Intensivmedizin up2date 2015; 11(04): 279
DOI: 10.1055/s-0041-106823
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Paradigmenwechsel: Schlaganfallbehandlung durch interventionelle Therapie!

Rainer Kollmar
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Prof. Dr. Rainer Kollmar
Klinik für Neurologie und Neurogeriatrie
Grafenstraße 9
64283 Darmstadt

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Publication Date:
24 November 2015 (online)

 

In Deutschland ereignen sich pro Jahr ungefähr 250 000 neue Schlaganfälle. Nach einem Schlaganfall ist ein Großteil der Patienten nicht mehr arbeitsfähig oder sogar pflegebedürftig. Die ersten Stunden nach einem Schlaganfall sind für die Therapie und damit für die Prognose entscheidend („Time is brain“). Bisher bestanden die beiden erwiesen wirksamen Therapien für ischämische Schlaganfälle in der systemischen Thrombolyse sowie Stroke-Unit Behandlung [1]. Für eine kleine Zahl besonders schwer betroffener Patienten mit raumfordernden Mediainfarkten, sogenannten „malignen Mediainfarkten“, stellt die Dekompressionsoperation die Therapie der Wahl dar [1].

In den letzten Monaten kam es nun zu einem Paradigmenwechsel in der Behandlung von ischämischen Schlaganfällen: Gleich 5 aktuelle veröffentlichte Studien konnten zeigen, dass die interventionelle Therapie vor allem bei Schlaganfallpatienten mit sehr schwerem klinischem Defizit und Verschluss der Karotis-T oder proximalen Mediaverschlüssen (M1) der alleinigen Standardtherapie mit i. v. rtPA („recombinant tissue plasminogen activator“) hochsignifikant überlegen ist [2]. Für 85 % der Patienten der interventionellen Gruppe wurde dabei rt-PA als Basistherapie benutzt. In den Studien lag die „number needed to treat“ zur Verhinderung einer schwerwiegenden Behinderung (modifizierte Rankin-Skala 3 – 6) zwischen 3 und 7! Entsprechend empfehlen die Fachgesellschaften nun die Thrombektomie für Patienten mit akuter behindernder neurologischen Symptomatik sowie nachgewiesenen Verschlüssen der Hauptstämme (Karotis-T oder proximalen Mediaverschlüssen [M1]).

In der aktuellen Ausgabe diskutiert Prof. Dr. Ringleb von der Neurologischen Universitätsklinik Heidelberg nun die aktuellen Daten zur Thrombektomie [2]. Als Nachfolger von Herr Prof. Dr. Werner Hacke ist er quasi einer der Pioniere in der interventionellen Behandlung von Schlaganfällen und hat die Therapie bis zur nun aktuell erfolgreichen Umsetzung immer akademisch, aber auch am Patienten begleitet. Wir freuen uns, ihn für diesen Artikel gewonnen zu haben.

Für die Leser unserer Zeitschrift ist dieser Artikel besonders wichtig, da sich die Schlaganfalltherapie nun wesentlich verändert. Die Thrombektomie stellt besondere logistische und medizinische Herausforderungen an die Infrastruktur von Rettungsdienst, neurologischen Kliniken, radiologischen Instituten sowie an alle, an der Thrombektomiebehandlung beteiligten Fachdisziplinen. So wird für die suffiziente Behandlung eine sehr gut funktionierende präklinische und innerklinische Rettungskette benötigt, die Schlaganfallpatienten in ein geeignetes Zentrum bringt, das über diese infrastrukturellen und qualitativen Voraussetzungen verfügt. So wird es zur Verlegung von akuten Schlaganfallpatienten unter laufender Lysetherapie („drip and ship“) in solche Zentren kommen. Dort müssen in der Thrombektomie erfahrene Neuroradiologen innerhalb kürzester Zeit die Intervention durchführen. Unter Sedierung oder auch unter Vollnarkose. Entsprechend werden in der Betreuung dieser Patienten erfahrene Teams benötigt. Zu denken ist hierbei an intensiverfahrene Neurologen oder Anästhesisten. Das Vorhalten dieser Teams wiederum stellt die Kliniken vor weitere strukturelle Herausforderungen. So ist selbstverständlich ein Schlaganfall ein lebensbedrohlicher Notfall und muss auch als solcher behandelt werden. Wir werden die Leser unserer Zeitschrift auch in den kommenden Ausgaben auf dem Laufenden halten. Time is Brain!

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Rainer Kollmar

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