CC BY-NC-ND 4.0 · Laryngorhinootologie 2019; 98(S 02): S98
DOI: 10.1055/s-0039-1686178
Abstracts
Otologie

Diagnose Taubheit im Nationalsozialismus – Aufarbeitung, Erinnerung und Verantwortung

R Hülse
1   Phoniatrie, Pädaudiologie & Neurootologie, UMM-Mannheim, Mannheim
,
M Hülse
1   Phoniatrie, Pädaudiologie & Neurootologie, UMM-Mannheim, Mannheim
,
JJ Servais
2   Univers.-HNO-Klinik, Mannheim
,
A Wenzel
3   Univers. HNO-Klinik, Mannheim
› Institutsangaben
 
 

    Getreu der nationalsozialistischen Rassenideologie wurde am 14. Juli 1933 das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses verabschiedet. Das Gesetz hatte das Ziel erbkranke Menschen mittels Zwangssterilisation von der Fortpflanzung auszuschließen. Explizit aufgeführt wird die erbliche Taubheit. Mit Inkrafttreten des Gesetzes bekam die Diagnose Taubheit eine weitreichende nicht medizinische, sondern ethische und politische Dimension. Die vorgestellte Arbeit untersucht die Anwendung des Gesetzes auf taube Patienten am Beispiel der Taubstummenanstalt in Berlin als reichsweite Ausbildungsstätte für Taubstummenlehrkräfte und größte Taubstummenlehranstalt in der NS-Zeit.

    Methode:

    Selektive Literaturrecherche und Auswertung der erhaltenen Originaldokumente von 1933 – 1938.

    Ergebnisse:

    Es gab gemeinsame Anstrengungen von HNO-Ärzten, NS-Amtsärzten und Taubstummenlehrern um vermeintlich erbkranke Kinder zu identifizieren. Bis 1936 wurden 116 mögliche Fälle identifiziert, 36 Kinder gemeldet. 11 taube Kinder wurden bis 1936 zwangssterilisiert. Deutlich wird auch ein enormer Druck, der auf Ärzte und Lehrer der Ausbildungsstätte ausgeübt wurde. So gab es mehrfach Bestrebungen von außerhalb, sie durch NS-Parteimitglieder zu ersetzen, da deren Handeln trotz o.g. Meldungen vermeintlich zu wenig im Sinne der NS-Rassenideologie war.

    Diskussion:

    Im NS-Regime wird die Zwangssterilisation erblich tauber Menschen gesetzlich geregelt. Die Diagnosestellung war damit weit mehr als eine rein medizinische Beurteilung. Sie war ideologisch und politisch beeinflusst. Die Rolle der HNO-Ärzte und Taubstummenlehrerschaft in der NS-Zeit muss uns weiter mahnend an die Grundlagen unserer medizinischen Profession, Humanität und der Menschenwürde bewusst erinnern.


    #
    Prof. Dr. med. Roland Hülse
    Universitäts-HNO-Klinik UMM, Abt. Phoniatrie, Pädaudiologie und Neurootologie,
    Theodor-Kutzer-Ufer, 1 – 3, 68167
    Mannheim

    Publikationsverlauf

    Publikationsdatum:
    23. April 2019 (online)

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