Hebamme 2016; 29(03): 160-165
DOI: 10.1055/s-0042-108304
Geburtshilfe
Gebärstellung
Hippokrates Verlag in Georg Thieme Verlag KG Stuttgart

Kritik an strikter Anleitung zu forciertem Pressen und Rückenlage der Gebärenden

Katrin Jesacher
Hebamme, Puch bei Hallein, Österreich
› Institutsangaben
Weitere Informationen
Katrin Jesacher, BSc
Hebamme
5412 Puch bei Hallein
Österreich   

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
30. Juni 2016 (online)

 

Noch heute werden viele Gebärende in der letzten Phase der Geburt in Rückenlage auf dem Geburtsbett zu forciertem Pressen angeleitet. Unsere Autorin plädiert dafür, dieses Vorgehen als Routinemaßnahme aus dem Kreißsaal zu verbannen.


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Während der Eröffnungsphase können Frauen fast überall im Kreißsaal aufrechte Gebärstellungen einnehmen oder geburtserleichternde Maßnahmen heranziehen. Das Herausgebären des Kindes erfolgt jedoch häufig in Rückenlage unter strikter Anleitung zu forciertem Pressen. Dies geschieht meist ungeachtet der Empfindungen, welche die Gebärenden dabei verspüren. In Deutschland erfolgen mehr als die Hälfte aller Geburten in Rückenlage [[16], [15]], in den USA liegt die Rate sogar bei 75% [23]. Viele dieser so angeleiteten Frauen haben nachträglich das Gefühl, versagt zu haben – sie haben die Geburt nicht aus eigener Kraft bewältigt, sondern sind entbunden worden.

Das Abwarten des reflektorischen Pressdranges und das spontane Mitschieben stellt einen elementaren Teil der normalen, physiologischen Geburt dar, woraus viele Vorteile für Mutter und Kind entstehen [[28]]. Das präsente Erleben des selbstbestimmten Gebärens ist die Basis für ein tiefes Selbstwirksamkeitsgefühl und den Glauben in die eigene Gebärfähigkeit. Es ist als stärkendes Ereignis für die Frauen zu sehen. Durch Interventionen während dieser Zeit kann dieses Grundvertrauen zerstört werden.

Die Geburtsphase/Durchtrittsperiode

Grundsätzlich wird die Geburt in drei Phasen unterteilt:

  • die Eröffnungsphase

  • die Durchtritts-/Geburtsphase

  • die Plazentaperiode [[31], [20]]

Die Durchtrittsperiode (DP) ist der Abschnitt zwischen vollständiger Eröffnung des Muttermundes und der Geburt des Kindes. Es ist eine Zeit, in der sich der Geburtsverlauf und die damit einhergehenden Verhaltensweisen der gebärenden Frau meist massiv ändern. Die Gebärende kann sich sehr verletzlich zeigen und vom Einfluss der beistehenden Personen abhängig werden. Die Betreuungspersonen haben in dieser Phase mehr Verantwortung denn je, die Interessen von Mutter und Kind zu vertreten.

Die Unterteilung der Geburtsphase (GP) erfolgt in eine frühe/latente Phase und eine fortgeschrittene/aktive Phase[[20]].

Die erste Phase der Durchtrittsperiode beginnt mit vollständiger Eröffnung des Muttermundes und endet, wenn die Frauen erste unwillkürliche Pressversuche zeigen. Während der sogenannten Übergangs- oder Latenzphase können die Wehen etwas nachlassen [[31]]. Dies stellt eine physiologische Erholungsphase für Mutter und Kind vor der aktiven DP dar, die Walsh als „have a rest and be thankful“-Phase bezeichnet [[37]]. Während dieser Zeit können Gebärende das Gefühl der Kraftlosigkeit und Erschöpfung als Teil der Normalität erleben [[9], [8]].

Die Wehen unter Mithilfe der reflektorischen Bauchpresse werden Presswehen genannt. Die aktive Phase ist durch kraftvolles Pressen charakterisiert, sobald der kindliche Kopf auf Beckenboden steht, und endet mit der Geburt des Kindes [[20]].

Einige Studien betonen, dass die aktive von der passiven Geburtsphase hinsichtlich der Dauer getrennt betrachtet werden muss, da die aktive Phase das kritische Zeitfenster für mütterliche und kindliche Beeinträchtigungen darstellt. Solange Gebärenden die Möglichkeit zugestanden wird, dem Pressdrang nach eigenem Ermessen zu folgen, scheint eine verlängerte Dauer der DP keine schädlichen Auswirkungen zu haben, wohingegen verlängertes Valsalva-Pressen negative Auswirkungen auf das kindliche Outcome zeigt [[35], 30]. Die Dauer der gesamten DP ist individuell zu beurteilen. Zeit ist nicht der alleinige Maßstab für eine Geburtsbeendigung. Es sind keine geburtshilflichen Interventionen angezeigt, solange die fetale Überwachung unauffällig ist und ein Geburtsfortschritt stattfindet [21, 20].

Der reflektorische Pressdrang

„Fast jede Frau ist in diesem Moment erleichtert und aufgeregt, denn aus passivem Sichüberlassen wird aktives Mitschieben. Das ist der wichtige Wendepunkt, die Zeit, wenn Identität und Körperbewußtsein [sic] wieder zurückkehren und einen begeisternden Energieschub mit sich bringen.“

Elizabeth Davis [ [7] ]

Der reflektorische Pressdrang ist Teil der normalen, physiologischen Geburt. Er kommt zum richtigen Zeitpunkt und ist willentlich nicht beeinflussbar[[28]]. Wenn der kindliche Kopf die Beckenmitte passiert hat, wird der Plexus lumbosacralis, ein Nervengeflecht im Lenden- und Kreuzbeinbereich, stimuliert und der reflektorische Pressdrang ausgelöst [[5]]. Durch den Ferguson Reflex wird der Pressdrang getriggert, da Dehnungsrezeptoren im hinteren Vaginalbereich gedehnt werden und Oxytocin-Peaks freigesetzt werden, die das Empfinden des Pressdranges verstärken [[26]].

Optimale geburtshilfliche Bedingungen für Pressanstrengungen sind ein vollständig bzw. fast vollständig eröffneter Muttermund, der vorangehende kindliche Teil hat den Höhenstand von + 1 überschritten und rotiert in eine dorso-anteriore Stellung bzw. ist ausrotiert, adäquate uterine Kontraktionen von mind. 30 mmHg sind vorhanden und die Gebärende verspürt starken Pressdrang. Sind diese Bedingungen gegeben, sind Pressanstrengungen effizienter, erzielen eher ein Tiefertreten des kindlichen Kopfes und ermüden die Frauen weniger. Ebenso konnte gezeigt werden, dass die Pressphase verkürzt wird und weniger Dammverletzungen entstehen, wenn diese Bedingungen abgewartet werden (Roberts 2003: 795–796).


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Der Fetus-Ejection-Reflex

„Die letzten Sprossen der Geburtsleiter zu erklimmen bedeutet, sich dem Fetus-Ejection-Reflex zu überlassen.“

Michel Odent [ [22] ]

Während eines echten Fetus-Ejection-Reflexes wird das Baby in einer kurzen Serie unaufhaltsamer Kontraktionen geboren. Unter physiologischen Optimalbedingungen werden während der letzten Uteruskontraktionen schlagartig große Mengen von Katecholaminen ausgeschüttet. Während Gebärende zuvor eher passiv wirkten, scheinen sie plötzlich einen Energieschub zu erleben. Oft wechseln sie in eine aufrechte Körperhaltung und verspüren den Drang, sich Halt zu suchen. Eine nach vorn gebeugte Haltung ist typisch für den Fetus-Ejection-Reflex. Ein weiteres Merkmal besteht darin, dass Gebärende plötzliche Anzeichen von Furcht zeigen. Greifen Geburtshelfer jetzt ein, kann dies dazu führen, dass zum Fetus-Ejection-Reflex hinführende Prozesse abbrechen. Jede Einmischung kann die Gebärende „auf die Erde“ zurückholen. Anstelle des Fetus-Ejection-Reflexes treten dann weitere Wehenphasen mit willkürlich initiierten Bewegungen [[22]].

Wenn der Geburtskanal für die Geburt ganz geformt ist, wird dem M. puborectalis (ein Teil des Levators) eine bedeutende Rolle zugeschrieben. Durch seine vertikal angeordneten Muskeln leitet er den kindlichen Kopf Richtung Anus und unterstützt dessen Deflexion. Sobald der kindliche Kopf den M. bulbospongiosus dehnt, spüren die Frauen meist ein stark spannendes Gefühl. Die Gebärenden haben jetzt einen überragenden, zentralen Drang das Baby zu gebären, um sich von der immensen Spannung zu befreien. Durch den unwiderstehlichen Pressdrang, den Instinkt das Kind zu gebären, den Fetus-Ejection-Reflex und Spitzenwerte an Oxytocin und Adrenalin wird das Kind geboren[[33]].

Als Antwort auf Stress, Kälte, Erschöpfung oder Schock wird über die neuronale Vermittlung Adrenalin aus der Nebenniere freigesetzt. Adrenalin hemmt die Freisetzung von Oxytocin. Am Antagonismus von Adrenalin und Oxytocin wird deutlich, dass Adrenalin die Bremse ist. Es verhindert jedes Geschehen im Sexualleben, sobald sich Individuen bedroht fühlen und darauf angewiesen sind, dass Energie für Kampf oder Flucht zur Verfügung steht. Die Analyse dieses Wechselspieles hilft, die elementaren Bedürfnisse einer Frau in den Wehen zu verstehen. Reize wie grelles Licht, Lärm oder laute Stimmen sollten vermieden werden. Hemmend wirken alle Eingriffe, die den Neokortex anregen, z. B. vaginale Untersuchungen, erzwungene Wechsel in eine andere Gebärposition oder die Anleitung zum Valsalva-Pressen. Der Geburtsort sollte hinreichend warm und sicher sein und ein Gefühl des „Unbeobachtetseins“ sollte vorherrschen [[22]].

Dass Katecholamine auch geburtsfördernd wirken, lässt sich wie folgt erklären: Es wird nicht nur Adrenalin, sondern eine Mischung aus Adrenalin und Noradrenalin freigesetzt, dessen Verhältnis sich ständig verschiebt. Im Uterus gibt es zwei Zellen, die auf Katecholamine ansprechen. Dockt Adrenalin an Beta-Rezeptoren an, drosseln oder blockieren sie die Tätigkeit der Uterusmuskulatur. Während der Latenzphase scheint dies der vorherrschende Effekt zu sein. Werden jedoch Alpha-Rezeptoren durch Noradrenalin besetzt, erfährt die Uterusmuskulatur eine Stimulation und es kommt zum Fetus-Ejection-Reflex [[22]].


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Intuitives Pressen vs. Valsalva-Pressen

Lässt man Frauen ohne die Durchführung von Interventionen wie dem Valsalva-Pressmanöver gebären, so pressen sie im Durchschnitt vier bis fünf Sekunden lang. Danach erfolgt ein Intervall von zwei Sekunden, in dem einige kurze Atemzüge an Luft geholt werden. Diese Sauerstoffaufnahme trägt dazu bei, den pO2- und pCO2-Gehalt im mütterlichen Blut zu regulieren. Pro Kontraktion schieben Frauen intuitiv ca. drei- bis fünfmal mit. Dieses Mitschieben geht meist mit einem Entweichen der Atemluft bei geöffneter Glottis einher. Der intrauterine Druck sowie die Anzahl der Pressanstrengungen und die Dauer des aktiven Mitschiebens steigen im Verlauf der DP kontinuierlich an [[4], [34], [30]].

Hingegen wird beim Valsalva-Pressmanöver die Frau angeleitet, in Rückenlage beide Beine in Knie und Hüfte zu flektieren, in die Kniekehlen zu fassen und die Beine hoch zu ziehen und zu spreizen. Der Kopf wird vom Bett weg gegen die Schwerkraft auf die Brust gehoben und meist vom anwesenden Partner gehalten. Hinzu kommt eine die Glottis verschließende Atem- und Pressanleitung nach kostosternal: „Tief Luft holen und bei angehaltenem Atem so fest wie möglich mitpressen.“ Diese Presstechnik erfolgt dreimal pro Presswehe. Dauert eine Presswehe ca. eine Minute, muss die Gebärende bei dieser Anleitung etwa 15 Sekunden die Luft anhalten und mit unökonomischem Einsatz ihrer Körpermuskulatur mitpressen [[20]].

Ursprünglich wurde das Valsalva-Pressmanöver in der Geburtshilfe eingeführt, um das Tiefertreten des Kindes zu beschleunigen, die Dauer der Geburtsphase zu verkürzen und somit die Risiken für den Fetus zu minimieren und das neonatale Outcome zu verbessern [[26]]. Mittlerweile steht fest, dass die Anleitung zu forciertem Pressen in Rückenlage negative Auswirkungen aufweist.

Auswirkungen durch Anleitung zu Valsalva

Durch Rückstau der Einatemluft in die unteren Atemwege steigt der intraabdominelle und intrathorakale Druck mit der Folge eines verminderten venösen Rückstroms in den Brust- und Bauchraum und somit in die rechte Herzkammer. Durch Druckerhöhung im gesamten Thorax strömt mehr Blut aus den Lungenvenen in die linke Herzkammer, wodurch dort so lange ein erhöhtes Schlagvolumen besteht, bis der „Vorrat“ in den Lungenvenen aufgebraucht ist. Danach wird das Herzschlagvolumen vermindert, und zwar so lange, wie gepresst wird. Es kommt zu einer verminderten Sauerstoffversorgung des ungeborenen Kindes, da durch Abfall des arteriellen Drucks die Blutzufuhr zur Plazenta verringert wird und somit eine Minderversorgung des Fetus und ein daraus resultierender Herzfrequenzabfall entstehen [[34]].

Ein herabgesetzter arterieller Blutdruck hat eine hemmende Wirkung auf die Rezeptoren am Beckenboden. Die Gebärende verspürt weniger Druck, durch den fehlenden reflektorischen Pressdrang wird das Pressen noch anstrengender und die Frau erschöpft schneller [14]. Durch das Pressdruckmanöver entsteht eine enorme Belastung des kardiovaskulären Systems der Mutter. Es kann zu Einblutungen im Gewebe und zur Zyanose kommen. Bei intensiven Pressmanövern kann ein Hyposphagma, eine flächenhafte, scharf begrenzte subkonjunktivale Blutung im Auge, vorkommen [[15]].

Studienergebnisse zeigen, dass Frauen, die nicht zum Valsalva-Pressdruckmanöver angeleitet wurden, sondern den Pressanstrengungen spontan nachkommen konnten, postpartal einen signifikant geringeren Erschöpfungsgrad aufwiesen [[18], [13]].

Ebenfalls wurde untersucht, ob sich Unterschiede hinsichtlich des kindlichen APGAR-Scores und der Nabelschnur-pH-Werte ergaben. Die Werte jener Kinder, deren Mütter ohne Anleitung zum Pressen geboren haben, fielen signifikant besser aus als jene der Kinder, deren Mütter zum Valsalva-Pressen angeleitet wurden, auch wenn die DP bei den Müttern ohne Anleitung länger dauerte (Lemos et al. 2011: 68-69; Haseeb et al. 2014: 103).

Einige Studien zeigen, dass es keine relevanten Unterschiede hinsichtlich des kindlichen Wohlbefindens in Bezug zur verwendeten Atemtechnik gibt [[25], [2]]. In der Studie von Bloom et al. [[2]] wurde als Atemtechnik interessanterweise keine reine Valsalva-Pressatmung, sondern eine angeleitete Atmung verwendet, bei der nicht nur das Pressen während der Wehe angeleitet, sondern besonderer Wert auf die Atmung in der Wehenpause gelegt wurde. Dies lässt darauf schließen, dass der Atmung während der Wehenpause eine besondere Bedeutung zukommt.

Andere Untersuchungen zeigen, dass Frauen, die spontanen Pressanstrengungen nachkommen konnten (Versuchsgruppe, n = 33), eine signifikant kürzere DP aufwiesen (p = 0,02). Bei vollständigem Muttermund äußerten sie mehr Schmerzen (p = 0,04), jedoch eine und vier Stunden nach der Geburt waren die Schmerzen signifikant geringer (p = 0,01) als in der Kontrollgruppe (n = 33). Es konnte auch gezeigt werden, dass die Frauen der Versuchsgruppe die Geburt positiver erlebten [[6]].

Ebenso wurden Untersuchungen zur mütterlichen Stressinkontinenz durchgeführt. Erhält die Gebärende keine Anleitung zum Valsalva-Pressmanöver, so scheint dies mit einem geringeren Risiko für eine mütterliche Stressinkontinenz einherzugehen. Drei Monate nach der Geburt wurde die Funktion des Beckenbodens untersucht. Frauen, die zu forciertem Pressen angeleitet wurden, hatten eine signifikant verminderte Blasenkapazität (427 ml vs. 482 ml) und signifikant früher auftretenden Harndrang (160 ml vs. 202 ml). Bei 7,37 % der Frauen, die zum Mitpressen angeleitet worden waren trat eine Stressinkontinenz auf – im Gegensatz zu 4,2 % der Frauen, die ohne Einsatz des Valsalva-Pressmanövers geboren hatten [[32]].

Die Druckverstärkung im Bauchraum durch die Bauchpresse Richtung Beckenboden ist effektiver im Sitzen, Hocken oder Stehen. Beim Powerpressen in Rückenlage verschließt sich durch die intraabdominelle Druckerhöhung die gesamte Rumpfkapsel einschließlich des Beckenbodens und der Glottis. Es werden der geburtsmechanische Ablauf und der Geburtsfortschritt behindert. Ein weiterer Nachteil der Rückenlage ist die Kompression der Vena cava inferior durch den schwangeren Uterus mit einer nachfolgenden Reduktion des Herzminutenvolumens [[15]].

In der Steinschnittlage weichen viele Gebärende in ein Hohlkreuz aus. Dies führt zu einer starken Krümmung der Führungslinie und einer Anspannung des Beckenbodens. Gerade an der Lendenwirbelsäule ist zur Begradigung des Geburtsweges eine Flexion erforderlich, um den Verlauf der Geburt zu erleichtern, die DP zu verkürzen und den Abwehrreflex auszugleichen. Auch das Einwirken der Schwerkraft fehlt [15]. Während des Pressens in Rückenlage muss die Kreißende mit immensem Kraftaufwand das Kind gegen die Schwerkraft über den engen Bogen der Symphyse gebären [[24]].

Das Diaphragma urogenitale, und zwar der M. transversus perinei profundus, wird durch die Berührung mit dem kindlichen Kopf Richtung Schambogen und Sitzbeine zurückgezogen. Während dieser Phase der Geburt braucht die Muskulatur Zeit, sich zurückzuziehen, um Schäden am Beckenboden zu minimieren. Zu früh angeleitetes Mitpressen verhindert den Rückzug des transversen Muskels, erkennbar an einer „Rolle aus Vaginalgewebe“ vor dem kindlichen Köpfchen. Das erhöht die Verletzungsgefahr im Bereich der Beckenbodenmuskulatur. Und die Frauen benötigen mehr Kraft zum Pressen, da der Muskel den Beckenausgang blockiert [[29], [23]].

Nach Walsh könnten diese subjektiven Einzelerfahrungen während der Geburt Hinweise geben, dass durch Anleitung zum forcierten Pressen ein Grundvertrauen der Frau in ihre Gebärfähigkeit zerstört wird. Frauen, die ihr Kind selbstbestimmt geboren haben, berichten oft über eine tiefe Befriedigung bezüglich ihrer Geburt, die mit dem intuitiven und selbstbestimmten Gebären ihres Kindes begründet wird. Diese Frauen haben das Gefühl, „geboren zu haben“, nicht „entbunden worden zu sein“ [[37]].


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Vorteile aufrechter Gebärpositionen und des Abwartens

Nur in einer vertikalen Körperhaltung ist es möglich, auf eine starke Schmerzempfindung durch Tonusminderung oder -erhöhung adäquat zu reagieren. Diese physiologische Tonusregulation schützt vor Überbelastung, Übermüdung und Schmerzen. Vorausetzung ist uneingeschränkte Mobilität, um Reize aller Art zu verarbeiten. Um jedoch eine Wirkung auf die geburtshilfliche Situation zu erzielen, ist nicht die Wahl einer einzigen Position maßgebend, sondern das Wechseln verschiedener Körperpositionen [[16]].

Aufrechte Gebärhaltungen zeigen Auswirkungen auf den Hormonhaushalt. Es erfolgt eine Begünstigung der Prostaglandin- und Endorphinausschüttung. Beim Wechsel von der Seitenlage zum Stehen steigt nachweisbar der Prostaglandinspiegel. Durch Körperkontakt helfender Personen entspannt sich die Gebärende. Über Regulationsmechanismen des limbischen Systems werden Endorphine freigesetzt. Es erfolgt ein Abbau von Stress, Angst und Spannung. Und die Wirkung des Hormons Oxytocin kann sich besser entfalten. Ebenfalls ist es den Gebärenden möglich, aktiver und leistungsfähiger zu sein und die Kontrolle über den eigenen Körper zu behalten[[16]].

Die selbstbestimmte Wahl aufrechter Gebärpositionen kann sich sowohl auf körperlicher als auch auf psychischer Ebene positiv auswirken. Jene Frauen, die während der Geburt aufrechte Gebärpositionen einnehmen konnten, hatten eine kürzere Eröffnungs- und Geburtsphase, erfuhren weniger Interventionen, berichteten über weniger starke postpartale Schmerzen und waren generell zufriedener mit der Geburtserfahrung als Frauen, die in Rückenlage ihr Kind zur Welt brachten. Als einziger Nachteil wurde ein größerer Blutverlust in der Gruppe der Frauen verzeichnet, die aufrechte Gebärpositionen einnahmen [[27]].

Es konnte auch eine signifikante Reduktion an vaginal-operativen Entbindungen[[3], [17], [18], [11], [36], [10]] sowie an Episiotomien festgestellt werden und es zeigten sich weniger abnorme fetale Herztonveränderungen [[12], [11], [10]].

Aus oben genannten Studien geht klar hervor, dass das Abwarten des reflektorischen Pressdranges die Rate an vaginalen Spontangeburten erhöht und vaginal-operative Geburtsbeendigungen seltener stattfinden. Sofortiges Pressen nach vollständiger Muttermundseröffnung führt zu einer vermehrten mütterlichen Erschöpfung in der Postpartalperiode. Diese Erschöpfung kann eine postpartale Depression fördern und sich somit negativ auf die Mutter-Kind-Interaktion auswirken. Was die Geburtsdauer und das kindliche Outcome betrifft, gehen aus den untersuchten Studien keine klaren Ergebnisse hervor.

Die Zufriedenheit mit dem Geburtserlebnis hängt mit der Selbststeuerung der Geburt, der Wahrnehmung der Wehenschmerzen, der Erwartungshaltung und der Betreuung während der Geburt zusammen. Die Möglichkeit, die Gebärpositionen zu beeinflussen, kann sich positiv auf die Geburtserfahrung, den Geburtsverlauf sowie das Geburtserlebnis auswirken. Gesunden Schwangeren mit komplikationslos verlaufender Geburt sollte deshalb bei vollständig eröffnetem Muttermund ohne Pressdrang erlaubt werden, mit aktiven Pressanstrengungen solange zu warten, bis starker Pressdrang auftritt oder der kindliche Kopf im Introitus sichtbar wird.


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Empfindung und Wahrnehmung der Frauen

Im Zuge meiner Bachelorarbeit wurden Frauen zu ihren Empfindungen und Wahrnehmungen zum reflektorischen Pressdrang befragt. Folgend werden die wichtigsten Ergebnisse dargestellt [[38]].

Wahrnehmung reflektorischer Pressdrang

Von allen Frauen, die spontanen Pressanstrengungen nachkommen konnten (selbstbestimmte Gruppe, n = 4), wird die aktive Geburtsphase als Phase beschrieben, in der man die Kontrolle über den Körper verliert und sich dem Rhythmus der Geburt hingeben muss. Befindet man sich im Rhythmus, werden die Wehen als „bewältigbarer“ empfunden. Es wird als eine Zeit beschrieben, in der man ganz tief in sich hineingeht, ganz bei sich ist und die Außenwelt nicht mehr wahrnimmt. Ausdrücke wie wahnsinnige Kraft, Naturgewalt, Unbändigkeit, überwältigend und grenzüberschreitend wurden für die Beschreibung des unwillkürlichen Pressdranges verwendet.

Durch Anleitung von außen kann der Rhythmus der Geburt nicht bzw. weniger stark wahrgenommen werden und somit könnte die Geburtsphase für die Frauen schwerer bewältigbar erscheinen. Dies zeigt sich auch in den Aussagen der Frauen, die die Geburt fremdbestimmt erlebten (n = 3). Hinsichtlich der Wahrnehmungen und Empfindungen zum reflektorischen Pressdrang wurde er vom Großteil dieser Frauen als schwer beschreibbar und schwer erinnerbar geschildert.

Das Veratmen des vorzeitigen Pressdranges wird von den Frauen (n = 2) als schwierig bzw. unmöglich durchführbar empfunden und als innerlicher Kampf gegen die wahrgenommenen Empfindungen beschrieben.


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Geburtshilfliche Unterstützung

Um Gebärenden die Zeit des frühen Pressdranges angenehmer zu gestalten, sollten frühe Pressanstrengungen durch die Hebamme unterstützt werden, wenn die geburtshilflichen Vorausetzungen für das Tiefertreten des Kindes günstig sind:

  • wenn der Muttermund mind. acht bis neun Zentimeter offen ist

  • wenn der Kopf auf ISP + 1 oder tiefer steht

  • und wenn sich die Pfeilnaht in den senkrechten Durchmesser dreht

Gebärende können am Höhepunkt der Wehe, wenn der Pressdrang am stärksten wahrgenommen wird, dosiert mitpressen. Es erscheint unwahrscheinlich, dass spontanes Mitschieben in dieser Situation negative Auswirkungen hat, solange sich die Frauen nicht verausgaben [[30]].


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Gebären mit geöffneter Glottis

Eine interviewte Frau beschreibt eindrücklich, dass das Zurückhalten von lauten Geräuschen den Geburtsfortschritt beeinträchtigt hat. Nachdem sie ihre Gefühle und Schmerzen durch Tönen zum Ausdruck brachte, schritt die Geburt voran. Die Frauen, die selbstbestimmt geboren haben, waren über den Zusammenhang zwischen Kiefermuskulatur und Beckenboden aufgeklärt. Die Presswehen konnten mit geöffneter Glottis besser kontrolliert und sogar die Regulation der Gebärgeschwindigkeit konnte beeinflusst werden.

Anhand dieser Aussagen lässt sich erkennen, dass das Gebären mit geöffneter Glottis die Wahrnehmungen der Geburtsphase beeinflussen kann und als wichtiger Aspekt bei der Geburtsbetreuung betrachtet werden sollte. Empfehlenswert wäre, den Frauen bereits während der Schwangerschaft den Zusammenhang zwischen Glottis und Beckenboden zu vermitteln.


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Intuitive Einnahme von Gebärpositionen

Alle interviewten Frauen, die ihr Kind selbstbestimmt geboren haben, nahmen während der Zeit der Geburtsphase sowie zur Geburt des Kindes instinktiv eine aufrechte und nach vorne geneigte Körperposition ein.

Die Auswirkungen der Rückenlage kombiniert mit der Valsalva-Presstechnik zeigten sich bei einer der Frauen sehr deutlich. Sie beschreibt, dass das Einatmen und somit die Pressanstrengungen in dieser Position nicht möglich waren. Sie konnte keinen Druck aufbauen, um das Kind Richtung Beckenausgang zu pressen. Vielmehr wirkte sich diese Anleitung dahingehend aus, dass sie nach der Geburt in Gesicht und Augen Petechien aufwies, sogenannte Hyposphagmata. Weiter erklärt sie, dass sie sich während dieser Situation lieber umgedreht hätte, haltend an einem von der Decke hängenden Seil, um sich geschützter von den außenstehenden Personen zu fühlen. Es scheint, dass Gebärende intuitiv aufrechte Gebärhaltungen bevorzugen, um die Wehenschmerzen besser verarbeiten zu können und sich vor äußeren Einflüssen zu schützen.


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Die Zufriedenheit mit der Geburt

Frauen, die selbstbestimmt geboren haben, berichten durchwegs von einem positiven Geburtserlebnis. Auch das Auftreten von Glücksgefühlen nach der Geburt war bei allen Frauen vorhanden. Die Geburtserfahrung wurde als bestärkend und heilend im Hinblick auf die erste Geburt beschrieben. Keine der Frauen wünschte, bei der nächsten Geburt etwas anders zu machen.

Bei jenen Frauen, die fremdbestimmt geboren haben, wurde das Geburtserlebnis durch äußere Faktoren negativ beeinflusst, sei es das Einwirken auf die Gebärposition oder die Anleitung zu forciertem Pressen oder beides. Durch die Fremdbestimmung wurde das Gefühl genommen, die Geburt selbst geschafft zu haben.


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Unterstützung und Anleitung durch die Hebamme

Alle der befragten Frauen (n = 7) gaben an, dass sie keine Anleitung durch die Hebamme zum forcierten Pressen gebraucht hätten. Zwei der Frauen beschreiben, dass sie nie das Gefühl hatten, Unterstützung von außen zu brauchen, da sie sich auf ihren Körper verlassen haben. Bei der Geburt hinkt man dem Körper hinterher, d.h. er macht etwas und man versucht so schnell wie möglich darauf zu reagieren. Eine Hebamme kann körperliche Prozesse in den Geburtsverlauf einordnen, jedoch kann sie nicht wissen, was die Frauen im Moment wirklich brauchen. Die Anleitung zu forciertem Pressen wird daher als unnötig und sogar kontraproduktiv beschrieben.

Eine Frau äußert, dass sie sich durch die Geburtsumstände (verzögerte Geburtsphase, schlechte kindliche Herztöne) in einem Moment der Schwäche und Hilflosigkeit befand und die bestimmte Anleitung der Hebamme als Stütze empfand. Eine der Frauen, die den vorzeitigen Pressdrang erlebte, hätte sich mehr Unterstützung bei der Bewältigung des vorzeitigen Pressdranges gewünscht, jedoch keine Anleitung während der Pressphase benötigt. Ermutigung wird, im Gegensatz zur Anleitung, als wichtiger Aspekt der Hebammenarbeit gesehen. Darunter fällt die Unterstützung im Finden der bequemsten Gebärposition oder die Möglichkeit, verschiedene Positionen auszuprobieren. Von zwei der Frauen wurde dahingehend Anleitung gewünscht, dass Gebärende ermutigt werden sollen, das Tiefertreten des kindlichen Kopfes durch eigene vaginale Untersuchungen zu verfolgen. Dies wird einerseits als Ermutigung gesehen, andererseits als Gefühl der Selbstbestimmtheit dargelegt.


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Fazit

Evidenzen zum Abwarten des reflektorischen Pressdranges, zu aufrechten Gebärhaltungen und selbstbestimmtem Mitschieben während der Geburt gegenüber sofortigem Pressen nach vollständiger Muttermundseröffnung, horizontalem und angeleitetem Gebären zeigen viele Vorteile für Mutter und Kind, z. B.:

  • Verkürzung der Geburtsdauer

  • mögliche Reduktion vaginal-operativer Geburtsbeendigungen

  • weniger starke postpartale mütterliche Schmerzen und Erschöpfungszustände

  • weniger abnorme kindliche Herzfrequenzmuster

  • geringeres Ausmaß an Dammverletzungen

Besonders mütterliche Verletzungen und Schmerzen, oftmals hervorgerufen durch vaginal-operative Entbindungen, aber auch durch Erschöpfung, können eine postpartale Depression triggern und somit die Mutter-Kind-Beziehung beeinträchtigen. Die Gebärende spontan mitschieben zu lassen trägt dazu bei, dem Kind eine möglichst stressfreie Geburt zu ermöglichen und der Mutter Überanstrengung und extremes Erschöpftsein zu ersparen.

Die Anleitung zum forcierten Pressen sollte jenen Gebärenden vorbehalten werden, die die Anleitung wirklich brauchen, vielleicht sogar fordern. Allerdings sollte das Vorgehen individuell angepasst sein. Die jeweiligen Bedürfnisse und der Zustand von Mutter und Kind sollten miteinbezogen werden. Bei vielen Frauen führen positive Stärkung, Zuspruch, Ermutigung und beruhigende Maßnahmen zu einem Geburtsfortschritt und der Geburt des Kindes.

Während einer physiologischen Geburtsphase, in der es der Gebärenden zugestanden wird, nach eigenen Empfindungen mitzuschieben, wird es kaum notwendig sein, strikte Anweisungen zum „korrekten“ Pressen zu geben. Eine empathische Begleitung durch die Geburtshelfer, die die Normalität einer Geburt sowie die Fähigkeit der Gebärenden zur aktiven und selbstbestimmten Geburt anerkennen und wertschätzen, ist wichtig. Dadurch entsteht die Möglichkeit, dass Frauen aus eigener Kraft gebären und nicht „entbunden“ werden.

Die Geburtsphase stellt für die Hebamme eine besondere Anforderung dar, wenn der Geburtsverlauf durch die Bedürfnisse der Gebärenden vorgegeben wird und die Hebamme die Position der Dirigentin zugunsten der Rolle einer wachsamen und empathischen Begleiterin abgibt. Wichtig ist, die Stärken, Ressourcen und Fähigkeiten des weiblichen Körpers während der Geburt zu fördern. Somit können hebammenrelevante Fähigkeiten, wie z.B. die Beobachtungsgabe und die Geduld, gestärkt werden. Das Ziel moderner Hebammen – als Fachfrauen der physiologischen Geburt – sollte sein, Gebärende dahingehend zu unterstützen, dass diese die Geburt als ein positives Erlebnis erfahren können, geprägt von der eigenen Kompetenz, zu gebären.


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Katrin Jesacher, BSc
Hebamme
5412 Puch bei Hallein
Österreich   

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