Rofo 2016; 188(01): 111-112
DOI: 10.1055/s-0041-111012
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Rechtliche Anforderungen an Röntgenuntersuchungen zur Altersbestimmung

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Publication Date:
22 December 2015 (online)

 

Einführung

Röntgenstrahlung wird am Menschen nicht ausschließlich zur medizinischen Diagnostik und Therapie im Rahmen ambulanter und stationärer Krankenbehandlung angewendet. Ein weiterer Bereich der Anwendung von Röntgenstrahlung am Menschen ist der Bereich der Begutachtung in Verwaltungs- und Gerichtsverfahren. Eine besondere Bedeutung nehmen hier Röntgenuntersuchungen zur Altersbestimmung ein, die in verschiedenen Rechtsgebieten, z. B. im Familienrecht (Vormundschaft) oder auch im Sozialrecht (Jugendhilfe) Bedeutung entfalten können. Sowohl die Zulässigkeit der Untersuchung als auch die Verwertbarkeit der Ergebnisse werden jedoch immer wieder von Gerichten bezweifelt. Ein besonderes Spannungsfeld ergibt sich dabei aus dem Verhältnis der Regelung des § 25 der Röntgenverordnung (RöV), der die Anwendung von Röntgenstrahlung am Menschen an besondere Bedingungen knüpft, und einzelnen verfahrensrechtlichen Vorschriften (z. B. § 62 SGB I), die zu körperlichen Untersuchungen ermächtigen.


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Kein Beweisverwertungsverbot bei Einwilligung

Das Oberlandesgericht Hamm musste sich in einer aktuellen Entscheidung mit der Frage (Beschl. v. 30.01.2015, Az.: II-6 UF 155/13, 6 UF 155/13) einer guineanische Staatsbürgerin beschäftigen, die ohne Begleitung in das Bundesgebiet eingereist war. Diese war als Minderjährige vom Familiengericht unter Vormundschaft gestellt worden. Jedoch gab es Zweifel, ob die Betroffene wirklich minderjährig sei. Im Rahmen des Verfahrens in 1. Instanz vor dem Amtsgericht Dortmund (Beschl. v. 13.08.2013, Az: 107 F 1078/12) sollte ein Sachverständigengutachten Aufschluss über das Alter der Betroffenen machen. Durch ausdrücklichen Beschluss wurde auch klargestellt, dass in diesem Rahmen Röntgenaufnahmen gefertigt werden können. Aufgrund der Feststellungen des Sachverständigen hob das Amtsgericht Dortmund die Vormundschaft auf. Dagegen wehrte sich jedoch die Betroffene als Beschwerdeführerin vor dem Oberlandesgericht Hamm. Das rechtsmedizinische Gutachten dürfte nicht verwertet werden, da die Röntgenuntersuchungen unter Verstoß gegen § 25 der Röntgenverordnung (RöV) durchgeführt worden seien.

Der Wortlaut des § 25 Abs. 1 RöV besagt:

„Röntgenstrahlung darf am Menschen nur in Ausübung der Heilkunde oder Zahnheilkunde, in der medizinischen Forschung, in sonstigen durch Gesetz vorgesehenen oder zugelassenen Fällen, zur Untersuchung nach Vorschriften des allgemeinen Arbeitsschutzes oder in den Fällen, in denen die Aufenthalts- oder Einwanderungsbestimmungen eines anderen Staates eine Röntgenaufnahme fordern, angewendet werden. Freiwillige Röntgenreihenuntersuchungen zur Ermittlung übertragbarer Krankheiten in Landesteilen oder für Bevölkerungsgruppen mit überdurchschnittlicher Erkrankungshäufigkeit oder zur Früherkennung von Krankheiten bei besonders betroffenen Personengruppen bedürfen der Zulassung durch die zuständigen obersten Landesgesundheitsbehörden. Für die Anwendung von Röntgenstrahlung am Menschen in den nach dem Infektionsschutzgesetz vorgesehenen Fällen gelten § 23 Abs. 3 und § 24, für die übrigen Anwendungen von Röntgenstrahlung am Menschen außerhalb der Heilkunde oder Zahnheilkunde gelten die §§ 23 und 24 entsprechend.“

Das Oberlandesgericht Hamm konzidierte in seiner Entscheidung, dass eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung zu Röntgenuntersuchungen im Rahmen der Altersbestimmungen beim Menschen fehle, wie sie von § 25 Abs. 1 S. 1 RöV gefordert werde. Der Senat sah insbesondere in § 27 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) keine Ermächtigungsnorm. § 27 Abs. 1 FamFG fordert die Beteiligten auf, an der Ermittlung des Sachverhaltes mitzuwirken. Dies gelte ebenso hinsichtlich der Vorschriften über die förmliche Beweisaufnahme gemäß § 30 FamFG.

Dieser Verstoß gegen § 25 Abs. 1 S. 1 RöV führe jedoch nicht dazu, dass die Aufnahmen unverwertbar seien. Die §§ 23, 25 RöV hätten nämlich nach dem Gericht „ausschließlich individualschützenden Charakter“ und dienten dem Strahlenschutz des Betroffenen. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit sei jedoch disponibel und eine wirksame Einwilligung sei möglich. Dies sei auch im vorliegenden Fall geschehen. Die betroffene guineanische Staatsangehörige sei zu der ärztlichen Untersuchung in 1. Instanz angehört worden und habe ihr Einverständnis nach Rücksprache mit ihrer Anwältin erklärt. Zudem sei ihr rechtzeitig durch Beschluss mitgeteilt worden, dass im Verfahren Röntgenaufnahmen gefertigt werden können.


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Beweisverwertungsverbot aufgrund einer Zwangslage

Der Senat erwähnt in seiner Entscheidung die entgegenstehende Rechtsprechung des Landgerichts Berlin. Dieses hatte im Beschluss vom 02.02.2010 (Az.: 83 T 517/09) ein Beweisverwertungsverbot angenommen. Die Richter stützten die Entscheidung auf die nicht vorhandene Ermächtigungsgrundlage im Rahmen des § 25 Abs. 1 S. 1 RöV. Daran könne auch ein Einverständnis des zu Begutachtenden nichts ändern. Dies sei kein Zulässigkeitsgrund nach der RöV. Der zu Begutachtende müsste auch davor geschützt werden, zu einem Einverständnis gezwungen zu werden, das z. B. aus dem Zwang heraus entstünde, unglaubhaft zu wirken. Das Oberlandesgericht Hamm setzt sich jedoch mit dieser Argumentation nicht substantiiert auseinander, sondern verweist darauf, dass die Betroffene im zu entscheidenden Fall nicht in so einem Entscheidungskonflikt gestanden habe. Sie sei anwaltlich vertreten gewesen und habe die radiologische Untersuchung ohne jeden weiteren Kommentar zugelassen. Es sei keine Zwangslage bei der Erteilung des Einverständnisses in die Röntgenuntersuchung ersichtlich gewesen.


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Verfahrensrecht als Ermächtigungsgrundlage

Die Problematik der Altersfeststellung durch Röntgenuntersuchung hat die Gerichte bereits früher beschäftigt. Gegenstand war dabei die, auch vom OLG Hamm verneinte, Frage, ob auch Verfahrensrecht als Ermächtigungsgrundlage für eine Röntgenuntersuchung ausreichend sein kann.

Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht hatte in einem sozialrechtlichen Fall die Altersbestimmung für zulässig erklärt (Beschl. v. 09.02.2011, Az.: 4 Bs 9/11). Als ausreichende Ermächtigungsgrundlage wurde dabei § 62 SGB I angesehen:

„Wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, soll sich auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers ärztlichen und psychologischen Untersuchungsmaßnahmen unterziehen, soweit diese für die Entscheidung über die Leistung erforderlich sind.“

Das Gericht sieht dabei die Ermächtigungsgrundlage der Röntgenverordnung nicht als abschließend an. Danach sei unter rechtshistorischen Gesichtspunkten erst durch die Röntgenverordnung von 1973 (BGBl. I S. 173) eine Regelung zur Anwendung von Röntgenstrahlung am Menschen getroffen worden. Er habe nicht alle sondern nur beispielhafte Fälle der Anwendung geregelt. Auch die Anwendung im Rahmen von Strafverfahren habe er als zulässig betrachtet (unter Verweis auf BR-Drs. 50/72, S. 24 und BR-Drs. 230/02, S. 93). Im Strafprozessrecht stelle nach allgemeinder Ansicht die Gestattung der körperlichen Untersuchung gemäß § 81a StPO eine taugliche Ermächtigungsgrundlage auch für Röntgenuntersuchungen dar. Hätte der Gesetzgeber dies anders regeln wollen, hätte er dies getan. Zudem erwähne § 25 Abs. 1 S. 1 RöV ausdrücklich auch sonstige durch Gesetz zugelassene Fälle. Die Röntgenuntersuchung werde jedoch im sonstigen Sozialrecht nur in § 28 Abs. 2 S. 1 SGB V als Teil der Zahnbehandlung geregelt; diese sei jedoch ohnehin bereits Teil der § 26 Abs. 1 S. 1 RöV. Wenn man § 28 Abs. 1 S. 1 SGB V also eng auslegte, gäbe es keine sonstigen zugelassenen Fälle im Sozialrecht. Das OVG Hamburg verweist jedoch gleichzeitig darauf, dass gleichwohl eine rechtfertigende Indikation nach § 23 RöV durch einen fachkundigen Arzt gestellt werden müsse.

Gerade diese Ermächtigungsgrundlage des § 62 Abs. 1 SGB 1 hatte jedoch wiederum das Landgericht Berlin in einer anderen Entscheidung für untauglich gehalten (Beschl. v. 16.06.2009, Az. 83 T 480/08). Eine verfahrensrechtliche Vorschrift stelle keine ausreichende Rechtsgrundlage dar. Gerade angesichts des Schutzzwecks der Röntgenverordnung könne ein Betroffener nicht verpflichtet werden, sich einem solchen gesundheitlichen Risiko auszusetzen. Als Ermächtigungsgrundlage verstieße § 62 Abs. 1 SGB V gegen das verfassungsrechtliche Wesentlichkeitsprinzip und Bestimmtheitsgebot hinsichtlich eines Eingriffs in das Recht auf körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG.

Ebenfalls gegen die Auffassung des OVG Hamburg hat sich das Amtsgericht Schöneberg (Beschl. v. 23.05.2014, Az.: 85 F 106/14) gestellt. Dieses sieht ähnlich wie das OLG Hamm in den Regelungen des FamFG und der ZPO keine Ermächtigungsgrundlage. Im Gegensatz zum OVG Hamburg sei aber eine Röntgenuntersuchung gerade nicht immer dann zulässig, wenn eine beliebige körperliche Untersuchung zulässig sei. § 25 RöV habe gerade die Aufgabe, Röntgenuntersuchungen besonderen Restriktionen zu unterwerfen.

Eine vermittelnde Ansicht vertritt das OLG München (Beschl. v. 15.03.2012, Az.: 26 UF 308/12). Dieses hält eine Röntgenuntersuchung zur Altersfeststellung trotz Einwilligung des Betroffenen aufgrund des Wortlauts von § 25 Abs. 1 S. 1 RöV für „sehr problematisch“. Außerhalb von Strafverfahren sei „zu beachten, dass keine juristische Legitimation für die Durchführung von Röntgenuntersuchungen vorliegt und insofern nur ein eingeschränktes Methodenspektrum zur Verfügung steht.“ Diese Ansicht bringt zum Ausdruck, dass der Wortlaut des § 81a StPO im Vergleich zu den übrigen Verfahrensvorschriften erheblich tiefere Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit zulässt.


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Ergebnis

Die Entscheidungen der verschiedenen Instanzgerichte und Gerichtszweige zur Zulässigkeit von Röntgenuntersuchungen zur Altersbestimmung fallen in hohem Maße unterschiedlich aus.

Die 1. Problematik besteht darin, dass es zweifelhaft ist, dass verfahrensrechtliche Vorschriften als eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage angesehen werden können, wenn die Voraussetzungen des § 25 Abs. 1 S. 1 RöV nicht erfüllt sind. Auch wenn hier rechtshistorische Argumente dafür sprechen mögen, dass auch Verfahrensvorschriften genügen können, so ist Sinn und Zweck des § 25 Abs. 1 S. 1 RöV gerade, die Besonderheit der Röntgenuntersuchung herauszustellen, die an besonders hohe Bedingungen geknüpft ist. Verfassungsrechtliche Argumente sprechen dafür, dass verfahrensrechtliche Vorschriften – ohne direkten Bezug zu Röntgenuntersuchungen und ohne eine höhere Eingriffsintensität – nicht als hinreichende Ermächtigungsgrundlage angesehen werden können.

Die weitere Frage ist, ob auch bei einer Einwilligung des Betroffenen ein Beweisverwertungsverbot angenommen werden kann. Auch hier sprechen verschiedene Argumente für und gegen eine solche Annahme, wenngleich in dem vom OLG Hamm entschiedenen Fall durchaus Zweifel bleiben, ob eine korrekte Aufklärung durchgeführt und die rechtfertigende Indikation überhaupt gestellt wurde.

Angesichts der unterschiedlichen Ansichten der Rechtsprechung – und der möglicherweise zunehmenden Problematik – ist der Gesetzgeber aufgerufen, hier dringend eine gesetzliche Klärung herbeizuführen.

Lic. iur. can. Urs Fabian Frigger
Rechtsanwalt

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