil verhandelt, zum Teil nicht, sie sind zumindest offiziell nicht zu haben und nicht zu kommentieren. Die Geheimniskrämerei ist vor allem ein Tribut an das BMG, das gefordert hat, die Verhandlungen müssten im Geheimen stattfinden. Selbst Experten, die mehr dazu sagen könnten, tun es nicht – Verpflichtung des Schweigegelöbnisses. Damit allerdings wird die entscheidende Botschaft erst kurz vor knapp öffentlich werden. Dann, wenn die Verhandlungspartner wirklich einen konsentierten Entwurf für eine neue GOÄ fertig haben.

    Was, wenn dann die eine oder andere Fachgruppe nicht das erhält, was sie sich erhofft. Karl-Dieter Heller schwant ein Verteilungskampf – um einen Kuchen, der, offiziell zumindest, nicht gedeckelt ist (siehe das Interview S. 108). Auch die BÄK wird nicht müde zu betonen, dass es in der PKV anders als in der GKV keine Budgets geben wird, das Morbiditätsrisiko bleibe beim Kostenträger. Andererseits ist die Sicht der Verhandlungspartner hier naturgemäß ein wenig unterschiedlich. „Zur Vermeidung unerwünschter bzw. unbegründeter Honorarentwicklungen ist eine geeignete Risikosteuerung vorgesehen“, schwurbelt der PKV-Verband in einer Pressemeldung zur GOÄ-Reform.

    Vereinbart und vom Ärztetag bereits abgesegnet ist auch eine 3-jährige Monitoringphase nach Inkrafttreten einer neuen GOÄ, in der Versicherungen wie BÄK checken wollen, wo „eventuelle Inkongruenzen bezüglich der Abrechnungsbestimmungen“ bestehen. Mithin, wo Gebührenziffern nicht kostendeckend sind und wo womöglich zuviel gezahlt wird.

    Derweil hat bekanntlich die SPD-Bundestagsfraktion Anfang Januar die Gesundheitsminister in Bund und Ländern aufgefordert, die GOÄ-Novelle zu verhindern. Die zementiere nur ein System der 2-Klassen-Medizin.

    Und die EU-Kommission hat im Mai 2015 Berlin aufgefordert, einige der Regelungen in den Gebührenordnungen für Architekten, Steuerberater und Tierärzten zu „rechtfertigen“. Die Kommission argwöhnt einen Verstoß gegen das von ihr überwachte Wettbewerbsrecht. Auch Vertreter der Ärzteschaft diskutieren nach Medienberichten seither in Treffen mit Ihresgleichen aus anderen Sparten Möglichkeiten, die Gebührenordnungen zu verteidigen. Januar 2016 legte die Kommission nach, forderte von Deutschland, Österreich, Zypern und Polen eine Stellungnahme. Staatlich verordnete Regelungen zu Mindest- und Höchstsätzen bei den Honoraren bei Architekten und Ingenieuren seien ein Verstoß gegen die Richtlinie zur Dienstleistungsfreiheit in der EU. Liefern die Regierungen nicht, droht ein Vertragsverletzungsverfahren beim Gerichtshof der Europäischen Union. Auch wenn von der GOÄ nicht die Rede ist, Brüssel hat auf jeden Fall wieder eine andere Sicht auf freie Berufe – die sollen so richtig frei agieren am Markt – möglichst ohne Gebührenordnungen.

    Podiumsdiskussion zur GOÄ-Novellierung

    VSOU-Kongress in Baden-Baden, Samstag, 30.04.2016, 10:30 – 12:00 Uhr

    Bernhard Epping


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