ergopraxis 2016; 9(03): 16-18
DOI: 10.1055/s-0042-103763
wissenschaft
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Internationale Studienergebnisse


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Publication Date:
04 March 2016 (online)

 

Leben nach Brustkrebs – Evidenzbasierte Empfehlungen schwer umsetzbar

Nach einer Brustkrebstherapie benötigen Frauen lebensstilbezogene Interventionen, um Empfehlungen zu Ernährung und körperlichen Aktivitäten in ihren Alltag integrieren zu können. Zu diesem Schluss kam ein Forschungsteam um die Ernährungswissenschaftlerin Prof. Dr. Kathrin Kohlenberg-Müller an der Hochschule Fulda.

An der Querschnittstudie nahmen 236 Frauen teil. Sie beantworteten Fragen zu ihrem Gesundheitszustand, ihrer Lebensqualität und ihrem Lebensstil. Dazu erhielten sie einen standardisierten Fragebogen, den die Forscher eigens für diese Studie entwickelt hatten. Die meisten Teilnehmerinnen waren zu Studienbeginn älter als 60 Jahre (59 %) und hatten die Erstdiagnose „Brustkrebs“ bereits vor über vier Jahren erhalten (75 %). Bei fast allen Frauen (97 %) wurde der Tumor operativ behandelt, bei 72 % erfolgte eine Strahlen- und bei 62 % eine Chemotherapie.

Den Ergebnissen zufolge schätzen die Frauen ihren Gesundheitszustand seit Behandlungsende als gut und ihre Lebensqualität sogar als sehr gut ein. Trotzdem fühlen sich 58,5 % bei körperlichen Tätigkeiten im Alltag eingeschränkt. Zudem sind fast zwei Drittel von ihnen entweder übergewichtig (45,3 %) oder adipös (17,8 %). Dabei hat jede zweite Frau nach der Krebstherapie an Gewicht zugenommen, was die meisten als belastend erleben. Statt mehrmals am Tag essen die Frauen im Mittel lediglich täglich bzw. fast täglich Obst und Gemüse sowie mehrfach pro Woche Vollkornprodukte. Nur ein kleiner Teil von ihnen (27,1 %) hat ein Angebot zur Ernährungsberatung erhalten. Die meisten Frauen (53,8 %) treiben zudem weniger als zwei Stunden Sport pro Woche.

Wie die Studie zeigt, halten sich Frauen nach einer Brustkrebstherapie mehrheitlich nicht an die evidenzbasierten Empfehlungen der American Cancer Society. Daher sehen die Forscher großen Bedarf an lebensstilbezogenen Interventionen, die den Frauen zu einer angemessenen Ernährung und körperlichen Aktivität verhelfen.

Den Lebensstil ändern

Menschen, die Krebs diagnostiziert bekommen haben, sollten laut evidenzbasierter Empfehlungen der American Cancer Society

  • → bei Übergewicht und Adipositas auf ein gesundes Körpergewicht hinwirken, indem sie wenig hochkalorische Lebensmittel oder Getränke konsumieren und ihre körperliche Aktivität erhöhen.

  • → regelmäßig körperlich aktiv sein, indem sie

    • → Inaktivität vermeiden und so schnell wie möglich zur normalen Alltagsaktivität zurückkehren,

    • → sich mindestens 150 min/ Woche bewegen,

    • → wenigstens an zwei Tagen pro Woche Krafttraining durchführen.

    • → sich gemüse-, obst- und vollkornreich ernähren.

fk

Aktuel Ernahrungsmed 2015; 40: 335–340


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Kommentar – » Wir sind Experten für Veränderungen «

Seinen Lebensstil zu ändern heißt auch, seine Tagesstruktur anzupassen, neue Handlungsrouti nen aufzubauen und das Gewohnheitssystem nachhaltig umzukrempeln. Themen, mit denen sich Ergotherapeuten von „Haus aus“ beschäftigen und zu denen sie ein großes Repertoire an methodischem Rüstzeug mitbringen. Zum Beispiel können sie mit dem Model of Human Occupation (MOHO) veranschaulichen, wie Gewohnheiten das tägliche Handeln beeinflussen. Oder sie sammeln mit dem Occupational Questionnaire wichtige Informationen, um gemeinsam mit den Frauen Wochenpläne auszuarbeiten und Strategien zur Umsetzung zu entwickeln.

Damit die Klientinnen die evidenzbasierten Empfehlungen nach ihrer Brustkrebstherapie tatsächlich umsetzen, müssen sie aber auch erfahren, wie sie sich gesundheitsbewusst ernähren sowie körperlich und sportlich betätigen können. Daher dürften sie besonders von interdisziplinären Rehabilitations- und Präventionsangeboten profitieren, in denen Ergotherapeuten eng mit Physiotherapeuten und Ernährungsexperten zusammenarbeiten.

Florence Kranz, Ergotherapeutin BcOT (NL), M.A. Gesundheitsmanagement, arbeitet seit April 2014 im Projekt „Sektorenübergreifende Versorgung durch Beratung, Koordination und Planung“ des Landkreises Marburg-Biedenkopf mit.


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Gartenarbeit – Gärtnern macht fit und zufrieden

Bearbeiten und pflegen Menschen regelmäßig einen Kleingarten, fördern sie ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden. Zu diesem Schluss kam ein Forschungsteam um die Ergotherapeutin Dr. Anne Roberts an der Plymouth University in England.

In die systematische Übersichtarbeit flossen zehn Arbeiten ein. Sieben Studien besaßen ein qualitatives Forschungsdesign, die übrigen ein quantitatives. Die Wissenschaftler identifizierten fünf Themenbereiche, die den Zusammenhang zwischen Kleingärtnern, Gesundheit und Wohlbefinden verdeutlichten.

Erstens bietet der Kleingarten eine geeignete Umgebung, um sich zu entspannen und Stress abzubauen. Zweitens unterstützt das aktive Gärtnern einen gesünderen Lebensstil: Man ist an der frischen Luft, geht einer bedeutsamen Arbeit nach, hat Zugang zu frischem Gemüse und fördert seine Gesundheit und sein Wohlbefinden. Drittens bietet das Gärtnern viele Möglichkeiten, um mit der Natur in Kontakt zu treten und emotional darauf zu reagieren. Außerdem regt die Gartenarbeit dazu an, sich und die eigenen Fertigkeiten weiterzuentwickeln, etwa konzentrierter und selbstbewusster zu werden. Und fünftens fördert der Kleingarten die sozialen Beziehungen: Kleingärtner tauschen sich mit anderen über ihre Gedanken, Fertigkeiten oder Produkte wie Blumen und Früchte aus.

Aus Sicht der Forscher lässt sich die positive Wirkung des Kleingärtnerns bereits hinlänglich belegen. Daher können Ergotherapeuten diese Betätigung in verschiedenen Kontexten nutzen, um die Gesundheit und das Wohlbefinden ihrer Klienten zu unterstützen. Da einige Studien im Gruppen- oder Therapiesetting stattfanden, empfehlen die Wissenschaftler, weiter zu forschen, um den gesundheitsfördernden Einfluss der alltäglichen Gartenarbeit zu untersuchen.

fk

BJOT 2015; 78: 593–605


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Direktzugang – Therapeuten sind hin- und hergerissen

Deutsche Ergotherapeuten, Physiotherapeuten und Logopäden diskutieren die politische Forderung nach einem Direktzugang differenziert und ambivalent. Zu diesem Schluss kam eine interdisziplinäre Forschungsgruppe um den Ergotherapeuten Marcel Konrad an der Hochschule Fresenius in Idstein.

Die Forscher interviewten jeweils zehn Ergotherapeuten, Physiotherapeuten und Logopäden. Sie bezogen zunächst einen kritischen Standpunkt gegenüber dem Direktzugang. Aus ihrer Sicht besteht noch viel Klärungsbedarf. Dies betrifft zum Beispiel die Qualifikation der Heilmittelerbringer: Reicht eine abgeschlossene Ausbildung oder benötigen sie einen akademischen Abschluss? Ebenso erscheinen ihnen Kontrollsysteme erforderlich, um die Gefahr der „Endlostherapie“ zu bannen. Sie wünschen sich eine bessere Aufklärung darüber, was die einzelnen Therapieformen beinhalten. Insbesondere Ergotherapeuten befürchten, dass sonst die Zahl der Klienten zurückgehen könnte. Aufgrund der vielen Unsicherheiten und Hürden halten die Teilnehmer den Direktzugang zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht für umsetzbar.

Weiter beschreiben die Teilnehmer Voraussetzungen für den Direktzugang. Demnach müssen Therapeuten angemessene persönliche und soziale Kompetenzen mitbringen. Gleichzeitig plädieren sie für eine „optimierte Bildung“, mit der sie eine qualitativ hochwertige Ausbildung, die Akademisierung und das Prinzip des lebenslangen Lernens verbinden. Außerdem erscheint es ihnen notwendig, den Bekanntheitsgrad der Therapieberufe zu erhöhen.

Geht es um mög liche Folgen des Direktzugangs, halten es Ergotherapeuten, Physiotherapeuten und Logopäden für möglich, dass sich Aspekte wie die Klienten-Compliance, die Klientenzahlen oder die Therapiequalität sowohl positiv als auch negativ verändern. Mögliche Vor- und Nachteile sehen sie für die Zusammenarbeit mit Ärzten: Einerseits könnte der Direktzugang die Ärzteschaft entlasten, andererseits Konkurrenzgefühle auslösen. Für die Krankenkassen und das Gesundheitswesen erwarten sie vor allem positive Folgen wie das Einsparen von Kosten.

Hinsichtlich ihres Selbstbildes empfinden die Vertreter der drei Berufsgruppen ihre eigene Profession gegenwärtig als zu abhängig und von außen bestimmt. Zu ihrem Fremdbild äußern sie den Eindruck, dass Klienten vom Direktzugang profitieren könnten, Ärzte diese Versorgungsform aber eher ablehnen.

Aus Sicht der Forscher haben deutsche Ergotherapeuten, Physiotherapeuten und Logopäden ein ambivalentes Verhältnis zum Direktzugang, wünschen sich aber mehr Anerkennung und Autonomie. Modellversuche erscheinen empfehlenswert, um diese Versorgungsform in Deutschland zu erproben und voranzutreiben.

fk

ergoscience 2015: 10; 116–125


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