Dtsch Med Wochenschr 2015; 140(08): 608-611
DOI: 10.1055/s-0041-101194
Fachwissen
Standpunkt
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Hyponatriämie – häufig und komplex

Wenn Leitlinien sich widersprechenHyponatremia – a frequent and complex clinical problemEvaluation of current recommendations
Volker Burst
1   Klinik II für Innere Medizin: Nephrologie, Rheumatologie, Diabetologie und Allgemeine Innere Medizin, Universitätsklinik Köln
,
Johannes Hensen
2   Medizinische Klinik, Klinikum Region Hannover (KRH), Klinikum Nordstadt, Hannover
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Priv.-Doz. Dr. med. Volker Burst
Klinik II für Innere Medizin, Universitätsklinik Köln
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Publication Date:
16 April 2015 (online)

 

Zusammenfassung

Leitlinien sind in der Medizin weit verbreitet. Sie sollen uns helfen eine Patientenversorgung zu gewährleisten, die auf Evidenzen beruht und uns eine Orientierungshilfe für den Regelfall in der Praxis geben. Leitlinien haben jedoch darüber hinaus oder gerade deswegen eine besondere Bedeutung in Arzthaftungsauseinandersetzungen. Die Hyponatriämie ist eine häufige Entität, die aufgrund ihrer Komplexität für nicht wenige Mediziner eine Herausforderung darstellt. Es ist daher erfreulich, dass unlängst gleich zwei Behandlungsempfehlungen bzw. Leitlinien hierzu erschienen sind. Leider widersprechen sich beide Quellen in vielen, teilweise essentiellen Punkten. Vor allem im Hinblick auf die Therapiemöglichkeiten werden zum Teil gegensätzliche Empfehlungen gegeben. Damit wird einmal mehr deutlich, dass Leitlinien nie die ganze Wahrheit beinhalten und wir gut beraten sind, wenn wir ihnen nicht blind vertrauen. Mit Blick auf die Hyponatriämie fehlen uns heute noch viele durch Studien abgesicherte Evidenzen. So können Leitlinien zum jetzigen Zeitpunkt wohl kaum mehr als lediglich ungenaues Bild zeichnen. In diesem Kommentar erläutern wir Inhalt und Widersprüche beider Publikationen.


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Abstract

Guidelines have become very common in modern medicine. Their primary aim should be to provide evidence-based guidance and insight and to help to convey the best possible care to patients. As a consequence, guidelines also play a critical role in liability issues. Hyponatremia is a frequently encountered condition which is considered challenging by many physicians. It is therefore highly appreciated, that two interdisciplinary guidelines on hyponatremia have been published recently. Unfortunately, the given recommendations differ substantially. Most importantly, the roles of existing new and old treatment options are rated inconsistently. This demonstrates once again that guidelines never tell the whole truth and that we are well advised not to trust them blindly. Given the lack of valid evidence from controlled trials, the current guidelines can only offer another overview on hyponatremia but they certainly fail to provide clear-cut recommendations. The content and controversies of both publications are described in this commentary.


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Ob in der Notaufnahme, in der Klinik oder in der Hausarztpraxis: Die Hyponatriämie ist ein Problem, mit dem jeder Arzt regelmäßig konfrontiert wird. Sowohl die Diagnostik als auch die Therapie dieser häufigen Elektrolytstörung sind komplex. Allgemeingültige Empfehlungen gab es lange Zeit nicht. Zwei neue, internationale Leitlinien sollen diese Lücke schließen – doch sie widersprechen sich in zentralen Fragen.

Einleitung

Bedeutung der Hyponatriämie | Mit einer Inzidenz von 15 bis 30 % aller stationären Patienten, ist die Hyponatriämie (HN) zweifelsohne die häufigste Störung des Elektrolyt- und Wasserhaushaltes [3], [4].

Die akute, meist ausgeprägte HN ist ein lebensbedrohlicher Notfall, der mit Bewusstseinsstörungen und Hirnödemen mit Krampfanfällen einhergeht.

Die klinische Bedeutung der Hyponatriämie geht jedoch weit über diese, doch eher seltene, Notfallsituation hinaus. In den vergangenen Jahren wurde immer klarer, dass auch sog. milde und moderate Hyponatriämien (Serumnatrium > 125 mmol / l) nicht – wie früher angenommen – asymptomatisch sind. Diese oft chronischen Formen gehen mit kognitiven, mentalen und psychischen Defiziten und Einschränkungen einher. Zusätzlich wurde bei Patienten mit HN eine hohe Sturzrate und Frakturinzidenz beobachtet – wohl aufgrund einer teils ausgeprägten Gangunsicherheit. Dies könnte wiederum die erhöhte Hospitalisierungsrate erklären [5], [6]. Tierexperimentelle Daten und Kohortenstudien legen darüber hinaus den Verdacht nahe, dass die HN eine Osteoporose auslösen oder aggravieren kann [7], [8], [9].

Bedarf an Leitlinien | Ungeachtet der immer deutlicher werdenden klinischen Relevanz, ist das ärztliche Management der HN oft mangelhaft [10]. Die Ursache hierfür dürfte in der komplexen Pathophysiologie, Diagnostik und Differentialtherapie liegen. Umso notweniger sind verständliche und in der Praxis umsetzbare Leitlinien, die jedoch bis vor kurzem gänzlich fehlten. In den vergangenen 2 Jahren wurden nun zwei interdisziplinär und multinational erarbeitete Übersichten vorgestellt, die diese Lücke schließen sollen. Daneben wurde unlängst eine Reihe nationaler Leitlinien veröffentlicht, auf die wir hier jedoch nicht weiter eingehen werden.

Internationale Empfehlungen | Im Oktober 2013 publizierten Verbalis et al. Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der HN [2]. Beteiligt waren Endokrinologen und Nephrologen aus Nordamerika und Europa. Im Frühjahr 2014 wurde nach längerer Vorbereitung eine „Clinical Practice Guideline“ veröffentlicht unter der Schirmherrschaft der European Renal Association / European Dialysis and Transplant Association, der European Society of Endocrinology und der European Society of Intensive Care Medicine [1]. Beide Arbeiten bieten hervorragende und detaillierte Einblicke in das Thema.

Allerdings vertreten die neuen Leitlinien zum Teil grundsätzlich unterschiedliche Meinungen und geben teils widersprüchliche Empfehlungen.

Dem Ziel, die Versorgung von Patienten mit HN zu verbessern, ist damit ein Bärendienst erwiesen worden. Es ist zu befürchten, dass der interessierte Leser am Ende unbefriedigt und ohne klares Konzept zurückbleibt.

Wir beleuchten hier die Praxisrelevanz dieser Empfehlungen und erlauben uns, die vorgestellten Leitlinien zu kommentieren. Zur Vereinfachungen verwenden wir dabei die Begriffe „Empfehlungen“ und „Leitlinie“ synonym. Die Arbeit der Gruppe um Verbalis wird als die „amerikanische Leitlinie“ der rein „europäischen Leitlinie“ gegenübergestellt.


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Methodik der Leitlinien

Datenlage | Ein prinzipielles Problem bei der Erstellung von Empfehlungen zur HN ist, wie so häufig, das Fehlen gesicherter Erkenntnisse. Seit den späten 1950 er-Jahren wurde eine Vielzahl wissenschaftlicher Arbeiten zum Thema „HN“ veröffentlicht, aber nur wenige davon waren prospektive, randomisierte und kontrollierte Studien. Damit ist eine Bewertung der Empfehlungen unter Gesichtspunkten der Evidenz-basierten Medizin kaum möglich.

Umstrittene Evidenzqualität | Verbalis et al. adressieren dieses Problem und verzichten in ihrer Arbeit auf ein Grading oder Rating. Die europäischen Leitlinien gehen hier anders vor. Die Qualität der Evidenz wird konsequenterweise dann auch überwiegend mit D bewertet, also „very low / the estimates are very uncertain and often will be far from the truth“. Hier suggeriert die europäische Leitlinie Evidenz, die de facto nicht existiert. Vor allem im Hinblick auf die Therapie ist dies von Bedeutung.


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Diagnostik

Kein einfacher Algorithmus | Die amerikanischen Empfehlungen erklären anschaulich die Pathophysiologie der HN. Dies ist die Grundlage für eine rationale Diagnostik. Einen einfachen, grafisch dargestellten Algorithmus, der sich für die Kitteltasche anböte, sucht man indes vergeblich. Das ist angesichts der Komplexität der Materie vielleicht nachvollziehbar – es gibt eben keinen „einfachen“ Algorithmus. Andererseits ist es ein Manko für die Anwendung in der Praxis. Unserer Ansicht nach wäre eine diagnostische „Anleitung“ in jedem Fall hilfreich, selbst wenn nicht alle Einzelfälle der vielfältigen Ätiologie berücksichtigt werden.

Laborbasierte Diagnose | Die europäische Leitlinie hingegen kommt dem Wunsch nach einem Algorithmus nach. Hier basiert die Diagnose aber nicht auf der gängigen klinischen Einschätzung des Volumenstatus sondern auf Laborwerten. Der Grund dafür ist, dass die korrekte klinische Einteilung in eine hypovoläme, euvoläme oder hypervoläme HN schwierig ist. Es erscheint aber fragwürdig, ob eine Einteilung anhand der Urinnatriumkonzentration tatsächlich einen Vorteil bietet und angesichts der großen Interpretationsvielfalt breite Akzeptanz findet. Überprüft wurde ein solcher Ansatz jedenfalls bislang nicht. Außerdem stehen vielerorts Urinanalysen (Urinelektrolyte, Urinosmolarität) nicht zu jeder Zeit zur Verfügung (z. B. nachts in der Notaufnahme).

Beide Leitlinien überzeugen nicht bei der Diagnostik.


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Therapie

Akute, schwere HN | Früher wurde empfohlen, die akute, schwer symptomatische und potenziell lebensbedrohliche Hyponatriämie durch kontinuierliche Gabe hypertoner Kochsalzlösung (NaCl 3 %) zu behandeln. Dagegen schlagen die neuen Leitlinien eine Bolusgabe vor.

Die Bolusgabe ist effektiver; die Gefahr einer zu schnellen Überkorrektur ist geringer.

Bolus-Dosierungen | Ursprünglich wurde die Bolusgabe bei Patienten mit HN nach einem Marathon, also sozusagen im Feld, eingesetzt [11]. Auf diesen Erfahrungen basiert auch die Dosisangabe in der amerikanischen Leitlinie mit 100 ml NaCl 3 %. Die Gabe von 150 ml, wie sie die europäische Leitlinie vorschlägt, stützt sich hingegen nicht auf veröffentlichte Daten. Aus unserer Sicht sollte jedoch die höhere Dosis keine gravierenden Nachteile haben.

Überkorrektur | Ein klarer Pluspunkt der amerikanischen Empfehlungen ist die detaillierte Beschreibung der Maßnahmen bei zu rascher Korrektur der HN. In diesem Fall ist eine zügige Reaktion nötig, um einer iatrogenen Gefährdung des Patienten durch osmotische Demyelinisierung vorzubeugen. Ähnlich konkrete Angaben zum Vorgehen fehlen leider im europäischen Pendant.

Euvoläme HN | Bei der Behandlung der schwer symptomatischen HN herrscht also weitgehend Übereinstimmung. Das Gleiche gilt auch für die hypervoläme HN. Da es hier keine neuen effektiven Therapieoptionen gibt, fallen die Ausführungen hierzu auch in beiden Leitlinien knapp aus. Einigkeit herrscht auch bei der hypovolämen HN, deren Therapie meist trivial ist. Anders verhält es sich jedoch bei der euvolämen, v. a. der chronischen euvolämen HN, die auch häufig als Syndrom der inappropriaten ADH-Sekretion (SIADH, Schwartz-Bartter-Syndrom) bezeichnet wird. Die euvoläme HN ist mit einem Anteil von ca. 35 % die häufigste Form der HN [12], [13]. Die Ursachen des SIADH sind mannigfaltig.

Hier sind sich die Leitlinien einig: Obwohl die Flüssigkeitsrestriktion nicht immer effektiv ist, ist sie die Erstlinientherapie bei SIADH.

Harnstoff als Zweitlinientherapie | Die europäische Leitlinie empfiehlt als Zweitlinientherapie die orale Verabreichung von Harnstoff, ggf. auch die Therapie mit Salz in Kombination mit einem Schleifendiuretikum. Zugeführter Harnstoff wird renal ausgeschieden und führt zu einer osmotischen Diurese. Die, so erhöhte Wasserclearance, hebt den Serumnatriumspiegel an.So attraktiv, elegant und kostengünstig dieser Wirkmechanismus ist, er hat einige gravierende Nachteile. Aufgrund des extrem bitteren Geschmacks ist diese Therapie angesichts der großen Menge (30–120 g am Tag) – für viele Patienten nicht oder nur kurzfristig geeignet.

Die Datenlage zu diesem Therapiekonzept ist schwach – es gibt keine kontrollierten Studien.

In der publizierten Literatur (Medline) sind nur etwa 200 Behandlungen mit Harnstoff dokumentiert, meist in retrospektiven Analysen oder Fallbeschreibungen. Aus diesen Daten ergibt sich unserem Verständnis nach ein uneinheitliches Bild der Effektivität der Behandlung. Einige Ergebnisse bescheinigen der Harnstofftherapie eine hohe Effektivität bis hin zur Überkorrektur der HN (bis zu 37 % [19]), andere weisen eher auf eine höchstens moderate Wirkung hin.

Harnstoff selten verwendet |Es muss hierbei erwähnt werden, dass diese Behandlungsmethode, wie auch die Behandlung mit Furosemid und oraler Salzsubstitution, erstmals durch eine belgische Arbeitsgruppe in der 1980 er-Jahren der Öffentlichkeit vorgestellt wurde [15], [16], [17], [18]. Viele Experten (und Patienten) lehnten die Therapie, aufgrund der oben geschilderten Probleme jedoch ab, sodass sie bis heute keine Verbreitung gefunden hat. Zwei Mitglieder dieser belgischen Arbeitsgruppe waren maßgeblich an der Erstellung der europäischen Leitlinie beteiligt.

Vaptane als Zweitlinientherapie | Seit 2009 stehen selektive Vasopressin-Antagonisten, sog. Vaptane zur Verfügung, die zielgerichtet in die Pathophysiologie des SIADH eingreifen. Verbalis et al. plädieren für den Einsatz dieser Stoffklasse bei Versagen der Flüssigkeitsrestriktion. Die Experten sind darüber hinaus der Meinung, dass die Vaptane aufgrund ihrer ausgezeichneten Effektivität durchaus das Potenzial zur Erstlinientherapie besitzen.

Es sei an dieser Stelle daran erinnert, dass aktuell lediglich ein einziger Vertreter dieser Wirkstoffgruppe, Tolvaptan, in Europa zugelassen ist.

Der Indikationsbereich ist beschränkt auf das Krankheitsbild des SIADH ohne schwerwiegende neurologische Symptome [14]. Die Arbeit würdigt andere Therapieoptionen, wie z. B. Harnstoff oder Schleifendiuretika, spricht diesbezüglich aber keine Empfehlung aus. Dies ist u. a. dadurch erklärbar, dass für alle anderen Therapieoptionen allenfalls unkontrollierte Daten vorliegen.

Argumente gegen Vaptane | Interessanterweise spricht sich die europäische Leitlinie kategorisch gegen den Einsatz eines Vaptans aus. Zwei Hauptgründe werden dafür angegeben:

  • Mangel an Daten mit harten klinischen Endpunkten

  • hohe Überkorrekturrate

Die Vaptantherapie (Tolvaptan) steigert effektiv den Natriumspiegel. Harte Endpunkte wie, z. B. der Einfluss auf die Mortalität, wurden aber bisher nicht untersucht. Dabei erwähnt die europäische Arbeit aber nicht, dass eine solche Untersuchung harter Endpunkte auch zu keiner anderen Therapieform der HN existiert und wohl auch nicht durchführbar sein wird.

Verbesserung der Lebensqualität | Nimmt man beispielsweise die große Gruppe der paraneoplastischen SIADH-Patienten, so ist es tatsächlich unwahrscheinlich, dass die HN-Behandlung das Überleben verbessert. Vermutlich wird aber so das Management der Krebserkrankung vereinfacht sowie das Wohlbefinden der Patienten gesteigert. Wenn eine effektive, nebenwirkungsarme Therapie zum Einsatz kommt, kann möglicherweise auch der Krankenhausaufenthalt verkürzt werden.

Die SALT-Studien haben gezeigt, dass die Lebensqualität, gemessen anhand des SF-12-Fragebogen (mental component) durch die Behandlung mit Tolvaptan signifikant zunimmt [20].

Überkorrektur durch Vaptane?| Als zweiten Grund für die Ablehnung eines Vaptans führen die Autoren die hohe Überkorrekturrate an, die ein Risiko der Demyelinisierung bedinge. Aus einem objektiveren Blickwinkel könnte man sagen, eine exzellente Effektivität wird hier als Nebenwirkung interpretiert. Tatsächlich muss dieser Punkt ernst genommen werden, denn eigene Erfahrungen und publizierte Einzelfallberichte bestätigen die häufig zu schnelle Korrekturrate, zumindest bei der gängigen Startdosis von 15 mg.

Osmotische Demyelinisierung | Die eigentliche Konsequenz aus dieser Beobachtung sollte jedoch eine erhöhte Achtsamkeit des behandelnden Arztes sein, der bei zu raschem Anstieg des Serumnatriums Gegenmaßnahmen einleiten muss. Darüber hinaus existiert nach unserem Wissen bislang nur ein einziger veröffentlichter Fallbericht, in dem eine osmotische Demyelinisierung unter Tolvaptan beschrieben wurde [21]. In diesem Fall wurde Tolvaptan allerdings nicht fachgerecht eingesetzt. Zudem wurde in der Literatur dokumentiert, dass der Natriumspiegel auch unter hypertoner Kochsalzlösung und mit der Harnstofftherapie rasant ansteigen kann. Diese teils ausgeprägten Natriumanstiege entsprechen nominal mindestens denen bei Tolvaptantherapie [19].

Hepatotoxizität | Schließlich hoben die Autoren eine mögliche Hepatotoxizität hervor. Sie trat bei 3 Patienten auf, die Tolvaptan im Rahmen einer Studie zur Behandlung der autosomal dominanten polyzystischen Nierenerkrankung einnahmen [22]. Die Tolvaptan-Dosis war dabei jedoch 4- bis 8-mal höher als die empfohlene Dosis bei HN. Zudem traten die die Leberveränderungen erst nach mehrwöchiger Einnahme des Medikaments auf.

Bei HN-Patienten, die in der Regel nur wenige Tage behandelt werden, wurde bislang nicht über Hepatotoxizität berichtet.

Sponsoring als Kritikpunkt | Die Leitlinie bemängelt weiterhin, dass Tolvaptan in einer durch die Pharmaindustrie gesponserten Studie untersucht wurde und damit einem beträchtlichen Bias unterliegt. So wünschenswert unabhängige Studien auch generell sein mögen, derart teure Projekte werden von öffentlichen Geldgebern (DFG, NIH etc.) nicht finanziell unterstützt und wären ohne Sponsoring durch die pharmazeutische Industrie gar nicht durchführbar. Weitere Nachteile leiten die Autoren aus publizierten Daten zu anderen Vaptanen (Lixivaptan, Satavaptan) ab. Diese Wirkstoffe wurden jedoch für teilweise für gänzlich andere Indikationen untersucht und nie für die HN-Therapie zugelassen.


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Bewertung

Vergleich der Leitlinien| Die europäische Leitlinie empfiehlt den Einsatz von Harnstoff, einer nicht wissenschaftlich korrekt untersuchten Methode. Gleichzeitig lehnt sie Tolvaptan strikt ab - das einzige Präparat, das seine Effektivität in klinischen Studien unter Beweis gestellt hat. Das bedeutet für Ärzte zumindest ein medizinisches, wenn nicht sogar ein juristisches Dilemma. Die amerikanischen Empfehlungen erscheinen hier klarer und spiegeln in unseren Augen eher die Erfahrungen vieler Experten aus der Nephrologie, Endokrinologie und der inneren Medizin wider. Trotzdem wird es klar, dass diese Erfahrungen nur unzureichend durch Daten abgesichert sind.

Schwere symptomatische HN | Gesichert ist zum aktuellen Zeitpunkt, dass die schwer symptomatische HN mit hypertonen Lösungen behandelt werden sollte. Kleinere Studien [23] und eigene Erfahrungen legen aber nahe, dass auch hier Vaptane eine Alternative sind. Sie können, aufgrund der schnell einsetzenden Diurese sogar Vorteile gegenüber der hypertonen Kochsalzlösung haben. Auch die Harnstofftherapie (meist verabreicht über Magensonde) wurde bei schwer symptomatischen Patienten erfolgreich angewandt [19].

Weniger ausgeprägte HN | Zunehmend wächst unser Verständnis über die Bedeutung der weniger ausgeprägten HN. Es bleibt jedoch noch weitgehend unklar, ob und ab wann eine Behandlung sinnvoll ist.

  • Innovative und physiologisch sinnvolle Wirkprinzipien, wie die Vasopressin-Rezeptor-Blockade, müssen daher mit Verstand und, angesichts ihrer Potenz, auch mit Vorsicht eingesetzt werden. Sie stellen aber eine wichtige Erweiterung unseres Arsenals dar.

  • Mit der Harnstoff- und der Furosemid-Salz-Therapie stehen uns weitere Möglichkeiten zur Behandlung der HN zur Verfügung, auch wenn der wissenschaftlich korrekte Nachweis ihrer Wirksamkeit noch aussteht.

Aus praktischen Erwägungen sollte keine dieser Optionen vorschnell abgelehnt oder präferiert werden. Die Haltung der europäischen Leitlinie ist insofern schwer nachvollziehbar. Vielmehr sollten die Erfahrung des behandelnden Arztes, die individuelle Situation und die Präferenz des Patienten bei der Wahl der Therapie den Ausschlag geben.

Therapiekosten | Nicht zuletzt muss auch die wirtschaftliche Seite in die Therapieentscheidung mit einfließen. Mit einem Preis von 103 € pro Tablette bleibt Tolvaptan vorerst denjenigen Situationen vorbehalten, in denen die Flüssigkeitsrestriktion nicht, nicht schnell genug oder nicht ausreichend wirkt. Hierbei ist es durchaus vorstellbar, dass der hohe Preis des neuen Medikaments durch seine hohe Effektivität und die damit reduzierte Therapie- und Krankenhausverweildauer aufgewogen wird.

Konsequenz für Klinik und Praxis
  • Es existiert kein einfacher diagnostischer Algorithmus bei der Abklärung der HN. Die klinische Untersuchung des Volumenhaushalts und die Urin-Natriumkonzentration sind bei der Differenzialdiagnostik wichtig.

  • Die schwer symptomatische HN sollte mit Bolusgaben von 100 ml NaCl 3 % behandelt werden.

  • Zur Therapie der weniger ausgeprägten symptomatischen euvolämen HN stehen Tolvaptan, Harnstoff und Furosemid / Salz zur Verfügung.

  • Studien müssen den Stellenwert der einzelnen Therapieoptionen erst noch untersuchen

  • Die aktuell vorliegenden Leitlinien basieren zu großen Teilen auf Expertenempfehlungen und sollten daher als vorläufig angesehen werden.


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Priv.-Doz. Dr. Volker Burst


ist leitender Oberarzt der Klinik II für Innere Medizin: Nephrologie, Rheumatologie, Diabetologie und Allgemeine Innere Medizin der Uniklinik Köln.


volker.burst@uk-koeln.de

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Prof. Dr. Johannes Hensen


ist Chefarzt der Medizinischen Klinik am Klinikum Nordstadt, Hannover.

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Interessenkonflikt

Die Autoren waren oder sind beteiligt an wissenschaftlichen Projekten, die durch die Firma Otsuka Pharma gesponsert werden. Die Autoren erhielten in den letzten Jahren Vortragshonorare von der Firma Otsuka und waren beteiligt an Advisory Boards der Firma Otsuka Pharma.


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