Dtsch Med Wochenschr 2015; 140(17): 1294-1295
DOI: 10.1055/s-0041-103503
Fachwissen
Tübinger Fall
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Diagnose und Differenzialdiagnose des Cushing-Syndroms – Fall 3/2015

Diagnosis and differential diagnosis of Cushing‘s syndrome
Britta Besemer
1   Abteilung für Onkologie, Hämatologie, Klinische Immunologie, Rheumatologie und Pulmologie, Medizinische Klinik, Universitätsklinikum Tübingen
,
Jürgen Honegger
2   Klinik für Neurochirurgie, Universitätsklinikum Tübingen
,
Antje Bornemann
3   Institut für Hirnforschung, Universitätsklinikum Tübingen
,
Patrick Adam
4   Institut für Pathologie, Universitätsklinikum Tübingen
,
Marius Horger
5   Abteilung für Diagnostische und Interventionelle Radiologie, Radiologische Klinik, Universitätsklinikum Tübingen
,
Christiane Maser-Gluth
6   Steroidlabor, Pharmakologisches Institut, Ruprechts-Karl Universität Heidelberg
,
Karsten Müssig
7   Klinik für Endokrinologie und Diabetologie, Universitätsklinikum Düsseldorf
8   Institut für Klinische Diabetologie, Deutsches Diabetes-Zentrum, Leibniz-Zentrum für Diabetesforschung an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
9   Deutsches Zentrum für Diabetes-Forschung (DZD) e.V., Partner Düsseldorf
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Korrespondenz

Prof. Dr. med. Karsten Müssig
Institut für Klinische Diabetologie
Deutsches Diabetes-Zentrum
Auf‘m Hennekamp 65
40225 Düsseldorf
Phone: 0211/3382 218   
Fax: 0211/3382 690   

Publication History

Publication Date:
25 August 2015 (online)

 

Beim Cushing-Syndrom produziert der Körper zu viel Kortisol oder erhält zu viele synthetische Glukokortikoide. Die Diagnose des Hyperkortisolimus ist anhand der Anamnese und klinischen Symptome meist rasch gestellt. Aufgrund der Bandbreite an möglichen Ursachen ist die Differenzialdiagnostik jedoch alles andere als trivial. Lesen Sie hier in Kurzform zwei Fälle von Patientinnen mit Cushing-Syndrom und erfahren Sie mehr über die vielfältigen Ursachen. Den ausführlichen „Tübinger Fall“ mit allen Details zu den Patientinnen und Untersuchungen, vielen Abbildungen und den Hintergründen finden Sie im Internet.


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Hormoneller Regelkreis

Bildung in der Nebennierenrinde | Die Kortisol-Produktion in der Nebennieren wird über die hypothalamisch-hypophysäre Achse stimuliert:

  • Kortikotropin-Releasing-Hormon (CRH): im Hypothalamus gebildet; stimuliert Hypophyse

  • adrenokortikotropes Hormon (ACTH): in Hypophyse gebildet; stimuliert Nebennierenrinde

Kortisol und ACTH hemmen wiederum die CRH-Sekrektion.

Zirkadiane Rhythmik | Die Kortisol-Ausschüttung unterliegt einer ausgesprochenen zirkadianen Rhythmik. Dabei werden die höchsten Werte am frühen Morgen und die niedrigsten gegen Mitternacht verzeichnet.


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Ursachen des Cushing-Syndroms

Iatrogen | Meist entsteht das Cushing-Syndrom iatrogen durch eine Langzeittherapie mit Glukokortikoiden, z. B. bei

  • chronisch entzündlichen Darmerkrankungen,

  • chronische Bronchitis (COPD) und

  • rheumatischen Erkrankungen.

ACTH-abhängig | In 85 % der Fälle eines endogenen Hyperkortisolismus liegt ein ACTH-abhängiges Cushing-Syndrom vor. Zwei Formen werden unterschieden:

  • zentral / hypophysär (Morbus Cushing; 80 %): meist bedingt durch ein Hypophysenadenom, selten -karzinom

  • ektop (paraneoplastisch; 20 %): z. B. bei Bronchialkarzinom oder Bronchuskarzinoid

Cave Aufgrund des schnellen Tumorwachstums bilden sich bei einem kleinzelligen Bronchialkarzinom die klinischen Stigmata des Hyperkortisolismus häufig nicht aus.

ACTH-unabhängig | 15 % der Fälle eines endogenen Hyperkortisolismus werden ACTH-unabhängig von Adenomen bzw. Karzinomen der Nebennierenrinde verursacht (jeweils 50 %).


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Kasuistik 1: 50-jährige Patientin

Anamnese | Eine 50-jährige Frau berichetet über eine Gewichtszunahme von 15 kg in den letzten 3 Monaten bei zunehmender Verschlechterung des Allgemeinzustands. Vorerkrankungen:

  • arterielle Hypertonie

  • Diabetes mellitus Typ 2 (orale Antidiabetika)

  • Asthma bronchiale (u. a. 7,5 mg / d Prednisolon)

Klinischer Befund | Der Allgemeinzustand der Patientin war deutlich reduziert, der Ernährungszustand adipös (BMI 60,2 kg / m2).

  • Puls: 125 Schläge / min

  • Blutdruck: 175 /95 mmHg

Es imponierten die klassischen Stigmata des Hyperkortisolismus (Abb.  [ 1 ]).

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Abb. 1 Klassische Stigmata des Hyperkortisolismus: „Vollmondgesicht“ und Gesichtsplethora (A), Büffelnacken und supraklavikuläre Fettpolster (B).

Laboruntersuchungen | Der niedrigdosierte Dexamethsonhemmtest und die Bestimmung von Mitternachts-Serumkortisol und freiem Kortisol im 24-h-Sammelurin sprachen für einen Hyperkortisolismus. Die Differenzialdiagnostik ergab einen Morbus Cushing.

Bildgebung| Im Schädel-MRT zeigte sich intra- und suprasellär eine Raumforderung mit einer Ausdehung von 10 × 5 × 12 mm, die kurz darauf operativ entfernt wurde.

Histologie | Die Histologie bestätigte die Verdachtsdiagnose eines Hypophysenadenoms.

Verlauf | Aufgrund von postoperativ verminderten Serumkortisolwerten wurde vorübergehend eine Substitution mit Hydrocortison begonnen. Der weitere postoperative Verlauf war unauffällig.


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Kasuistik 2: 27-jährige Patientin

Anamnese | Eine 27-jährige Frau berichtete über eine Gewichtszunahme von 4 kg in den letzten 2 Monaten bei Verschlechterung des Allgemeinzustands mit Adynamie und Muskelschwäche. Die Patientin klagte zudem über

  • eine sekundäre Amenorrhoe,

  • Schlafstörungen und

  • eine Hämatomneigung.

Keine relevanten Vorerkrankungen oder regelmäßige Medikamenteneinnahme.

Klinischer Befund | Der Allgemeinzustand der Patientin war reduziert, der Ernährungszustand normal (BMI 24,1 kg / m2).

  • Puls: 100 Schläge / min

  • Blutdruck: 150 / 100 mmHg

Die klassischen Stigmata des Hyperkortisolismus waren ebenfalls deutlich zu erkennen.

Laboruntersuchungen | Auch hier ergaben die Screening-Tests einen Hyperkortisolismus. Darüberhinaus waren androgene, mineralo- und glukokortikoide Vorstufen erhöht. Die weitere Differenzialdiagnostik ergab ein ACTH-unabhängiges Cushing-Syndrom.

Bildgebung | Nun erfolgte eine Abdomensonografie sowie ein Abdomen-CT. Es zeigte sich eine inhomogene, weichteiläquivalente Raumforderung der linken Nebenniere der Größe 91 × 65 mm (Abb.  [ 2 ]). Sie wurde operativ entfernt.

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Abb. 2 Raumforderung der linken Nebenniere (91 × 65 mm).

Histologie | Es handelte sich bei dem Tumor um ein Nebennierenrindenkarzinom (Initialstadium nach Bradley: T2, M0, R1, G2).

Verlauf | 10 Tage nach der Operation hatten sich die Laborparameter normalisiert. Ein postoperatives Thorax-CT zeigte mehrere Lungenmetastasen. Die Therapie wurde multimodal fortgeführt. Nach mehrmaligem Progress starb die Patientin infolge einer kardialen und respiratorischen Insuffizienz. Seit der Erstdiagnose waren 14 Monate vergangen.

Konsequenz für Klinik und Praxis
  • Bei Vorliegen klinischer Zeichen des Hyperkortisolismus sollte eine rasche Diagnostik eingeleitet werden.

  • Nur eine umfassende Differenzialdiagnostik ermöglicht bei endogenem Hyperkortisolismus eine individuelle Therapie .

  • An erster Stelle steht die Labordiagnostik, ergänzt durch bildgebende Verfahren je nach Verdachtsdiagnose.


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Prof. Dr. med. Karsten Müssig
Institut für Klinische Diabetologie
Deutsches Diabetes-Zentrum
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40225 Düsseldorf
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Abb. 1 Klassische Stigmata des Hyperkortisolismus: „Vollmondgesicht“ und Gesichtsplethora (A), Büffelnacken und supraklavikuläre Fettpolster (B).
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Abb. 2 Raumforderung der linken Nebenniere (91 × 65 mm).