Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2015; 22(06): 291
DOI: 10.1055/s-0041-110492
DFR-Mitteilungen
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Liebe Mitglieder und Freunde der DFR,

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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
15. Dezember 2015 (online)

 

    noch ist es zu früh, zu den von den Asylbewerbern vielleicht mitgebrachten übertragbaren und nicht übertragbaren Erkrankungen eine Bewertung abzugeben, aber einige Erkenntnisse lassen sich aus den vorliegenden Berichten doch gewinnen:

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    • Bei den Kindern überwogen bisher Infektionen, die wenigstens zum Teil auf die Bedingungen der Migration zurückzuführen sind, insbesondere Infekte der oberen Atemwege, des GIT und der ableitenden Harnwege.

    • Vermehrt wurde Scabies mit sekundärer, also bakterieller Impetigenisation beobachtet, außerdem Wurmerkrankungen (zur Prävalenz der Scabies weltweit ist August 2015 im Lancet Infectious Diseases, Vol.15, p. 960–67, ein Übersichtsartikel erschienen).

    • Tuberkulose und Trachoma, vorwiegend bei afrikanischen Flüchtlingen, die derzeit vor allem aus Eritrea, Somalia und Westafrika kommen; bei diesem Personenkreis ist jederzeit auch an eine Malaria zu denken, wie die entsprechenden Zahlen im Infektionsepidemiologischen Jahrbuch 2014 des RKI belegen. Erste Fälle einer Ansteckung mit Tuberkulose beim Betreuungspersonal sind bekannt geworden.

    • Auf Hepatitis B und C ist ein Augenmerk zu richten – oftmals ist die bestehende Infektion den Betroffenen nicht bekannt; gegen Hepatitis A dürfte in vielen Fällen eine bereits im Herkunftsland erworbene Immunität bestehen.

    • In Oberschwaben musste Mitte November eine Unterkunft wegen eines Norovirusausbruchs geschlossen werden; dies wird nicht das letzte Vorkommnis dieser Art sein. Von Seiten einiger Krankenhausträger gibt es erste Anfragen an den ÖGD, wie man sich auf den Anfall Erkrankter vorbereiten könne.

    • Mehr als 20 Fälle von Läuserückfallfieber (bis Mitte November) bei Asylbewerbern, alle in Bayern bei der Erstaufnahme entdeckt, haben das dortige Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) bewogen, ein „Merkblatt Läuse-Rückfallfieber“ herauszugeben. Wenige Fälle von Läuserückfallfieber auch außerhalb von Bayern: Düsseldorf und Hamburg. Alle bisher Erkrankten, auch die in Bayern, stammen aus Somalia.

    • Einzelfälle von Brucellose.

    Laut RKI gilt bei der Behandlung von Flüchtlingen, dass „ausnahmsweise mündliche Angaben zu früher erfolgten Impfungen berücksichtig werden, sofern sie als glaubwürdig einzuschätzen sind“. Bei der Bewertung der gemachten Angaben zum Impfstatus hilft die Kenntnis der lokalen Impfpläne. Eine Länderübersicht aller Impfkalender stellt die WHO unter http://apps.who.int/immunization_monitoring/globalsummary/schedules zur Verfügung. Dort kann in einer alphabetischen Liste das gesuchte Land ausgewählt werden. Anschließend „Select all vaccines“ und „OK“ anklicken.

    Diese Meldungen, die nur Schlaglichter sein können, bestätigen derzeit die Einschätzung der Behörden, dass für die residente Bevölkerung keine erhöhte Infektionsgefährdung durch die Asylsuchenden besteht. Damit dies so bleibt, halte ich es für erforderlich, dass sich die mit der Primärversorgung beschäftigten Kolleginnen und Kollegen mit der Symptomatik der potenziell eingeschleppten übertragbaren Erkrankungen vertraut macht: Es gilt, auch an hier seltene Krankheitsbilder zu denken.

    Bei den nicht übertragbaren Erkrankungen wird in den Aufnahmeeinrichtungen das hier bekannte Spektrum gesehen. Bei Flüchtlingen aus Pakistan liegt offenbar öfters ein unerkannter Diabetes mellitus vor, wie dem Ärzteblatt Baden-Württemberg, Ausgabe 11/2015, zu entnehmen ist. Dort berichtet die bei der ärztlichen Betreuung Asylsuchender sehr engagierte Kollegin Dr. Helga Fahlbusch von vielen posttraumatischen Schlafstörungen.

    Soweit Sie sich auch um die Einhaltung hygienischer (Mindest)-Standards und eine menschenwürdige Unterbringung kümmern wollen (hier ist vorrangig der ÖGD gefragt), verweise ich auf den kürzlich erschienenen Rahmenhygieneplan für Asylbewerberunterkünfte eines Länderarbeitskreises. Die Richtlinien sind unter www.uminfo.de/rahmenhygieneplaene/lak-gemeinschaftseinrichtungen/rhp-lak-gemeinschaftsunterkuenfte-fluechtlinge-asyl-2.pdf frei zugänglich.

    Im Vorstand der DFR bestehen Überlegungen, das Curriculum des Fachzertifikats (derzeit 128 Stunden) um ein oder 2 Module zur Migrationsmedizin zu erweitern, die gegebenenfalls selbstverständlich auch separat absolviert werden können.

    Wenn Sie diese Zeilen lesen, sind nur noch wenige Tage bis Weihnachten. Für die Feiertage und den Jahreswechsel die besten Wünsche aus dem Vorstand, Gesundheit, berufliche und private Erfolge – und ein wenig Zeit, auf eigene Reisen im abgelaufenen Jahr zurückzublicken und sich auf möglichst viele Reisen im neuen Jahr zu freuen. Wie immer, werden die dabei gewonnenen Erfahrungen in die reisemedizinische Beratungspraxis einfließen.

    Beste Grüße aus Bietigheim-Bissingen

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    Ihr
    Günter Schmolz


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