Gesundheitswesen 2017; 79(04): 299-374
DOI: 10.1055/s-0037-1602044
4. Mai 2017
Ausbruchsuntersuchungen/Infektionsepidemiologie
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) nach dem Konsum von Rohmilchprodukten in Deutschland: Konsequenzen für den Verbraucherschutz?

S Brockmann
1   Landratsamt Reutlingen, Kreisgesundheitsamt, Reutlingen
,
G Dobler
2   Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr, Nationales Konsiliarlabor für FSME, München
,
T Buckenmaier
3   Landratsamt Reutlingen, Veterinäramt, Reutlingen
,
M Beer
4   Friedrich-Löffler Institut, Riems
,
A Jeffery-Smith
5   Barts Health NHS Trust, Royal London Hospital, London
,
M Spannenkrebs
6   Landratsamt Biberach, Kreisgesundheitsamt, Biberach
,
S Haag-Milz
7   Gesundheitsamt Sigmaringen, Sigmaringen
,
C Wagner-Wiening
8   Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg, Stuttgart
,
C Schlegel
1   Landratsamt Reutlingen, Kreisgesundheitsamt, Reutlingen
,
M Bestehorn
2   Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr, Nationales Konsiliarlabor für FSME, München
,
A Lindau
9   Institut für Zoologie, Universität Hohenheim, Stuttgart
,
U Mackenstedt
9   Institut für Zoologie, Universität Hohenheim, Stuttgart
,
R Oehme
8   Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg, Stuttgart
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Publication History

Publication Date:
02 May 2017 (online)

 
 

    Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) ist eine impfpräventable Erkrankung, die mit grippeähnlicher Symptomatik, und teilweise mit einer Meningoenzephalitis, verläuft. Bei einem Großteil der Infizierten treten keine Krankheitszeichen auf. Übertragen wird der Erreger durch Stiche infizierter Zecken. Als weitere Infektionsquelle wurde in Osteuropa gelegentlich der Konsum von Rohmilch infizierter Nutztiere beschrieben. Deutschlandweit werden jährlich 220 – 550 FSME-Fälle gemeldet, Süddeutschland ist Endemiegebiet. Auch Tiere können sich durch Zeckenstich anstecken.

    Wir untersuchten ein Cluster von FSME-Erkrankungen, bei dem die Erkrankten angaben, keine Zeckenstiche gehabt zu haben, aber Ziegenrohmilchprodukte eines Hofes konsumierten. Ziegenrohmilch/käse werden dort verkauft und über den regionalen Einzelhandel vertrieben. Ziel der Untersuchung war es, weitere Infizierte zu finden und die Infektionsquelle zu bestätigen.

    Erkrankte wurden ausführlich befragt. Kreisärzteschaft, Kunden des Hofes sowie die Öffentlichkeit wurden durch Hofbetreiber und Landratsamt (Pressemitteilung) informiert. Im Rahmen einer aktiven Fallsuche wurden exponierte Personen mittels ELISA-IgM und IgG-Antikörper untersucht. Landesweit gemeldete FSME-Fälle wurden nachermittelt. Alle Ziegen des Hofes (Neutralisationstest), Ziegenrohmilch und -käse (PCR, Zellkultur) sowie Zecken aus dem Weidegebiet (PCR), wurden auf FSME-Virus untersucht.

    Zwei von vier Personen einer Wandergruppe erkrankten 3 bzw. 6 Tage nach Konsum von Ziegenrohmilch und -frischkäse an FSME (laborbestätigt). Sechsundzwanzig weitere Personen, die Produkte des Hofes konsumiert hatten, zeigten keine IgM-Antikörper und damit keine akute FSME-Infektion. Fünf der 22 Käseproben (23%, 5xPCR, 1xZellkultur) und eine von 412 Zecken (0,24%) waren FSME positiv. Neun der 45 Ziegen zeigten Antikörper, 2 Tiere mit hohem Titer als Hinweis auf eine kürzliche Infektion.

    Erstmals wurden FSME-Fälle in Deutschland beschrieben, bei denen die Infektion durch den Verzehr von Rohmilchprodukten erfolgte. Weitere Infektionen wurden nicht gefunden. Die Infektionsquelle liegt innerhalb des FSME-Risikogebiets; die Weideflächen sind kein Hotspot mit Zeckenpositivrate > 1%. Gesundheitsämter sollten bei FSME-Fällen ohne Zeckenstich in der Anamnese sorgfältig bezüglich anderer Ansteckungsquellen ermitteln. Weitere Untersuchungen zur Häufigkeit der Infektionen bei Nutztieren und dem Risiko für Verbraucher aus kontaminierten Lebensmitteln sind dringend erforderlich.


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