Dtsch Med Wochenschr 2015; 140(21): 1627-1628
DOI: 10.1055/s-0041-103500
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Hätten Sie’s gewusst?
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Thrombozytopenien

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Publication Date:
21 October 2015 (online)

 

    Woran denken Sie, wenn Sie so etwas sehen?

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    Bildnachweis: Siegenthaler W. Siegenthalers Differenzialdiagnose. 19. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2005: 459

    Antwort Es liegen punktuelle Blutungen vor, ich denke an eine Thrombozytopenie.


    Kommentar Thrombozytopenie: typische, flohstichartige Blutungen.

    Bitte sehen Sie sich das folgende Blutbild an und sagen Sie, was Ihnen auffällt:

    • Leukozyten 6200 / μl,

    • Hb 10,2 g / dl,

    • MCV 108 fl,

    • MCH 36 pg,

    • Thrombozyten 48 000 / μl.

    Antwort Es besteht eine ausgeprägte Thrombozytopenie, außerdem eine hyperchrome makrozytäre Anämie. Auffällig ist die normale Leukozytenzahl.

    Kommentar Thrombozytopenie:

    Thrombozytenzahl < 140 000 / μl.

    An welche möglichen Ursachen einer Thrombozytopenie denken Sie, wenn Sie ein solches Blutbild sehen?

    Antwort Da ganz im Vordergrund die ausgeprägte Thrombozytopenie steht, die Anämie mäßig ist und die Leukozytenzahl normal, denke ich ursächlich an einen gesteigerten Abbau der Thrombozyten und weniger an eine Bildungsstörung im Knochenmark.

    Kommentar Ursachen einer Thrombozytopenie:

    • verminderte Bildung im Knochenmark,

    • gesteigerter Abbau,

    • kombinierte Bildungs- und Abbaustörung,

    • Pseudothrombozytopenie.

    Regel Thrombozytopenie: Verminderte Bildung, gesteigerter Abbau, Kombination und: Pseudothrombozytopenie.

    Bei der Patientin, von der dieses Blutbild stammt, wurden zusätzlich folgende Laborwerte erhoben:

    • GOT 84 U / l,

    • GPT 18 U / l,

    • Gamma-GT 356 U / l,

    • Cholinesterase 1474 U / l.

    Helfen Ihnen diese Angaben für die weitere Ursachenabklärung weiter?

    Antwort Ja, die deutliche Erniedrigung der Cholinesterase spricht für eine Leberzirrhose. Da eine Makrozytose vorliegt und die Gamma-GT stark erhöht ist, ist an eine alkoholtoxische Leberzirrhose zu denken.

    Kommentar Thrombozytopenie bei alkoholtoxischer Leberzirrhose:

    kombinierte Bildungs- und Abbaustörung der Thrombozyten durch Bildungsstörung im Knochenmark und Hypersplenismus.

    Halten Sie die Patientin, bei der der Wert von 48 000 Thrombozyten / μl gemessen wurde, für blutungsgefährdet?

    Antwort Wenn die Thrombozytopenie das einzige Problem der Patientin wäre, bestünde nur eine geringe Blutungsgefährdung. Wenn eine Leberzirrhose als Ursache vorliegt, ist auch mit einer Störung der plasmatischen Gerinnung zu rechnen. Damit wäre die Patientin dann gefährdet.

    Kommentar Ist die Zahl der funktionsfähigen Thrombozyten > 30 000 / μl bei intakter plasmatischer Gerinnung und intakter Gefäßfunktion, besteht keine Blutungsgefahr.

    Wie würden Sie diagnostisch vorgehen bei einer nachgewiesenen Thrombozytopenie?

    Antwort Anamnese, körperliche Untersuchung, Sonografie des Abdomens, Laboruntersuchungen und Knochenmarkpunktion.

    Kommentar Diagnostisches Vorgehen bei Thrombozytopenie:

    1. Anamnese:

      • bisheriger Verlauf,

      • Begleiterkrankungen,

      • vorausgegangene Infekte,

      • Medikamenteneinnahme,

    2. körperlicher Untersuchungsbefund:

      • Fahndung nach petechialen Blutungen,

      • Splenomegalie,

      • Lymphknotenvergrößerungen,

    3. Sonografie des Abdomens:

      • Splenomegalie,

      • Zeichen der Lebererkrankung,

      • intraabdominale Lymphome,

    4. Laborwerte:

      • thrombozytäre Antikörper,

    5. Knochenmarkpunktion:

      • Megakariozyten vermindert oder vermehrt.

    Welche Krankheiten führen zu einer verminderten Thrombozytenbildung im Knochenmark?

    Antwort Knochenmarkinfiltration durch hämatologische Malignome oder Karzinome, Knochenmarkschädigung durch Medikamente, Toxine oder Infektionen, selten kongenitale Störungen, Vitamin-B12- und Folsäuremangel.

    Kommentar Thrombozytopenie durch verminderte Bildung im Knochenmark:

    1. kongenital,

    2. Medikamente (Zytostatika, Immunsuppressiva),

    3. Toxine (Benzol),

    4. Infektionen (z. B. HIV-Infektion),

    5. alkoholtoxische Leberzirrhose,

    6. Knochenmarkinfiltration durch Malignome: Leukämien, Lymphome, Karzinome,

    7. Osteomyelosklerose,

    8. Vitamin-B12- oder Folsäuremangel.

    Warum erwähnten Sie vorhin bei der Anamneseerhebung vorausgegangene Infekte?

    Antwort Da postinfektiös Autoantikörper gegenüber Thrombozyten auftreten können.

    Kommentar Thrombozytopenie durch antithrombozytäre Autoantikörper:

    1. akute postinfektiöse Thrombozytopenie,

    2. chronische thrombozytopenische Purpura (Morbus Werlhof),

    3. sekundäre Autoimmunthrombozytopenien (Lupus erythematodes, maligne Lymphome, HIV-Infektion),

    4. medikamenteninduzierte Thrombozytopenie (z. B. Cotrimoxazol, Chinidin),

    5. heparininduzierte Thrombozytopenie,

    6. Alloimmunthrombozytopenie (Posttransfusionsthrombozytopenie, neonatale Alloimmunthrombozytopenie).

    Können Sie etwas zur heparininduzierten Thrombozytopenie sagen?

    Antwort Seltene Thrombozytopenie nach Heparin. Es werden zwei Typen unterschieden. Typ I tritt frühzeitig auf, meist nur geringe Thrombozytopenie. Typ II tritt nach 5–20 Tagen auf, häufig schwer verlaufend.

    Kommentar Heparininduzierte Thrombozytopenie:

    Typ I:

    • Auftreten nach 2 Tagen,

    • Thrombozytenzahl > 100 000 / μl,

    • spontane Normalisierung,

    Typ II:

    • Auftreten nach 5–20 Tagen,

    • Thrombozytenzahl < 80 000 / μl,

    • Komplikationen: arterielle und venöse Thrombosen, Verbrauchskoagulopathie.

    Regel Heparininduzierte Thrombozytopenie: Typ I früh, Typ II spät.

    Ihnen wird eine 32-jährige Patientin vom Frauenarzt zugewiesen. Bei ihr war eine vermehrte und verlängerte Periodenblutung aufgefallen. Im Blutbild zeigt sich eine Thrombozytopenie von 25 000 / μl. Der körperliche Untersuchungsbefund ist unauffällig, ebenso die Sonografie, insbesondere besteht keine Splenomgalie. Sie haben den Verdacht auf einen Morbus Werlhof. Wie gehen Sie weiter vor?

    Antwort Fahndung nach antithrombozytären Antikörpern, Nachweis einer gesteigerten Megakariozytopoese, Ausschluss einer anderen Ursache der Thrombozytopenie.

    Kommentar Morbus Werlhof, diagnostische Kriterien:

    1. Thrombozytenüberlebenszeit reduziert,

    2. antithrombozytäre Antikörper,

    3. im Knochenmark Megakariozyten normal oder vermehrt,

    4. keine Splenomegalie,

    5. Ausschluss einer anderen Ursache der Thrombozytopenie (insbesondere sekundäre Immunthrombozytopenien: SLE, Lymphome, HIV-Infektion, medikamenteninduzierte Immunthrombozytopenie).

    Sollten Sie diese Patientin behandeln?

    Antwort Ja, da die Thrombozytenwerte unter 30 000 / μl liegen.

    Kommentar Therapieindikation bei chronischer immunthrombozytopenischer Purpura (Morbus Werlhof):

    1. Thrombozyten < 30 000 / μl,

    2. klinisch manifeste Blutungsneigung.

    Halten Sie es für sinnvoll, die Milz zu entfernen, auch wenn sie nicht vergrößert ist?

    Antwort Die Splenektomie gehört zu den Behandlungsmöglichkeiten bei Morbus Werlhof, da die Milz der Hauptabbauort der Thrombozyten ist.

    Kommentar Splenektomie bei Morbus Werlhof:

    • Entfernung des Hauptabbauortes der Thrombozyten,

    • Entfernung des Hauptbildungsortes der antithrombozytären Antikörper.

    Halten Sie die Splenektomie für die Therapie der ersten Wahl bei Morbus Werlhof?

    Antwort Nein. Vorher sollte ein Behandlungsversuch mit Kortikosteroiden durchgeführt werden.

    Kommentar Therapeutisches Vorgehen bei immunthrombozytopenischer Purpura (ITP):

    akute ITP:

    • mit Thrombozyten > 30 000 /μl ohne Blutungsneigung: Zuwarten möglich, häufig spontane Rückbildung nach 4 – 6 Wochen,

    chronische ITP:

    • wenn innerhalb von 3 Monaten keine Normalisierung eintritt, ist Chronizität anzunehmen, geringe spontane Remissionstendenz,

    Behandlung:

    • Kortikosteroide (1 – 2 mg/kg KG/d),

    • Splenektomie bei fehlendem Ansprechen auf Kortikosteroide,

    Weitere Therapiemöglichkeiten:

    • Rituximab

    • Azathioprin

    • Cyclophosphamid

    • Ciclosporin

    • Vincristin

    Notfalltherapie bei schwerer Blutung:

    • Immunglobuline i. v. + hoch dosierte Kortikosteroide + Einzelspenderthrombozyten.

    Regel Morbus Werlhof: Vor Splenektomie Kortikosteroide!

    Nachdruck aus:
    Berthold Block, Facharztprüfung Innere Medizin, 3000 kommentierte Prüfungsfragen
    4. Aufl., kompl. überarb. akt. 2011, 576 S., 106 Abb., kart. ISBN: 9783131359544


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    Bildnachweis: Siegenthaler W. Siegenthalers Differenzialdiagnose. 19. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2005: 459