Schlüsselwörter
Dyspnoe - Schilddrüse - Trachea - spinale Osteophytose - Thyreoidektomie - Mikrochirurgie
Keywords
dyspnea - thyroidea - trachea - spinal osteophytosis - thyreoidectomy - microsurgery
In seltenen Fällen kann sich bei Menschen mit einer Schilddrüsenerkrankung durch tracheo–ösophageale Kompression eine lebensbedrohliche Dyspnoe entwickeln. Besonders kritisch wird es, wenn nicht nur eine Struma auf die Luftröhre drückt – sondern zusätzlich noch ventrale Spondylophyten.
Anamnese | Eine 79-jährige Patientin mit Stridor und sich aufpfropfenden Attacken höchster Atemnot musste notfallmäßig stationär aufgenommen werden. Sie litt bereits seit Jahren unter Schmerzen der Halswirbelsäule mit Ausstrahlung in beide Schultern. Vor 30 Jahren wurde bei ihr eine Struma operiert. Seit 8 Monaten hatte sie Atembeschwerden. Diese traten insbesondere bei Kopfbeugung und im Liegen auf. Die Patientin konnte schließlich nur im Sitzen und mit Hilfe einer Halsorthese ihren Kopf so halten, dass sie noch ausreichend Luft bekam.
Veränderte Struma | Eine Technetium-Szintigrafie 2 Monate zuvor hatte bei euythyreoter Stoffwechsellage eine rechtsbetonte, multinodös veränderte Struma mit homogener Speicherung ergeben. Sonografisch bestätigte sich eine Struma nodosa (Volumen rechts 115 ml, links 136 ml) mit echoarmen Knoten. Da eine Behandlungsindikation für die Struma bereits gestellt worden war, wurde die Patientin als internistischer Notfall aufgenommen.
Untersuchungsbefund | Die körperliche Untersuchung ergab folgende Werte und Befunde:
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reduzierter Allgemeinzustand
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adipöser Ernährungszustand (159 cm, 96,5 kg, BMI 39 kg / m2)
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Blutdruck 190 / 105 mmHg (rechter Arm; im Verlauf Werte bei 130–150 / 80 mmHg)
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Puls 80 / min
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Körpertemperatur 36,6 °C
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bei Kopfbeugung und im Liegen Stridor mit Dyspnoeattacke
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Schilddrüse anstoßend tastbar beim Schluckakt
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Pulmo: diskretes exspiratorisches Giemen, keine feuchte Rasselgeräusche
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Cor: rhythmisch, tachykard
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Abdomen: adipös, Darmgeräusche träge, kein Druckschmerz
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Leber und Milz nicht zu beurteilen
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neurologische Untersuchung unauffällig
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vergrößerte Schilddrüse tastbar
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Schaden des N. laryngeus recurrens links nach Operation einer Struma vor 30 Jahren
Die Recurrensparese bestand seit der ersten Schilddrüsenoperation. Nachgewiesen wurde sie durch eine präoperative HNO-Untersuchung und auch intraoperativ mittels Neuromonitoring.
Tracheoskopie | In Anbetracht der erheblichen Atemnot fand eine Tracheoskopie statt. Hier war überraschend eine dorsale Raumforderung der Trachealwand mit Einengung des Tracheallumens zu erkennen (Abb.
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]).
Abb. 1 Stenosierende Impression (Pfeil) der Pars membranacea unterhalb des Ringknorpels. Im weiteren Verlauf wurde deutlich, dass es sich um ventrale Spondylophyten an der Halswirbelsäule handelt.
Spinale CT- und MRT | Die Nativaufnahmen der Halswirbelsäule (HSW) (Abb.
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A) zeigten bereits ausgedehnte, ventrale Spondylophyten der mittleren und unteren HWS mit Ventralverlagerung und Einengung der Trachea. Die Befunde kamen in der spinalen Computertomografie (Abb.
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2
]
B) noch eindrucksvoller zur Darstellung. Die MRT-Untersuchung (Abb.
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2
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C) ließ erkennen, dass keine intraspinalen Raumforderungen vorlagen.
Abb. 2 HWS-Befunde bei einer Patientin mit Knotenstruma und Atemnot. (A) Ventrale Spondylophyten der HWS in den Nativaufnahmen. (B) Im CT-Bild 50 % ige Einengung der Trachea und Verlagerung des Ösoaphagus. (C) In der MRT-Aufnahme kein Hinweis auf eine intraspinale Raumforderung.
Struma-OP und Entfernung der Spondylophyten | Eine Radiojod-Therapie kam aufgrund des großen Volumens der Struma nicht in Betracht. Deshalb wurde viszeralchirurgisch eine Thyreoidektomie unter Monitoring und Schonung des N. laryngeus recurrens rechts durchgeführt. Im mikrochirurgischen Teil der Operation wurde über den gleichen Zugang die tiefe Halsfaszie gespalten. Anschließend konnte man die Spondylophyten darstellen und mit der Diamantfräse entfernen. Die Zwischenwirbelräume wurden nicht tangiert, eine operative Fusionierung von Bewegungssegmenten war nicht erforderlich.
Verlauf | Bereits 24 Stunden nach dem Eingriff konnte die Patientin die Halsorthese ablegen, frei atmen und halb-flüssige Kost zu sich nehmen. Für einige Tage hatte sie leichte Schmerzen beim Schlucken, bei Entlassung nach 8 Tagen war das Essen wieder uneingeschränkt möglich. Bei der Nachuntersuchung 12 Monate später sistierten Dyspnoe und Dysphagie weiterhin vollständig. Die Nativaufnahme der HWS (Abb.
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3
]) zeigte die Resektion der Spondylophyten. Der Patientin wurden halbjährliche klinische und radiologische Verlaufskontrollen angeraten. Wegen einer Medikamentenunverträglichkeit wurde auf Diclofenac verzichtet.
Abb. 3 HSW-Nativaufnahme ein Jahr nach Operation. Es ist keine ventrale Spondylose mehr erkennbar.
Diskussion
Dyspnoe durch Schilddrüsenerkrankung | Etwa bei 3 % der Patienten mit tracheo–ösophagealer Kompression infolge einer Schilddrüsenerkrankung entwickelt sich eine lebensbedrohliche Dyspnoe [1]. Meist geht dabei eine lange Krankengeschichte mit Atemnot und Schluckstörungen voraus [12]. Eine Struma ist oft vordiagnostiziert [1], [2], [3], [4], [5]. Als besonders anfällig für solch drastische Verläufe gelten Patienten mit Riedel-Struma und akut-subakuter Thyreoiditis der Quervain. Seltener sind akut eingeblutete Strumaknoten oder Zysten und maligne Erkrankungen Grund für die Probleme [4].
Dyspnoe durch Spondylophyten | Dysphagie und Dyspnoe tritt selten auch bei Patienten mit ausgedehnten, ventralen Knochenanbauten der Halswirbelsäule durch spondylophytäre Kompression von Trachea oder Ösophagus auf [6]. Die Patienten haben über lange Zeit kaum Beschwerden. Die Diagnose wird meist erst gestellt, wenn der Zusammenhang unübersehbar geworden ist [6]
[7], [8]. Wir berichten erstmalig über eine Kombination aus thyroidaler und spondylophytärer Kompression von Luft- und Speiseröhre mit schwerster Atemnot.
Dysphagie häufiger als Dyspnoe | Es ist unbestritten, dass eine ausgeprägte, ventrale Spondylose der HWS zu Beschwerden durch Ösophagus- oder Tracheakompression führen kann. Laut Fallberichten kommt die Dysphagie häufiger vor als die Dyspnoe [6]
[7], [8] – was aufgrund der Anatomie nicht verwunderlich ist.
Häufiger als angenommen? | Das Krankheitsbild der ventralen Kompression durch eine Spondylose gilt als sehr selten [6]. Aktuell wurden weltweit 60–70 Fallberichten publiziert. Dennoch können die Autoren aus persönlicher Erfahrung mitteilen, dass viele Neurochirurgen solch einen Fall im Verlauf ihrer Tätigkeit gesehen haben. Vermutlich ist das Erkrankungsbild häufig – die meisten Fälle werden jedoch nicht publiziert. Außerhalb der Wirbelsäulenchirurgie ist das Krankheitsbild weniger bekannt.
Assoziierte Krankheitsbilder | Die ventrale Spondylose der HWS mit ventraler Kompressionssymptomatik kann mit der diffusen idiopathischen Hyperostose (diffuse idiopathic skeletal hyperostosis (DISH) assoziiert sein [9], [10]. Diskutiert wird auch ein Zusammenhang mit dem Morbus Forrestier und mit chronischer Polyarthritis [8]
[9], [10]. Außerdem wurde eine Verschlimmerung durch chiropraktische Maßnahmen beschrieben [8].
Diagnostisches Prozedere | Das bemerkenswerte an unserem Fall ist die Koinzidenz von Knoten-Struma und ventraler Spondylose mit erheblicher Dyspnoe. Vor allem der Tracheoskopiebefund zeigt, dass die Beschwerden der Patientin wahrscheinlich überwiegend durch die HWS-Veränderungen bedingt waren. Die Abfolge der diagnostischen Maßnahmen in diesem Notfall führte zur Problemlösung: Die Patientin war zur Operation bereits geplant und zunächst entsprechend als internistischer Notfall aufgenommen worden. Über die Tracheoskopie wurde dann die HWS-Spondylose erkannt. Der Fallbericht mahnt dazu, gerade bei der Kombination aus Struma mit Dysphagie oder Dyspnoe auch an zusätzliche HWS-Veränderungen zu denken.
HWS-Stenosen in Betracht ziehen | Unsere Patientin hatte eine Vorgeschichte mit Zervikobrachialgien und Zephalgien. Beides ist typisch und wegweisend für den Befund. Allerdings trifft man diese Symptome bei vielen älteren Patienten an – mit und ohne Strumen. Wichtiger scheint also, die Möglichkeit der ventralen Spondylose in Betracht zu ziehen und dies mit einer HWS-Nativaufnahme zu klären.
Es kommt immer wieder vor, dass eine komprimierenden HWS-Stenose übersehen wird und sich die Verläufe dramatisch entwickeln – z. T. bis zur notfallmäßigen Tracheotomie [7].
Operative Behandlung | Die operative Versorgung der ventralen Spondylose der HWS ist unkompliziert, eine Ausräumung von Bandscheibenfächern ist kaum indiziert [11]. Die in unserem Fall vorangegangene Strumaresektion [12] vereinfachte den Zugang zur ventralen Halswirbelsäule. Das kombinierte operative Vorgehen in einem Eingriff ist nach unserer Erfahrung anzuraten.
Prognose
Therapiedauer | Es gibt Literaturhinweise, nach denen sich die Spondylose Jahre nach der Operation erneut ausbilden [13] und Diclofenac die Rezidivrate senken kann [13], [14]. Dabei finden sich in der Literatur keine Empfehlungen zur Dosierung oder Therapiedauer. Die Nachbehandlung ist nicht standardisiert, zumal das Nebenwirkungsprofil des Medikamentes schwerwiegend sein kann [15]. Empfohlen werden mehrjährige Nachuntersuchungen mittels HWS-Nativaufnahmen. Manche Autoren sprechen von bis zu 10 Jahren Nachuntersuchungszeit [6], [7]. Verlässliche Empfehlungen gibt es aber nicht.
Konsequenz für Klinik und Praxis
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Bei der Kombination aus Struma und Dyspnoe sollte man immer an ventrale Osteophyten der Halswirbelsäule denken.
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Mit einer HWS-Nativaufnahme kann man den Verdacht schnell überprüfen.
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Übersieht man eine Spondylose, die die Trachea komprimiert, kann das dramatische Folgen haben.
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Einmal erkannt, ist die operative Behandlung der Spondylophyten nicht schwierig.
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Der Zwischenwirbelraum muss nur selten ausgeräumt werden.
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Das kombinierte Vorgehen mit Schilddrüsenresektion und Zugang zur Wirbelsäule ist bei Kombination beider Pathologien unproblematisch.