Aktuelle Urol 2016; 47(01): 15
DOI: 10.1055/s-0042-102830
Referiert und kommentiert
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Prostatakarzinom – Aggressive Karzinome nach Testosteronbehandlung?

Rezensent(en):
Judith Lorenz
Baillargeon Jacques et al.
J Urol 2015;
194: 1612-1616
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
22. Februar 2016 (online)

 

Obwohl eine zunehmende Anzahl von älteren Männern in den USA mit Testosteron behandelt wird, sind die langfristigen Risiken dieser Therapie wenig untersucht. Insbesondere das Prostatakarzinomrisiko wird kontrovers diskutiert. Jacques Baillargeon und Kollegen haben sich im Rahmen einer populationsbasierten Studie mit der Frage beschäftigt, ob nach einer Testosteronbehandlung ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines aggressiv wachsenden Prostatakarzinoms nachweisbar ist.
J Urol 2015; 194: 1612–1616

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(Bild: jarun011/Fotolia.com)

Die Arbeitsgruppe von der Universität Texas in Galveston hat mithilfe der SEER-Medicare-Datenbank (SEER: Surveillance, Epidemiology and End Results) 52 579 Männer identifiziert, bei welchen zwischen 2001 und 2006 ein Prostatakarzinom diagnostiziert worden war. In 574 Fällen war innerhalb von 5 Jahren vor der Tumordiagnose eine Behandlung mit Testosteroninjektionen erfolgt. Neben soziodemografischen Daten wurden klinische Charakteristika sowie Komorbiditäten der Patienten analysiert.

Das primäre Studienoutcome umfasste das Risiko für ein High-Grade-Prostatakarzinom nach Testosteron-Exposition. Eine 6-monatige Androgendeprivationstherapie (ADT) innerhalb der ersten 12 Monate nach der Tumordiagnose wurde hierbei als Indikator für eine Hochrisiko-Erkrankung gewertet. Ferner wurde untersucht, ob eine Risikozunahme mit zunehmender kumulativer Anzahl der Testosteroninjektionen nachweisbar ist.

Aggressive Tumoren seltener bei Testosteron exponierten Patienten

Bei den mit Testosteron behandelten Männern lagen im Vergleich zu den Karzinompatienten ohne Testosteron-Exposition häufiger Komorbiditäten sowie Indikationen für eine Hormonbehandlung (Fatigue, Hypogonadismus, Osteoporose, erektile Dysfunktion) vor. Ferner wurden diese Patienten in den 2 Jahren vor der Tumordiagnose häufiger ärztlich bzw. mittels PSA-Bestimmung betreut. In diesem Testosteron exponierten Kollektiv wurde jedoch seltener eine aggressive Tumorform diagnostiziert.


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Risiko nicht erhöht

Nach Adjustierung bezüglich potenzieller soziodemografischer und klinischer Einflussfaktoren konnte mittels logistischer Regressionsanalyse nachgewiesen werden, dass Prostatakarzinompatienten, die innerhalb von 5 Jahren vor der Tumordiagnose mit Testosteron behandelt worden waren,

  • weder ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines High-Grade-Tumors haben (Odds-Ratio [OR] 0,84; 95 %-Konfidenzintervall [KI] 0,67–1,05)

  • noch häufiger eine primäre ADT erhalten (OR 0,97; 95 %-KI 0,74–1,30).

Auch für eine Dosis-Wirkungs-Beziehung fanden sich keine Anhaltspunkte: Mit steigender Gesamtzahl von Hormoninjektionen war kein erhöhtes Risiko für eine aggressivere Tumorform nachweisbar (OR 1,00; 95 %-KI 0,99–1,01).

Fazit

Eine Behandlung mit Testosteron, so die Kernaussage der retrospektiven Studie, ist nicht mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung eines High-Grade-Pros­tatakarzinoms assoziiert. Auch die Anzahl der Behandlungen hatte keinen Einfluss auf das Risiko für einen aggressiveren Tumor. Diese Studienergebnisse, so das Fazit der Autoren, haben eine hohe klinische sowie gesundheitspolitische Relevanz und sollten bei der Nutzen-Risiko-Bewertung für oder gegen eine Hormontherapie im Rahmen der Beratung von Patienten mit Testosteronmangel berücksichtigt werden. Um den Zusammenhang zwischen einer Testosteron-Exposition und dem Prostatakarzinomrisiko abschließend beurteilen zu können, seien jedoch weitere großangelegte randomisierte klinische Studien notwendig.


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