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DOI: 10.1055/s-0042-103491
Hot Topic – COPD-Entwicklung bei schlechter Lungenfunktion im jungen Erwachsenenalter und geringer FEV1-Abnahme
Publication History
Publication Date:
15 March 2016 (online)
Hintergrund Die dauerhafte Exposition mit pathogenen Partikeln belasteter Atemluft, v. a. Tabakrauch, gilt als Hauptursache der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD). Bisher ging man davon aus, dass bei zunächst normaler Lungenfunktion das forcierte expiratorische Volumen (FEV1) verstärkt abnimmt, bis sich schließlich die COPD manifestiert. Doch Ergebnisse aus Therapie- und Beobachtungsstudien stellen die Alleingültigkeit dieses Konzepts in Frage.
Methoden Dänische Wissenschaftler untersuchten nun die Hypothese, nach der eine bereits im jungen Erwachsenenalter (< 40. Lebensjahr) eingeschränkte Lungenfunktion zu COPD führt, auch wenn die FEV1-Abnahme über die Jahre nur gering ist. Für ihre Langzeitanalyse nutzen P. Lange et al. die Daten aus 3 großen Kohortenstudien (Framingham Offspring Cohort, Copenhagen City Heart Study, Lovelace Smokers Cohort). Dabei unterteilten sie die Teilnehmer entsprechend der Lungenfunktion zu Studienbeginn (FEV1 ≥ 80 % oder < 80 %) und dem COPD-Status nach GOLD am Studienende. Auf dieser Grundlage definierten sie 4 Entwicklungsverläufe (Trajektorien):
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anfänglich normaler FEV1 ohne COPD in der letzten Studienuntersuchung
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anfänglich niedriger FEV1 ohne COPD zu Studienabschluss
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anfänglich normaler FEV1 und COPD zu Studienabschluss
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anfänglich niedriger FEV1 und COPD in der letzten Studienuntersuchung
Die Analyse umfasste Daten von insgesamt 2864 Personen, die bei der Ausgangsuntersuchung jünger als 40 Jahre waren und sich 10–27 Jahre nach Studienbeginn einer Spirometrie unterzogen.
Ergebnisse Vor dem 40. Lebensjahr hatten 657 Personen einen FEV1 < 80 %, bei 2207 Teilnehmern jünger als 40 Jahre erreichte der FEV1 mind. 80 %. Die mittlere Beobachtungszeit betrug 22 Jahre. Insgesamt erfüllten 12 % aller Teilnehmer die Kriterien für ein GOLD-Stadium ≥ 2 (Trajektorien 3, 4). Das betraf 7 % der Teilnehmer mit FEV1-Werten ≥ 80 % und 26 % der Teilnehmer mit FEV1-Werten < 80 % (p < 0,001). FEV1-Werte < 80 % im Alter unter 40 Jahren resultierten hier in ein mehr als 3-fach höheres COPD-Risiko. Teilnehmer mit COPD in der letzten Studienuntersuchung folgten zu 48 % der Trajektorie 3 (mittlere FEV1-Abnahme 53 ml / Jahr) und 52 % folgten Trajektorie 4 (Abnahme um 27 ml / Jahr; p < 0,001).
Im Vergleich zur Trajektorie 2 war zum Zeitpunkt der Ausgangsuntersuchung in Trajektorie 4 der Anteil an Nicht- bzw. Ex- Rauchern kleiner (14 vs. 32 % bzw. 8 vs. 19 %), dagegen der Anteil an Rauchern bzw. denjenigen, die vor dem 14. Lebensjahr mit dem Rauchen begonnen hatten, größer (78 vs. 49 % bzw. 11 vs. 3 %). Bei der letzten Studienuntersuchung betrug der FEV1 85 % (Trajektorie 2) und 63 % (Trajektorie 4). Zu diesem Zeitpunkt lag der Anteil der Raucher bei 27 % (Trajektorie 2) und 46 % (Trajektorie 4) mit 22 bzw. 37 Packungsjahren (Trajektorie 2 bzw. 4).
Lange P, Celli B, Augusti A et al.
Lung-Function Trajectories Leading to Chronic Obstructive Pulmonary Disease.
N Engl J Med 2015; 373: 111–22
Die Studie von P. Lange et al. zeigt uns wieder einmal, um welche heterogene Erkrankung es sich bei COPD handelt. Die hier vorgestellten Daten sind insofern bemerkenswert, als dass unser Verständnis des Krankheitsverlaufs der COPD nach wie vor sehr stark von den klassischen „Fletcher und Peto“-Kurven geprägt sind. Jedoch vermehrt sich in den letzten Jahren die Evidenz, dass COPD nicht einem klassischen Dosis-Wirkungsprinzip des Rauchens alleine geschuldet ist.
Tatsächlich ist wissenschaftlich erwiesen, dass es keinen guten Zusammenhang zwischen kumulativem Tabakkonsum („pack-years of smoking”) und dem FEV1 bei COPD gibt. Folglich müssen auch noch andere Faktoren zur Entstehung der COPD beitragen. Bereits vor einigen Jahren zeigten C. Svanes et al. (Thorax 2010; 65: 14–20) anhand einer Longitudinalstudie frühkindliche Risikofaktoren für COPD auf, u. a. die Anzahl von unteren Atemwegsinfekten in der Kindheit, Asthmaerkrankung der Eltern, und natürlich auch das Rauchverhalten der Mutter. Die nun vorgestellte Analyse der Lungenfunktionsverläufe aus 3 großen Kohortenstudien bestätigt, dass COPD nicht nur ganz unterschiedliche Verläufe nehmen kann, sondern auch Unterschiede im Erkrankungsursprung bzw. im Ursprungsalter aufweist.
Für die klinische Praxis bedeuten diese Studienergebnisse einmal mehr, dass die Krankheitsaktivität von größerer Bedeutung ist als der absolute Krankheitsschweregrad. Neben frühkindlichen, und vermutlich auch genetischen Einflussfaktoren auf die Krankheitsaktivität, zählen bei manifester Erkrankung die Häufigkeit von Exazerbationen, Leistungsfähigkeit, Komorbiditäten, der Phänotyp und natürlich auch die Therapieadhärenz. In letzter Konsequenz drängt sich anhand der Daten von nun vermutlich die Frage nach den therapeutischen Konsequenzen der unterschiedlichen Krankheits- bzw. Lungenfunktionsverläufe auf.
Gerade in den letzten Jahren hat das Armamentarium der phänotyp-gezielten Therapie Aufwind bekommen. Die meisten dieser Konzepte fokussieren jedoch auf die Behandlung der fortgeschrittenen Erkrankung (z. B. Roflumilast, Dauer-Antibiotikatherapie, nicht-invasive Beatmung, Lungenvolumenreduktion u. a.). Hier ist die klinische Forschung zukünftig gefordert, anhand individualisierter Behandlungskonzepte den Verlauf dieser hochprävalenten chronischen Erkrankung bereits in einem frühen Stadium zu evaluieren.
PD Dr. Arschang Valipour, Wien
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