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DOI: 10.1055/s-0042-103662
Spezialstationen für die psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung von Flüchtlingen – Kontra
Special Wards for the Psychiatric and Psychotherapeutic Treatment of Refugees – ContraEs ist ohne Zweifel notwendig, dass wir uns auf die zu erwartende Zunahme von Flüchtlingen in unseren Kliniken einstellen – je schneller desto besser. Die Diskussion um Spezialstationen für Flüchtlinge erinnert allerdings an eine Debatte, die in der Migrationspsychiatrie schon vor mehr als zwei Jahrzehnten geführt wurde. Damals gab es sogar Pläne, eigene Krankenhäuser für Migranten türkischer Herkunft zu eröffnen [1].
Diese Frage ist aus meiner Sicht bereits eindeutig beantwortet: Wir brauchen keine Spezialeinrichtungen, sondern endlich eine wirkliche Öffnung der Regeleinrichtungen – d. h. in unserem Falle der psychiatrischen Kliniken in Deutschland – für die Belange von Menschen aus anderen Kulturen.
Vermutlich werden PTBS und affektive Störungen häufig sein, doch Flüchtlinge werden darüber hinaus mit den unterschiedlichsten psychiatrischen Diagnosen in ambulante oder stationäre Behandlung kommen. Wir können also weder diagnostisch noch ethnisch und sprachlich von einer homogenen Gruppe ausgehen. Den möglichen – allerdings mehr theoretischen – Vorteilen einer Bündelung von qualifizierten und mehrsprachigen Therapeuten in Sondereinrichtungen innerhalb der Kliniken stehen zahlreiche Gründe entgegen, die eine solche Lösung wenig sinnvoll erscheinen lassen.
Es ist für mich schwer vorstellbar, wie Sprachenvielfalt und unterschiedlichste Diagnosen in ein überzeugendes therapeutisches Konzept eingehen können. Ich sehe vielmehr die Gefahr, dass Spezialstationen, z. B. in einem benachbarten Krankenhaus, verhindern, dass jede Klinik selbst einen Weg sucht – und dann auch finden wird – sich auf die Flüchtlinge einzustellen. In der Nachbarklinik gibt es ja eine Lösung, warum soll ich mich dann noch mit der Frage beschäftigen …? Als in Marburg vor zwei Jahrzehnten eine Station für affektive Störungen einige Plätze für Migranten bereitgestellt hatte, kamen Anfragen für Verlegungen aus ganz Hessen mit der Begründung, man habe keine Dolmetscher und könne mit den Patienten nicht reden [2]. Eine solche Haltung in den Kliniken kann nicht gewünscht sein.
Doch geht es darum, Abschottung von Beginn an zu vermeiden. Integration ist angesagt, gemeinsame Behandlung mit Deutschen, Arbeitsmigranten, Spätaussiedlern und keine Sonderbehandlung in den Kliniken – weitgehend ohne Kontakt zu anderen Patienten.
Wenn man über Spezialisierung spricht, dann geht es um störungsspezifische Spezialisierung, die allen Patienten zugute kommt. Traumaambulanzen ja, aber keine Flüchtlingsambulanzen. Traumastationen ja, aber keine Flüchtlingsstationen. Wir sollten alles tun, um das allgemeine Angebot zu verbessern und den Prozess der interkulturellen Öffnung voranzutreiben. Die aktuelle Diskussion um Spezialeinrichtungen zeigt strukturelle Lücken in den Kliniken auf. Interkulturelle Kompetenz und interkulturelle Öffnung sind in der psychiatrischen Versorgung noch nicht ausreichend verankert. Doch darin liegt eine Chance. Um Flüchtlinge in die Regelbehandlung zu integrieren und eine bedarfsgerechte Versorgung zu gewährleisten, müssen die Strukturen verbessert werden. Flüchtlinge und Patienten mit Zuwanderungsgeschichte generell sollten nicht nach Herkunftssprache bzw. -kultur, sondern störungsspezifisch behandelt werden. Das erfordert strukturelle Rahmenbedingungen. Es ist auf Dauer nicht akzeptabel, dass Patienten mit schlechten deutschen Sprachkenntnissen bei störungsspezifischer Therapie benachteiligt werden. Mit fremdsprachigen Manualen und regelmäßigem Dolmetschereinsatz wären Verbesserungen möglich. Nach wie vor sind Migranten – nicht nur Flüchtlinge – bspw. auf den Psychotherapiestationen unterrepräsentiert [3].
Und betrachtet man die Situation von spezialisierten Angeboten für Traumabehandlung in Deutschland, so muss das Rad nicht neu erfunden werden. Die Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer koordiniert mehr als 30 Einrichtungen, die bereits über langjährige Kompetenz verfügen [4]. Es gilt – mehr als eigene Stationen neu zu gründen – die Finanzierung dieser Zentren zu sichern und von den Erfahrungen für integrative Behandlung in unseren Kliniken zu profitieren.
Wir brauchen in jeder Klinik gut organisierte Dolmetschersysteme, die verfügbar und kostengünstig sind. Vitos plant ein Modell, das auf drei Säulen beruht: Erstens ausgebildete mehrsprachige Mitarbeiter, die freiwillig an Schulungsmaßnahmen teilnehmen und von der Klinikleitung ausdrücklich den Auftrag oder zumindest die Erlaubnis zum Dolmetschen erhalten. Zweitens professionelle, familienunabhängige Dolmetscher, z. B. Gemeindedolmetscherdienste. In Regionen, wo solche Dienste nicht bestehen, könnten über Kontakt zur regionalen Politik entsprechende Angebote angeregt werden. Der Landkreis Marburg-Biedenkopf ist froh über den bereits seit Jahren bestehenden Dolmetscherdienst DolMa, der bereits an seine Kapazitätsgrenzen stößt und noch in diesem Jahr einen dritten Ausbildungsgang für neue Dolmetscher durchführen wird. Die Erfahrungen werden gerne vermittelt und können bei mir nachgefragt werden. Drittens werden aktuell Video-Dolmetscherdienste geprüft, die kurzfristig in Notfällen und nachts zugeschaltet werden könnten. Hier besteht noch Klärungsbedarf wegen der IT-Voraussetzungen, die noch nicht in jeder Klinik gegeben sein dürften. Aber auch dieses Problem sollte grundsätzlich lösbar sein.
Wenn klare und praktikable Strukturen zum Dolmetschen geschaffen sind, werden Spezialstationen zumindest aus Gründen der sprachlichen Verständigung nicht mehr benötigt. Arbeit mit Dolmetschern ist nach einfachen Regeln sogar in der Psychotherapie [5] gut möglich, bedarf allerdings einiger Übung und Erfahrung. Doch die stellt sich bei den Mitarbeitern schnell ein. Anleitung von mit Dolmetschen erfahrenen Kollegen beschleunigt und erleichtert diesen Prozess. Es geht m. E. vordringlich um die Finanzierung, die bislang aus dem Budget der Kliniken geleistet werden muss. Aber auch hier müssten Wege zu finden sein, Dolmetscherkosten endlich in das Entgeldsystem zu integrieren und in den Leistungskatalog der GKV aufzunehmen. Die Notwendigkeit der Behandlung von Flüchtlingen ist sicher ein wichtiges Argument, das vielleicht jetzt auch Gehör finden könnte.
Zusammenfassend geht es aus meiner Sicht nicht um Spezialstationen, die für die in größerem Umfang zu erwartende stationäre und ambulante Behandlung von Flüchtlingen geschaffen werden müssten. Es geht vielmehr um strukturelle Veränderungen interkultureller Öffnung, die neben der eindeutigen Unterstützung der Klinikleitungen auch motiviertes und in interkultureller Kompetenz geschultes Fachpersonal auf den Stationen und in den Ambulanzen benötigt. Migrationsbeauftragte unterstützen einen solchen Prozess [3] [6] und können nur empfohlen werden.
Ein bewährter Weg könnte die Behandlung von Flüchtlingen darüber hinaus verbessern. Bereits bestehende störungsspezifische Schwerpunktstationen für Traumabehandlung oder für affektive Störungen könnten – analog zu den Erfahrungen aus Marburg [2] [7] [8] – einige Betten für Flüchtlinge bereitstellen. Das bestehende Programm müsste um regelmäßigen Dolmetschereinsatz und evtl. um ein zusätzliches Gruppenangebot erweitert werden, das die Erlebnisse und Erfahrungen der Flüchtlinge aufgreift und thematisiert. So könnten Flüchtlinge zumindest auf einigen Stationen gut in bereits bestehende Settings integriert werden.
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Literatur
- 1 Koch E. Zur aktuellen psychiatrischen und psychosozialen Versorgung von Minoritäten in Deutschland – Ergebnisse einer Umfrage. In: Koch E, Schepker R, Taneli S, Hrsg. Psychosoziale Versorgung in der Migrationsgesellschaft. Freiburg: Lambertus; 2000: 55-67
- 2 Koch E. Migranten türkischer Herkunft am Psychiatrischen Krankenhaus Marburg – eine Institution öffnet sich für Arbeit mit Ausländern. Curare 1997; 20: 65-74
- 3 Koch E, Staudt J, Gary A. Medizinische Versorgung von Migranten: Interkulturelle Öffnung. f&w 2015; 10: 808-813
- 4 www.baff-zentren.org (aufgerufen am 31.1.2016)
- 5 Morina N, Maier T, Schmid Mast M. Lost in Translation? Psychotherapie unter Einsatz von Dolmetschern. Psychother Psych Med 2010; 60: 104-110
- 6 Gün AK. „Interkulturelle Öffnung in den Institutionen der Gesundheitsdienste“. In: Erim Y. Klinische Interkulturelle Psychotherapie. Ein Lehr- und Praxisbuch. Stuttgart: Kohlhammer; 2009
- 7 Fischer C, Koch E, Müller MJ et al. Patienteninteraktion auf einer Station für interkulturelle Psychiatrie und Psychotherapie. Curare 2012; 35: 57-63
- 8 Koch E, Müller MJ. Migration und Krankenhaus: Interkulturelle Öffnung des Vitos Klinikums für Psychiatrie und Psychotherapie Gießen-Marburg. Hess Ärzteblatt 2012; 7: 434-439
Korrespondenzadresse
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Literatur
- 1 Koch E. Zur aktuellen psychiatrischen und psychosozialen Versorgung von Minoritäten in Deutschland – Ergebnisse einer Umfrage. In: Koch E, Schepker R, Taneli S, Hrsg. Psychosoziale Versorgung in der Migrationsgesellschaft. Freiburg: Lambertus; 2000: 55-67
- 2 Koch E. Migranten türkischer Herkunft am Psychiatrischen Krankenhaus Marburg – eine Institution öffnet sich für Arbeit mit Ausländern. Curare 1997; 20: 65-74
- 3 Koch E, Staudt J, Gary A. Medizinische Versorgung von Migranten: Interkulturelle Öffnung. f&w 2015; 10: 808-813
- 4 www.baff-zentren.org (aufgerufen am 31.1.2016)
- 5 Morina N, Maier T, Schmid Mast M. Lost in Translation? Psychotherapie unter Einsatz von Dolmetschern. Psychother Psych Med 2010; 60: 104-110
- 6 Gün AK. „Interkulturelle Öffnung in den Institutionen der Gesundheitsdienste“. In: Erim Y. Klinische Interkulturelle Psychotherapie. Ein Lehr- und Praxisbuch. Stuttgart: Kohlhammer; 2009
- 7 Fischer C, Koch E, Müller MJ et al. Patienteninteraktion auf einer Station für interkulturelle Psychiatrie und Psychotherapie. Curare 2012; 35: 57-63
- 8 Koch E, Müller MJ. Migration und Krankenhaus: Interkulturelle Öffnung des Vitos Klinikums für Psychiatrie und Psychotherapie Gießen-Marburg. Hess Ärzteblatt 2012; 7: 434-439