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DOI: 10.1055/s-0042-103838
Übertragungsdeutung
Eine wichtige Technik in allen TherapieformenPublication History
Publication Date:
20 June 2016 (online)
- Hintergrund
- Der Prozess der Übertragungsdeutung
- Arbeit „in“ und „an“ der Übertragung
- Welche Patienten profitieren von Übertragungsarbeit?
- Literatur
Die Wahrnehmung und das Erleben eines Patienten sind Ausdruck seiner bisherigen Lebenserfahrungen. Bei Phänomenen der sog. Übertragung handelt es sich um die Wiederholung alter Beziehungserlebnisse und -wünsche, die unbewusst den jetzigen Umgang mit neuen wichtigen Beziehungspersonen färben. Das gemeinsame Untersuchen und Verstehen der Interaktion zwischen Patient und Therapeut, die Übertragungsdeutung, kann dabei helfen, die dahinterliegenden unbewussten Motive besser zu verstehen.
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Hintergrund
Stellenwert deutender Techniken Deutende Therapietechniken sind ein wichtiger Bestandteil der psychodynamischen Psychotherapieverfahren (tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und analytische Psychotherapie). Irrtümlich wird hieraus oft geschlossen, dass sie auch die häufigste psychodynamische Intervention darstellen. Im therapeutischen Alltag sind jedoch klärende, reflektierende, bestätigende, konfrontierende und viele andere Interventionen eher die Regel. In diesem Sinn wurde „Einsicht“ als zentrales Element der therapeutischen Wirkung inzwischen durch weitere Wirkaspekte wie die „korrigierende Erfahrung“ oder schlicht das Erleben von Unterstützung ergänzt.
Was ist Deutung? Deuten im engeren Sinne heißt, den vermuteten, meist unbewussten Sinn, die Quelle und die Vorgeschichte eines bestimmten problematischen Erlebens und Verhaltens bewusst zu machen und dadurch die Art und Weise und die Ursachen dieses Erlebens und Verhaltens aufzuklären. Aus diesem Gedanken entstanden im Laufe der Zeit bestimmte Deutungsfoki (z. B. Widerstandsdeutung in Bezug auf zentrale Veränderungsängste; Deutungen in Bezug auf unbewusste pathogene Überzeugungen usw.). Eine besondere Rolle spielen dabei immer schon Deutungen, die sich auf Aspekte der therapeutischen Beziehung richten, also Übertragungsdeutungen.
Was ist Übertragung? Aus psychodynamischer Sicht steht ein Patient seinem Therapeuten oft so nahe wie in der Kindheit seinen Eltern oder anderen wichtigen Bezugspersonen. Daraus ergibt sich, dass sich in der therapeutischen Beziehung beim Patienten Erwartungen, Wünsche, Vorstellungen und Gefühle einstellen, die auch sonst in seinem Leben – vor dem Hintergrund prägender Primärbeziehungen – eine Rolle spielen. Dieses Phänomen wird als Übertragung bezeichnet. Ausmaß und Intensität der Übertragung werden u. a. durch das Setting beeinflusst: Je höher die Frequenz der Sitzungen und je weitergehend die persönliche Zurückhaltung des Therapeuten, desto stärker soll sich eine Übertragung entwickeln.
Die Entwicklung einer Übertragung ist natürlicher Bestandteil therapeutischer Beziehungen und insofern Voraussetzung für einen Deutungsprozess.
Im Ergründen der Übertragung können also unbewusste Motive, die z. B. mit Symptombildungen oder schwierigen Beziehungsmustern zusammenhängen, besser verstanden werden. Diese können im Idealfall im Deutungsprozess im Sinne einer Problemaktualisierung geklärt und aufgelöst werden.
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Der Prozess der Übertragungsdeutung
Welche Übertragungen sollten thematisiert werden? Meist wird vorgeschlagen, dass Übertragungen in psychodynamischen Therapien nur dann explizit thematisiert werden sollten, wenn sie störend, z. B. negativ oder stark verzerrend erscheinen. Die „mild unanstößige positive Übertragung“ (Freud) selbst gilt eher als Voraussetzung für eine gelingende Therapie und wird deshalb meist nicht thematisiert. Oft sind aber die Inszenierungen (Enactments) komplexer innerer Fantasiewelten im Kontakt mit den Therapeuten so bedeutsam, dass schwierige therapeutische Beziehungsaspekte früher oder später in allen Therapien relevant werden – nicht nur in psychodynamischen.
Übertragungsdeutungen im Therapiealltag Im Grunde enthalten Therapeutenäußerungen zur therapeutischen Beziehung immer Elemente von Übertragungsdeutungen:
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Am Anfang der Arbeit mit der Übertragung können z. B. Mutmaßungen über abgewehrte Befürchtungen oder Wünsche stehen („Sie fürchten, dass ich etwas ganz bestimmtes von Ihnen erwarte und versuchen deshalb, möglichst nur gut Durchdachtes zu berichten“). So kann zunächst deutlich werden, dass Abwehrprozesse in Gang sind, die es zu klären und zu verstehen gilt. Das Augenmerk richtet sich damit zunächst auf die Frage: Wie und was vermeidet ein Patient (auch in der therapeutischen Beziehung)?
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Selbstverständlich kann es auch auf der anderen Seite wichtig sein, positive Aspekte wunschgeprägter Übertragung zu erarbeiten, z. B. im Sinne der sicheren und hilfreichen Bindung an Therapeuten („Es tut Ihnen gut, hier nicht kritisiert zu werden, das ist etwas, das Sie sich sicherer fühlen lässt“).
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Weitere Möglichkeiten, mit Aspekten der therapeutischen Beziehung zu arbeiten, sind z. B. die genaue Klärung von Affekten der Patienten und deren Kausalität im Kontakt („Als ich dies so gesagt habe, hatte ich den Eindruck, dass Sie sich ärgern …“).
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Ein weiterer Schritt ist die Mentalisierung des Erlebens des Therapeuten („Was hatten Sie gedacht, wie es mir damit gehen würde?“)
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und die Thematisierung von Ambivalenzen („Sie sind hin und her gerissen, ob Sie mir mehr davon erzählen sollen, weil Sie fürchten, dann verwende ich das gegen Sie.“).
Die klassische Übertragungsdeutung besteht darin, für Patienten einen emotional erlebbaren Bezug herzustellen zwischen einer aktuellen Konfliktsituation, einer biografisch früheren Konfliktkonstellation und Elementen der aktuellen Übertragungssituation. Damit werden diese, sozusagen in einem „Dreiklang“, in eine plausible und für den Patienten direkt erlebbare Beziehung gesetzt. Diese ideale Konstellation hat u. E. einen wichtigen klinischen Wert.
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Arbeit „in“ und „an“ der Übertragung
Unterscheidung nach Körner Eine interessante Begriffsklärung nahm vor einigen Jahren Jürgen Körner vor, der zwischen der therapeutischen Arbeit „an“ und „in“ der Übertragung unterschied (aktualisierte Diskussion bei [Körner 2014]):
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„An“ der Übertragung meint hier v. a. ein (traditionelles?) Vorgehen, bei dem am Ende dem Patienten mithilfe des beobachtenden Therapeuten die Unangemessenheit seiner „falschen“ Verknüpfungen“ deutlich wird („Sie erleben mich jetzt wie Ihren Vater, und genauso wie bei ihm wehren Sie sich auch gegen meine Vorschläge“).
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„In“ der Übertragung zu arbeiten bedeutet für Therapeuten, die Beobachtungsposition zu verlassen und zugewiesene Rollen teilweise zu übernehmen, um dann mit dem Patienten die gemeinsamen Anteile an der schwierigen Interaktion (also auch Elemente der Gegenübertragung) zu verstehen („Einerseits haben Sie Recht, wenn Sie bei mir Ärger bemerkt haben, andererseits wäre es gut, zu schauen, was da vorher zwischen uns geschehen ist und wie es hätte anders laufen können“).
Beide Aspekte sind wichtig In seinem Rückblick betont Körner, dass dem Arbeiten „an“ der Übertragung die wichtige Rolle zukäme, auf den Wiederholungsaspekt eines Verhaltens hinzuweisen. Die Arbeit „in“ der Übertragung erlaubt u. E. auf der anderen Seite eine stärkere Berücksichtigung der Patientenwahrnehmung und vermeidet unangemessene Allwissenheit und andere Gefahren einer zu starken „Expertenhaltung“.
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Welche Patienten profitieren von Übertragungsarbeit?
In der traditionellen Literatur wurde bisher davon ausgegangen, dass Übertragungsarbeit v. a. für Patienten mit höherem Strukturniveau geeignet ist. Neuere Forschungen haben aber ergeben, dass – im Gegenteil – neurotische Patienten auf Übertragungsdeutungen tendenziell aversiv reagieren (vielleicht sind die Übertragungsdeutungen hier aber auch schon Ausdruck einer misslingenden therapeutischen Beziehung?), während Patienten mit Strukturschwäche häufig positiv darauf ansprechen – wahrscheinlich im Sinne eines intensiven interpersonellen Lernens (siehe z. B. Übersicht bei [Høglend 2014]). Dieser scheinbare Widerspruch macht deutlich, dass es vermutlich darauf ankommt, in welcher Haltung Übertragungsthemen angesprochen werden. Hier ist die Unterscheidung von konflikt- und strukturbezogenem Herangehen wichtig, die die Voraussetzungen auf Seiten der Patienten berücksichtigt.
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Prof. Dr. med.Henning Schauenburg
Klinik für Allgemeine Innere
Medizin und Psychosomatik,
Universitätsklinikum
Heidelberg
Thibautstr. 2
69115 Heidelberg
Henning.Schauenburg@med.uni-heidelberg.de
Arzt für Neurologie und Psychiatrie, Arzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychoanalyse, Professor für Psychosomatik und Psychotherapie an der Universität Heidelberg, stellvertretender Ärztlicher Direktor der Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Psychosomatik am Universitätsklinikum Heidelberg.
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Literatur
- Høglend P. Exploration of the Patient-Therapist Relationship in Psychotherapy. Am J Psychiatry 2014; 171: 1056-1066
- Körner J.. Arbeit in der Übertragung. Fünfundzwanzig Jahre später. Forum Psychoanalyse 2014; 30: 341-356
- Mertens W.. Grundlagen psychoanalytischer Psychotherapie. In: Senf W, Broda M. Praxis der Psycvhotherapie. 5. vollst. überarb. Aufl Stuttgart/New York: Thieme; 2012: 152-190
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Literatur
- Høglend P. Exploration of the Patient-Therapist Relationship in Psychotherapy. Am J Psychiatry 2014; 171: 1056-1066
- Körner J.. Arbeit in der Übertragung. Fünfundzwanzig Jahre später. Forum Psychoanalyse 2014; 30: 341-356
- Mertens W.. Grundlagen psychoanalytischer Psychotherapie. In: Senf W, Broda M. Praxis der Psycvhotherapie. 5. vollst. überarb. Aufl Stuttgart/New York: Thieme; 2012: 152-190