Gesundheitswesen 2019; 81(03): 275
DOI: 10.1055/s-0039-1679377
Poster
Fachausschuss Infektionsschutz
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Campylobacteriosen in Hessen: Warum wird Rohmilch nicht abgekocht?

L Becker
1   HLPUG (Hessisches Landesprüfungs- und Untersuchungsamt im Gesundheitswesen), Dillenburg, Germany
,
P Heinmüller
2   HLPUG, Infektionsepidemiologie, Dillenburg
,
H Ernst
3   Gesundheitsamt Fulda, Infektionsschutz, Fulda
,
I Henrich
4   Gesundheitsamt Limburg, Infektionsschutz, Limburg
,
B Bornhofen
5   Gesundheitsamt Offenbach, Infektionsschutz, Offenbach
,
AM Hauri
6   Hessisches Landesprüfungs- und Untersuchungsamt im Gesundheitswesen, Infektionsepidemiologie, Dillenburg, Germany
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Publication History

Publication Date:
05 April 2019 (online)

 
 

    Campylobacteriosen sind in Deutschland die am häufigsten gemeldeten Gastroenteritiden. Der Verzehr von Rohmilch ist ein lang bekannter Risikofaktor für den Erwerb einer Campylobacteriose. Aber auch das Erkrankungsrisiko durch eine Infektion mit EHEC, Salmonellen und Listeria monocytogenes ist erhöht. Rohmilch darf nur unter bestimmten Voraussetzungen an Verbraucher abgegeben werden. Zum einen gibt es die „ab Hof“-Abgabe, bei der vom Erzeuger auf ein Abkochen durch den Konsumenten vor dem Verzehr deutlich hingewiesen werden muss. Zum anderen gibt es die Abgabe als „Vorzugsmilch“, die für den rohen Verzehr gedacht ist. Nachdem in 2016 hessische Gesundheitsämter in vier Campylobacteriose-Ausbrüchen im Zusammenhang mit Rohmilchverzehr ermittelt hatten, beschloss der Fachausschuss Infektionsschutz des Landesverbandes Hessen der Ärzte und Zahnärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes e.V. die Erstellung eines standardisierten Fragebogens für Patienten mit gemeldeter Campylobacteriose, welche in den letzten sieben Tagen vor Beginn des Durchfalls Rohmilch getrunken hatten. Dieser Bogen sollte die in den Gesundheitsämtern verwendeten Ermittlungsbögen ergänzen und zusammenfassende Auswertung auf Landesebene ermöglichen. Von August 2016 bis Juli 2018 befragten acht hessische Gesundheitsämter 61 gemeldete Patienten anhand des Fragebogens. Alle Erkrankten hatten Rohmilch verzehrt, die auf einem Bauernhof bezogen wurde. Für 44 (72%) Erkrankte wurde berichtet, dass die Rohmilch einer Milchtankstelle entnommen wurde. Sechs (12%) der 61 Erkrankten (bzw. ihre Eltern) berichteten, dass es keinen Hinweis gab, dass die Milch vor Verzehr abgekocht werden muss, 12 Erkrankte berichteten, dass ein entsprechender Hinweis nicht erinnerlich war und 41 Erkrankte berichteten über einen Abkoch-Hinweis. Zwei Erkrankte tranken Milch von einem Bauernhof eines Familienangehörigen, die nicht an weitere Personen verkauft wird. Als Grund, warum der Hinweis, dass die Milch vor Verzehr abgekocht werden muss, nicht befolgt wurde, nannten 32 Erkrankte: 9 × (19,1%): Risiko nicht bewusst/bekannt, keine Kenntnis über Übertragung von Krankheitserregern durch Milch; 8 × (17,0%): Gewohnheit, früher oder im Urlaub auch Rohmilch getrunken; 4 × (8,5%): andere Personen erklärten Rohmilch für unbedenklich (Ehemann, Bekannte, Betreiber); 3 × (6,4%): Zerstören von Nährstoffen durch Erhitzen, besserer Geschmack oder Verträglichkeit; 3 × (6,4%): andere Personen seien nicht erkrankt; 2 × (4,3%) Hinweis als „Empfehlung“ verstanden, aber nicht als „Muss“; 5 × (10,6%) andere Angaben (Betroffene ist Landwirtin, Erkrankte hatte von Abkoch-Empfehlung nicht erfahren, Sprachprobleme). Die mit dem Verzehr von Rohmilch einhergehenden Risiken waren den Erkrankten nicht bekannt oder wurden von ihnen trotz angebrachtem Warnhinweis als gering eingeschätzt. Relevant waren diesbezüglich insbesondere frühere eigene oder berichtete (folgenlose) Erfahrungen mit dem Verzehr von Rohmilch.


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