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DOI: 10.1055/s-0036-1595714
Fehlende Fachkompetenz in Kliniken: Der perfekte Einkäufer – nur eine Illusion?
Publication History
Publication Date:
05 March 2019 (online)
- Warum der Einkauf in den Kliniken (noch) keine Lobby hat
- Vom Dilemma fehlender Praxisvermittlung
- Welche Lösungen gibt es?
- Fazit
Wie gewinnen wir Nachwuchs für den Klinikeinkauf? Wir diskutieren seit Jahren darüber und finden doch nur halbherzige Lösungen. Dabei ist dieser Beruf Herausforderung und Spannung zugleich. Eine Aufgabe zwischen strategischer Planung, oftmals emotionalen Konflikten, wirtschaftlichem und unternehmerischem Denken sowie Moderationsgeschick. Was genau muss der strategische Einkäufer einer Klinik also können?
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Welcher Klinikeinkäufer kennt das nicht?! Noch schnell die Bestellung für den gefäßchirurgischen OP auslösen, damit das OP-Programm pünktlich starten kann. Die Stationsleitung beschwichtigen, die über die neuen Augenkompressen schimpft. Den ungeduldigen Chefarzt am Telefon besänftigen, der den neuesten Ballonkatheter vom Kongress mitgebracht hat und sofort einsetzen möchte. Zudem die wöchentlichen Controllingzahlen über die Sachkostenentwicklung zusammenstellen, die bis mittags bei der Geschäftsführung vorliegen müssen. Seit Jahren ist die Abteilung unterbesetzt und kompetenter Nachwuchs ist nicht in Sicht.
Wie schaffen wir es, engagierte Nachwuchsführungskräfte für den Einkauf zu begeistern? Woran liegt es, dass beispielsweise engagiertes Pflegepersonal eher Zusatzausbildungen zur Hygienefachkraft oder zur Kodierfachkraft im Medizincontrolling absolviert? Warum gehen Absolventen der Hochschulen nach erfolgreich abgeschlossenem Studium „Gesundheitsökonomie oder -management“ lieber in die Pharmaindustrie?
Warum der Einkauf in den Kliniken (noch) keine Lobby hat
Kliniken sind nach wie vor hierarchisch geprägt: Was Mediziner und Chefärzte fordern, wird oftmals umgesetzt. Dabei geht es den Einkäufern bei der Produktbeschaffung nicht darum, den Medizinern oder den Pflegekräften im Hinblick auf Qualität und Innovationen der Produkte Vorgaben zu machen, sondern es gilt, Qualität und Innovationgrad im Vergleich zur Wirtschaftlichkeit zu bewerten. Und dennoch gibt es Aussagen wie „Medizin könne nicht unter wirtschaftlichen Aspekten praktiziert werden“. Ein KO-Kriterium unter dem Deckmantel der Ethik für jede weitere Diskussion. Hier muss der Einkauf gestärkt werden.
Dem Klinikeinkauf eilt jedoch ein anderer Ruf voraus. „Hier wird billig gekauft.“ Oder: „Unwissende entscheiden über Produkt und Einsatz.“ Die Themen und Fragestellungen im Einkauf sind oft nicht populär, greifen diese doch vermeintlich in die täglichen Arbeitsprozesse des Klinikpersonals ein. Bei der Arbeitsdichte des Klinikpersonals ist die Motivation über Produkte, Investitionen oder Verhandlungen zu sprechen, eher gering.
Ein Klinikeinkäufer muss fundierte Kenntnisse über Krankenhaushygiene, Indikationen für medizinische Produkte bis hin zum Vergaberecht haben. In der „Untersuchung zu Strategien, Organisation und Prozessen in Einkauf & Logistik der Krankenhäuser“ aus 2017 wird festgestellt, dass der Einkauf mittlerweile zwar auf der mittleren bis oberen Ebene der Krankenhausorganisation angesiedelt ist, das erforderliche Wissen jedoch oftmals fehlt. „Jeweils 54,3 Prozent der befragten Kliniken gaben an, dass der Weiterbildungsbedarf für die mit dem Einkauf betrauten Mitarbeiter vor allem hinsichtlich des medizinischen Wissens sowie der Einsatzgebiete und Handhabung von Medizinprodukten im klinischen Alltag besteht. Eine bessere Kenntnis der Einsatzgebiete versetzt die Einkaufsabteilung eben auch in die Lage, die entsprechenden Produkte zu beschaffen. Zudem ermöglicht ein umfangreiches Wissen eine zielgenaue Kommunikation zwischen Bedarfsträger und Bedarfsdecker, also zwischen Anwender und Einkäufer.“ Es gibt jedoch einen Ansatz, diese Wissenslücke zu füllen. Mitarbeiter im strategischen Einkauf können sogar Pioniere sein.
Der Einkäufer muss mit Klinikgeschäftsführern und Chefärzten auf Augenhöhe diskutieren können und wissen, durch welche Zahlen, Daten und Fakten er unterstützen kann. Er muss Moderationskompetenz haben, damit seine Argumentation gehört wird. Die oftmals emotionsgeladenen Konflikte benötigen Antworten auf die Fragen:
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Wie können die diversen Zielgruppen (Ärzte und Pflegepersonal, Controller, Medizin- und Betriebstechniker und Industrie) bedient werden?
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Welche Strategien für Produkte, Warengruppen und Lieferanten werden benötigt?
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Was wird für welche Indikationen zu welchem Preis gekauft?
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Wie sieht der Vergleich zum Vorjahr oder Plan aus und wie können diese Kosten gesteuert werden?
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Wie werden getroffene Vereinbarungen eingehalten und nicht bei jeder vermeintlichen Innovation der Medizinprodukteindustrie intern neu diskutiert?
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Wie sind die Sachkosten im Vergleich zum medizinischen Leistungsspektrum?
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Fangen wir mit dem altmodischen Begriff Materialwirtschaft an: Wie der Name schon sagt, wird hier oftmals noch mit Material gewirtschaftet und dies hat nichts mit modernen strategischen Einkaufskonzepten zu tun. Es ist an der Zeit, diese Abteilungen „Strategischer Einkauf“ zu nennen.
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In der Industrie ist es üblich, dass die neuen Kollegen die erste Einarbeitungszeit in der Produktion verbringen, um die gesamte Prozesskette des Produktes zu verstehen. Für den Klinikalltag heißt das, die brancheninternen Inhalte, Besonderheiten und Rahmenbedingungen aus der Gesundheitsbranche und vor allem aus den Kliniken zu vermitteln.
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Ein konstruktives Klima mit eigenverantwortlichen Projekten. Die Kollegen in den Klinikalltag schicken, damit sie herausfinden, was die Erwartungen der Anwender im Hinblick auf Produktinnovationen sind.
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Klinikinterne Weiterbildungen dürfen keine Alibiveranstaltungen sein, sondern sollen der zielgerichteten Wissensvermittlung des kleinen Einkaufs-Einmaleins sein – von Produktwissen und indikationsgerechtem Einsatz, über Produktkosten vs. Kosten der InEk-Kalkulation vs. Zusatzentgeltkosten bis hin zu medizinischen Grundkenntnissen.
Anforderungen an Einkäufer und Relevanz bestimmter Kenntnisse
Angaben in Prozent
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Vom Dilemma fehlender Praxisvermittlung
Betrachtet man die Inhalte, welche in den klassischen Ausbildungen Kaufmann im Gesundheitswesen oder Studium der Gesundheitsökonomie oder Gesundheitsmanagement vermittelt werden, gibt es viele Fragezeichen bezüglich der erforderlichen Praxisvermittlung. Laut Berufesteckbrief der Bundesagentur für Arbeit, dem Internetforum www.das-richtige-studieren.de und www.Gesundheitsstudium.com liegt der Fokus bei der Ausbildung Kaufmann im Gesundheitswesen auf der Erfassung und Analyse von Geschäftsprozessen, Marktanalysen, Beschaffung von Dienstleistungen, Finanzierung von Investitionen, Kommunikationsformen oder Marketinginstrumenten. Im Studium der Gesundheitsökonomie werden Grundlagen des Gesundheitsmanagements wie Finanzierung/Controlling von Gesundheitseinrichtungen, Recht im Gesundheits- und Sozialwesen, eHealth, medizinische Dokumentation sowie Qualitätsmanagement vermittelt. Und im Studium Gesundheitsmanagement geht es mehr um betriebswirtschaftliche Themen wie Controlling, Rechnungswesen, Organisation, Projektmanagement.
Als künftige Tätigkeitsfelder wiederum werden Medizincontrolling, Qualitätsmanagement, strategische Unternehmensentwicklung oder gar Vertrieb in der Healthcare-Industrie aufgezählt. Der Bereich strategischer Einkauf wird nicht einmal erwähnt. Schade.
Und was fordern die Arbeitsgeber? Eine abgeschlossene kaufmännische Ausbildung oder ein Bachelor-/Masterstudium in Wirtschaftsingenieurwesen, Supply-Chain-Management, Handel, Marketing oder Logistik. Der sichere Umgang mit Excel, ausgeprägte Kommunikationsfähigkeiten und Verhandlungsgeschick sowie Berufserfahrung im Einkaufs- und Beschaffungsumfeld machen das Bild vom jungen und dynamischen Generalisten in Stellenausschreibungen komplett. Als typische Aufgaben im Bereich Einkauf wird z. B. das Einholen und Bewerten von Angeboten, Spezifikationsanalysen und Marktanalysen angegeben sowie die Auswertung von Einkaufskennzahlen, Vertrags- und Konditionsverhandlungen. Wer soll diese Aufgaben spannend finden?
Gehaltsvergleich nach Tätigkeit und Berufserfahrung
Angaben in Euro
Schaut man sich dann noch die möglichen Gehälter der Absolventen in den unterschiedlichen Branchen an, wird schnell klar, warum der Beruf des Klinikeinkäufers auch nicht attraktiv sein kann. Während die Gehaltsunterschiede bei Berufseinsteigern in den unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern noch marginal sind, liegen diese bei den Berufserfahrenen bereits bei 47 Prozent und bei Experten gar bei 103 Prozent.
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Welche Lösungen gibt es?
Es ist keine neue Erkenntnis, dass sich auf dem aktuellen Arbeitsnehmermarkt die Unternehmen bei den potenziellen Mitarbeitern bewerben müssen. Den Nachwuchskräften heute ist wichtig, eine geeignete, sinnvolle, erfüllende und gut planbare Tätigkeit zu finden. Sie fordern ein gutes Arbeitsklima, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und Weiterbildungsmöglichkeiten mit guten Entwicklungschancen. Auch wenn das Gehalt wichtig ist, so spielen andere Faktoren noch vor attraktiver und leistungsgerechter Vergütung eine zentrale Rolle. Dazu zählen Flexibilität, Transparenz und individuelle Selbstgestaltung im Arbeitsalltag.
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Fazit
Der Einkauf als elementarer Bestandteil und Bindeglied zwischen Medizin, Pflege und Ökonomen muss Prozesse in der Klinik verstehen. Das sind oft so einfache Fragen wie: Wer ist wichtig, hat welche Funktion und trifft Entscheidungen? Und warum sind Diskussionen in der Klinik oftmals so emotionsgeladen? Der Einkäufer muss die gesamte Prozesskette der Patientenbetreuung (von der Aufnahme bis zur Entlassung) kennen. Er sollte den Unterschied zwischen einem elektiven Eingriff und einem Notfallpatienten kennen und welche Konsequenzen das ggf. im Beschaffungsprozess hat.
Die Nachwuchskräfte sollen vom Wissen erfahrener Kollegen profitieren, wertvolle Erfahrungen für die eigene Entwicklung sammeln und den Klinikalltag in der Praxis kennenlernen. Als Onboarding könnten Berufs- oder Quereinsteiger die Klinik in mehreren Etappen durchlaufen. Praxiseinsatz für ein grundsätzliches Verständnis der medizinisch-pflegerischen Krankenhausversorgung statt vorschnelle Preisvergleiche, Angebotsauswertungen oder reine Kopierkompetenz. Die Abteilungen sollten den Fokus darauflegen, die Berufseinsteiger in die bestehenden Prozesse und täglichen Aufgaben zu integrieren, um ein reales und nahes Praxiswissen zu erzielen.
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