Z Geburtshilfe Neonatol 2017; 221(S 01): E1-E113
DOI: 10.1055/s-0037-1607700
Vorträge
Mütterliche Erkrankungen II
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Erste klinische Evidenz für Mikrozephalie durch kombinierten Cannabis- und Alkoholkonsum in der Schwangerschaft

D Hüseman
1   Klinikum Barnim GmbH, Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Eberswalde, Germany
,
M Nagel
2   Charité – Universitätsmedizin Berlin, Klinik für Geburtsmedizin, Berlin, Germany
,
B Metze
3   Charité Universitätsmedizin Berlin, Klinik für Neonatologie, Berlin, Germany
,
C Bührer
3   Charité Universitätsmedizin Berlin, Klinik für Neonatologie, Berlin, Germany
,
W Henrich
2   Charité – Universitätsmedizin Berlin, Klinik für Geburtsmedizin, Berlin, Germany
,
JP Siedentopf
2   Charité – Universitätsmedizin Berlin, Klinik für Geburtsmedizin, Berlin, Germany
› Author Affiliations
Further Information

Publication History

Publication Date:
27 October 2017 (online)

 
 

    Fragestellung:

    Die intrauterine Alkoholexposition des Feten kann zur Entstehung eines Fetalen Alkoholsyndroms (FAS) führen. Neben Stigmata der Gesichtsmorphologie stellt der reduzierte Kopfumfang bis hin zur Mikrozephalie eines der Leitsymptome dar.

    Dagegen wird dem Konsum von Cannabis in der Schwangerschaft bisher kein syndromologisches Krankheitsbild zugeordnet, auch wurde bisher kein über das Maß einer Nikotin- bzw. Rauchexposition hinausgehender Einfluss auf die Fetalentwicklung angenommen. In Tierversuchen ist die Bedeutung von Cannabinoid-Rezeptoren und Endocannabinoiden für die neuronale Differenzierung und Migration nachgewiesen worden. Ein Teil der Ethanol-induzierten Neurodegeneration wird durch das Endocannabinoid-System vermittelt. Hansen et al. haben eine massive Verstärkung der zellschädigenden Wirkung von Ethanol durch gleichzeitige Cannabis-Exposition gezeigt. Unklar ist, ob dieses Schädigungsmodell auf die intrauterine Entwicklung beim Menschen übertragbar ist.

    Methodik:

    Die „Ambulanz für Suchterkrankungen und Infektionen in der Schwangerschaft“ der Klinik für Geburtsmedizin der Charité – Universitätsmedizin Berlin ist eine der größten spezialisierten Ambulanzen zur Betreuung von Suchtmittel-konsumierenden Schwangeren in Deutschland. In erster Linie werden Schwangere mit Opiatkonsum betreut und, sofern notwendig, in eine opiatgestützte Substitutionsbehandlung (OST) aufgenommen. Im Rahmen der Suchterkrankung stellt Cannabis für diese Patientinnen eine wesentliche Beikonsumdroge dar. Auch der Konsum von Alkohol ist in diesen Schwangerschaften verbreitet. Aus dem Patientinnenkollektiv der Ambulanz wurden retrospektiv 680 zwischen Januar 2000 und Dezember 2014 betreute Schwangerschaften analysiert und hinsichtlich des Cannabis- und Alkoholkonsums sowie der Kopfumfangsperzentilen der Neugeborenen ausgewertet.

    Ergebnisse:

    Es wurden 463 Schwangerschaften mit Angaben zu Cannabis- und Alkoholexposition identifiziert, überwiegend in Kombination mit einer OST. Für alle Kinder fand sich ein gegenüber einer Normalpopulation drastisch reduzierter Kopfumfang. Die Kopfumfangsperzentilen (Median; Interquartilbereich) lagen für Neugeborene mit kombinierter Cannabis- und Alkoholexposition (n = 83) bei 10; 4 – 26 und waren damit signifikant niedriger als bei Neugeborenen mit isolierter Alkohol- (n = 115; 16; 4 – 32) oder isolierter Cannabisexposition (n = 77; 18; 7 – 46)) oder ohne beide Beigebrauchs-Substanzen (n = 188;18,5; 6 – 40).

    Schlussfolgerung:

    Die pränatale kombinierte Exposition von Alkohol und Cannabis führt bei Kindern Suchtmittel-konsumierender Schwangerer zu einer signifikanten zusätzlichen Reduktion des Kopfumfanges. Dagegen beeinflusst isolierter Cannabis-Cokonsum das Kopfwachstum nicht. Tierexperimentelle Hinweise für eine Potenzierung des Ethanol-induzierten Hirnschadens durch Cannabis werden hierdurch bestätigt. Inwieweit der Co-Konsum von Cannabis auch das Risiko für ein FAS erhöht, bedarf weiterer Klärung.


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