Substitution kann empfohlen werden
Für viele Jahrzehnte galt die Testosteronsubstitution bei Männern mit V. a. oder stanzbioptisch gesichertem Prostatakarzinom (PCa) – auch nach erfolgreicher kurativer Therapie – als absolut kontraindiziert, da man befürchtete, hierdurch das PCa (erneut) zu stimulieren. Sätze wie „dies ist so als würde man Benzin ins Feuer gießen“ wurden in diesem Zusammenhang gerne verwendet, um die Torheit einer solchen Idee plakativ zu verdeutlichen. In den letzten Jahren sind jedoch zahlreiche Publikationen erschienen, die nahezu uniform zeigten, dass unter Testosteronsubstitution kein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines PCa besteht und dass das Rezidivrisiko nach kurativer Therapie (zumeist nach radikaler Prostatektomie) durch eine Testosteronsubstitution nicht signifikant erhöht ist [
1
]. Eine der wesentlichen Erkenntnisse zu diesem Thema besteht darin, dass bereits bei einem relativ niedrigen Serum-Testosteron-Wert eine maximale Stimulierung der Prostata / des Prostatakarzinoms vorliegt und folglich durch eine exogene Erhöhung des Serum-Testosterons keine Überstimulierung möglich ist [
2
].
Limitierend muss jedoch festgehalten werden, dass keine kontrolliert randomisierten Studien existieren, das Follow-up der Studien häufig relativ kurz ist und auch die Patientenzahlen verschiedener Studien eher gering sind. Entsprechend ist das Thema Testosteronsubstitution und PCa weiterhin Gegenstand der urologischen Forschung.
In der Arbeit von Baillargeon et al. [
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] wurde der Effekt der Testosteronsubstitution auf die konsekutive Diagnose eines Hoch-Risiko-Prostatakarzinoms (Gleason-Score 8–10) untersucht. In dieser Arbeit bedienten sich die Autoren der SEER-Datenbank und identifizierten 52 579 Männer, bei denen zwischen 2001 und 2006 ein PCa diagnostiziert wurde. Einschlusskriterium war unter anderem ein minimales Follow-up von 5 Jahren vor der PCa-Diagnose. Hierdurch sollte eine Abschätzung des Langzeitrisikos der Testosteronsubstitution ermöglicht werden. Weiterhin wurde auch die Anzahl der Testosteron-Injektionen auf die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung eines Hoch-Risiko-Prostatakarzinoms untersucht. Die Autoren fanden, dass sich die Rate an Hoch-Risiko-Karzinomen nicht statistisch signifikant zwischen den beiden Gruppen (Testosteronsubstitution ja vs. nein) unterschied. Weiterhin hatte die Anzahl an Testosteron-Injektionen keinen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit, ein Hoch-Risiko-PCa zu entwickeln.
Die Arbeit weist einige Limitierungen auf, welche bei der Interpretation der Daten berücksichtigt werden sollten. Beispielsweise war lediglich bekannt, ob die Patienten Testosteron-Injektion bekamen. Ob eine Testosteron-Substitution in anderer Form (Gel etc.) erfolgte, ist unklar. Weiterhin sind keine Testosteron-Werte bekannt – weder vor noch unter / nach der Testosteron-Therapie. Entsprechend kann nicht garantiert werden, dass die Patienten unter der Testosteronsubstitution tatsächlich (supra)physiologische Testosteronwerte entwickelten.
In der zweiten Arbeit untersuchten Pastuszak et al. [
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] in einer retrospektiven multiinstitutionellen Studie 98 Männer, welche nach Bestrahlung (externe Bestrahlung, Brachytherapie oder Kombination beider Verfahren ± zusätzliche Androgendeprivation) aufgrund eines symptomatischen Hypogonadismus mit Testosteron substituiert wurden. Interessanterweise wurden in dieser Studie nicht nur Männer mit einem Niedrig-Risiko-PCa behandelt, sondern 29 % der Patienten hatten einen bioptischen Gleason-Score von 7, und 11 % sogar einen Gleason-Score von = 8.
Nach einem medianen Follow-up von 41 Monaten entwickelten insgesamt 6 Männer (6,1 %) ein PCa. Hierbei handelte es sich ausschließlich um Männer mit einem Intermediären- oder Hoch-Risiko-PCa, in der Gruppe von Patienten mit Niedrig-Risiko-PCa traten keine Rezidive auf. In der Hoch-Risiko-Gruppe betrug die Rezidivrate 18 % und liegt somit in einem vergleichbaren oder sogar eher niedrigeren Bereich als aus vorherigen Publikationen ohne Testosteronsubstitution bekannt [
5
].
An dieser Stelle muss allerdings betont werden, dass es sich um ein selektioniertes Patientengut handelt. Es geht aus der Studie leider nicht hervor, wie lange im Mittel die Bestrahlung beendet war, bevor mit der Testosteronsubstitution begonnen wurde. Es ist lediglich bekannt, dass ca. 50 % der Patienten eine zusätzliche Androgendeprivation erhielten und der Zeitraum zwischen Beendigung der Androgendeprivation und Beginn der Testosteronsubstitution 5–60 Monate betrug. Entsprechend war sicher ein Großteil der Patienten bereits für mehrere Monate bis Jahre rezidivfrei, was das Risiko, langfristig noch ein Rezidiv zu entwickeln, beträchtlich senkt.
Trotz dieser Limitationen liefern die beiden Studien weitere Hinweise darauf, dass die Testosteronsubstitution beim symptomatischen hypogonadalen Mann weder das Risiko, an einem Hoch-Risiko-PCa zu erkranken, erhöht, noch dass diese mit einer erhöhten Rezidivrate nach kurativer Therapie (in diesem Fall der Radiatio) vergesellschaftet ist.
Die Arbeiten sind klinisch relevant. Bei der Studie von Baillargeon et al. [
3
] handelt es sich um die erste populationsbasierte Studie, welche die Langzeit- und dosisabhängige Wirkung der Testosteronsubstitution auf die Entwicklung eines Hoch-Risiko-Prostatakarzinoms untersuchte. Die sehr große Patientenzahl erlaubt eine solide statistische Aussagekraft. Bei der Studie von Pastuszak et al. [
4
] handelt es sich um die Studie mit der bis dato höchsten Patientenzahl zu dem Thema Rezidivrisiko unter Testosteronsubstitution nach Bestrahlung.
Kollegen / innen, die der Testosteronsubstitution nach erfolgreicher PCa-Behandlung kritisch gegenüber stehen, mögen mit Recht behaupten, dass die Datenlage zu diesem Thema weiterhin nicht optimal ist, und vor allem Level-of-Evidence-1-Publikationen weitestgehend fehlen. Persönlich halte ich die verfügbare Datenlage mittlerweile jedoch für ausreichend, um eine Testosteronsubstitution bei diesen Männern zu empfehlen, insofern eine gute Patientenaufklärung erfolgt und ein engmaschiges onkologisches Follow-up gewährleistet ist.
PD Dr. Hendrik Isbarn, Wedel