Dtsch Med Wochenschr 2015; 140(23): 1776-1777
DOI: 10.1055/s-0041-103507
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53-jähriger Mann mit „Kreuzschmerzen“

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Publication Date:
19 November 2015 (online)

 

    Zu Ihnen kommt ein 53-jähriger Patient, der über „Kreuzschmerzen“ klagt. Dabei fasst er mit der Hand nach hinten, an den Bereich der Lendenwirbelsäule. Die Beschwerden habe er schon lange, sie würden immer wieder auftreten, in der letzten Zeit seien sie aber ziemlich schlimm. Woran denken Sie?

    Antwort An eine Fülle unterschiedlichster Ursachen: an degenerative oder entzündliche Erkrankungen der Wirbelsäule, aber auch an Beschwerden, die paravertebral entstehen, sowie an Ursachen, die primär kaum etwas mit der Wirbelsäule zu tun haben.

    Kommentar Entstehung von Kreuzschmerzen:

    • vertebral,

    • paravertebral,

    • extravertebral.

    Glauben Sie, dass Sie die Ursache finden werden?

    Antwort Wahrscheinlich nicht.

    Kommentar Über die Hälfte der Fälle mit Kreuzschmerzen bleibt weitgehend ursächlich unklar.

    • Nur in etwa 20 – 30 % wird eine pathologisch anatomische Ursache gefunden.

    Regel Kreuzschmerz: Ursache bleibt meistens unklar.

    Was ist das überhaupt: „Kreuzschmerzen“?

    Antwort Die Verwendung des Begriffes ist nicht ganz einheitlich. Eine Möglichkeit besteht darin, Kreuzschmerzen als Schmerzen zu definieren, die zwischen der 12. Rippe und der Glutäalfalte liegen.

    Kommentar Definition für Kreuzschmerzen:

    • Schmerzen im Bereich zwischen 12. Rippe und Glutäalfalte,

    • Low-back-pain.

    Wie gehen Sie diagnostisch vor?

    Antwort Zunächst Anamneseerhebung und körperliche Untersuchung.

    Kommentar Kreuzschmerzen:

    Anamnese:

    • Lokalisation,

    • Bewegungsabhängigkeit,

    • Haltung,

    • Dynamik der Beschwerden, Auslöser,

    • Erkrankung der Nachbarorgane,

    • Erkrankungen anderer Gelenke,

    körperliche Untersuchung:

    • Inspektion der Wirbelsäule.

    • Palpation: Wirbelsäule, paravertebral, Iliosakralgelenke,

    • Wirbelsäulenbeweglichkeit,

    • Gangbild,

    • Beinlängendifferenz, Beckenschiefstand, Wirbelsäulenverkrümmungen,

    • Lasègue-Test,

    • neurologische Untersuchung.

    Ist das nicht eigentlich Aufgabe des Orthopäden?

    Antwort Eigentlich ja, allerdings betreffen Kreuzschmerzen auch internistische Erkrankungen.

    Kommentar Interdisziplinäre Diagnostik bei Kreuzschmerzen:

    • Internist,

    • Orthopäde,

    • Neurologe.

    Glauben Sie, dass Sie als Internist eine große Rolle spielen werden?

    Antwort Eher nicht. Die weitaus meisten Fälle werden, wenn sie überhaupt ursächlich abgeklärt werden können, mechanisch-degenerative Ursachen haben. Nur ein kleiner Teil der Fälle wird ursächlich zum internistische Spektrum gehören.

    Kommentar Ursache von Kreuzschmerzen: bei mehr als 90 % der Fälle, bei denen die Ursache geklärt werden kann: mechanisch-degenerative Ursachen.

    Was meinen Sie mit mechanisch-degenerativ?

    Antwort Fehlhaltung, die Spondylose, Wirbelsäulenfehlstellungen, Bandscheibenvorfälle.

    Kommentar Mechanisch-degenerative Ursachen von Kreuzschmerzen:

    • Fehlhaltung, Skoliose, Kyphose,

    • Arthrose,

    • Bandscheibenvorfälle.

    Wie können Sie feststellen, ob der Patient mit Kreuzschmerzen eher bei Ihnen richtig ist oder eher zum Orthopäden gehen sollte?

    Antwort Ganz allgemein gesagt: Ich versuche herauszufinden, ob die Schmerzen von der Wirbelsäule ausgehen oder nicht. Schmerzen, die nicht von der Wirbelsäule ausgehen, gehören in mein Gebiet. Schmerzen, die von der Wirbelsäule ausgehen, gehören dann in mein Gebiet, wenn sie entzündlich bedingt sind. Mechanisch-degenerative Ursachen werden vom Orthopäden behandelt.

    Kommentar Zuordnung von Kreuzschmerzen:

    vertebral, degenerativ-mechanisch:

    • orthopädisches Krankheitsbild,

    vertebral, entzündlich:

    • internistisches Krankheitsbild,

    paravertebral und extravertebral:

    • internistisches Krankheitsbild.

    Und wie stellen Sie fest, ob der Schmerz entzündlicher Natur ist oder nicht?

    Antwort Durch die Anamnese, die Laboruntersuchungen und die Röntgenuntersuchung.

    Kommentar Entzündliche und nichtentzündliche Kreuzschmerzen:

    Anamnese:

    • eher entzündlich: kontinuierlicher Schmerz, Ruheschmerz, morgendlicher Schmerz,

    • eher mechanisch-degenerativ: bewegungsabhängiger Schmerz, abendlicher Schmerz,

    Labor:

    • BKS-Beschleunigung,

    Röntgen:

    • degenerative Veränderungen,

    • entzündiche Veränderungen.

    An welche entzündlichen Ursachen von Kreuzschmerzen denken Sie?

    Antwort Ich denke besonders an seronegative Spondylarthritiden, auch an infektiöse Spondylitiden.

    Kommentar Entzündliche Ursachen von Kreuzschmerzen:

    seronegative Spondylarthritiden:

    • ankylosierende Spondylitis (Morbus Bechterew),

    • Psoriasisarthropathie,

    • infektreaktive Arthritis,

    • reaktive Arthritis bei entzündlichen Darmerkrankungen: Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, Zöliakie,

    infektiöse Spondylitis:

    • Staphylokokken,

    • Streptokokken,

    • E. coli,

    • Salmonellen.

    Sie sprechen jetzt immer über entzündliche Erkrankungen. Berücksichtigen Sie auch andere, nichtentzündliche Erkrankungen der Wirbelsäule, die zu Kreuzschmerzen führen?

    Antwort Ja, besonders bösartige Erkrankungen des Knochens, primär oder metastastisch, und natürlich die Osteoporose.

    Kommentar Vertebrale Ursachen von Kreuzschmerzen:

    • mechanisch-degenerativ,

    • entzündlich,

    • Malignom: primärer maligner Knochentumor, Metastasen solider Tumoren, Plasmozytom,

    • Osteopathien: Osteoporose, Osteomalazie.

    Können Sie noch einmal zusammenfassen, welche Ursachen von Kreuzschmerzen eher internistisch behandelt werden?

    Antwort Differenzialddiagnostisch sollten extravertebrale Ursachen, die meistens internistischer Natur sind, berücksichtigt werden, außerdem paravertebrale Ursachen. Vertebrale Ursachen von Kreuzschmerzen sind dann internistisch zu behandeln, wenn sie entzündlicher Natur oder maligner Natur sind oder wenn es sich um eine Osteoporose oder um eine Osteomalazie handelt.

    Kommentar Kreuzschmerzen, bei denen eine internistische Behandlung oder Mitbehandlung erforderlich ist:

    paravertebrale Ursachen:

    • Fibromyalgie-Syndrom,

    extravertebrale Ursachen:

    • Tumoren: Hypernephrom, Lymphom, Kolonkarzinom, Prostata-, Hoden-, Blasenkarzinom,

    • Entzündungen: Divertikulitis, Prostatitis, Pyelonephritis, Pankreatitis u. a.,

    • Aortenaneurysma,

    • Nierensteine,

    vertebrale Ursachen:

    • Spondylarthritiden,

    • infektiöse Spondylitiden,

    • Osteoporose,

    • Osteomalazie,

    • Metastasen.

    Eine 35-jährige Frau klagt über Schmerzen im Bereich des Sternoklavikulargelenkes. Sie finden eine ca. 3 × 2 cm große, derbe Verdickung. Woran denken Sie?

    Antwort An eine sternoklavikuläre Hyperostose.

    Kommentar Sternoklavikuläre Hyperostose:

    • schmerzhafte Schwellung des Sternoklavikulargelenkes,

    • meistens beidseitig, u. U. einseitig,

    • u. U. Sternokostalgelenke betroffen.

    Welche Differenzialdiagnosen berücksichtigen Sie?

    Antwort Tumoröse Prozesse, auch bakterielle Entzündung und nichtbakterielle Entzündungen.

    Kommentar Differenzialdiagnose der sternoklavikulären Hyperostose:

    • Tumoren: primäre Knochentumoren, Metastasen,

    • bakterielle Entzündung,

    • nichtbakterielle Entzündungen: rheumatische Erkrankungen,

    • Morbus Paget.

    Wie wird die Diagnose gesichert?

    Antwort Durch das klinische Bild, radiologische Untersuchungen sowie im Zweifel Probenentnahme.

    Kommentar Diagnose der sternoklavikulären Hyperostose:

    • klinisches Bild,

    • konventionelle Röntgenaufnahmen,

    • CT,

    • im Zweifel: Probenentnahme.

    Nachdruck aus:

    Berthold Block,
    Facharztprüfung Innere Medizin,
    3000 kommentierte Prüfungsfragen
    4. Aufl., kompl. überarb. akt. 2011,
    576 S., 106 Abb., kart.
    ISBN: 9783131359544


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