Rofo 2016; 188(02): 218-224
DOI: 10.1055/s-0042-100349
DRG-Mitteilungen
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ärztliche Aufklärungspflichten bei diagnostischen Röntgenuntersuchungen (1. Teil)

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Publication Date:
27 January 2016 (online)

 

Einführung

In der Medizin werden ionisierende Strahlen zu Diagnose- (z. B. Röntgenaufnahmen, Röntgendurchleuchtungen, Angiografien, Computertomografie) oder zu Therapiezwecken (z. B. Tumorzerstörung, Reizbestrahlung) eingesetzt. Damit wird notwendigerweise die Grundlage für Strahlenexpositionen, d. h. die Einwirkung ionisierender Strahlen auf den menschlichen Körper, geschaffen.

Die Einwirkung ionisierender Strahlen auf lebende Organismen birgt im Vergleich zu anderen vom Gesetz reglementierten Schadensursachen eine besondere Problematik in sich. Die zur Schädigung führenden sog. Primärvorgänge spielen sich im mikrophysikalischen Bereich unsichtbarer und molekularer Größenordnungen ab. Zwischen diesen Primärereignissen und der sinnlich wahrnehmbaren „Schädigung“ liegen komplizierte und noch immer nicht vollständig aufgeklärte physikalisch-chemische und biologische Reaktionsketten, wobei ein mögliches Schadensereignis bei diagnostischen Röntgenuntersuchungen mit geringer Wahrscheinlichkeit von 1:10.000 bis 1:100.000 typischerweise nach 15 bis 25 Jahren auftritt.

Im Zusammenhang mit der Kodifizierung des Behandlungsvertrags in den §§ 630a ff. BGB durch das Patientenrechtegesetz vom 20.02.2013 (BGBl. I, S. 277) und der sich hieraus ergebenden Pflichten des Arztes wird die Diskussion um die Eingriffsqualität ionisierender Strahlen weiterhin geführt. Kontrovers beurteilt wird insbesondere die Frage, ob für jede Röntgenuntersuchung die Aufklärung des Patienten durch den behandelnden Arzt erforderlich ist. Der nachfolgende Beitrag unternimmt den Versuch, dem Radiologen, der dem Aufklärungspostulat täglich im hektischen Praxis- und Klinikbetrieb in den unterschiedlichen Situationen genügen soll, zu dieser Frage eindeutige und praktikable Handlungsanweisungen zu geben.


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Grundlagen: Einwilligung und Aufklärung

Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat in der Sache stets zu Recht daran festgehalten, dass jeder Eingriff in die körperliche oder gesundheitliche Befindlichkeit des Patienten – sei er behandlungsfehlerhaft oder frei von einem Behandlungsfehler – als Verletzung des Behandlungsvertrags und als rechtswidrige Körperverletzung zu werten ist, wenn er sich nicht im konkreten Fall durch eine wirksame Einwilligung des Patienten als gerechtfertigt erweist (vgl. BGH, Urt. v. 13.03.2005 – VI ZR 313/03, NJW 2005, 1718). Sie hat diesen Standpunkt nicht mehr in erster Linie aus dem herkömmlichen konstruktiven Rechtswidrigkeitskonzept legitimiert, sondern maßgeblich aus dem Gesichtspunkt des Selbstbestimmungsrechts des Patienten – im Sinne der zivilrechtlichen Konkretisierung der Verfassungsgarantie auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und auf Achtung der personalen Würde – abgeleitet, das dem Patienten Rechtsgewähr dafür geben muss, dass er in der medizinischen Betreuung nicht zum Objekt herabgestuft wird, sondern eigenverantwortliches Subjekt der Behandlung bleibt. Sie ist sowohl vertragliche Pflicht wie außervertraglicher Ausfluss der deliktischen Garantenstellung des Arztes (vgl. Geiß / Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 2014, Rn. 1, beck-online).

§ 630 d Abs. 1 S. 1 BGB bestimmt daher bzgl. des Erfordernisses der Einwilligung des Patienten Folgendes:

„(1) Vor Durchführung einer medizinischen Maßnahme, insbesondere eines Eingriffs in den Körper oder die Gesundheit, ist der Behandelnde verpflichtet, die Einwilligung des Patienten einzuholen.[…]“

§ 630 d Abs. 1 S. 1 BGB regelt die grundsätzliche vertragliche Pflicht des Behandelnden, die Einwilligung des Patienten „vor Durchführung einer medizinischen Maßnahme“ einzuholen. Bereits die Notwendigkeit der Einwilligung unterliegt jedoch Grenzen, da nicht jede medizinische Maßnahme gemeint ist, sondern nur eine solche, „die sich auf die körperliche Integrität oder sonstige persönlichkeitsrechtlich geschützte Interessen des Patienten bezieht“ (vgl. BT-Drs. 17/10488, 23; Spickhoff / Spickhoff, BGB § 630 d Rn. 1–14, beck-online).

Die Einwilligung nach § 630 d BGB ist eng verbunden mit der Aufklärung nach § 630e BGB, denn der ärztliche Eingriff muss von einer durch Aufklärung getragenen Einwilligung des Patienten gedeckt sein, um als rechtmäßig gelten zu können (vgl. Laufs, in Laufs / Kern, Handbuch des Arztrechts, 2010, § 59 Rn. 1). Die Wirksamkeit der Einwilligung setzt daher voraus, dass der Einwilligende zuvor aufgeklärt worden ist (§ 630 d Abs. 2 BGB). Die Aufklärungspflicht soll den Patienten davor schützen, dass sich der Arzt ein ihm nicht zustehendes Bevormundungsrecht anmaßt. Solchem Verständnis entspricht, auch die Heilzwecken dienende ärztliche Behandlung haftungsrechtlich – aus Behandlungsvertrag wie aus unerlaubter Handlung – zu sanktionieren, wenn es an einer wirksamen Zustimmung des Patienten fehlt (Geiß / Greiner, Arzthaftpflichtrecht, C. Haftung aus Aufklärungsfehler, Rn. 2, beck-online).

Die Aufklärungspflichten werden demgemäß in § 630e Abs. 1 BGB wie folgt beschrieben:

„(1) Der Behandelnde ist verpflichtet, den Patienten über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufzuklären. Dazu gehören insbesondere Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie. Bei der Aufklärung ist auch auf Alternativen zur Maßnahme hinzuweisen, wenn mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können.“

Prinzipiell sind die Patienten daher über „sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände“ aufzuklären. Die Risikoaufklärung soll Informationen über die Gefahren eines ärztlichen Eingriffs, nämlich über mögliche dauernde oder vorübergehende Nebenfolgen, die sich auch bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt, bei fehlerfreier Durchführung des Eingriffs nicht mit Gewissheit ausschließen lassen, vermitteln (vgl. Laufs / Kern, Handbuch des Arztrechts, 2010, S. 724).

Andererseits hat die Rechtsprechung dem Erfordernis der Risikoaufklärung auch gewisse Grenzen gesetzt. So ist Aufklärung „nicht schon dann erforderlich, wenn Nebenschäden der vorgesehenen Behandlung nicht mit absoluter Sicherheit oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen sind“ (BGH NJW 1963, 393, 394). „Über Risiken, die mit der Eigenart eines Eingriffs spezifisch verbunden sind (typische Risiken), ist unabhängig von der Komplikationsrate aufzuklären; bei anderen Risiken (atypische Risiken) ist die Aufklärung abhängig von der Komplikationsrate.“ Auch über seltene Risiken hat der Arzt aufzuklären, wenn sie im Falle ihrer Verwirklichung das Leben des Patienten schwer belasten und trotz ihrer Seltenheit für den Eingriff spezifisch, für den Laien aber überraschend sind (vgl. Laufs / Kern, Handbuch des Arztrechts, 2010, S. 724 mit zahlreichen Nachweisen).

Hierzu gehört beispielsweise im Bereich der zerebralen Angiografie die Aufklärung über das Risiko neurologischer Ausfälle wie Querschnittslähmung, Halbseitenlähmung, Schlaganfallrisiko, bleibende Sprachstörungen (vgl. OLG Hamm VersR 1981, 686; 1992, 833). Bei der Durchführung einer Periradikulären Therapie (PRT) – auch CT-gesteuert – verlangt die Rechtsprechung die Aufklärung des Patienten über das Risiko einer Querschnittslähmung (vgl. BGH, Urt. v. 06.07.2010 – VI ZR 198/09; OLG Köln, Urt. v. 12.01.2011–5 U 37/10). Auch wurde eine Aufklärung über das Auftreten unter Umständen erheblicher Schmerzen im Rahmen einer Rektoskopie zwecks Ausschlusses des Verdachts auf einen Tumor gefordert (BGHZ 90, 103 = NJW 1984, 1397). Diesen Fällen notwendiger Risikoaufklärung liegen medizinisch-technische Verfahren zugrunde, bei denen ein therapeutischer Eingriff im Vordergrund steht und die Röntgenuntersuchung lediglich einen diagnostischen Nebeneffekt hat. In diesen Fällen ist über die typischen Risiken in jedem Fall aufzuklären.

Ein besonderes Augenmerk legt die Rechtsprechung auf die Risikoaufklärung bei sog. diagnostischen Eingriffen. Sie unterscheidet zwischen diagnostischen Eingriffen mit und ohne therapeutischen Eigenwert (z. B. Koronarangiografie, Endoskopie). Bei diagnostischen Eingriffen ohne therapeutischen Eigenwert gelten allgemein strengere Maßstäbe für die Aufklärung des Patienten über die mit der medizinischen Maßnahme verbundenen Gefahren, sofern der invasive Schritt nicht gerade dringend oder sogar vital indiziert erscheint; hier hat der Arzt dem Patienten selbst entfernt liegende Komplikationsmöglichkeiten in angemessener Weise darzutun (vgl. Laufs / Kern, Handbuch des Arztrechts, 2010, S. 728; BGH NJW 1979, 1933, 1934; OLG Koblenz NJW-RR 2002, 816; OLG Karlsruhe VersR 1989, 1053 – Transurethrale Elektroresektion bei Verdacht auf Prostatakarzinom). Richtet sich der diagnostische Eingriff dagegen vorrangig auf Heilung und nur zugleich auch auf diagnostische Zwecke, besteht eine normale Aufklärungspflicht wie bei einem therapeutischen Eingriff (vgl. OLG Karlsruhe VersR 1978, 769, 770).

Ist die Aufklärung fehlerhaft, führt dies – einen Körper- oder Gesundheitsschaden des Patienten vorausgesetzt – über § 280 Abs. 1 BGB zur Haftung aus Verletzung der vertraglichen Sorgfaltspflicht; zugleich ist aber die Einwilligung des Patienten grds. unwirksam und damit der ärztliche Eingriff in die Gesundheit des Patienten rechtswidrig mit der Haftungsfolge aus § 823 BGB (Geiß / Greiner, Arzthaftpflichtrecht, C. Haftung aus Aufklärungsfehler, Rn. 2, beck-online). Allerdings wird zusätzlich eine Ursächlichkeit der pflichtwidrigen Aufklärungsunterlassung für den Zustimmungsmangel und den Behandlungseingriff gefordert. Soweit der Arzt substantiiert vortragen kann, dass der Patient bei ordnungsgemäßer Aufklärung den Eingriff in gleicher Weise von ihm hätte durchführen lassen, muss der Patient plausible Gründe dafür darlegen, dass er sich in diesem Falle in einem echten Entscheidungskonflikt befunden haben würde. Abzustellen ist auf die persönliche Entscheidungssituation dieses Patienten. Was aus ärztlicher Sicht sinnvoll und erforderlich gewesen wäre und wie ein „vernünftiger Patient“ sich verhalten haben würde, ist deshalb grundsätzlich nicht entscheidend. Dieser Nachweis der „hypothetischen Einwilligung“ unterliegt strengen Voraussetzungen, damit nicht das Recht des Patienten zur Aufklärung auf diesem Wege unterlaufen wird (BGH, Urt. v. 17.03.1998 – VI ZR 74/97, NJW 1998, 2734).

In der weiteren Ebene zwischen dem ärztlichen Eingriff und den in Betracht stehenden Schäden des Patienten setzt die Aufklärungsfehlerhaftung materiell voraus, gleich derjenigen für Behandlungsfehler, dass der Schaden durch den Eingriff verursacht worden ist (Geiß / Greiner, Arzthaftpflichtrecht, C. Haftung aus Aufklärungsfehler, Rn. 122, beck-online). Es muss also ein adäquater Kausalzusammenhang zwischen unterlassener Aufklärung und eingetretenem Schaden bestehen:

„Der Kausalzusammenhang ist Grund und Grenze der Haftung zugleich. Grund der Haftung, weil für die Folgen eines wirksam gewordenen Verhaltens bei Zurechnung eingestanden werden muss. Die Kausalität begrenzt jedoch auch die Haftung, da nur so weit Schadensersatz zu leisten ist, als sich das Verhalten ausgewirkt hat.“ (Deutsch NJW 1986, 2368; Laufs / Kern, Handbuch des Arztrechts, 2010, S. 1258).

Für die Aufklärung besteht daher nur dann eine Notwendigkeit, wenn durch die ärztliche Maßnahme ein Körper- oder Gesundheitsschaden des Patienten überhaupt kausal begründet werden kann. Dies dürfte sich im Bereich der ionisierenden Strahlen prinzipiell nur mit der Hilfe von Sachverständigen ermitteln lassen, da nach wohl einhelliger Auffassung in der Naturwissenschaft die Frage grundsätzlich nicht mit der Nennung eines bestimmten Werts beantwortet werden kann. Dosisgrenzwerte, wie sie für beruflich strahlenexponierte Personen existieren, gibt es für Patienten nämlich nicht, da für sie die Strahlenanwendung nicht nur ein Risiko, sondern auch einen medizinischen Nutzen birgt (Riemer, Einflüsse epidemiologischer Forschung auf das Strahlenschutzrecht, Diss. 2005, S. 75; Jung / Wigge, Urteilsanmerkung, MedR 1998, 329, 330). Vielmehr hängt der quantitative Effekt einer bestimmten Strahleneinwirkung von einer ganzen Reihe modifizierender Faktoren ab (vgl. Reinhardt, Der strafrechtliche Schutz vor den Gefahren der Kernenergie und den schädlichen Wirkungen ionisierender Strahlen, 1989, S. 29, 30).


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Gefährdungspotenziale von Röntgenstrahlen bei diagnostischen Anwendungen

Das Vorliegen einer pathologischen Gesundheitsbeeinträchtigung durch Röntgenuntersuchungen ist angesichts der geringen Strahlendosen, die bei ordnungsgemäß durchgeführten diagnostischen Röntgenuntersuchungen auftreten, nur schwer nachweisbar. Voraussetzung für eine Körperverletzung wäre jedoch nicht lediglich das Vorliegen einer abstrakten Schädigungseignung der durchgeführten Röntgenuntersuchung, sondern ein nachweisbarer Strahlenschaden im medizinischen Sinne. Schließlich ist der Kausalzusammenhang zwischen etwaigen Veränderungen und der Strahleneinwirkung nachzuweisen.

Es ist wissenschaftlich anerkannt, dass ionisierende Strahlen, die auf den menschlichen Körper treffen, dort Zellen schädigen oder abtöten und Erbanlagen verändern können. Die schädlichen Wirkungen ionisierender Strahlen, gegen die ein entsprechender Schutz erforderlich ist, werden in „deterministische” und „stochastische” Strahlenschäden eingeteilt.

Deterministische Strahlenschäden treten auf, wenn die Anzahl der durch Strahlung abgetöteten Zellen relativ groß ist, d. h. wenn eine Schwellendosis überschritten wird. Deterministische Strahlenschäden treten relativ bald (typischerweise nach 2–4 Wochen am Ort des Strahleneintrittsfeldes) nach Strahlenexposition auf und sind deshalb relativ leicht kausal auf eine vorausgegangene Bestrahlung zurückzuführen. Allerdings ist nicht zu erwarten, dass bei einmaliger Teilkörperexposition mit Eintrittsdosen unterhalb von 1 Gray (1 Gy) deterministische Strahlenschäden auftreten. Auch bei mehrfacher Röntgendiagnostik von Patienten mit typischen effektiven Dosen von 0,1–10 mSv wird diese Schwellendosis nicht erreicht.

Entscheidend für die Gesundheitsgefährdung im Bereich niedriger Strahlendosen und somit auch für die Abschätzung der Risiken der Röntgendiagnostik sind demgegenüber in erster Linie die stochastischen Strahlenschäden. Sie beruhen auf nicht reparierten Schäden der betroffenen Zellen und können zu neoplastischen Veränderungen und zu Erbkrankheiten führen. Bei diesen Schäden gibt es nach bisherigen strahlenbiologischen Annahmen keine Schwellendosis; außerdem ist nicht die Schwere des Schadens von der Dosis abhängig, sondern die Eintrittswahrscheinlichkeit. Das Hauptrisiko in diesem Dosisbereich besteht in dem Auftreten von strahlenbedingten Krebskrankheiten. Im Vergleich dazu ist das Risiko für Erbveränderungen deutlich niedriger einzuschätzen, da 1. die Häufigkeit bei gleicher Dosis geringer ist und 2. die Schädigung für die betroffene Person im allgemeinen weniger gravierend ist als eine Krebserkrankung.

Die Häufigkeit, nach einer Röntgenuntersuchung des Thorax an einem strahleninduzierten Karzinom zu versterben, beträgt ca. 1:100 000. Bei einer Untersuchung der Extremitäten liegt das Risiko weit unter 1:1 000 000, bei der Lendenwirbelsäule bei 1:50 000, der Halswirbelsäule 1:10 000 und der Brustwirbelsäule 1:5 000. Bis die Schädigung unmittelbar eintritt, d. h. bis eine Krebserkrankung klinisch manifestiert wird, vergehen nach der Strahlenexposition im Durchschnitt 15 bis 25 Jahre. Bei einer Einzelperson ist es daher im Ergebnis nicht möglich, einen kausalen Zusammenhang zwischen einer vorausgegangenen Strahlenexposition und einer klinisch manifesten Krebserkrankung nachzuweisen, weil ein durch Strahlung verursachtes Karzinom klinisch nicht von denjenigen zu unterscheiden ist, die durch andere natürliche oder zivilisatorische Einflüsse hervorgerufen wurden. Die Sterblichkeit aufgrund spontaner Krebserkrankungen lag 2010 bei ca. 25% (DKFZ 2013) und ist damit z. B. über 1000-mal höher als das Mortalitätsrisiko nach einer CT-Untersuchung mit 10 mSv. Bei Einzelfallbegutachtungen wird deshalb eine Strahlenbedingtheit einer Erkrankung dann als gegeben angesehen, wenn die Wahrscheinlichkeit für eine Strahleninduktion 50% oder mehr beträgt. Gerade hiervon kann bei röntgendiagnostischen Untersuchungen auch bei mehrfacher Anwendung nicht ausgegangen werden (Jung / Wigge, Urteilsanmerkung, MedR 1998, 329, 330).

Die körperlichen Veränderungen, die durch die Strahlendosen von diagnostischen Röntgenuntersuchungen verursacht werden können, liegen in der Regel im nicht nachweisbaren Bereich und haben – bezogen auf Befinden und Funktion des Körpers der Betroffenen – grundsätzlich keine pathologisch relevante Bedeutung. Von kleinen Strahlendosen gehen anerkanntermaßen keine nachweisbaren Wirkungen aus; ab etwa 0,2 Sv sind Chromosomenveränderungen nachweisbar, ab etwa 0,5 Sv sind geringfügige Blutbildveränderungen beobachtbar, die allerdings nach Stunden bis wenigen Tagen durch Reparaturvorgänge des Körpers wieder verschwunden sind. Wollte man diese Strahlendosen bereits als Körperverletzung bewerten, würde die bisherige Rechtsprechung aufgegeben, wonach ein nicht ganz unerheblicher Gesundheitsschaden vorausgesetzt wird. Darüber hinaus würde damit die anerkanntermaßen bestehende natürliche Umgebungsstrahlung (kosmische und terrestrische Strahlung) außer Acht gelassen, die in bestimmten Regionen durchaus eine vergleichbare Strahlenintensität aufweisen kann. In Finnland beträgt beispielsweise die Lebenszeitdosis durch die natürliche Strahlung im Mittel 0,5 Sv, wobei einzelne Individuen deutlich höhere Strahlendosen erhalten.


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Rechtsprechung zur Aufklärungspflicht bei Röntgenuntersuchungen

Die Tatsache, dass sich die Frage, ab wann von einer konkreten Strahlengefahr bzw. von einer Schädigungseignung ionisierender Strahlen auszugehen ist, nicht ohne weiteres beantworten lässt und darüber hinaus die Kausalität eines Strahlenschadens im diagnostischen Dosisbereich nur schwer nachweisbar ist, hat die Gerichte bisher veranlasst, sich bei der Annahme einer Körperverletzung durch die Zuführung radioaktiver Strahlung zurückzuhalten (vgl. LG München NStZ 1982, 470).

Irritationen hat demgegenüber eine Entscheidung des 2. Strafsenats des BGH aus dem Jahre 1997 hervorgerufen, in der die medizinisch nicht indizierte Durchführung von Röntgenaufnahmen als vorsätzliche Körperverletzung i.S.v. § 223 StGB gewertet wurde, da die Bestrahlung eines Menschen nachteilige Veränderungen seines Körpers bewirke (BGH, Urt. v. 03.12.1997–2 StR 397/97, MedR 1998, 326 ff.). Ein Facharzt für Orthopädie hatte bei Privat- und Krankenkassenpatienten in einer Vielzahl von Fällen medizinisch nicht erforderliche Röntgenuntersuchungen vorgenommen, um erhöhte Honorare in Rechnung stellen zu können. Der BGH hatte in der Entscheidung festgestellt, dass die Einwirkung der Röntgenstrahlen, auch angesichts der Häufigkeit der Strahlenexposition im vorliegenden Fall, somatisch zu fassbaren nachteiligen Veränderungen der Körperbeschaffenheit führe, auch wenn klinisch erkennbare Schäden nicht oder nicht sogleich wahrnehmbar seien:

„Die Einwirkung der Röntgenstrahlen führt zu somatisch faßbaren nachteiligen Veränderungen der Körperbeschaffenheit, auch wenn klinisch erkennbare Schäden nicht oder nicht sogleich wahrnehmbar sind. Ob das Herbeiführen dieser pathologischen Verfassung mehr als nur eine unerhebliche Beeinträchtigung der Gesundheit darstellt, unterliegt auch normativer Bewertung. Nach der Rechtsprechung des BGH reicht schon die Ansteckung mit einer nicht ganz unerheblichen Krankheit oder einem Virus (HIV-Virus) aus, ohne daß es zum Ausbruch einer Krankheit gekommen sein muß, um eine Gesundheitsbeschädigung zu bejahen (BGHSt 36, 1, 6, 7; 36, 262, 265), da damit der körperliche Zustand des Betroffenen tiefgreifend verändert wird. Ähnlich sind die unmittelbaren Auswirkungen von Röntgenstrahlen auf den menschlichen Körper zu beurteilen. Die einmalige, kurzzeitige oder nur gelegentlich wiederholte ordnungsgemäße Anwendung von Röntgenstrahlen mag in der Regel noch nicht als Körperverletzung zu beurteilen sein. Anders ist es aber, wenn die Zerstörung der Zellstrukturen durch Röntgenuntersuchungen – insbesondere auch bei Menschen, die bereits früher häufig ionisierenden Strahlen ausgesetzt waren – die Gefahr des Eintritts von Langzeitschäden nicht nur unwesentlich erhöht.“

Die Ansicht des Bundesgerichtshofs ist insoweit problematisch, als für die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der Gesundheitsbeschädigung i. S. v. § 223 Abs. 1 StGB erforderlich ist, dass ein pathologischer Zustand hervorgerufen oder – wenn auch nur vorübergehend – gesteigert wird. Das Vorliegen einer Gesundheitsverschlechterung bei mehrfachem Röntgen erscheint jedoch angesichts der geringen Strahlendosen, die bei ordnungsgemäß durchgeführten röntgendiagnostischen Untersuchungen auftreten, zweifelhaft. Schließlich ist der Kausalzusammenhang zwischen etwaigen Veränderungen und der Strahleneinwirkung nachzuweisen (Jung / Wigge, Urteilsanmerkung, MedR 1998, 329, 330). Auch der vom BGH vorgenommene Vergleich mit seiner Rechtsprechung zur Ansteckung mit einer nicht ganz unerheblichen Krankheit oder einem Virus (z. B. HI-Virus) vermag wissenschaftlich nicht zu überzeugen. Bei der Übertragung des AIDS-Erregers wird eine Körperverletzung bereits mit der Übertragung des Virus angenommen, da der körperliche Normalzustand des Betroffenen sich bereits in der sog. Latenzphase (bis zu sechs Jahren und mehr) bis zum Ausbruch der Krankheit tiefgreifend verändert (BGHSt 36, 1, 6, 7; 36, 262, 265).

Unabhängig von der strafrechtlichen Bewertung des Urteils sind jedoch dessen Aussagen in erster Linie auf den dem Urteil des BGH zugrunde liegenden Fall zu beziehen, in dem der Arzt in zahlreichen Fällen Patienten in exzessiver Weise geröntgt hatte. Hier mag es wegen der starken Erhöhung des Schadensrisikos naheliegen, die Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit anzunehmen, unabhängig davon, ob sich der Eintritt von Langzeitschäden voraussagen lässt. Der BGH geht jedoch davon aus, dass diese Annahme als Ausnahme zu bewerten ist, denn er führt aus, dass „die einmalige, kurzzeitige oder nur gelegentlich wiederholte ordnungsgemäße Anwendung von Röntgenstrahlen“ in der Regel noch nicht als Körperverletzung zu beurteilen sein mag (BGH MedR 1998, 326, 329).

Für die zivilrechtliche Haftung eines Arztes aufgrund einer fehlenden Aufklärung und dem Auftreten einer Schädigung bleibt es demgegenüber bei dem Erfordernis eines nachweisbaren Zurechnungszusammenhangs. Diese Auffassung hat der BGH in einer Entscheidung über die Aufklärungspflichtverletzung des Arztes bei Telekobaltbestrahlung bestätigt (vgl. BGH, Urt. v. 12.12.1989 – VI ZR 83/89, NJW 1990, 1528). In dem betreffenden Fall erhielt die Patientin eine Telekobaltbestrahlung von jeweils 300 rd (= 3 Gy), insgesamt eine Bestrahlungsdosis von 4200 rd (= 42 Gy) über 28 Tage und erlitt eine Nervenläsion im rechten Arm.

Der BGH führte aus, dass Patienten prinzipiell auch über sehr seltene, ihre Lebensführung aber im Fall des Eintritts stark belastende gefährliche Nebenwirkungen der Strahlentherapie aufzuklären sind. Das gelte indessen nur dann, wenn nach dem medizinischen Erfahrungsstand im Zeitpunkt der Behandlung ein solches Risiko bekannt und mit seinem Eintritt zu rechnen gewesen ist. Ein solches Risiko war jedoch nicht bekannt. Eine Aufklärungsplicht bestand nach Ansicht des Gerichts daher auch nicht aufgrund der „spezifischen Gefahren“ der Strahlentherapie:

„Nach Ansicht des erkennenden Senates kann auch nicht, wie die Revisionserwiderung zu bedenken gibt, vor einer Strahlentherapie wegen ihrer spezifischen Gefahren verlangt werden, dass der behandelte Arzt seinen Patienten darauf hinweist, es könne bei höheren Strahlendosen als für die Behandlung geplant in seltenen Fällen zu Strahlenschäden kommen. Solche rein theoretisch bleibende Erörterungen über Risiken, die bei anderer Behandlungsstrategie bekannt sind, sind in aller Regel ebenso wenig wie allgemeine Überlegungen dazu, dass der Eintritt bislang unbekannter Komplikationen in der Medizin wohl nicht ganz auszuschließen sind, für die Entscheidungsfindung des Patienten von Bedeutung. Sie würden ihn im Einzelfall sogar nur unnötig verwirren und beunruhigen“ (vgl. BGH NJW 1990, 1528, 1529).

Der Umstand, dass es sich bei der Durchführung von Untersuchungen nach der Röntgenverordnung um Eingriffe mit einer geringeren Eingriffsintensität und mit einem deutlich geringeren Risikopotenzial für die Patienten handelt, da in der Strahlentherapie bewusst eine hohe Strahlendosis eingesetzt wird, um Tumorzellen zu schädigen, macht deutlich, dass die Aussagen des BGH zur Frage der Risikoaufklärung für die Radiologie erst Recht gelten müssen.

Im Ergebnis kann daher festgehalten werden, dass eine Pflicht zur Risikoaufklärung grds. nur besteht, wenn nach dem medizinischen Erfahrungsstand im Zeitpunkt der Behandlung ein solches Risiko bekannt und mit seinem Eintritt zu rechnen gewesen ist. Der Nachweis einer pathologischen Gesundheitsbeeinträchtigung, insbesondere einer Krebserkrankung, kann jedoch angesichts der geringen Strahlendosen, die bei ordnungsgemäß durchgeführten röntgendiagnostischen Untersuchungen auftreten, nicht geführt werden, sodass hierüber prinzipiell nicht aufgeklärt werden muss.


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Vorgreiflichkeit der Röntgenverordnung (RöV)

Da die Feststellung einer Körperverletzung durch Röntgenuntersuchungen, anders als etwa bei therapeutischen Eingriffen, im Einzelfall nicht sicher möglich ist, führt dies zu einer Relativierung der ärztlichen Aufklärungspflichten gegenüber den Patienten. Eine andere Beurteilung würde sich nur dann ergeben, wenn eine besondere Form der Risikoaufklärung nach der Röntgenverordnung (RöV) von dem Arzt verlangt würde.

Der Gesetzgeber hat durch die Neufassung der Röntgenverordnung (RöV) vom 30.04.2003 (BGBl. I 2003, S. 604) selbst Maßstäbe für die Anwendung von Röntgenstrahlung am Menschen aus medizinischen Gründen gesetzlich vorgegeben, die sich auch auf die zivilrechtlichen Pflichten des Arztes im Rahmen des Behandlungsvertrags nach den §§ 630a ff. BGB auswirken.

§ 23 Abs. 1 RöV verlangt vor der Anwendung von Röntgenstrahlung am Menschen eine sog. rechtfertigende Indikation, d. h. Feststellung, dass gesundheitlicher Nutzen der Anwendung für den Patienten dem Strahlenrisiko überwiegt. Nach dem Entwurf der „Verordnung zur Änderung der Röntgenverordnung und anderer atomrechtlicher Verordnungen“ vom 13.03.2002 (BR-Drucksache 230/02, Zu Nr. 39, § 23, S. 91) hat die Risiko-Nutzen-Abwägung bei der Anwendung von Röntgenstrahlung am Menschen eine zentrale Stellung innerhalb der RöV erhalten:

„Auf Grund ihrer Bedeutung im medizinischen Bereich wird eine Einzelfallrechtfertigung in einem eigenen Paragrafen geregelt.“

Stärker noch als unter dem bis dahin geltenden § 25 Abs. 1 RöV, der die sog. ärztliche Indikation regelte, unterliegt seitdem der Einsatz von Röntgenstrahlen nach der RöV einem individuellen Rechtfertigungsprozess des Arztes. War bis dahin eine Röntgenuntersuchung oder -behandlung zulässig, wenn dies aus ärztlicher Indikation geboten war (vgl. Kramer / Zerlett, Röntgenverordnung, 1991, S. 120), besteht für den Arzt nach § 23 Abs. 1 S. 2 RöV nun zusätzlich die Vorgabe im Einzelfall festzustellen, dass „der gesundheitliche Nutzen der Anwendung am Menschen gegenüber dem Strahlenrisiko überwiegt“. Zusätzlich hat der Arzt im Rahmen seiner Entscheidung nach Abs. 1 S. 3 auch andere Verfahren mit vergleichbarem gesundheitlichem Nutzen, die mit keiner oder einer geringeren Strahlenexposition verbunden sind, bei der Abwägung zu berücksichtigen. Die Notwendigkeit dieser individuellen Rechtfertigung durch den Arzt beruht darauf, dass es, wie bereits oben dargestellt, Dosisgrenzwerte, wie sie für beruflich strahlenexponierte Personen existieren (vgl. §§ 31 ff. RöV), für Patienten nicht gibt, da für sie die Strahlenanwendung nicht nur ein Risiko, sondern auch einen medizinischen Nutzen birgt (Riemer, Einflüsse epidemiologischer Forschung auf das Strahlenschutzrecht, Diss. 2005, S. 75).

Daraus ergibt sich eine besondere Verantwortung des Arztes bei der Indikationsstellung für die Strahlenanwendung. Eine Strahlenexposition ist nur zulässig und von der Einwilligung des Patienten in die “Verletzung” seines Körpers gedeckt, wenn für ihn ein medizinischer Nutzen erwartet werden kann (Reiser / Kuhn / Debus, Radiologie, 2004, S. 65; Riemer, Einflüsse epidemiologischer Forschung auf das Strahlenschutzrecht, Diss. 2005, S. 75). Jede Anwendung ionisierender Strahlung in der Medizin muss sich damit rechtfertigen, dass ihr erkennbarer Nutzen für den Patienten die möglichen Risiken überwiegt und dass es keine alternativen strahlungsfreien Methoden mit gleicher diagnostischer oder therapeutischer Qualität gibt (vgl. Art. 3 und 4 der Richtlinie 97/43/ EURATOM).

Die Anforderungen an den Einsatz von Röntgenstrahlen sind in den Strahlenschutzgrundsätzen nach §§ 2a – 2c RöV niedergelegt, die zugleich die international geltenden Grundsätze des Strahlenschutzes „Rechtfertigung, Optimierung und Begrenzung“ widerspiegeln, die sich in Art. 6 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 96/29/EURATOM sowie in den Art. 3 und 4 der Richtlinie 97/43/EURATOM finden (BR-Drucksache 230/02, Zu Nr. 5, Abschnitt 1a und §§ 2a bis 2c, S. 71). Vergleichbare Regelungen enthält die bis Februar 2018 in das Recht aller EU-Mitgliedsstaaten umzusetzende EURATOM Norm 2013/59/Euratom.

In § 2a Abs. 2 RöV wird die Risiko-Nutzen-Abwägung im Detail wie folgt beschrieben:

„(2) Medizinische Strahlenexpositionen im Rahmen der Heilkunde, Zahnheilkunde oder der medizinischen Forschung müssen einen hinreichenden Nutzen erbringen, wobei ihr Gesamtpotenzial an diagnostischem oder therapeutischem Nutzen einschließlich des unmittelbaren gesundheitlichen Nutzens für den Einzelnen und des Nutzens für die Gesellschaft abzuwägen ist gegenüber der von der Strahlenexposition möglicherweise verursachten Schädigung des Einzelnen.“

Die rechtfertigende Indikation verpflichtet daher nach § 23 Abs. 1 S. 2 RöV den Arzt im Einzelfall festzustellen, dass der gesundheitliche Nutzen der Anwendung von Röntgenstrahlen an dem betreffenden Patienten gegenüber dem Strahlenrisiko überwiegt (Prinzip der sog. Einzelfallrechtfertigung). Darüber hinaus sieht § 25 RöV Anwendungsgrundsätze bei der Anwendung der Röntgenstrahlen am Menschen vor, die die Gebot der Verhältnismäßigkeit entsprechen und auf dem Prinzip der Nutzen-Risiko-Bewertung der rechtfertigenden Indikation entsprechen. Insbesondere das in § 25 Abs. 2 RöV S. 1 und 2 enthaltene „Optimierungsgebot“ (vgl. Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 97/43/ EURATOM), wonach eine prinzipielle Verpflichtung zur Vermeidung und Einschränkung der Strahlenexposition und eine Pflicht zur Festlegung der individuellen Dosis und Dosisverteilung durch den Arzt besteht, macht deutlich, dass der Verordnungsgeber den Arzt verpflichtet, alle Möglichkeiten zur Vermeidung einer Strahlenbelastung bei dem Patienten auszuschöpfen.

Um die rechtfertigende Indikation stellen zu können, wird der Arzt zudem verpflichtet, weitere gesetzliche Vorgaben einzuhalten. Zunächst wird durch § 23 Abs. 1 S. 1 RöV klargestellt, dass nur ein Arzt mit einer Fachkunde im Strahlenschutz nach § 24 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 RöV die Indikation stellen kann. § 23 Abs. 1 S. 5 RöV schreibt zudem vor, dass der die rechtfertigende Indikation stellende Arzt die Möglichkeit haben muss, den Patienten persönlich zu untersuchen. Er muss sich in unmittelbarer räumlicher Nähe aufhalten (Ausnahme: Teleradiologie nach § 3 Abs. 4 RöV). Aus dieser Regelung folgt allerdings keine generelle Pflicht des Arztes, den Patienten zu untersuchen, wie aus der Begründung zum Entwurf der RöV hervorgeht:

„Absatz 1 Satz 5 stellt klar, dass der Arzt mit der erforderlichen Fachkunde im Strahlenschutz, der die rechtfertigende Indikation stellt, grundsätzlich die Möglichkeit haben muss, den Patienten unmittelbar zu untersuchen. Da eine persönliche Untersuchung durch den Arzt nach § 24 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 vor Anfertigen einer Röntgenaufnahme in eindeutigen Fällen nicht immer erforderlich erscheint, wurde eine generelle Pflicht zur Untersuchung nicht festgelegt. Satz 5 verdeutlicht, dass im Unterschied zur Teleradiologie der Arzt mit der erforderlichen Fachkunde im Strahlenschutz sich grundsätzlich in räumlicher Nähe zum Patienten aufhalten und damit jedenfalls die Möglichkeit gegeben sein muss, dass er sich persönlich mit dem Patienten befasst.“

Aus § 23 Abs. 1 S. 5 RöV ergeben sich daher keine erhöhten Anforderungen an die Untersuchung des Patienten, wenn es sich um eine Röntgenuntersuchung ohne erkennbare Kontraindikationen handelt. Vielmehr macht die Regelung deutlich, dass die Durchführung von Röntgenuntersuchungen prinzipiell auch ohne vorherige Untersuchung durch den Arzt zulässig ist.

Dies ist allerdings nur dann der Fall, wenn keine besonderen Entscheidungen durch den Arzt im Rahmen der Stellung der rechtfertigenden Indikation getroffen werden müssen. Nach § 23 Abs. 1 S. 3 RöV sind im Rahmen der rechtfertigenden Indikation, erforderlichenfalls in Zusammenarbeit mit dem überweisenden Arzt, bei der Risikoabwägung Verfahren ohne bzw. mit geringerer Strahlenexposition zu berücksichtigen (z. B. MRT).

Nach § 23 Abs. 2 RöV hat der die rechtfertigende Indikation stellende Arzt, erforderlichenfalls in Zusammenarbeit mit dem überweisenden Arzt, die verfügbaren Informationen über bisherige medizinische Erkenntnisse heranzuziehen, um jede unnötige Strahlenexposition zu vermeiden. Patienten sind dabei auch über frühere medizinische Anwendungen von ionisierender Strahlung zu befragen, die für die vorgesehene Anwendung von Bedeutung sind. Da eine Untersuchung des Patienten vor einer Röntgenuntersuchung nicht immer erforderlich ist, ist davon auszugehen, dass die Feststellung dieser konkreten Informationen, wie etwaige radiologische Voruntersuchungen oder die Berücksichtigung von anderen Diagnoseverfahren zunächst ohne einen Arzt-Patienten-Kontakt erfolgen kann. Im Regelfall müssen daher diese Feststellungen durch den Radiologen nicht selbst erfolgen, sondern können auch von fachlich geschultem Personal erfragt und dokumentiert werden. Da nach § 24 Abs. 2 RöV auch nicht approbierte Personen (z. B. MTRA) zur technischen Durchführung der Untersuchung berechtigt sind, bestehen keine rechtlichen Bedenken, dieses Personal mit der Befragung der Patienten nach den erforderlichen Informationen nach § 23 Abs. 2 RöV zu beauftragen. Das nicht ärztliche Personal hat die Informationen vor Durchführung der Untersuchung an den Arzt weiterzuleiten, der zur Stellung der rechtfertigenden Indikation berechtigt ist.

Ergibt die Befragung durch das nicht ärztliche Personal bei dem Patienten Auffälligkeiten, wie etwa die Tatsache, dass vor kurzem oder häufiger radiologische Untersuchungen stattgefunden haben, muss der Arzt im Einzelfall entscheiden, ob er die Untersuchung durchführen kann. Ist danach die Durchführung der Röntgenuntersuchung für den Patienten, aufgrund seines persönlichen Gesundheitszustandes oder aufgrund bereits früher durchgeführter Untersuchungen, möglicherweise mit Risiken verbunden, so besteht aufgrund der Vorgaben in § 23 Abs. 1 RöV eine persönliche Aufklärungspflicht des Arztes gegenüber dem Patienten. In einer solchen Situation besteht dann auch, anders als im Regelfall, die Verpflichtung zur persönlichen Untersuchung.

Erhöhte Aufklärungspflichten bestehen auch bei schwangeren Patientinnen. Nach § 23 Abs. 3 S. 1 RöV müssen Frauen durch den anwendenden Arzt, ggfls. in Zusammenarbeit mit dem überweisenden Arzt, nach einer etwaigen Schwangerschaft befragt werden. Bei bestehender oder nicht auszuschließender Schwangerschaft muss die Dringlichkeit der Indikation nach § 23 Abs. 3 S. 2 RöV besonders geprüft werden. Gegenüber Schwangeren ist daher eine Aufklärung auch im Hinblick auf Kontraindikationen erforderlich. Der Verordnungsgeber geht daher im Falle der Schwangerschaft prinzipiell von einer erhöhten Sorgfaltspflicht des Arztes im Rahmen der Stellung der rechtfertigenden Indikation aus und verpflichtet diesen zur persönlichen Untersuchung und Befragung der Patientin.

Die Regelungen zur rechtfertigenden Indikation in § 23 RöV entsprechen den Vorgaben der Rechtsprechung für die Risikoaufklärung, wonach „der Patient über den Verlauf des Eingriffes, seine Erfolgsaussichten, seine Risiken und mögliche echte Behandlungsalternativen, wobei auch ein Zuwarten oder Verzicht auf eine Operation eine Alternative darstellen kann“ aufzuklären ist (vgl. BGH NJW 1984,1784). Angesichts der Tatsache, dass § 23 RöV ausdrücklich von dem „die rechtfertigende Indikation stellenden Arzt“ und dem „anwendenden Arzt“ spricht, ist auch davon auszugehen, dass in diesen oder anderen vergleichbaren Fällen nach der RöV eine gesetzliche Pflicht des Arztes gegenüber dem Patienten zur persönlichen Aufklärung besteht, die der Stellung der rechtfertigenden Indikation dient. Die Aufklärungspflicht des Arztes ist jedoch ausschließlich auf die gesetzlich nach der RöV angeordneten Fälle beschränkt, während Röntgenuntersuchungen, bei denen der Arzt über die erforderlichen Erkenntnisse über den Patienten verfügt und bei denen keine besonderen Abwägungserfordernisse nach § 23 Abs. 1 RöV bestehen, grds. auch ohne Aufklärung durchgeführt werden können.

Der Beitrag wird im nächsten Heft fortgesetzt.

Prof. Dr. Peter Wigge
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht
Rechtsanwälte Wigge
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Prof. Dr. Dr. Reinhard Loose
Chefarzt, Institut für Radiologie Nord
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