Dtsch Med Wochenschr 2016; 141(08): 579
DOI: 10.1055/s-0042-102890
Fachwissen
Pro & Contra
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Insulintherapie bei Typ-2-Diabetes – so spät wie möglich!

Insulin therapy: as late as possible
Stephan Jacob
1   Praxis für Prävention und Therapie Villingen-Schwenningen
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Korrespondenz

Prof. Dr. Stephan Jacob
Internist, Endokrinologe, Diabetologe, Hypertensiologe, Ernährungsmediziner und Kardio-vaskulärer Präventionsmediziner DGPR
Praxis für Prävention und Therapie
Brombeerweg 6
78 048 Villingen-Schwenningen

Publication History

Publication Date:
14 April 2016 (online)

 

Zusammenfassung

Während früher bei begrenzter Verfügbarkeit an oralen Antidiabetika und bei der Annahme eines progredienten Betazell-Verlustes im Verlauf der Erkrankungsdauer eine (frühe) Insulintherapie im Sinne einer Supplementation (wie bei Diabetes mellitus Typ 1) sinnvoll erschien, zeigen neuere Studiendaten, dass eher eine Betazell-Dysfunktion als ein Verlust vorliegt und dass durch eine entsprechende Intervention bzgl. Lebensstil und vor allem mit den neuen medikamentösen Ansätzen eine adäquate glykämische Kontrolle ohne externe Insulingabe bei günstigerem Gewichtsverlauf und vor allem geringeren Hypoglykämien möglich ist. Schließlich sollte auch bedacht werden, dass bisher keine Studie gibt, derzufolge die frühe Insulintherapie einen Vorteil bietet.


Abstract

While in the past non insulin treatment options were limited, and a progressive beta cell loss was thought to happen over time, (early )insulin supplementation was believed to be necessary. Many data however now indicate that there is rather a beta cell dysfunction, and that a better life style management and the new medication can help to maintain a good glycemic control without insulin supplemetantion, and less problems with weight management and most importantly less hypoglycemia. Furthermore, studies could not provide evidence for a benefit by early insulin treatment.


Betazell-Verlust – eine veraltete These | Eine HOMA-β-Analyse der UK Prospective Diabetes Study (UKPDS) zeigte mit der Dauer des Typ-2 Diabetes einen zunehmenden Betazell-Verlust [1]. Aus dieser Beobachtung wurde fast ein Dogma, das sich über viele Jahre gehalten hat:

  • Je länger der Diabetes besteht, umso eher komme es zum Betazell-Versagen.

  • Daher solle / müsse sinnvollerweise eine Insulin-Substitution erfolgen.

Auch wurde angenommen, dass sich eine frühe Insulin-Therapie günstig auf die (Rest-) Betazell-Funktion und die Stoffwechselkontrolle auswirkt.

Reversible Betazell-Dysfunktion | In den letzten Jahren haben sich die Erkenntnisse der Forschung tiefgreifend gewandelt. Die Verfügbarkeit neuer Therapieansätze verändert möglicherweise auch den bisher als „natürlich“ angesehenen Krankheitsverlauf. Neuere Endpunkt-Studien [2] haben zudem weitere Fragen und Zweifel am Vorteil einer frühen Insulintherapie aufgeworfen. Immer mehr Studien stellen das alte Weltbild des (permanenten) Verlustes der Insulinsekretion in Frage und diskutieren eher eine Betazell-Dysfunktion als einen Betazell-Verlust. So hat eine Änderung der Mahlzeitenfolge (z. B. großes vs. kleines Abendessen) u. a. die Insulin-Sekretion bei Menschen mit langjährigem Typ-2-Diabetes verbessert: Es kam zur „Restauration“ der Betazell-Funktion [3]. Eine weitere Beobachtung betraf die Insulinsekretion nach bariatrischer Chirurgie: Sie verbesserte sich drastisch [4], [5].

Neue Antidiabetika statt Insulin | Einige Studien haben gezeigt, dass die Gabe von GLP1-Rezeptor-Agonisten anstelle von Basal-Insulin oder sogar auch Mahlzeiten-Insulin

  • eine äquipotente Einstellung des Glukosestoffwechsels mit weniger Hypoglykämien erlaubt und

  • zudem auch noch das Körpergewicht und den Blutdruck positiv verändert [6], [7], [8], [9], [10], [11], [12].

Es wird daher mit Recht gefragt, ob Insulin wirklich die effektivste Injektionstherapie bei Diabetes mellitus Typ 2 ist [13]. In dem ADA / EASD-Positionspapier werden z. B. die GLP1-Agonisten als Alternative zur Insulintherapie genannt [11].

Kombinationstherapie | Durch die Kombination von langwirksamem Basal-Insulin und GLP1-Rezeptor-Agonisten kommt es zu eindrucksvollen Verbesserungen des Stoffwechsels, aber auch anderer Faktoren des Metabolischen Syndroms – ein weiterer Hinweis dafür, daß die Gabe von Mahlzeiteninsulin nicht unbedingt immer nötig ist. Die Kombination neuerer oraler Ansätze kann den Insulin-Bedarf verschieben: So verbessert eine Dreifach-Kombination oraler Antidiabetika, z. B.

  • Metformin + DPP4-Hemmer + SGLT2-Hemmer u. a. über insulinunabhängige Mechanismen den Stoffwechsel [14]. Dies kann die Notwendigkeit einer Insulintherapie verzögern.

Verschiedene Insulinformen | Es muss auch die Frage beantwortet werden, was mit Insulintherapie genau gemeint ist und wie die Datenlage aussieht, z. B. bei folgenden Varianten:

  • Basal-Insulin: Die orale Therapie muss weitergeführt werden, ein einfacher Einstieg ist möglich, die Prognose verbessert sich jedoch nicht.

  • Supplementäre Insulintherapie: Die Gabe von kurzwirksamem Insulin soll postprandiale Spitzen therapieren.

  • Basal-Bolus-Therapie (langwirksames Basal- und kurzwirksames Mahlzeiten-Insulin): Die orale Therapie kann (teilweise) weitergeführt werden oder wird komplett abgesetzt.

Bis heute fehlen saubere randomisierte kontrollierte Studien, die die Überlegenheit einer der Insulin-Varianten gegenüber der konvenitonellen Therapie zeigen.

Mehr Daten! | Die derzeitige Datenlage für die (frühe) Insulintherapie ist dünn. Sinnvollerweise sollte diese am besten gleich gegen die neuen Nicht-Insulin-Therapeutika getestet werden. Denn diese haben wenigstens über einen Zeitraum von 3–4 Jahren gezeigt, dass sie im Vergleich zum Insulin bei gleichwertiger Glukosesenkung

  • weniger Hypoglykämien,

  • weniger Gewichtszunahme und

  • einen geringeren Blutdruck

mit sich bringen. Dies ist aus der Sicht des modernen kardio-metabolischen Risikomanagements bei Typ-2-Diabetes vorteilhaft. Außerdem gibt es für „die Neuen“ auch Daten zur kardiovaskulären Sicherheit (EXAMINE, SAVOR, TECOS, ELIXA [15], [16], [17], [18] und sogar Überlegenheit [19], [20]. Leider ist die Bedeutung dieser neuen Erkenntnisse (noch) nicht überall erkannt, so dass diese Optionen noch nicht routinemäßig in die Therapieentscheidung einbezogen werden.


Prof. Dr. med. Stephan Jacob

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ist Internist, Endokrinologe, Diabetologe, Hypertensiologe, Ernährungsmediziner und Kardio-vaskulärer Präventionsmediziner DGPR. Er arbeitet in der Praxis für Prävention und Therapie Villingen-Schwenningen
Prof.Dr.Jacob@web.de

Interessenkonflikt

Der Autor gibt an, dass er Vortrags- / Beraterhonorare, Reisekostenzuschüsse oder Forschungsförderung von folgenden Firmen erhalten hat: Abbott, AstraZeneca, Bayer, Berlin Chemie, Boehringer Ingelheim, Daichi-Sankyo, Janssen, Johnson & Johnson, Lilly, Merck, MSD, Novo Nordisk, Novartis, Orexigen, Roche, Sanofi Aventis, Servier.


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