ergopraxis 2016; 9(10): 14-16
DOI: 10.1055/s-0042-115007
Wissenschaft
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Internationale Studienergebnisse


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07 October 2016 (online)

 
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Fast die Hälfte der in der Studie untersuchten sehr früh geborenen 160 Kinder zeigen in den sieben Domänen des Short Sensory Profile Auffälligkeiten in der sensorischen Verarbeitung.
Abb.: übersetzt nach Am J Occup Ther 2016; doi: 10.5014/jot.2016.018747

Risikofaktor für sensorische Verarbeitungsstörungen – Frühgeburt

Kinder, die vor der 28. Schwangerschaftswoche geboren werden, zeigen im Kindesalter sehr häufig Auffälligkeiten in der sensorischen Verarbeitung. Dies fand ein interdisziplinäres Forscherteam bestehend aus vier Ergotherapeuten, einer Neonatologin, einem Arzt und einer Psychologin an der University of British Columbia in Kanada heraus.

Sie untersuchten im Rahmen einer retrospektiven Kohortenstudie die sensorische Verarbeitung bei 160 sehr früh geborenen Kindern anhand des Short Sensory Profile. Die Daten wurden im Rahmen einer Kontrolluntersuchung erhoben, als die Kinder 4;5 Jahre alt waren. Fast die Hälfte der Kinder zeigte Auffälligkeiten in der sensorischen Verarbeitung. Entgegen der Annahme der Forscher, dass sich bei diesen Kindern hauptsächlich Überempfindlichkeiten zeigen würden, war der Bereich „Unterempfindlichkeit/Reizsuche“ am auffälligsten. Etwa ein Drittel der Kinder war aber auch überempfindlich gegenüber Bewegung, Berührung, visuell-auditiven oder Geruchs- und Geschmacksreizen.

Kinder mit sensorischen Auffälligkeiten fanden sich vor allem unter den ehemals Frühgeborenen mit geringem Geburtsgewicht, niedrigeren APGAR-Werten, mehr Beatmungstagen und längerem Aufenthalt auf der Intensivstation. Dabei erhöhte jeder Tag auf der Intensivstation das Risiko sensorischer Verarbeitungsstörungen. Entgegen der Erwartung der Forscher hatte der allgemeine Gesundheitszustand einen geringeren Einfluss auf die sensorische Verarbeitung als angenommen. Es zeigten sich auch keine Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen.

Im Hinblick auf die hohe Prävalenz sensorischer Verarbeitungsstörungen bei sehr frühgeborenen Kindern, die nach 4;5 Jahren noch bei fast der Hälfte der Kinder vorhanden war, erachten die Forscher eine routinemäßige ergotherapeutische Befunderhebung mit Schwerpunkt auf sensorischer Verarbeitung für sinnvoll.

evfi

Am J Occup Ther 2016; doi: 10.5014/ajot.2016.018747


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Alltag und Verhalten berücksichtigen – Gehtraining nach Schlaganfall

Möchten Klienten nach einem Schlaganfall ihr Gehvermögen verbessern, sollten Therapeuten nicht nur auf funktionelles Training setzen. Stattdessen empfiehlt es sich, mit den Klienten zusammen Verhaltensänderungen zu erarbeiten und das Gehen unter realen Bedingungen zu trainieren. Zu diesem Schluss kam ein Forscherteam um die Physiotherapeutin und Gesundheitswissenschaftlerin Caroline Stretton von der AUT University in Auckland, Neuseeland.

In gängigen Datenbanken fanden die Forscher neun RCT-Studien, die Effekte gangbezogener Interventionen auf das Gehen unter realen Bedingungen untersuchten. Wie die kritische Bewertung der Studien zeigte, besaßen die meisten davon eine hohe methodische Qualität. Mithilfe einer Meta- und Subgruppenanalyse ermittelten die Forscher den Gesamteffekt der gangbezogenen Interventionen und verglichen anschließend zwei Interventionstypen miteinander: funktionelle Übungen alleine sowie Interventionen, die mindestens eine Technik zur Verhaltensänderung mit Übungen oder einer Gangschulung unter realen Bedingungen kombinierten.

Den Ergebnissen zufolge verbessern die gangbezogenen Interventionen das Gehen unter realen Bedingungen insgesamt leicht, aber signifikant. Wie die zusammengeführten Follow-up-Messungen zeigen, können die erzielten Effekte über einen Zeitraum von drei bis sechs Monaten erhalten bleiben. Beim Vergleich der verschiedenen Interventionstypen treten allerdings erhebliche Unterschiede zutage. Denn die funktionellen Übungen alleine erweisen sich insgesamt nicht als effektiv. Ganz anders verhält es sich bei den kombinierten Interventionen, die Techniken zur Verhaltensänderung einbeziehen. Diese helfen Klienten mit eingeschränktem Gehvermögen nachweislich dabei, ihr alltägliches Gehen zu verbessern. Dabei profitieren die Betroffenen am stärksten von Angeboten, bei denen die Therapeuten mit ihnen zusammen Ziele aufstellen, Barrieren identifizieren und eine Selbstüberwachung einführen.

Die Forscher schlussfolgern, dass gangbezogene Interventionen in der Schlaganfall-Rehabilitation das Gehen unter realen Bedingungen nachhaltig verbessern können. Besonders geeignet erscheinen ihnen Interventionen, die Techniken zur Verhaltensänderung mit einer Gangschulung unter realen Bedingungen kombinieren. Durch solche kontextspezifischen und individuell bedeutsamen Angebote können die Klienten lernen, ihre Gehgewohnheiten dauerhaft zu verändern.

fk

Clin Rehabil 2016; doi: 10.1177/0269215516640863


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Im Alter stärker ausgeprägt – Neuronale Plastizität

Der Alterungsprozess beeinflusst alle Gehirnstrukturen und -funktionen, auch intrakortikale Hemmungsprozesse. Die Auswirkungen zeigen sich im Verhalten, zum Beispiel in einer abnehmenden Wahrnehmungsleistung. Repetitives sensomotorisches Training verbessert zwar die Genauigkeit der taktilen Wahrnehmung von Menschen im Alter zwischen 65 und 80 Jahren. Die Gehirnaktivität verstärkt sich jedoch im sensomotorischen Kortex. Das Training bewirkt also keine Wiederherstellung intrakortikaler Hemmungsprozesse. Diese Ergebnisse veröffentlichten Forscher um den Neurowissenschaftler Burkhardt Pleger von der Ruhr-Universität Bochum.

Sie untersuchten, welche Beziehung zwischen abnehmender Wahrnehmungsleistung und kortikalen Veränderungen besteht. Zudem fragten sie sich, ob Lernprozesse im Alter einen anderen Einfluss auf das Gehirn haben als bei jungen Menschen. Um diese Fragen zu beantworten, rekrutierten sie 40 gesunde Probanden: 20 Menschen im Alter von durchschnittlich 64 Jahren und als Kontrollgruppe 20 Menschen mit einem Durchschnittsalter von 25 Jahren. Zunächst führten die Forscher eine Baseline-Erhebung der Wahrnehmungsleistung mit der Zweipunktdiskrimination sowie Gehirnscans mit der funktionellen Magnetresonanztomografie durch. Anschließend stimulierten die Forscher die Fingerspitzen der Probanden für drei Stunden mit Ringelektroden. Die darauffolgenden Scans verzeichneten Veränderungen im Gehirn. Direkt danach fand eine erneute Testung mit der Zweipunktdiskrimination statt. Die letzte Datenerhebung erfolgte 24 Stunden später.

Die Auswertung zeigt, dass die älteren Personen durchschnittlich 3,65 mm Abstand bei der Zweipunktdiskrimination benötigten, um die Pins als zwei Punkte wahrzunehmen. Bei den jungen Teilnehmern reichte ein Abstand von 1,58 mm. Die sensorische Stimulation verbesserte die taktile Trennschärfe der älteren Probanden um 0,7 mm – bei den jungen um 0,3 mm. Das bedeutet, dass die neuronale Plastizität im Alter stärker ausgeprägt ist. Die Gehirnscans wiesen bei beiden Gruppen eine verstärkte Gehirnaktivität bei einer verminderten intrakortikalen Hemmung auf. Das heißt, dass sowohl das alte als auch das junge Gehirn nach denselben Prinzipien lernt.

Nach 24 Stunden verschwanden die positiven Effekte in beiden Gruppen. Auch wenn sich die Wahrnehmungsleistung im Alter demnach nicht wiederherstellt, lohnt sich ein spezifisches Training. Immerhin verbesserte sich die Leistung um 19 Prozent, umgerechnet um 12 Jahre. Unklar bleibt, welche Mechanismen die intrakortikale Hemmung tatsächlich beeinflussen. Die Forscher vermuten einen dynamischen fortschreitenden Prozess und rufen zu weiterer Forschung auf.

lk

Sci Rep 2016; doi: 10.1038/srep27388

Neuronale Plastizität
  • Unter neuronaler Plastizität versteht man Aufnahme, Verarbeitung, Speicherung und Abgabe von Infos durch das neuronale Netz.

  • Dank neuronaler Plastizität kann das ZNS seine strukturelle Organisation anpassen.

  • Sie ermöglicht Neuerlernen und Wiedererlernen nach der Adaption an die Umwelt.

  • Sie gewährleistet lebenslang eine umweltbedingte Adaption und sichert Überleben.

  • Sie ist abhängig von der Manipulation und dem Resultat (Erfolg/Misserfolg) im Zusammenspiel von Mensch und Umwelt.

  • Jede erfolgreiche Behandlung beruht auf der neuronalen Plastizität.

Haus KM. Neurophysiologische Behandlung bei Erwachsenen. Berlin: Springer; 2014

Zweipunktdiskrimination
  • Die Therapeutin platziert die Spitzen eines Tastzirkels mehrmals in unterschiedlichen Abständen auf der Haut.

  • Damit überprüft sie die Differenziertheit der taktilen Empfindung.

  • Die Empfindungsgenauigkeit resultiert aus dem Abstand, bei dem der Klient gerade noch zwei Spitzen lokalisiert.

  • Eine besonders hohe Sensibilität besteht vor allem in den Mund- und Handregionen.

Haus KM. Neurophysiologische Behandlung bei Erwachsenen. Berlin: Springer; 2014


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Fast die Hälfte der in der Studie untersuchten sehr früh geborenen 160 Kinder zeigen in den sieben Domänen des Short Sensory Profile Auffälligkeiten in der sensorischen Verarbeitung.
Abb.: übersetzt nach Am J Occup Ther 2016; doi: 10.5014/jot.2016.018747