Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2016; 23(01): 10
DOI: 10.1055/s-0042-101082
Bücher
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Handbuch für praktisch tätige Flugmediziner – Umfassende Hilfestellung bei Untersuchungen und Bewertungen

Contributor(s):
Franz Grell
Siedenburg J, Küpper Th (Hrsg.)
Moderne Flugmedizin.

Stuttgart: Gentner; 2015.
ISBN: 9783872477095
Further Information

Publication History

Publication Date:
22 February 2016 (online)

 

    Siedenburg J, Küpper Th (Hrsg.). Moderne Flugmedizin. Stuttgart; Gentner; 2015; ISBN 9783872477095

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    Die Flugmedizin ist kein Massenfach und Hand-, Lehr- und Fachbücher zu diesem Sujet, zumal in deutscher Sprache, können nicht mit Millionenauflagen rechnen. Umso mehr muss es erfreuen, dass der Gentner Verlag den Mut gefasst hat, ein neues, umfangreiches (918 Seiten), gut bebildertes Handbuch der „Modernen Flugmedizin“ aufzulegen.

    Das letzte größere deutschsprachige Werk zu diesem Thema ist schon über 12 Jahre alt, deutlich geringer im Umfang und sogar etwas teurer. Andere, zwischenzeitlich erschienene, flugmedizinisch orientierte Bücher sind entweder knappere Taschenbücher / Kompendien oder konzentrieren sich auf Einzelthemen wie Flug- / Reisemedizin oder Luftrettung.

    Ein Bedarf ist also gegeben und das neue Buch versucht, diesen umfassend zu befriedigen. Ist das gelungen?

    Expertenwissen zu aktuellen und grundsätzlichen Fragen

    Jörg Siedenburg und Thomas Küpper, 2 ausgesprochen sachkundige Autoren aus dem unmittelbaren Arbeitsumfeld der Flugmedizin (Luftfahrtunternehmen sowie Hochschule), haben mehr als 20 weitere ausgewiesene Experten beteiligt und die aktuellen und grundsätzlichen Fragen des Faches mit ihrer jeweiligen speziellen Fachkenntnis darstellen lassen. Dabei wurde überwiegend geschickt vermieden, einzelnen Fachthemen unangemessen großen Platzanteil zuzugestehen.

    Naturgemäß kommt es zwischen den Koautoren, die sich vielen grundsätzlichen Themen von mehreren Seiten nähern, zu gelegentlichen Überschneidungen. Die Herausgeber haben versucht, diese zu kappen und meist ist es ihnen gelungen. Im Register fehlen dennoch zu einzelnen Fragen Zweit- und Drittfundstellen, wenn das Thema von mehreren Autoren beschrieben wird. Das ließe sich in einer zweiten Auflage, die Rupert Gerzer diesem Buch in seinem Geleitwort wünscht, sicherlich beheben oder verbessern.


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    Schwankende Qualität in Einzelbeiträgen

    Die Qualität der Einzelbeiträge ist dennoch etwas schwankend, was dem unterschiedlichen Background der Autoren geschuldet sein mag. Im ersten Kapitel „Geschichte der Flugmedizin“ wird aus der zweiten Auflage von Ruff / Strughold zitiert und mehrere Abbildungen gezeigt, ohne dass auf die fragwürdige Herkunft von Einzelaspekten in dieser 1944(!) erschienenen, in den Kapiteln „Höhe“ und „Kälte“ gegenüber der ersten Auflage (1939) stark vermehrten Fassung irgendwie verwiesen wird.

    Auch ist die pauschale Aussage, aus dem 1. Weltkrieg lägen „kriegsbedingt“ keine Angaben vor, so nicht ganz zutreffend. Spätestens ab 1919 sind in mehreren europäischen Ländern grundlegende wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Fliegerei und Höhenphysiologie veröffentlicht worden, beispielsweise von Hermann von Schrötter, der in Wien bereits vor dem 1. Weltkrieg Grundlagen zum Bau von Druckkabinen postulierte und 1919 umfangreiche flugmedizinische Erfahren aus dem Weltkrieg beschrieb.

    Zu einigen brisanten beziehungsweise aktuellen flugmedizinischen Fragestellungen vermisse ich gleichwohl grundlegende Aussagen: In Kapitel 7 wird bei „Kabinenluft“ dem „Toxic Air Syndrom“ zwar einige Aufmerksamkeit gewidmet, ohne aber diesen durchaus gängigen Begriff zu erwähnen. Die Herkunft der Kabinenluft aus den Verdichterstufen des Triebwerks bleibt unklar, die (chronischen) Risiken des Trikresyphosphats werden ausgeführt, aber der große Nutzen sofortiger Blut- und Urinasservierung und deren flugtoxikologischen Untersuchung bei akuten Verdachtsfällen / Flugzwischenfällen wird nicht weiter ausgeführt.

    Auch die Frage nach Keimverschleppung im Passagierraum bleibt unerwähnt. Dabei gibt es sehr wohl Untersuchungen, die zeigen, wie ein Passagier mit offener TBC Sitzreihen vor, hinter und neben sich kontaminiert.

    In Kapitel 14 bei „Spezifischen Anforderungen in Kampfflugzeugen“ wird zwar über persönliche Anti-G-Manöver (M1 …) geschrieben, aber die in Flugzeugen der vierten und fünften Generation mittlerweile übliche Überdruckbeatmung und die damit verbundenen möglichen Risiken für die Lunge werden nicht erwähnt. Immerhin kommt diese Frage in Kapitel 8 „Beschleunigung“ vor.

    Im Kapitel 22 folgt ein Abschnitt über „Fliegen im Spiegel der Historie“. Hier werden durchaus richtungsweisende flugtechnische und flugmedizinische Entdeckungen sonstigen historischen Ereignissen gegenüber gestellt. Mir erschließt sich der Sinn und Nutzen dieser 12 Seiten Text nicht. Was zum Beispiel hat im Jahr 1935 der Jungfernflug der Me109 mit den Nürnberger Rassegesetzen zu tun? Oder im Jahr 1969 die Apollo-11-Misson mit dem Musikfestival in Woodstock?

    Auch das Autorenverzeichnis wirft Fragen auf: Vielfach kein Hinweis, ob der Autor Arzt, Psychologe oder Ingenieur ist. Für die Bewertung der jeweiligen Aussagen wäre das nicht immer unerheblich.


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    Nützliches Werk für die Praxis

    Neben solchen doch eher geringfügigen Beanstandungen darf aber nicht übersehen werden, dass das Buch in den großen zentralen Kapiteln dem praktisch tätigen Flugmediziner und AME ganz ausgezeichnete Hilfestellung bei der Bewertung von Befunden und Krankheitszuständen im Zusammenhang mit Tauglichkeitsbescheinigungen für die einzelnen Klassen gibt. Auch der mehrfache Hinweis bei jeweiligen Problemfällen, dass klinischer Verlauf und gegebenenfalls Vorgeschichte das Gesamtbild und damit das jeweilige Urteil maßgeblich bestimmen und Einzelbefunde somit auch relativiert werden können / müssen, wirkt sich wohltuend auf die Nutzbarkeit des Buches im praktischen Leben eines Fliegerarztes aus.

    Für den deutschen Sprachraum insgesamt ein nutzbringendes Werk über „Moderne Flugmedizin“, dem auch eine zweite Auflage gern gegönnt sei.


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