Schlüsselwörter
Poppers - Amylnitrit - Ösophagusverätzung - Strikturen
Keywords
poppers - amyl nitrite - chemical burn of esophagus - strictures
Verätzungen des Ösophagus entstehen üblicherweise akzidentell oder in suizidaler
Absicht. Sie können zu schweren akuten und chronischen Krankheitsbildern führen:
Neben lebenslangen Dysphagiebeschwerden durch rezidivierende Strikturen besteht
mittel- und langfristig auch ein erhöhtes Risiko für eine Karzinomentwicklung. Wir
berichten hier über den ungewöhnlichen Fall einer ausgeprägten Ösophagusverätzung
nach irrtümlichem Trinken einer „Schnüffel“-Partydroge.
Anamnese | Eine 18-jährige Patientin wurde nach einer ambulanten
Ösophagoskopie unter der Diagnose einer schweren und nicht passierbaren
hämorrhagischen Ösophagitis als Notfall eingewiesen. In den vorangegangenen 3 Wochen
war für die Patientin die Aufnahme fester Nahrung immer mühsamer geworden und in den
letzten Tagen gar nicht mehr möglich gewesen. Zuletzt konnte sie auch flüssige
Speisen und selbst Speichel nur noch mit größerer Anstrengung und unter Schmerzen
schlucken. Innerhalb von 3 Wochen hatte sie 8 kg Körpergewicht verloren.
Ursache der Beschwerden | Auf genaueres Nachfragen gab die Patientin an, dass
sie vor Beginn der Symptomatik vom Freund eines Freundes auf einer Party ein
Fläschchen mit einem ihr unbekannten Inhalt erhalten habe und zum Probieren
aufgefordert worden sei. Statt die Dämpfe des Inhalts zu inhalieren, habe sie aus
Unkenntnis bezüglich der Anwendung einen Schluck aus dem Fläschchen getrunken. Nach
der Ingestion wäre sie für einen kurzen Moment bewusstlos geworden. Aufgrund der
Synkope sei sie in die Notaufnahme einer nahegelegenen Klinik eingeliefert worden.
In der Notaufnahme seien zunächst abdominelle Krämpfe aufgetreten. Nach Abklingen
der Symptome sei sie ohne weitere spezifische Diagnostik aus der dortigen
Notaufnahme entlassen worden.
Körperliche Untersuchung | Zum Zeitpunkt der Aufnahme befand sich die sehr
schlanke Patientin (BMI 16,6 kg / m²) in einem schmerzbedingt leicht reduzierten
Allgemeinzustand.
-
Die Herzfrequenz war mit 102 Schlägen / Minute erhöht.
-
Der Blutdruck lag bei 119 / 67 mmHg.
-
Der internistische Untersuchungsbefund war ansonsten, bis auf einen leichten
epigastrischen Druckschmerz und spärliche Darmgeräuschen, nicht
wegweisend.
Laborbefunde | Zum Zeitpunkt der Aufnahme waren die Laborwerte – bis auf ein
geringgradig erhöhtes CRP (29,75 mg / l) – unauffällig.
Endoskopie | Ösophagoskopisch wurde eine massive Ösophagusverätzung
festgestellt, die knapp unterhalb des oberen Ösophagussphinkters (ca. 20 cm ab
Zahnreihe) begann. Bei ca. 40 cm fand sich eine höchstgradige Stenose: Selbst mit
einem ultradünnen flexiblen Gastroskop (4,9 mm Durchmesser) konnte diese nicht
passiert werden (Abb.
[
1
]). Der
histologische Befund einer Biopsie aus dem mittleren Drittel des Ösophagus passte zu
einer chemisch-induzierten Schleimhautschädigung.
Abb. 1 (A) und (B) Ösophagoskopie 3 Wochen nach Ingestion: Schwere
chemisch induzierte hämorrhagische Ösophagitis.
Initiale Therapie | Während der initialen Endoskopie wurde unter
Durchleuchtung eine Drahtpassage durchgeführt. Der Patientin wurde anschließend eine
12-French-Ernährungssonde in Seldinger-Technik eingelegt. Über diese wurde sie
zunächst enteral ernährt. 3 Tage später wurde die Sonde entfernt. Daraufhin konnte
die distale Ösophagusstenose mit dem 4,9 mm Gastroskop passiert werden. Der Magen
war endoskopisch-makroskopisch unauffällig. Mit Savary-Bougies gelang es, die
Speiseröhre der Patientin zu dilatieren – beginnend mit einem Savary-Bougie von 5 mm
bis hin zu einem Durchmesser von 9 mm. Anfänglich war das Behandlungsergebnis gut:
Der Ösophagus weitete sich durch Bougieren schrittweise auf 11 mm.
Therapie im Verlauf | 5,5 Monate später diagnostizierten wir eine
Restenosierungstendenz mit z. T. ausgeprägten Narbenbildungen (Abb.
[
2
]). Durch Nadelmesser-Inzisionen in der
Longitudinalachse des Ösophagus und Steroidinjektionen mit Triamcinolon ließen sich
die Narben schließlich mit gutem Ergebnis behandeln (Übersicht zu entsprechenden
Techniken unter [1]). Nach zunächst über 2-jähriger
Beschwerdefreiheit stellte sich die Patientin mit wiederaufgetretener Dysphagie beim
Schlucken von festen Speisen aufgrund einer Ösophagusenge vor. Ihre Speiseröhre
musste erneut stufenweise von 11,8 mm auf 15 mm bougiert werden. Auch 3 Jahre nach
der ersten Bougierung war der Ösophagus noch langstreckig mäßig stenosiert und
vernarbt (Abb.
[
3
]). Seit 2 Jahren,
insgesamt 5 Jahre nach der ersten Behandlung, ist die Patientin nun anhaltend
beschwerdefrei.
Abb. 2 (A) und (B) Ösophagoskopie ca. ein halbes Jahr später:
Restenosierung durch Narbenbildung.
Abb. 3 Ösophagoskopie nach 3 Jahren: Langstreckig vernarbter
Ösophagus.
Diskussion
Beliebte Partydroge | Wie sich nach Recherchen im Umfeld der Patientin
herausstellte, handelte es sich bei dem konsumierten Inhalt des Fläschchens um die
seit den 1970er Jahren beliebte Party- und Schnüffeldroge Poppers. Der Name Poppers
leitet sich von dem Geräusch ab, das beim Öffnen der Glasfläschchen entsteht (to pop
– knallen), in denen die Substanzen ehemals erhältlich waren. Auch die
Schraubverschlüsse der heutigen bunten Plastikfläschchen „ploppen“ aufgrund des
höheren Drucks in der Flasche beim Öffnen hörbar [2]. In
der Szene sind Poppers auch unter den Namen „flüssiges Gold“, „Rave“, „Snappers“
oder „Rush“ bekannt.
Konsum ist legal | Obwohl sie als Schnüffeldroge verwendet werden, unterliegen
Poppers nicht dem Betäubungs-, sondern aufgrund der ursprünglichen Herkunft des
Stoffes dem Arzneimittelgesetz. Der Besitz und Konsum ist in Deutschland dadurch
legal. Da der Handel jedoch gegen das Arzneimittelgesetz verstößt, werden Poppers
unter Angaben falscher Verwendungszwecke, etwa als „Reinigungsmittel“,
„Video-Tonkopfreiniger“, „Zimmerduft“ oder „Lederputzmittel“ bereits für 5–10 € pro
Flasche verkauft.
Nach einer aktuellen französischen Arbeit ist der Konsum von Poppers zwischen den
Jahren 2000 und 2010 erheblich angestiegen.
Laut dieser Arbeit haben über 5 % der 18–64-Jährigen zu irgendeinem Zeitpunkt ihres
Lebens diese Droge konsumiert. Damit sei sie nach Cannabis die am zweithäufigsten
verwendete Droge [3].
Ursprünglich angewandt bei Angina pectoris | Die bei Raumtemperatur gelbe,
flüssige, leicht flüchtige Schnüffeldroge hat einen fruchtigen und süßen Geruch.
Der Wirkstoff ist meist ein organisches Nitrit, wie Amylnitrit, Butylnitrit,
Isoamylnitrit und Isopropylnitrit, oder ein entsprechendes Gemisch dieser
Nitrite.
Organische Nitrite wie Amylnitrit wirken als Stickstoff-Donatoren. Sie wurden
Jahrzehnte zur Behandlung der Angina pectoris verwendet, jedoch aufgrund ihrer
kurzen Wirkdauer (wenige Minuten) später durch andere Medikamente ersetzt [2].
Kurzer Rausch mit starken Nebenwirkungen | Das Schnüffeln von Poppers führt zu
einer kurzen relaxierenden Wirkung an der gatten Muskulatur und zu einer
Vasodilatation. Es resultiert ein etwa 5 bis 10-minütiger Rauschzustand von
Zeitlosigkeit, einhergehend mit
Die Dauer des Rausches ist abhängig von der inhalierten Menge [4]. Die Party- und Sexdroge Poppers ist insbesondere in homosexuellen
Kreisen beliebt, da sie aufgrund der muskelrelaxierenden Wirkung auf den
Schließmuskel den Analverkehr erleichtert [5].
Cave Nebenwirkungen von Poppers:
-
Tachykardie
-
Hypotension
-
Schwindel
-
Hitzewallungen
-
Nausea / Erbrechen
-
Nitritinduzierte Cephalgien
-
Methämoglobinämie [6], [7] und hämolytische Anämie [8],
[9], [10]
Bei wiederholten Anwendungen:
-
Dermatitis [11]
-
Makulopathie [12]
-
Visusverlust [13]
Schwere Verätzungen möglich | Im Internet wird immer wieder vor dem Kontakt
von Poppers mit Schleimhäuten gewarnt. Schwere Verätzungen durch Inhalation oder gar
Ingestion von Poppers lassen sich auf die Herstellung mit salpetriger Säure
zurückführen [14], [15].
Zunehmender Konsum – häufigere Unfälle? | Ein ähnlicher Fall wie der von uns
berichtete ist in der medizinischen Fachliteratur nicht zu finden (Pubmed recherche
mit [„alkyl nitrite“ OR „amyl nitrite“ OR „poppers“] AND [„esophagus“ OR
„stricture“]). Lediglich in der Laienpresse ist (neben der Beschreibung unseres
Falles) ein tödlich endender Fall zu finden: Eine 21-jährige Frau hatte in einer
Diskothek ebenfalls aus Unwissenheit Poppers getrunken, statt die Dämpfe zu
inhalieren. Sie starb wenige Tage danach im Krankenhaus [16]. Aufgrund des offenbar erheblich zunehmenden Gebrauchs dieser Droge
dürfte auch die Wahrscheinlichkeit versehentlicher oraler Ingestionen mit den hier
beschriebenen fatalen Konsequenzen ansteigen.
Konsequenz für Klink und Praxis
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Bei Ingestion von flüssigen Partydrogen unbekannten Inhalts ist daran zu
denken, dass es sich um die versehentliche Ingestion eines
„Schnüffelstoffes“ gehandelt haben könnte.
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Initiale Symptome sind hierbei oft unspezifisch. Eine ausführliche
Anamnese, – ggf. Fremdanamnese – ist daher unbedingt notwendig.
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Eine versehentliche orale Ingestion von Poppers ist ein akuter Notfall
und kann zu schweren, akut lebensbedrohlichen oder mit schweren
Spätfolgen assoziierten Ösophagusverätzungen führen.