Aktuelle Urol 2016; 47(05): 347-348
DOI: 10.1055/s-0042-111911
Referiert und kommentiert
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Testosteronmangel – TRT vermindert kardiovaskuläre Ereignisse

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Publication Date:
05 October 2016 (online)

 

Eine Testosteronersatztherapie (testosterone replacement therapy, TRT) kann indiziert sein, wenn laborchemisch ein Hypogonadismus vorliegt und Symptome eines Testosteronmangels nachweisbar sind. Allerdings sind die Auswirkungen der TRT auf das kardiovaskuläre System unklar, und ein erhöhtes Risiko für Myokardinfarkte wird diskutiert. Sharma et al. haben eine umfangreiche Datensammlung dazu vorgelegt.
Eur Heart J 2015; 36: 2706–2715


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mit Kommentar

Wenn eine TRT die Testosteronkonzentration im Serum normalisiert, kann sie die Sterblichkeit insgesamt sowie das Risiko für Myokardinfarkte und Schlaganfälle signifikant vermindern. So lautet das Ergebnis der retrospektiven Studie der US-amerikanischen Mediziner, die aus der Datenbank der Veterans Administration mehr als 80 000 zwischen 1999 und 2014 behandelte Patienten ohne anamnestisch bekannten Myokardinfarkt und Schlaganfall für ihre Auswertung herangezogen haben.

Bei allen Männern lag eine verminderte Konzentration von Testosteron im Serum vor, definiert anhand des jeweiligen Labor-Referenzbereichs. Für die Analyse wurden sie in 3 Gruppen eingeteilt:

  • Gruppe 1: Männer mit TRT (n = 69 632), und darunter

    • Gruppe 1a: Männer mit normalisierten Testosteronwerten unter der TRT (n = 43 931) sowie

    • Gruppe 1b: Männer mit TRT, aber weiterhin verminderten Testosteronkonzentrationen (n = 25 701)

  • Gruppe 2: Männer ohne TRT mit anhaltend verminderten Testosteron-konzentrationen (n = 13 378)

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Die Wissenschaftler verglichen nun die Inzidenz von Myokardinfarkten, ischämischen Schlaganfällen und die Gesamtsterblichkeit in diesen Gruppen. Nach umfangreichem Propensity Score Matching, in das Alter, Body Mass Index sowie eine Reihe kardiovaskulärer Risikofaktoren und Begleiterkrankungen eingingen, wurde außerdem das Risiko der jeweiligen Gruppe für die 3 Endpunktereignisse berechnet.

Geringere Sterblichkeit sowie ­weniger Myokardinfarkte und Schlaganfälle

Die Auswertung ergab eine Sterblichkeit von 1654, 3004 und 3635/100 000 Personenjahre in Gruppe 1a, 1b und 2. Dies entspricht einer Hazard Ratio (HR) von 0,44 (Gruppe 1a vs. Gruppe 2) bzw. 0,53 (Gruppe 1a vs. Gruppe 1b) bzw. 0,84 (Gruppe 1b vs. Gruppe 2).

Bei den Myokardinfarkten zeigte sich eine Inzidenz von 189, 261 und 263/100 000 Personenjahre in Gruppe1a, 1b und 2, entsprechend einer HR von 0,76 (Gruppe 1a vs. Gruppe 2) bzw. 0,82 (Gruppe 1a vs. Gruppe 1b), ohne signifikanten Unterschied zwischen den Gruppen 1b und 2.

Bei Schlaganfällen ergab sich ein ähnliches Bild, mit einer Inzidenz von 43, 57 und 59/100 000 Personenjahre in Gruppe 1a, 1b und 2. Daraus errechnete sich eine HR von 0,70 (Gruppe 1a vs. Gruppe 1b) bzw. 0,64 (Gruppe 1a v. Gruppe 2), wiederum ohne relevanten Unterschied zwischen den Gruppen 1b und 2.

Fazit

Im Gegensatz zu der häufig geäußerten Befürchtung, dass eine TRT die Rate ischä­mischer Ereignisse erhöht (und die in den USA sogar zur verpflichtenden Warnung auf den Beipackzettel von Testosteronpräparaten geführt hat), zeigen diese Daten kein solches Risiko. Eher im Gegenteil: Bei erfolgreicher Therapie, hier definiert als Normalisierung der Testosteronkonzentrationen, wird das Risiko für Myokardinfarkte und Schlaganfälle ebenso vermindert wie die Gesamtsterblichkeit. Einschränkend gilt das retrospektive Design der Studie – ausreichend gepowerte, prospektive, randomisierte Studien müssen diese Ergebnisse bestätigen. Ein Freibrief für die umfangreiche Off-Label-Verwendung von Testosteron sind diese Daten keinesfalls, so die Autoren.

Dr. Elke Ruchalla, Bad Dürrheim

Kommentar

Don‘t believe the hype!

Hintergrund

Im März 2015 hat die Food and Drug Administration (FDA) eine Mitteilung zur Sicherheit der Testosteron-Substitutionstherapie (TRT) herausgegeben, die im Wesentlichen eine Warnung hinsichtlich einer möglichen Assoziation von TRT und kardiovaskulären Ereignissen implizierte und letztendlich dazu führte, dass die TRT des Late-onset-Hypogonadismus (LOH) seitdem eine Off-Label-Therapie darstellt [1].

Die Entscheidung der FDA beruhte auf diskrepanten Ergebnissen einer randomisierten [2] und 5 retrospektiven Studien [3] [4] [5] [6] [7], die zahlreiche methodische Mängel aufwiesen. Dies und eine fragwürdige sensationell ausgerichtete Berichterstattung in den USA [8] führte sowohl bei Patienten mit LOH als auch bei den behandelnden Ärzten zu Verunsicherung in Bezug auf die Sicherheit der TRT.

Stärken der Studie

Die im August 2015 veröffentlichte retrospektive Beobachtungsstudie von Sharma et al. trägt entscheidend zur Ausräumung dieser Unsicherheiten bei, da diese im Vergleich zu den von der FDA berücksichtigten retrospektiven Arbeiten mehrere Stärken aufweist.

Mit 83 010 Patienten ist sie die größte Studie, was eine gematchte Analyse zwischen den verschiedenen Gruppen ermöglicht. Darüber hinaus konnten die Autoren zahlreiche Einflussfaktoren berücksichtigen, beispielsweise den BMI, aktuell bestehende Begleitmedikation sowie unterschiedliche kardiovaskuläre Erkrankungen. Gleichzeitig lässt das ausgedehnte durchschnittliche Follow-up von 6,2 Jahren adä­quate Analysen potenzieller Langzeiteffekte zu, was im Hinblick auf den Langzeit-Charakter der TRT von grundlegender klinischer Relevanz ist.

Im Unterschied zu allen von der FDA in Erwägung gezogenen retrospektiven Studien erlaubt die Beachtung der Testosteronwerte im Verlauf und die Einteilung der leitliniengerecht mittels initial zweimalig gemessenen Testosteronspiegeln dia­gnostizierten LOH-Patienten in Gruppe 1 – TRT mit normalisiertem Testosteronwert, Gruppe 2 – TRT mit nicht normalisiertem Testosteronwert, Gruppe 3 – keine TRT, die differenzierte Berücksichtigung der Effizienz der TRT.

Schwächen der Studie werden von den Autoren klar benannt und beinhalten – wie bei allen retrospektiven Studien – potenziell nicht erfasste Confounder, z. B. den Raucherstatus, und Selektionsfehler. Im Gegensatz dazu mussten insbesondere nach der Publikation von Vigen et al. Fehler und Fehleinschätzungen eingeräumt werden, inklusive der irrtümliche Einschluss von Frauen [9].

Sharma et al. haben Patienten ausgeschlossen, die vor der initialen Messung der Testosteronwerte einen Mykoardinfarkt oder Schlaganfall erlitten haben, was die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf typischerweise komorbide LOH-Patienten in der täglichen klinischen Praxis möglicherweise kompliziert. Allerdings ist die Auswahl der Patienten in vorherigen Studien noch kritischer zu sehen. Vigen et al. schlossen ausschließlich Patienten ein, die eine Herzkatheterisierung erhalten hatten [7], was auf ein generell erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse hinweist. Finkle et al. verglichen Patienten, die mit TRT vs. PDE-5-Inhibitoren behandelt wurden [4], wobei bekannt ist, dass PDE-5-Inhibitoren positive Effekte auf das kardiovaskuläre System haben können.

Relevanz für die Praxis

Für den klinischen Alltag sind ausdrücklich zwei Ergebnisse der Studie von Sharma et al. hervorzuheben:

  • Zum einen hatten unbehandelte LOH-Patienten eine deutlich höhere Gesamt-Mortalität als Patienten, die eine TRT erhalten haben.

  • Darüber hinaus hatten LOH-Patienten, die mit TRT behandelt und deren Testosteronwert normalisiert wurde, eine niedrigere Gesamt-Mortalität sowie ein niedrigeres Risiko für einen Myokardinfarkt und Schlaganfall als Patienten, die zwar mit TRT behandelt, deren Testosteronwert aber nicht normalisiert wurde.

Dementsprechend ist in der Praxis bei LOH-Patienten mit der TRT eine Normalisierung des Testosteronwerts anzustreben, ggf. sollte die Testosterondosis je nach im Verlauf gemessenen Testosteronwerten angepasst werden, was ausschließlich durch eine lückenlose andrologisch-urologische Therapieüberwachung gewährleistet ist.

Ausblick

Zur Beurteilung von Arzneimittelwirkungen und -nebenwirkungen sind randomisierte Studien unerlässlich. Zwischenzeitlich wurde eine multizentrische randomisierte Studie publiziert, die zeigen konnte, dass es bei mit TRT behandelten Patienten nicht zu mehr kardiovaskulären Ereignissen kommt als in der Placebo-Gruppe [10]. Allerdings war die Studie mit 790 eingeschlossenen Patienten nicht adäquat gepowert, um eine abschließende Aussage hinsichtlich der Therapiesicherheit treffen zu können. Es bleibt abzuwarten, ob in Zukunft eine derartige Studie durchgeführt wird, und ob die FDA die Warnung zur Sicherheit der TRT aufgrund der neuen Datenlage modifiziert.

Dr. Armin Soave, Prof. Dr. Sabine Kliesch, Münster


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Dr. Armin Soave


ist Facharzt für Urologie in der Abteilung für Klinische Andrologie im Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie am Universitätsklinikum Münster

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Prof. Dr. Sabine


Kliesch ist Chefärztin der Abteilung für Klinische Andrologie im Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie am Universitätsklinikum Münster

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Interessenkonflikt:

Referententätigkeit/Beratertätigkeit für die Fa. Bayer, Jena­pharm, Dr. Kade/Besins, Merck Serono, Galen Pharma



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