Geburtshilfe Frauenheilkd 2020; 80(02): 216
DOI: 10.1055/s-0039-3402977
Kurzvorträge 3: Neonatologie, Physiologie, Sexualität
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Therapieentscheidungen bei Frühgeborenen an der Grenze zur Lebensfähigkeit – eine Umfrage unter Neonatologen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz

K Schneider
1   Abteilung für Neonatologie, GFO Kliniken Bonn
,
B Metze
2   Klinik für Neonatologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin
,
C Bührer
2   Klinik für Neonatologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin
,
M Cuttini
3   Clinical Care and Management Innovation Research Area, Ospedale Pediatrico Bambino Gesù, Rom, Italien
,
L Garten
2   Klinik für Neonatologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
21. Februar 2020 (online)

 
 

    Hintergrund: 1996/97 wurden Ärzte neonatologischer Stationen verschiedener europäischer Länder im Rahmen des EU-geförderten Projektes „European Project on Parentsʼ Information and Ethical Decision Making in Neonatal Intensive Care Units (EURONIC)“ zu persönlicher Einstellung und praktischem Vorgehen bei Frühgeborenen an der Grenze zu Lebensfähigkeit befragt. Damals gab es in den deutschsprachigen Ländern noch keine Leitlinien zum Vorgehen an der Grenze der Lebensfähigkeit.

    Fragestellung: Inwieweit haben sich 20 Jahre nach EURONIC persönliche Einstellungen von Neonatologen und ihr praktisches Vorgehen bei Frühgeborenen an der Grenze zur Lebensfähigkeit verändert?

    Material und Methoden: Online-basierte Umfrage (aufbauend auf EURONIC-Fragebogen mit geringen Adaptationen) unter Chef- und Oberärzten von 170 Level 1-Perinatalzentren in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

    Ergebnisse: Verglichen mit den EURONIC-Daten 1996/97 gaben 2016 signifikant mehr Neonatologen (n = 198, Antwortrate knapp 53%) an, schon einmal Intensivmaßnahmen nicht eingeleitet (99 vs. 69%), eine maschinelle Beatmung abgebrochen (96% vs. 61%) oder die Therapie mit lebenserhaltenden Medikamenten beendet zu haben (99% vs. 79%). Im Falle einer dramatischen Verschlechterung des kindlichen Zustandes unter intensivmedizinischen Maßnahmen würden heute signifikant mehr Neonatologen den elterlichen Willen bei der Festsetzung des Therapiezieles (kurativ vs. palliativ) berücksichtigen (49% vs. 18%). Hingegen war die Anzahl der Neonatologen, die im hypothetischen Fall einer Erstversorgung eines Frühgeborenen an der Grenze der Lebensfähigkeit im Kreißsaal sogar gegen den ausdrücklichen Wunsch der Eltern reanimieren würden, nahezu gleich (19% vs. 21%)

    Diskussion und Schlussfolgerung: Das Nicht-Einleiten oder Abbrechen intensivmedizinischer lebenserhaltender Maßnahmen bei Frühgeborenen an der Grenze zur Lebensfähigkeit ist heute eine weithin akzeptierte Option. Der elterliche Wille scheint dabei wesentlich stärker berücksichtigt zu werden, dennoch würden im Rahmen der Erstversorgung weiterhin etwa ein Fünftel der befragten Neonatologen auch gegen den Willen der Eltern zunächst reanimieren.


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