Intensivmedizin up2date 2015; 11(03): 187-191
DOI: 10.1055/s-0041-103449
SOPs in der Intensivmedizin
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

SOP Hämodynamisches Monitoring

Björn Ellger
,
Julian Bösel
,
Tobias Schürholz
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Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Björn Ellger
Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin
Universitätsklinikum Münster
Albert-Schweitzer-Straße 33

Publication History

Publication Date:
11 August 2015 (online)

 

Einleitung zur Rubrik

In dieser Rubrik stellen wir Standard Operating Procedures (SOPs) für häufige, intensivmedizinisch relevante Prozesse vor. Die Form ist eher im Sinne einer Schablone zu verstehen als – durchaus subjektiv gefärbte – Anregung, eigene, auf lokale Gegebenheiten adaptierte stationsinterne SOPs zu entwerfen und zu implementieren.


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Einleitung zur SOP Hämodynamisches Monitoring

Evidenz-basierte Empfehlungen für den Einsatz des hämodynamischen Monitorings existieren derzeit nur für den Bereich der herzchirurgischen Intensivmedizin [1]. Für alle anderen Patienten stützt sich die vorliegende SOP im Wesentlichen auf Prinzipien der „good clinical practice“. Dies liegt vor allem an der schwachen Evidenz und macht das hämodynamische Monitoring zu einem sehr kontroversen Thema. Einige Parameter unterliegen sehr vielen Einflussfaktoren, sodass man sie immer mit Vorsicht interpretieren muss. Individuelle Erfahrungen und Sicherheit im Umgang mit einer Methode spielen eine große Rolle bei der Methodenauswahl. Immerhin mit guter Evidenz abgesichert ist inzwischen, dass der ZVD als Monitoringparameter für den intravaskulären Volumenbedarf des Intensivpatienten unbrauchbar ist [2].

Eine individuelle Anpassung der Therapie an die Patientenbedürfnisse und die sich ändernde Krankheitssituation sowie individuelle Gegebenheiten des Patienten (z. B. nicht kanülierbare Arterien, Kontraindikationen für TEE, schlechte Schallbedingungen im TTE) ist notwendig. Generell gilt: so wenig und so wenig invasiv wie möglich, so viel und so invasiv wie nötig. Nichtinvasive Verfahren (z. B. EKG, Pulsoximetrie) sind in der Regel zuverlässig, kostengünstig und schnell verfügbar, was von vielen invasiven Verfahren nicht behauptet werden kann. Vor allem die invasiven Verfahren haben immer Komplikationsmöglichkeiten (z. B. Ösophagusverletzungen bei der Transösophagealen Echokardiografie (TEE), Infektionen beim ZVK, Klappenverletzungen oder Rhythmusstörungen beim pulmonalarteriellen Katheter (PAK)). Gemäß individueller Einschätzung kann das Monitoring um z. B. nichtinvasives HZV-Monitoring ergänzt werden. Evidenz, die ein solches Vorgehen unterstützt oder kategorisch ablehnt, gibt es zur Zeit allerdings so gut wie nicht [3]. Angesichts dessen sollte man nicht versuchen, den Volumenstatus bzw. die Kreislauffunktion des Intensivpatienten anhand nur eines Messwerts zu bestimmen, sondern mehrere Parameter integrieren und gleichzeitig auch auf Plausibilität prüfen. Statt Absolutwerten scheint sich zunehmend die Parameterveränderung auf Volumengabe bzw. -verschiebung durchzusetzen. Man sollte sich immer klar machen, dass nicht valide Messwerte, sei es durch unzureichende Methodik, schlechte Messdurchführung oder Fehlinterpretation, zu falschen Therapieentscheidungen führen können („A fool with a tool is still a fool“). Zur Zeit erarbeitet die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) eine S-3-Leitlinie zum hämodynamischen Monitoring, die die einzelnen Methoden in den Zusammenhängen sicher sinnvoll einordnen und klare Empfehlungen aussprechen wird.

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Erläuterungen zur SOP Hämodynamisches Monitoring

  1. Das Basismonitoring ist wenig invasiv und dient dazu, eine drohende/manifeste hämodynamische Instabilität zu erkennen. Es ist bei allen kritisch kranken Patienten ein obligater Bestandteil der Überwachung. Messintervalle können zunächst vorgegeben werden, müssen dann aber individuell angepasst werden. Auch scheinbar banale Dinge wie Bilanz oder Gewichtsverlauf gehören zum Basismonitoring. Die Registrierung eines 12-Kanal EKGs sollte bei jedem Patienten bei Aufnahme zusätzlich zum kontinuierlichen EKG-Monitoring erfolgen.

  2. Die Definition der hämodynamischen Instabilität ist schwierig und wieder individuell für jeden einzelnen Patienten zu definieren. Auch Zielparameter der Hämodynamiktherapie sollten individualisiert festgelegt werden. Zeichen der mangelhaften Mikroperfusion wie Laktatanstieg, niedrige gemischtvenöse Sättigung, akutes Nierenversagen oder eine schlechte Rekapillarisierungszeit sind genauso relevant wie ein inadäquater Blutdruck (Hyper- und Hypotonie), Arrhythmien, Dyspnoe, Störungen des Gasaustauschs oder eine Veränderung des mentalen Status.

  3. Invasive arterielle Blutdruckmessung: Die arterielle Kanülierung ist wenig invasiv und erlaubt eine kontinuierliche Überwachung des systemarteriellen Druckes. Die Komplikationsraten sind gering, daher kann man die Indikation großzügig stellen. Indikationen:

    • Hämodynamisch instabile Patienten (z. B. Patienten mit manifester/drohender Katecholaminabhängigkeit ab 0,1 µg/Kg/min)

    • Patienten mit respiratorischer Insuffizienz und Beatmungsbedarf

    • Patienten mit bedrohter Organfunktion (z. B. Hirnläsion)

  4. PLR (passive leg raising): In Abwesenheit von Kontraindikationen (z. B. Rechtsherzversagen) stellt das passive Anheben beider Beine des Patienten eine exzellente Möglichkeit dar, einen intravasalen Volumenmangel zu erkennen und die Reagibilität der Kreislaufverhältnisse auf Volumengabe reversibel zu testen. Bei einem Anstieg des arteriellen Mitteldrucks um mehr als 10 % bei PLR kann von einem intravasalen Volumenmangel ausgegangen werden und der Patient profitiert mit recht hoher Wahrscheinlichkeit von einer Volumengabe.

  5. Venöse Oximetrie: Die zentralnervöse O2-Sättigung (ScvO2) gilt als Surrogat für ein ausreichendes Herzzeitvolumen. Aber auch bei maldistributivem Schock oder anderen Sauerstoffverwertungsstörungen kann die ScvO2 normal oder sogar erhöht sein. Eine niedrige ScvO2 kann bei strukturell bedingter Herzinsuffizienz (z. B. Kardiomyopathie, Ischämie) für den Patienten normal sein und Therapiebemühungen resultieren dann nicht in einer Verbesserung der Hämodynamik, sondern lediglich in unerwünschten Ereignissen. Besondere Indikationen sind:

    • Patienten in der Initialphase des septischen Schocks (innerhalb der ersten 6 h): zumindest alle 3 h intermittierende Bestimmung der ScvO2

    • Postoperative herzchirurgische Patienten: bei Aufnahme, nach 4 und 12 h

    • Akut insbesondere bei neu aufgetretener hämodynamischer Instabilität oder nicht stabilisierbarem Schock

  6. Das erweiterte hämodynamische Monitoring dient sowohl dazu, die einer hämodynamischen Instabilität zugrunde liegende Ursache zu erkennen, als auch die hämodynamische Therapie rational zu steuern. Gängige Verfahren sind: Echokardiografie (transthorakal (TTE) oder transösophageal (TEE)), Pulmonalarterienkatheter (PAK), transpulmonale Thermodilution + kalibrierte Pulskonturanalyse (PICCO/EV-1000), unkalibrierte Pulskonturanalyse (FloTrac/Vigileo).

  7. Echokardiografische transösophageale Untersuchungen sollen nur von in der Methode ausgebildeten und erfahrenen Untersuchern durchgeführt werden. Grundsätzlich sollte jeder Patient mit hämodynamischer Instabilität zumindest einmal eine Echokardiografie erhalten zur Detektion von strukturellen Herzerkrankungen (z. B. Vitien) und anderen behebbaren Ursachen (z. B. Perikardtamponade) [4].

  8. Differenzialindikationen zum Einsatz des erweiterten hämodynamischen Monitorings. Generell sind diejenigen Verfahren bevorzugt einzusetzen, mit denen der Anwender sich gut auskennt.

    • TEE/TTE (Methodik der ersten Wahl, jeder Patient mit hämodynamischer Instabilität braucht eine Ultraschalluntersuchung):
      – hämodynamische Instabilität unklarer/kardialer Genese
      – (Klappen)Vitien
      – (regionale/globale) systolische und diastolische Pumpfunktion von beiden Ventrikeln
      – Endokarditisverdacht
      – Ausschluss intrakavitärer Thromben (TEE)

    • PAK [5] (vor allem wenn kontinuierliche Aussagen über das pulmonale Strombett benötigt werden):
      – hämodynamische Instabilität kardialer Genese
      – Rechtsherzversagen
      – schwerer pulmonaler Hypertonus
      – ggf. ARDS
      – ggf. Patienten, bei denen inhalierte Vasodilatatoren zum Einsatz kommen (inhalatives NO, inhaliertes Iloprost)

    • PICCO/EV-1000 (vor allem, wenn ein kontinuierliches Monitoring über einen längeren Zeitraum gebraucht wird):
      – Patienten mit anhaltend hohem Katecholaminbedarf für > 6 Stunden (z. B. Noradrenalin oder Adrenalin > 0,5 µg/kg/min) trotz adäquater Volumentherapie
      – Hämodynamisch instabile Patienten (wenn genaue Abschätzung von Vorlast und EVLW wichtig erscheint)
      – Patienten, bei denen die Ursache für die hämodynamische Instabilität nicht offensichtlich ist
      – ggf. ARDS
      – ggf. Patienten, bei denen inhalierte Vasodilatatoren zum Einsatz kommen (inhalatives NO, inhaliertes Iloprost)

    • Kontraindikationen/Nutzungseinschränkungen zum Einsatz des erweiterten hämodynamischen Monitorings
      – TTE: keine, kann aber technisch schwierig sein (z. B. kritische Physiognomie, Emphysem)
      – TEE:
      – absolut: Tumoren des oberen Gastrointestinaltrakts, Ösophagusruptur, bekannte Strikturen
      – relative: Malformationen, Blutungen, Varizen und Zustand nach chirurgischen Eingriffen im Bereich des oberen Gastrointestinaltrakts
      – PAK:
      – absolut: Rechtsherzendokarditis, Thromben im rechten Herzen, mechanische Trikuspidal- oder Pulmonalklappe
      – Eingeschränkter Nutzen bei relevanten Klappeninsuffizienzen
      – PICCO/EV-1000: Einschränkungen für die Nutzung: arterielle Verschlusskrankheit, signifikante Klappeninsuffizienzen, intraarterielle Gegenpulsation oder extrakorporale Zirkulation, SVV ist nur unter kontrollierter mechanischer Ventilation und bei Sinusrhythmus verwertbar

  9. Vergleich der Verfahren des katheterbasierten erweiterten hämodynamischen Monitorings. Da es sinnvoll ist, individuelle Trigger für die Erweiterung des Monitorings festzulegen, kann das Erreichen einer bestimmten Katecholamindosis (z. B. 0,5 µg/kg/min) oder eine bestimmte zugeführte Volumenmenge als Trigger definiert werden. Generell muss man sagen, dass es kaum Studien gibt, die einen Vorteil des erweiterten Monitorings gegenüber einer Standardtherapie zeigen. Die Diskussion hierüber ist aber nicht Gegenstand dieser SOP. In den Händen des Geübten bieten aber die Verfahren wertvolle Zusatzinformationen über den Patienten, die in das Gesamtbild integriert werden müssen.

  10. Aus dem hämodynamischen Monitoring muss eine Therapie erwachsen. Hier gibt es publizierte Vorschläge, die in dieser SOP aber nicht weiter vertieft werden sollen. Ein gut publiziertes Beispiel unter Einbeziehung des PAK sei hier einmal exemplarisch wiedergegeben [6]. Es sei angemerkt, dass über jeden der zur Entscheidung angegebenen Absolutwerte, insbesondere der Transfusionstrigger, vortrefflich gestritten werden kann.

Tabelle 1

Gegenüberstellung der wichtigsten Spezifika einzelner Monitoringverfahren

PAK

PICCO/EV-1000

FloTrac/Vigileo

HZV-Messung

Pulmonalarterielle Thermodilution: kontinuierlich vs. intermittierend

Transpulmonale Thermodilution + Pulskonturanalyse

Unkalibrierte Pulskonturanalyse

Vorlast

ZVD, PAOP:

Bilden die kardiale Vorlast nur ungenügend ab, sind aber wichtige Verlaufsparameter zur Abschätzung der ventrikulären Compliance und des Füllungszustandes

ITBI, GEDI:

Relativ genaue Abschätzung der kardialen Vorlast

Nachlast

SVR

PVR

Der PAK stellt die einzige Möglichkeit dar, die RV-Nachlast kontinuierlich zu überwachen

SVR

SVR

Volumenreagibilität

SVV/PPV

SVV

Andere Parameter

ScvO2

Sauerstoffstatus: DO2/VO2

EVLW

Invasivität

Hoch

Mittel

Niedrig

Nachteile

Hohe Invasivität und Komplikationen (z. B. Infektionen, Arrythmien, Klappenschäden)

Spezieller Katheter erforderlich, femorale/brachiale Punktion erforderlich

Außer HZV wenig zusätzliche Parameter

Sehr schlecht validiert

Vorteile

Klinischer Goldstandard der HZV-Messung, umfassender hämodynamischer Status, hoher edukativer Wert

Volumetrie

Kann mit jedem Katheter in jeder Arterie messen

„Plug and Play“

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Nach: Pinsky M, Vincent J-L: Let us use the pulmonary artery catheter correctly and only when we need it. Crit Care Med 2005; 33 1119 – 1122 [6].

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Abkürzungen

DO2 : Sauerstoffangebot
GEDI: globales enddiastolisches Volumen (Index)
ITBI: intrathorakales Blutvolumen (Index)
EVLW: extravaskuläres Lungenwasser
HZV: Herzzeitvolumen
PAOP: pulmonalarterieller Okklusionsdruck
PAK: pulmonalarterieller Katheter
pHT: pulmonalarterielle Hypertonie
PLR: passive leg raising
PPV: Pulsdruckvariation
PVR: pulmonalvaskulärer Widerstand
ScvO2 : zentralvenöse Sauerstoffsättigung
SaO2 : arterielle Sauerstoffsättigung
SVR: systemvaskulärer Wiederstand
SVV: Schlagvolumenvarianz
TEE: transösophageale Echokardiografie
TTE: transthorakale Echokardiografie
VO2 : Sauerstoffverbrauch
ZVD: zentralvenöser Druck


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Über die Autoren


Björn Ellger

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Prof. Dr. med. Björn Ellger ist Leiter der operativen Intensivstationen des Universitätsklinikums Münster. E-Mail: ellger@anit.uni-muenster.de


Julian Bösel

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PD Dr. med. Julian Bösel ist Oberarzt der neurologischen Intensivstation des Universitätsklinikums Heidelberg. E-Mail: julian.boesel@med.uni-heidelberg.de


Tobias Schürholz

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PD Dr. med. Tobias Schürholz ist leitender Oberarzt der Klinik für Operative Intensivmedizin und Intermediate Care des Universitätsklinikums Aachen. E-Mail: tschuerholz@ukaachen.de


Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Björn Ellger
Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin
Universitätsklinikum Münster
Albert-Schweitzer-Straße 33


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Nach: Pinsky M, Vincent J-L: Let us use the pulmonary artery catheter correctly and only when we need it. Crit Care Med 2005; 33 1119 – 1122 [6].