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DOI: 10.1055/s-0041-101705
Editorial
Publication History
Publication Date:
11 May 2015 (online)
Mit dem Schwerpunkt dieses Heftes wagen wir uns erstmalig in die Versorgungsforschung. Diese wurde insbesondere von Kostenträgern in der ersten Dekade des Jahrtausends stark befördert. Handelt es sich nur um ein Modegebiet, das kurzfristigen und leicht durchschaubaren Interessen einiger Akteursgruppen (neudeutsch stakeholders) im Gesundheitswesen Vorteile bringt, auf lange Sicht einer strengen wissenschaftliche Beurteilung möglicherweise aber nicht standhält? Vermutlich nicht, es kommt jedoch aus meiner Sicht auch darauf an, die Berechtigung der zuvor existierenden Forschungsinstrumente aufrechtzuerhalten und nicht einem neuen, äußerst pragmatisch konzipierten und deshalb für Störfaktoren anfälligen Studientyp zu opfern.
Nach der klassischen Systemtheorie kann das Versorgungssystem als Black Box betrachtet werden. Diese nimmt von außen Input (Patienten mit Beschwerden oder definierten Erkrankungen, therapeutische Angebote) auf, verarbeitet diesen innerhalb des Systems (Throughput, geschieht etwa in Arztpraxen, Kliniken, Apotheken usw.) und gibt den auf diese Weise verarbeiteten Input als Output wieder an die Umwelt ab (etwa als Patientenurteil oder anderen für seine Erkrankung repräsentativen Messwerten). Klingt ein wenig wie die Beschreibung eines Verdauungsapparates? Mit anderen Worten: Alles, was Grundlagen- und klinische Forscher auch auf den Seiten dieser Zeitschrift sonst bewegt und viel Kopfzerbrechen bereitet − z. B. Extraktcharakterisierung und -qualität, Bioverfügbarkeit, Rezeptoren, Metabolisierung und Ausscheidung, Interaktionen, Verträglichkeit, spezifische Kurz- und Langzeitwirksamkeit − wird im Versorgungsforschungsansatz zur Quantité négligeable. Was zählt ist v.a. die Zufriedenheit der Akteure − in 1. Linie des Patienten, dicht gefolgt vom Kostenträger, dann der ursprünglich beratenden bzw. verordnenden Ärzte und Apotheker. Die Versorgungsforschung interessiert sich grundsätzlich nicht für Herkunft und Begründbarkeit der Therapien, würde also auch keinen Unterschied zwischen Phytos und chemisch definierten Pharmaka treffen. Sie knüpft gerne an Therapieergebnissen aus randomisierten Studien, Leitlinien u. Ä. an, um deren Umsetzbarkeit kritisch zu prüfen.
Auf gesetzgeberischer Ebene verspricht das sog. GKV-Versorgungsstärkungsgesetz, der Versorgungsforschung einen mächtigen Anschub zu geben. Die 281 Seiten Gesetzentwurf erfuhren kürzlich Bearbeitung durch 24 Seiten Anträge und rund 1400 Seiten Stellungnahmen (darunter 1,5 Seiten aus der Gesellschaft für Phytotherapie, die seit Kurzem über die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlich Medizinischen Fachgesellschaften AWMF hierzu aufgefordert wird). Unstrittig ist, dass künftig nicht weniger als 300 Mio. Euro pro Jahr für die Versorgungsforschung zur Verfügung stehen − lediglich der Verteilungsmechanismus ist zwischen Behörden und Wissenschaft umkämpft. Diese für Generationen beispiellose Innovation der medizinischen Forschungsförderung wird auch für Naturheilverfahren offen sein! Der Gesetzentwurf enthält neben diesem ausgesprochenen Bonbon leider auch viele Aspekte, die insbesondere die niedergelassenen Ärzte auf die Barrikaden treiben und Hauptgrund für Verzögerungen sind.
Die hier veröffentlichten, vielleicht ersten bescheidenen Ansätze zur Versorgungsforschung mit Phytopharmaka drehen sich etwa darum, ob etwa die Verordnung von Ginkgo nicht nur medizinisch sinnvoll, sondern auch kosteneffektiv sein kann (Beitrag Rainer et al., S. 48). Die zu dieser praktisch äußerst bedeutungsvollen Frage hier vorgestellten Ergebnisse sind so hoffnungsvoll, dass man dem neuen Forschungsförderungstopf gleich ein Anschlussprojekt vorschlagen möchte. Im Ansatz zweifellos originell, wenngleich in den konkreten Ergebnissen eher ernüchternd, ist eine Untersuchung, ob Patienten nach selbstgewählten und oft hart erkämpften vollstationären Behandlungen in den wenigen naturheilkundlichen Klinik-Abteilungen die dort begonnenen Therapien mit Phytoanalgetika in der ambulanten Situation weiterführen (Beitrag Beer et al., S. 53).
Nachwuchsförderung ist eine der vornehmsten und auch äußerst befriedigenden Aufgaben jedes Fachgebietes. Davon zeugt aktuell der Bericht vom diesjährigen „Young Researcher Award“ (S. 75). Bitte weisen Sie Nachwuchswissenschaftler auf diese und die zahlreichen anderen Forschungsförderungen hin, die die ZPT seit Jahren gerne regelmäßig annonciert, z. B. den Phytotherapie-Preis 2015 der GPT (S. 70).
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