Aktuelle Urol 2016; 47(02): 113-115
DOI: 10.1055/s-0042-106005
Referiert und kommentiert
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Prostatakarzinom – pN1: Sind wirklich alle Patienten gleich?

Abdollah et al.
J Clin Oncol 2014;
32: 3939-3947
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Publication Date:
14 April 2016 (online)

 

Bis heute werden Patienten mit positivem Lymphknotenbefall nach der TNM-Klassifikation als pN1 eingestuft. Adjuvante Therapieansätze für Patienten in diesem Stadium werden meist individuell entschieden. Die Kollegen Abdollah et al. haben in einer multizentrischen retrospektiven Studie zeigen können, dass dieses vermeintlich homogene Patientenklientel nicht nur ein sehr heterogenes onkologisches Outcome hat, sondern auch stark variierend auf die adjuvante Therapie anspricht.
J Clin Oncol 2014; 32: 3939–3947

mit Kommentar

Prostatakarzinom-Patienten mit einem positiven Lymphknotenbefall (PLN) nach radikaler Prostatektomie (RP) haben ein schlechteres onkologisches Outcome gegenüber Patienten ohne PLN [1–7]. Trotz der sogenannten Stadium-Migration, die insgesamt zu einem signifikanten Rückgang des Prostatakarzinoms in den letzten zwei Dekaden führte, zeigen bis zu 14% der Patienten einen postoperativen PLN [8, 9]. Das optimale Management dieser Patienten wird immer noch kontrovers diskutiert [10].Obwohl die adjuvante Hormontherapie (aHT) von allen aktuellen Leitlinien aufgrund einer einzigen (unterpowerten) Studie (LOE1) [11, 12] empfohlen werden kann, zeigten erst kürzlich erschienene Arbeiten gute Langzeitergebnisse bei selektionierten Patienten mit PLN ohne aHT [13].

Des Weiteren konnten retrospektive Daten einen potentiellen Nutzen der adjuvanten Radiotherapie (aRT) in Bezug auf das Überleben in Kombination mit einer aHT zeigen [4, 14, 15]. Die Rationale für die Durchführung einer aRT bei Patienten im lymphogen metastasierten Stadium ist die maximale lokale Tumorkontrolle. Über diesen Therapieansatz werden ebenfalls kontroverse Debatten geführt, doch haben gleich mehrere Arbeiten gezeigt, dass ein PLN nicht notwendigerweise eine disseminierte Erkrankung des Prostatakarzinoms darstellt [4, 13–15]. Tatsächlich zeigt sich in einem nicht zu vernachlässigendem Anteil von Patienten mit PLN (≤ 2 Lymphknoten), dass es sich eher um eine lokale als eine systemische Erkrankung handeln kann [16].

Patienten mit PLN präsentieren eine stark heterogene Gruppe, deren Überleben aufgrund der pathologischen Tumorcharakteristika (z.B. Samenblaseninfiltration, positiver Absetzungsrand, etc.) stark variiert [1, 2, 5]. Eine kombinierte lokale Therapie (RP und aRT) wäre nur bei denjenigen Patienten mit aggressiven Tumorcharakteristika, jedoch ohne systemische Erkrankung, zu erwägen. Aus diesem Grund ist eine Substratifizierung von Patienten mit PLN sinnvoll, um deren Prognose und postoperatives Management zu optimieren.

Abdollah et al. stellten die Hypothese auf, dass der Einfluss der aRT auf die krebsspezifische Mortalität (CSM) von Patienten mit PLN stark von den primären Tumorcharakteristika zum Zeitpunkt der Operation abhängig ist. Eine mögliche Identifizierung von Subgruppen von Patienten mit PLN könnte den idealen Kandidaten für eine aRT zeigen und somit andersherum unnötige Therapien, die mit erheblichen Nebenwirkungen vergesellschaftet sein können, bei den anderen Patienten vermeiden.

Insgesamt wurden 1107 Patienten mit einem pN1-Prostatakarzinom identifiziert, die zwischen 1988 und 2010 an 2 sog. „High-Volume-Zentren“ (San Raffaele, Mailand/Italien und Majo-Clinicic, Rochester/USA) eine radikale Prostatektomie und anatomisch ausgedehnte pelvine Lymphadenektomie erhielten. Alle Patienten erhielten eine aHT mit oder ohne aRT. Insgesamt erhielten 35% der Patienten eine aRT. Die Patienten mit einer aRT hatten signifikant aggressivere Tumorcharakteristika gegenüber den Patienten, die keine aRT erhielten.

In der gesamten Patientenkohorte ergab sich nach 8 Jahren eine CSM-freie Überlebensrate von etwa 88%. In einer univariablen Analyse zeigten die Patienten mit einer aRT und einer kombinierten aHT ein verbessertes (wenngleich auch nicht signifikant) CSM-freies Überleben verglichen mit den Patienten, die nur eine aHT erhielten (nach 8 Jahren: 92 vs. 86%, p=0,08). In der multivariablen Analyse, welche für die verschiedenen Tumorcharakteristika adjustierte, zeigte sich die aRT jedoch mit einer signifikanten Verbesserung des krebsspezifischen Überlebens assoziiert (Hazard Ratio 0,37; p ≤ 0,001).

Modell zur Darstellung des krebspezifischen Überlebens

Im zweiten Teil dieser Arbeit wurden die Patienten anhand ihres unterschiedlichen krebsspezifischen Risikos mittels Regressionsanalyse und Erstellung eines Entscheidungsbaums stratifiziert (‣ Tab. [ 1 ]). Anschließend wurde die Beziehung zwischen aRT und der CSM-freien Überlebensrate innerhalb der verschiedenen Risikogruppen (in den verschiedenen „Ästen“) separat berechnet. Beim ersten Schritt wurden alle vorhandenen Patientencharakteristika als potenzielle Risikofaktoren für das CSM-freie Überleben berücksichtigt. Die Regressionsanalyse mit Erstellung eines Entscheidungsbaums selektionierte die unabhängigen Risikofaktoren für das CSM-freie Überleben sowie deren optimale Schwellenwerte, um die möglichen Überlebensunterschiede zwischen den neu gebildeten Gruppen zu maximieren. Es zeigte sich, dass Patienten mit mehr als 4 positiven Lymphknoten, unabhängig von den Tumorcharakteristika, die niedrigste CSM-freie Überlebensrate (72%) aufwiesen. Andersherum zeigten die Patienten mit 2 oder weniger pPLN und einem pathologischen Gleason Score ≤ 6 die höchste CSM-freie Überlebensrate nach 8 Jahren mit 99%.

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Tab. 1 Modell nach Abdollah et al. zur Stratifizierung des CSM-Risikos.

Im zweiten Schritt wurde die Rolle der aRT in jeder einzelnen Risikogruppe getestet. Die Autoren konnten zeigen, dass radikal prostatektomierte Patienten mit einer lymphogenen Metastasierung von einer maximalen lokalen Tumorkontrolle mittels aRT in 2 Fällen profitieren:

  1. Patienten mit einer geringen lymphogenen Tumorlast (≤ 2 PLN), jedoch

  2. einem high-grade (pathologischer Gleason Score 7–10) und lokal fortgeschrittenem Tumorstadium (pT3b/pT4 oder positivem Absetzungsrand)

Patienten mit einer moderaten lymphogenen Tumorlast (3–4 PLN), unabhängig von den Tumorcharakteristika.

In diesen beiden Gruppen konnte eine signifikante Risikoreduktion der GesamtÜberlebensrate nachgewiesen werden (Hazard Ratio 0,42, p = 0,001 bzw. 0,32, p = 0,02). Andersherum, zeigte die maximale lokale Tumorkontrolle mittels aRT keinen Überlebensvorteil bei Patienten mit einer geringen Lymphknoten-Metastasierung (≤ 2 PLN, organbegrenztes Wachstum, und / oder Low-Grade-Tumor), oder extrem ungünstigen Tumorcharakteristika (≥ 4 PLN). In der ersten Patientengruppe zeigte sich die CSM-freie Überlebensrate selbst ohne aRT exzellent, während in der zweiten Gruppe das CSM-freie Überleben unabhängig von der aRT prognostisch schlecht war.

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(Bild: virtualpictures.com / Fotolia.com)

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Kommentar

In dieser Arbeit von Abdollah et al. konnte bestätigt werden, dass die aRT bei Patienten mit PLN mit einer Verbesserung des krankheitsspezifischen Überlebens vergesellschaftet ist. Die Arbeitsgruppe um Herrn Abdollah setzt sich schon seit längerer Zeit intensiv mit einer potenziellen Differenzierung der Lymphknotenlast auseinander. In vorherigen Arbeiten konnte gezeigt werden, dass das lokale Tumorstadium und der Tumorgrad nur bei den Patienten mit einer geringen Lymphknotenlast (≤ PLN) einen Einfluss auf das Überleben hat [2]. Hingegen war die Prognose der Patienten mit einer erhöhten Lymphknotentumorlast (> 2 PLN) unabhängig vom lokalen Tumorstatus. Dieser Schwellwert von 2 PLN konnte auch in dieser Arbeit erneut bestätigt werden.

Darüber hinaus erfolgte in dieser Arbeit eine weitere Substratifizierung der pN1-Patienten, um die PLN-Patienten zu identifizieren, welche am meisten von einer aRT profitieren würden. Zur klinischen Anwenderfreundlichkeit entwarfen die Autoren ein einfaches statistisches Modell, welches die idealen Kandidaten für eine aRT als diejenigen mit einer geringen Tumorlast (≤ 2 positive Lymphknoten) bei Intermediate- bis High-Grade-Tumoren mit einem nicht organbegrenzten Wachstum und die Patienten mit einem mäßigen Lymphknotenbefall (3–4 positive Lymphknoten) unabhängig von den Tumorcharakteristika, identifizieren konnte. Die Erstellung eines komplexeren Models zur Risiko-Stratifizierung war aufgrund der geringen Anzahl an Patienten in den Subgruppen nicht möglich. Aus der Not wurde eine Tugend geboren, da die Einfachheit des Models eine positive klinische Anwenderfreundlichkeit darstellt.

Des Weiteren sollte angemerkt werden, dass die Daten für diese Arbeit auf retrospektiven Daten basiert, es gibt keine prospektiven, randomisierten Studien, die diese unterstützen könnten. Den potenziellen Bias einer Patientenselektion kann man so nicht ausschließen. Beispielsweise basierte die Anwendung der aRT alleinig auf der Entscheidung des einzelnen Klinikers.

Ein grundlegendes Problem dieser Arbeit und der darauf basierenden Statistik ist die Annahme der Autoren, dass in der Patientengruppe mit mehr als 4 positiven Lymphkoten eine metastasierte Situation außerhalb des kleinen Beckens zum Zeitpunkt der Therapie bereits bestand und somit eine aRT eine Übertherapie darstellt. Diese Hypothese kann nicht durch diese Arbeit bestätigt werden, da methodisch keine genaue Standort-Evaluation des Lymphknotenbefalls (pelvin vs. extrapelvin) möglich ist [17].

Alle Patienten erhielten eine adjuvante Hormontherapie

In diesem Zusammenhang sollte auch erwähnt werden, dass alle pN1- Patienten, die in diese Studie eingeschlossen worden waren, eine aHT erhielten, sodass eine klinische Anwendung dieses Models bei Patienten, die keine aHT erhalten haben, nicht möglich ist. Dieses Vorgehen wiederspricht erstens der Annahme dieser Arbeit, dass die meisten Patienten mit einem geringen PLN ein lokales Problem haben bzw. die Rezidive lokal auftreten, und zweitens der Empfehlung eben nicht alle pN1-Patienten gleichzusetzen, sondern durch eine Risiko-Stratifizierung diejenigen zu identifizieren, die ggf. einer Therapie bedürfen. Allen pN1-Patienten eine aHT zu geben, stellt eine Übertherapie dar [18, 19]. Denn obwohl die LOE1-Studie von Messing et al. einen Überlebensvorteil für diejenigen pN1-Patienten mit aHT aufzeigt [12], konnten Boorjian et al. in einer aktuellen retrospektiven Studie zeigen, dass die aHT bei pN1-Patienten nach einem medianen Follow-up von 10,3 Jahren mit einer erniedrigten Rate an biochemischen Rezidiven einhergeht, jedoch keinen Einfluss auf die Krankheitsprogression bzw. das krebsspezifische Überleben hat [1].

Für eine klinische Anwendung des Modells ist ebenfalls eine richtige externe Validierung erforderlich. Um die Ergebnisse ihrer Studie zu bekräftigen, führten die Autoren eine externe Validierung mit einer Kohorte von 3158 Patienten mit einem pN1-Status (aus der SEER Datenbank) durch – und konnten diese bestätigen. Diese Validierung darf jedoch nicht als adäquat gewertet werden, da (1) der Gleason Score nicht kontinuierlich verschlüsselt wurde, (2) die Angabe vom pathologischen Stadium und dem chirurgischen Absetzungsrand fehlten, und (3) keine genaue Informationen über die Art der postoperativen Bestrahlung vorlagen (aRT vs. Salvage-RT).

Diese Arbeit von Abdollah und Kollegen kann bei der klinischen Entscheidung helfen, welcher pN+-Patient eine aRT erhalten soll und für welchen Patienten diese eine Übertherapie darstellt. Trotzdem muss angemerkt werden, dass die Auswertung und Interpretation von retrospektiven Daten immer einen nicht zu vernachlässigenden potenziellen Bias mit sich bringt. Man darf gespannt sein auf die Ergebnisse der prospektiv randomisierten, multizentrischen Phase-III-Studie ART-2 zum Vergleich der aRT mit einer „Wait-and-see-Strategie“ nach radikaler Prostatektomie mit PLN (≤ 2 PLN) [20].

PD Dr. Luis A. Kluth, Prof. Dr. Felix K.-H. Chun, Hamburg

Literatur beim Verfasser


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PD Dr. Luis A Kluth


ist Facharzt für Urologie an der Klinik und Poliklinik für Urologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

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Prof. Dr. Felix K.-H. Chun


ist geschäftsführender Oberarzt an der Klinik und Poliklinik für Urologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

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Tab. 1 Modell nach Abdollah et al. zur Stratifizierung des CSM-Risikos.
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(Bild: virtualpictures.com / Fotolia.com)