Psychiatr Prax 2016; 43(07): 358-359
DOI: 10.1055/s-0042-113530
Debatte: Pro & Kontra
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Disease Management Program Depression (DMP) – Kontra

Disease Management Program Depression – Contra
Andreas Broocks
1   Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Ärztlicher Direktor der Carl-Friedrich-Flemming-Klinik, Schwerin
,
Laura Dickmann
2   Kiel
› Author Affiliations
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Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Andreas Broocks
Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Ärztlicher Direktor der Carl-Friedrich-Flemming-Klinik
Wismarsche Straße 393 – 397
19049 Schwerin

Publication History

Publication Date:
12 October 2016 (online)

 

Disease-Management-Programme (DMP) für große Volkskrankheiten wie zum Beispiel Diabetes mellitus haben aus Sicht der Krankenkassen und der ärztlichen Berufsverbände dazu geführt, dass sich die Qualität der Behandlung für die betroffenen Patienten deutlich verbessert hat. Da liegt der Gedanke nahe, dieses Konzept auch auf die „Volkskrankheit Depression“ zu übertragen. Denn: Viele Patienten mit einer depressiven Erkrankung wenden sich zuerst an den Hausarzt – und bleiben auch nach Abschluss einer stationären Behandlung – wegen des zunehmenden Mangels an niedergelassenen Fachärzten für Psychiatrie und Psychotherapie – in hausärztlicher Behandlung.

Die ersten Zweifel an der Sinnhaftigkeit eines DMP Depression ergaben sich aus der Tatsache, dass depressive Erkrankungen im Vergleich zu somatischen Erkrankungen wie dem Diabetes mellitus viel heterogener sind. So können in der Pathogenese einer Depression ganz unterschiedliche Faktoren die entscheidende Rolle spielen (erblich bedingte Vulnerabilität, akute psychosoziale Belastungsfaktoren usw.). Auch im Hinblick auf die individuell angepasste Behandlung der depressiven Erkrankung gibt es große Unterschiede: Bei vielen Patienten gibt es initial keine sinnvolle Alternative zu einer Pharmakotherapie. Bei anderen Patienten wäre ein primär psychotherapeutisch orientiertes Vorgehen und ggf. zeitnahe Veränderungen der privaten oder beruflichen Situation des Patienten die Behandlung der Wahl. Um bereits in der Initialphase der Behandlung die Weichen richtig stellen zu können, braucht es Zeit! Zeit für die Erhebung der aktuellen und früheren Anamnese, die Berücksichtigung wichtiger biografischer Faktoren, die Abklärung des Schweregrads der Depression einschließlich Beurteilung der Suizidalität, die Prüfung, ob akut eine vollstationäre Behandlung erforderlich ist usw..

Um dieser Aufgabe gerecht werden zu können, wäre für Allgemeinmediziner ein hoher Schulungsaufwand erforderlich, insbesondere wenn Patienten mit einer depressiven Erkrankung längerfristig leitliniengerecht behandeln werden sollen. Natürlich müsste auch der hohe Zeitaufwand im Laufe der Behandlung entsprechend vergütet werden, ansonsten wäre die Akzeptanz eines solchen Projekts von vornherein nicht gewährleistet.

Aufgrund dieser Bedenken wurden im Rahmen einer Studie 185 Allgemeinmediziner sowie hausärztlich tätige Internisten zu ihrer Einstellung im Hinblick auf ein DMP Depression befragt [1]. 144 Rückantworten (Rücklaufquote 78 %) konnten ausgewertet werden. 89 % der Befragten hatten bereits Erfahrungen mit 2 oder mehr DMP, und 36 % bewerteten diese Erfahrungen ausdrücklich als positiv. Ein mögliches DMP Depression wurde aber nur von 23 % der Befragten begrüßt, die Ablehnerquote betrug 61 %. Etwa die Hälfte der Kollegen hatte bisher noch nichts von der Existenz der S3-Leitlinie Depression gehört.

Hauptablehnungsgrund war der hohe Zeitaufwand, der sowohl für die Schulungen (am Wochenende bzw. in der Freizeit!), die Fallkonferenzen als auch für die individuelle Betreuung der Patienten erforderlich ist. Positiv aufgenommen wurde das Konzept, die längerfristige Betreuung des Patienten auf nichtärztliche Fallmanager zu übertragen. Leider ist es bis heute unklar, wie die Ausbildung eines solchen Fallmanagers, der Patienten mit einer potenziell lebensbedrohlichen Erkrankung (Suizidgefahr!) betreut, aussehen soll, woher diese neue Berufsgruppe überhaupt kommen soll und wie das Ganze zu finanzieren wäre. Weitere Ablehnungsgründe betrafen den zu erwartenden hohen bürokratischen Aufwand.

Zwei Drittel der befragten niedergelassenen Ärzte waren mit der Zusammenarbeit mit Fachärzten für Psychiatrie und Psychotherapie zufrieden, würden also an der bisherigen Kooperation festhalten wollen. Problematisch sei es aber, einen Vorstellungstermin beim Spezialisten zeitnah zu erhalten. 81 % gaben an, einen ersten Konsultationstermin beim Psychiater innerhalb von einem Monat buchen zu können, beim Psychotherapeuten dauerte es länger als 3 Monate. Die Zahlen decken sich gut mit einer kürzlich durchgeführten Befragung von 2500 psychologischen Psychotherapeuten in Deutschland [2]. Danach können nur 5 % aller Psychotherapeuten einen Therapieplatz sofort anbieten. Durchschnittlich mussten Patienten 79 Tage warten – in Großstädten 62 Tage und in Kleinstädten 104 Tage. Dies ist für Menschen mit einer depressiven Phase, hohem Leidensdruck und möglicherweise auch Suizidalität keine Option. Deshalb bleibt dem Hausarzt häufig nur die Überweisung in die Klinik, was wiederum von nicht wenigen Patienten abgelehnt wird.

Es ist zu hoffen, dass es nicht dazu kommt, dass ehrgeizige Gesundheitspolitiker gemeinsam mit einsparungsmotivierten Kassenvertretern und ausschließlich universitär tätigen Kollegen ein DMP Depression entwickeln, das auf dem Papier einen Idealzustand skizziert, der sich aber in der ambulanten Versorgung depressiv erkrankter Menschen gar nicht umsetzen lässt. Positive Ergebnisse im Hinblick auf ein DMP Depression haben sich bisher nur im Rahmen von ausreichend finanzierten Modellprojekten mit kleinen Gruppen hochmotivierter Haus- und Fachärzte ergeben [3]. Es sei ausdrücklich davor gewarnt, den Hausärzten und Allgemeinmedizinern bundesweit ein DMP Depression überzustülpen, ohne die hier skizzierten Bedenken der niedergelassenen Kollegen ausreichend zu berücksichtigen. Es gibt bisher keine ausreichende Evidenz dafür, dass ein DMP Depression wirklich die Behandlungsqualität der betroffenen Patienten verbessert und dass positive Erfahrungen mit DMP-Projekten bei somatischen Erkrankungen ohne Weiteres auf den psychiatrischen Bereich übertragen werden können. Sinnvoller wäre es, die Position eines Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie wieder attraktiver zu machen. Aktuell ist es so, dass der niedergelassene Facharzt für das gesamte Quartal weniger in Rechnung stellen kann als ein niedergelassener Psychotherapeut für eine einzige Sitzung! Die enormen Einkommensunterschiede zwischen den verschiedenen Fachrichtungen im niedergelassenen Bereich haben erheblich dazu beigetragen, dass die Fachrichtung Psychiatrie und Psychotherapie für viele Medizinstudierende unattraktiv geworden ist – mit der Folge eines weiter zunehmenden Mangels an niedergelassenen Psychiatern. Auch die psychiatrischen Institutsambulanzen an den Kliniken sollten weiter ausgebaut und ausreichend finanziert werden. An dieser Stelle muss gehandelt werden, wenn depressiv erkrankte Menschen zukünftig auch ambulant mit hoher Qualität behandelt werden sollen.


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Andreas Broocks

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Laura Dickmann

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  • Literatur

  • 1 Dickmann LM, Dickmann JR, Broocks A. DMP Depression: die Hausarzt-Perspektive. Zeitschrift für Allgemeinmedizin 2012; 88: 210-217
  • 2 Deutsche Psychotherapeutenvereinigung. Die Schwierigkeiten, einen Therapieplatz zu finden – Unter- und Fehlversorgung im Bereich der ambulanten Psychotherapie. Pressekonferenz am 14.02.2011 2011. http://deutschepsychotherapeutenvereinigung.de
  • 3 Bermejo I, Schneider F, Christoph L et al. Improving outpatient care of depression by implementing practice guidelindes. Int J Qual Health Care 2009; 21: 29-36

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Andreas Broocks
Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Ärztlicher Direktor der Carl-Friedrich-Flemming-Klinik
Wismarsche Straße 393 – 397
19049 Schwerin

  • Literatur

  • 1 Dickmann LM, Dickmann JR, Broocks A. DMP Depression: die Hausarzt-Perspektive. Zeitschrift für Allgemeinmedizin 2012; 88: 210-217
  • 2 Deutsche Psychotherapeutenvereinigung. Die Schwierigkeiten, einen Therapieplatz zu finden – Unter- und Fehlversorgung im Bereich der ambulanten Psychotherapie. Pressekonferenz am 14.02.2011 2011. http://deutschepsychotherapeutenvereinigung.de
  • 3 Bermejo I, Schneider F, Christoph L et al. Improving outpatient care of depression by implementing practice guidelindes. Int J Qual Health Care 2009; 21: 29-36

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