Psychiatr Prax 2016; 43(03): 176-177
DOI: 10.1055/s-0042-103678
Mitteilungen BDK
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Mitteilungen aus der Bundesdirektorenkonferenz (BDK)

Thomas Pollmächer
1   Ingolstadt
,
Wolfgang Schreiber
2   Deggendorf
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Prof. Dr. Thomas Pollmächer
Klinikum Ingolstadt
Krumenauerstraße 25
85049 Ingolstadt

Publication History

Publication Date:
07 April 2016 (online)

 

Entgeltsystem für Psychiatrie und Psychosomatik – auf die konkrete Umsetzung der beschlossenen Neuausrichtung kommt es an

Eine Stellungnahme der Bundesdirektorenkonferenz, 23.2.2016

Die Bundesdirektorenkonferenz begrüßt, dass das Bundesgesundheitsministerium und die Partner der großen Koalition sich in ihrem Eckpunktepapier vom 18. Februar 2016 wesentliche Elemente des Verbändevorschlags vom Herbst 2015 zu einem sachgerechten Entgeltsystem für psychiatrische und psychosomatische Kliniken zu eigen gemacht haben.


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Insbesondere die Abkehr von einem Preissystem zugunsten hausindividuell verhandelter Budgets sowie das klare Bekenntnis zu verbindlichen Mindestvorgaben für die personelle Ausstattung könnten den Weg für ein sachgerechtes Entgeltsystem ebnen, welches den individuellen Bedürfnissen der Patienten mit psychiatrischen Erkrankungen gerecht wird.

Entscheidend für die Erreichung dieses Ziels wird allerdings sein, dass die Regierungseckpunkte rasch durch entsprechende Gesetzesänderungen mit Leben erfüllt werden.

Zu den einzelnen konkreten Punkten des Regierungseckpunktepapiers:

II.1 Ausgestaltung als Budgetsystem

Das Entgeltsystem soll als Budgetsystem nahezu ausschließlich für stationäre und teilstationäre Krankenhausleistungen ausgestaltet werden. Von den ambulanten Leistungen eines Krankenhauses wird nur die stationsersetzende Behandlung im häuslichen Umfeld (home-treatment) einbezogen. Somit werden die Leistungen der psychiatrischen Institutsambulanzen weiterhin separat vergütet werden, was die Bundesdirektorenkonferenz begrüßt.

Die Regierungseckpunkte machen den bundesweit kalkulierten Entgeltkatalog zur Grundlage für die Budgetverhandlung. Dabei bleibt unklar, ob es sich hierbei um den PEPP-Katalog oder um einen noch zu schaffenden neuen Entgeltkatalog handelt. Klar ist allerdings, dass sich der PEPP-Katalog und die ihm zugrunde liegende Kalkulationssystematik nicht als Grundlage für die Verhandlung hausindividueller Budgets eignen. Zum einen bezieht die PEPP-Kalkulationssystematik bereits sämtliche Kosten mit ein, auch diejenigen, die lokalen und strukturellen Besonderheiten geschuldet sind und somit im neuen System individuell verhandelt werden sollen. Zum anderen liefert die PEPP-Kalkulationssystematik ausschließlich Relativgewichte, die sich zwar zur Berechnung von Abschlagszahlungen auf ein bestehendes Budget eignen, aber weder als Grundlage zur Berechnung noch zur Weiterentwicklung eines solchen.

Die Abkehr von einer systematischen Konvergenz und einem einheitlichen Landesentgeltwert ist zu begrüßen. Motor für die dennoch anzustrebende Reduktion der aktuell noch sehr hohen Variabilität der Vergütung müssen dann vor allem die verpflichtenden Regelungen zur Personalausstattung sein. Ein systematisches Personalbemessungssystem ähnlich der aktuelle Psychiatrie-Personalverordnung (PsychPV) sollte deshalb eine zentrale Grundlage für die Budgetermittlung werden.


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II.2 Kalkulation bundeseinheitlicher Bewertungsrelationen

Die Sinnhaftigkeit einer weiteren Kalkulation bundeseinheitlicher Bewertungsrelationen auf der Basis von Kostendaten der Krankenhäuser ist zweifelhaft. Sie macht bestenfalls für andere als Personalkosten einen Sinn, weil ja letztere gerade für die Kalkulationshäuser im Wesentlichen durch normative Vorgaben festgeschrieben sein sollen. Falls tatsächlich empirische Kalkulationen trotz der normativen Personalvorgaben durchgeführt werden sollen, ist eine repräsentative Auswahl von Krankenhäusern zu begrüßen, wobei die Durchführung einer solchen Auswahl und ihre konkrete Durchsetzung noch geklärt werden müssten.


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II.3 Verbesserte Personalausstattung

Es ist sehr zu begrüßen, dass die Regierungskoalition die Notwendigkeit einer besseren Personalausstattung sieht und diese verbindlich festschreiben will. Hierfür eignet sich die 100 %ige Erfüllung der PsychPV als Grundlage. Zusätzlicher Personalbedarf ergibt sich durch die Weiterentwicklung der medizinischen und rechtlichen Standards seit Einführung der PsychPV vor 25 Jahren insbesondere im Bereich der Behandlung schwer- und schwerstkranker Menschen und im Bereich der Psychotherapie sowie durch den erheblichen zusätzlichen Dokumentations- und Administrationsaufwand im PEPP-System, der aktuell 5 – 10 % der eigentlich für die Behandlung der Patienten vorgesehenen personellen Ressourcen bindet. Hier ließen sich prospektiv erhebliche Einsparungen dadurch realisieren, dass man den immensen Dokumentations- und Misstrauensaufwand, der mit dem PEPP-System verbunden ist, im neuen System drastisch reduziert.

Eine Ableitung der verbindlichen Personalvorgaben durch den G-BA von existierenden Behandlungsleitlinien wird – entgegen der im Regierungseckpunktepapier geäußerten Vermutung – grundsätzlich nicht möglich sein. Diese Behandlungsleitlinien enthalten in aller Regel diagnosebezogen qualitative Behandlungsempfehlungen, die nicht zwischen verschiedenen Behandlungssettings differenzieren und zudem in aller Regel auf Evidenzen beruhen, die an ambulant behandelten Patienten gewonnen wurden. Die tatsächlich im Rahmen einer stationären oder teilstationären Krankenhausbehandlung notwendigen Personalressourcen sind hieraus quantitativ nicht ableitbar, zumal sie nur zum geringsten Teil von der Diagnose und zum überwiegenden Teil vom aktuellen Befinden des Patienten abhängen. Deshalb wird der G-BA hier normative Vorgaben machen müssen, die in erster Linie auf externer fachlicher Expertise beruhen sollten.

Die Regierungseckpunkte bekennen sich zu verbindlichen Personalvorgaben, enthalten aber keine Positionierung zur Verbindlichkeit der Finanzierung, die aber für das Funktionieren des Systems unabdingbar ist.


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II.4 Krankenhausvergleich als Transparenzinstrument

Die Regierungseckpunkte sehen vor, dass die Budgetverhandlungen auf den aktuellen Budgets aufsetzen. Zur Bemessung leistungsorientierter Budgets soll während einer budgetneutralen Phase von den Selbstverwaltungspartnern auf Bundesebene ein Krankenhausvergleich etabliert werden, der dann (nach Ende der budgetneutralen Phase) als Orientierungsmaßstab für die Budgetverhandlungen dienen soll. Es ist völlig unklar, welche Bedeutung im neuen System eine budgetneutrale Phase haben soll, die im PEPP-System ja der Vorbereitung der Konvergenz dienen sollte, welche im neuen System aber nicht mehr vorgesehen ist. Deshalb scheint der Begriff „budgetneutrale Phase“ im ohnehin budgetorientierten System systemfremd und sollte entsprechend auch keine Verwendung finden oder völlig neu definiert werden.

Ebenso unklar ist, welche Funktion der zu etablierende Krankenhausvergleich haben soll und in welchem Verhältnis er zur weiterhin durchzuführenden empirischen repräsentativen Entgeltkalkulation steht, die allerdings, wie zu Punkt II.2 bereits ausgeführt, ohnehin nicht oder nur in Teilbereichen mit einem Budgetsystem kompatibel ist.


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II.5 Stärkung der sektorübergreifenden Versorgung

Die Unterstützung von Behandlungsformen im häuslichen Umfeld des Patienten ist sehr zu begrüßen. Darüber hinaus sollte das neue System aber auch andere Formen der Krankenhausbehandlung „ohne Bett“, wie aufsuchende Behandlungsformen, die weniger intensiv als das home-treatment und stufenlose Übergänge von ambulanten zu teilstationären Behandlungsformen fördern.

Obwohl diese auch zur sektorübergreifenden Versorgung gehören, erwähnen die Regierungseckpunkte die Modellprojekte nach § 64b SGB V nicht. Da die Modellprojekte aber weit weniger schwungvoll in Gang gekommen sind als erhofft, scheinen auch hier rechtliche Modifikationen, zum Beispiel ein Kontrahierungszwang für die Krankenkassen, erwägenswert.


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III. Einführungsphase des neuen Entgeltsystems

Es ist sehr zu begrüßen und dringend notwendig, die gesetzlichen Rahmenbedingen für das neue Entgeltsystem im Jahr 2016 zu schaffen. Eine verbindliche Einführung mit Beginn des Jahres 2017 für alle Krankenhäuser hält die Bundesdirektorenkonferenz aber für unrealistisch. In 540 Krankhäusern, von denen 2/3 noch das alte budgetorientierte System und 1/3 das abzulösende PEPP System verwenden, auf einen Schlag in ein neues System einzuführen, welches in seinen konkreten Konturen erst im Herbst dieses Jahres erkennbar sein wird, würde schon an den fehlenden technischen und administrativen Voraussetzungen scheitern.

Zusammenfassend enthalten die jüngst vorgelegten Regierungseckpunkte gute Ansätze für die Schaffung eines neuen Entgeltsystems für Psychiatrie und Psychosomatik, aber auch eine Reihe mehrdeutiger Festlegungen und Widersprüche, sodass entscheidend für den Erfolg der geplanten und sehr zu begrüßenden Richtungsänderung die konkrete Umsetzung durch Gesetze und Verordnungen sein wird. Gerne wird die Bundesdirektorenkonferenz ihre fachliche Expertise in die dazu notwendigen weiteren Diskussionen einbringen.


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Prof. Dr. Thomas Pollmächer
Klinikum Ingolstadt
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