Schlüsselwörter
ESC-Leitlinien - Revaskularisation - Fractional Flow Reserve - Drug-eluting Stents
Keywords
ESC guidelines - revascularization - fractional flow reserve - drug-eluting stents
Einleitung
Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind weiterhin mit einer signifikanten Morbidität und Mortalität assoziert. 2012 starben in Deutschland 128 171 Menschen an einer ischämischen Herzerkrankung – sie ist damit weiterhin eine der führenden Todesursachen (15 %) [1]. Entsprechend sind kontinuierliche Therapieoptimierungen erforderlich. Im Folgenden sind die wichtigsten Neuerungen der aktualisierten europäischen Leitlinie zur Myokard-Revaskularisation zusammengefasst [2].
Neue Leitlinien zur Myokard-Revaskularisation
Stabile Angina pectoris – weniger kann mehr sein! Die neuen Leitlinien unterscheiden eine Indikation zur Revaskularisation aus prognostischer Indikation – insbesondere bei großem myokardialen Ischämieareal, z. B. Hauptstammstenose, „last remaining vessel“, > 10 % Myokardischämie etc. – (Tab.
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]) und aus symptomatischer Indikation. Die koronare Stent-Implantation ist bei nachgewiesener Ischämie bestens geeignet, Angina-pectoris-Beschwerden zu reduzieren. Die Leitlinien verweisen darauf, dass die Stent-Implantation bei symptomatischer Indikation zusätzlich zu einer medikamentösen Therapie erfolgen sollte (Betablocker, Kalziumantagonisten, Nitrate, Ranolazine etc.) [2].
Tab. 1
Indikation zur Revaskularisation bei Patienten mit stabiler Angina pectoris oder stummer Ischämie [2].
Prognostische Indikation
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Hauptstammstenose > 50 %[*]
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Proximale RIVA Stenose > 50 %[*]
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2- oder 3-Gefäßerkrankung + LVEF < 40 %[*]
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Ischämieareal > 10 % des linksventrikulären Myokards
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Letztes offenes Koronargefäß mit > 50 % Stenose[*]
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Symptomatische Indikation
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Alle Koronarstenosen > 50 % bei medikamentös schwer kontrollierbarer Angina pectoris[1]*
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* Mit dokumentierter Ischämie oder FFR ≤ 0,80 bei Stenosegrad < 90 %
Bei koronarangiografisch grenzwertigen Stenosen kann die Messung mit „pressure wire“ oder „Fractional Flow Reserve“ im Herzkatheterlabor schnell die beste Behandlungsstrategie klären, d. h. ob der Patient
profitiert. Dabei wird ein Draht mit einer Druckmessung an der Spitze distal der Koronarstenose platziert und der Druckabfall über der Stenose unter Stressbedingungen (Adenosingabe) bestimmt. Kürzlich erschienene Studien bestätigen eine ausgezeichnete Korrelation einer FFR-Messung > 0,8 mit guter Langzeitprognose (Mortalität oder Infarkt innerhalb von 2 Jahren) ohne Koronarintervention / Bypass-OP, während bei einer FFR < 0,8 eine Myokardrevaskularisation indiziert ist. Durch Anwendung der FFR-Messung konnte die Notwendigkeit zur koronaren Stent-Implantation signifikant reduziert werden [3]. Im Langzeitverlauf zeigte sich bei FFR-gesteuerter koronarer Revaskularisation eine Abnahme kardiovaskuklärer Ereignisse (neben einer Reduktion der Angina pectoris) [3].
Falls eine Stent-Implantation sinnvoll ist, empfehlen die neuen Leitlinien generell den Gebrauch von Medikamenten-freisetzenden Stents (Drug-eluting Stents; DES) [2]. In einer großen aktuellen Meta-Analyse unter Einschluss von 93 553 Patienten konnte erstmals auch für Patienten mit stabiler KHK ein Überlebensvorteil für die Stent-Implantation nachgewiesen werden, sofern DES der neuesten Generation verwendet wurden [4].
Revaskularisation mittels interventioneller oder operativer Therapie ? | Wichtige Neuerungen gab es vor allem auch hinsichtlich der Indikationsstellung zur PCI versus Bypass-OP. Während Hauptstammstenosen früher als OP-Indikation galten, sehen die neuen Guidelines bei einfach zu behandelnden Hauptstammstenosen (Syntax-Score ≤ 22) die PCI nun als gleichwertig zur Bypass-OP. Die Indikation für die Bypass-Operation wird bei Patienten mit komplexer Dreigefäßerkrankung (Syntax-Score > 22) und niedrigem Operationsrisiko gesehen (Abb.
[
1
]).
Abb. 1 Empfehlung zur Revaskularisation mittels Bypass oder Stenting bei Patienten, die für beide Eingriffe geeignet wären und ein niedriges Operationsrisiko aufweisen [2].
Revaskularisierung bei ACS | Der Nicht-ST-Hebungs-Myokardinfarkt (NSTEMI) ist eine sehr häufige Manifestation des akuten Koronarsyndroms (40–50 %). Bemerkenswert ist allerdings, dass Morbidität und Langzeitüberleben beim NSTEMI vergleichbar mit der Prognose nach STEMI ist [2]. Während beim STEMI, in jedem Fall eine unverzügliche Herzkatheteruntersuchung mit potenzieller Stent-Implantation angezeigt ist, werden Patienten mit NSTEMI in die Kategorien „niedriges“, „mittleres“ und „hohes“ Risiko eingeteilt (u. a. nach dem GRACE-Score) [2]:
-
Patienten mit hohem Risiko sollten am Tag der Hospitalisation, bei sehr hohem Risiko sogar innerhalb von 2 h eine Koronarangiografie erhalten.
-
Bei Patienten mit einem niedrigen bis mittleren Risiko sollte die Koronarangiografie innerhalb von 3 Tagen erfolgen.
Bei beschwerdefreien Patienten mit niedrigem Risiko kann auch ein nicht-invasiver Ischämietest erwogen und in Abhängigkeit davon eine Herzkatheteruntersuchung geplant werden. Auch beim akuten Koronarsyndrom (ACS) sollten vorzugsweise DES eingesetzt werden. Die neuen Guidelines weisen für alle koronaren Interventionen auf die Bedeutung einer ausreichenden Fallzahl hin:
Die neuen Guidelines sind geprägt durch jüngste Verbesserungen und Studienergebnisse in der interventionellen Kardiologie: In vielen Fällen erscheint nun eine Stent-Implantation einer Bypass-Operation als gleichwertig (wie z. B. bei der wenig komplexen Hauptstammstenose). Mittels FFR kann die Notwendigkeit zur Stent-Implantation individuell unkompliziert geprüft werden. Potenzielle Nebenwirkungen einer Stent-Implantation (z. B. Blutverdünnung mit Plättchenaggregationshemmung, In-Stent-Restenose oder späte Stentthrombose) könnten so verringert werden.
Duale Plättchenaggregationshemmung: welche, und wie lange?
Die neuen ESC-Guidelines erbrachten auch einige Änderungen hinsichtlich der dualen Plättchenaggregationshemmung nach Stent-Implantation. Besonders hervorzuheben ist hierbei, dass bei stabilen Patienten mit elektiver Implantation eines DES der neuesten Generation, Clopidogrel nur noch für 6 Monate (früher für 12 Monate) empfohlen wird. Acetylsalicalsäure (ASS) (75–100 mg / d) wird auch hier weiterhin als Langzeittherapie empfohlen. Tab.
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] fasst die wichtigsten Empfehlungen zur Plättchenaggregationshemmung in verschiedenen Settings zusammen. Es ist an dieser Stelle anzumerken, dass derzeit mehrere laufende Studien die optimale Dauer der dualen Plättchenaggregationshemmung bei diversen Subgruppen (z. B. nach ACS) untersuchen.
Tab. 2
Plättchenaggregationshemmung nach Stentimplantation [2].
Indikation
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Acetylsalicylsäure (ASS)
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P2Y12-ADP-Agonist
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Stabile KHK mit DES-Implantation
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L 150–300 mg
E 75–100 mg
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Clopidogrel L 300–600 mg, E 75 mg / d für 6 Monate
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Stabile KHK mit BS-Implantation
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Clopidogrel L 300–600 mg, E 75 mg / d für 1 Monat
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NSTEMI (DES und BS)
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Ticagrelor[1]
L 180 mg, E 2 × 90 mg / d für 12 Monate
Prasugrel[1]
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L 60 mg, E 5[*] –10 mg / d für 12 Monate
Clopidogrel nur in Ausnahmefällen
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STEMI (DES und BS)
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Prasugrel[1]
L 60 mg, E 5[*]–10 mg / d für 12 Monate
Ticagrelor[1]
L 180 mg, E 2 × 90 mg / d für 12 Monate
Clopidogrel nur in Ausnahmefällen
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BS: Bare Stent (unbeschichteter Stent), DES: Drug-eluting Stent (Medikamenten-beschichteter Stent), STEMI: ST-Hebungsinfarkt, NSTEMI: Nicht-ST-Hebungsinfarkt, L: Ladedosis E: Erhaltungsdosis, M: Monat
1 kontraindiziert nach TIA / Schlaganfall, bei moderater / schwerer Leberschädigung
2 für Diabetiker
* Alter ≥ 75 Jahre und / oder Gewicht < 60 kg
Triple Antikoagulation | Eine Triple Antikoagulation mit ASS, Clopidogrel und Vitamin-K-Antagonisten (VKA) sollte aufgrund des erhöhten Blutungsrisikos nur erfolgen, wenn es unbedingt indiziert ist, und dann nur zeitlich limitiert: z. B. bei Vorhofflimmern mit hohem Embolierisiko – ausgedrückt durch einen CHA2DS2-VASc-Score ≥ 2 – bei mechanischen Herzklappen oder Embolien.
Prasugrel und Ticagrelor sollten aufgrund der stärkeren Blutungsneigung in diesem Setting aktuell vermieden werden. DES sollten unbeschichteten Stents (Bare Stents; BS) vorgezogen werden, wenn das Blutungsrisiko niedrig ist (HAS-BLED-Blutungs-Score ≤ 2). Nach Stent-Implantation (DES oder BS) bei stabilen Patienten, kann Clopidogrel + ASS + VKA für einen Monat verabreicht werden, VKA + Clopidogrel oder ASS dann für 6–12 Monate. Protonenpumpenhemmer (PPI) sollten großzügig eingesetzt werden, um gastrointestinale Blutungen zu vermeiden. Bei Patienten mit hohem Blutungsrisiko müssen individuelle Entscheidungen getroffen werden.
Neue Antikoagulanzien | Die kürzlich publizierte ATLAS-ACS-2-Studie zeigte bei Patienten mit PCI bei akutem Koronarsyndrom, dass eine Therapie mit niedrig dosiertem Rivaroxaban (2,5 mg 2 × täglich) zusätzlich zu ASS + Clopidogrel einen Vorteil hinsichtlich Überleben und Stentthrombose erbringt. Ob Rivaroxaban in Kombination mit Prasugrel oder Ticagrelor zu einer signifikanten Zunahme an Blutungskomplikationen führen würde, ist unbekannt und soll in künftigen Studien getestet werden. Die ähnliche APPRAISE-2-Studie untersuchte Apixaban bei ACS-Patienten, allerdings mit der vollen Dosis (5 mg 2 × täglich). Diese Studie wurde wegen gehäuften Blutungen vorzeitig abgebrochen. Somit bedarf es weiterer Studien, bevor eine klare Empfehlung für den Einsatz „neuer Antikoagulanzien“ in Kombination mit der dualen Plättchenaggregationshemmung gegeben werden kann [2].
Die Verkürzung der Clopidogrel-Therapie nach DES-Implantation bei stabiler KHK auf 6 Monate kann eine Reduktion des Blutungsrisikos mit sich bringen.
„The next generation“: Bioabsorbierbare Stents
Absorbierbare Stents („bioabsorbable vascular scaffolds“, BVS) bestehen beispielsweise aus einem Poly-Lactid-Polymer oder Magnesium und werden innerhalb von 6–24 Monaten vollständig resorbiert. Auch sie können mit Medikamenten beschichtet werden, um die In-stent-Restenose zu vermeiden. Zum ABSORB-Scaffold liegen nun aus einer kürzlich erschienenen Studie erste Resultate im Vergleich zu einem herkömmlichen DES der neuesten Generation vor [5].
Absorbierbare Stents ( BVS) könnten attraktiv für jüngere Patienten / -innen sein und bei multiplen Läsionen: Sie wären kein Hindernis für eine etwaige Bypass-OP einige Jahre später. Zudem wäre das Auftreten der seltenen, aber gefürchteten späten Stentthrombose (> 1 Jahr nach PCI) mit den BVS weniger wahrscheinlich. Weitere Studien mit den BVS sind erforderlich.