Einleitung
Die Ultraschalldiagnostik und Magnetresonanztomografie (MRT) peripherer Nerven sind
als komplementäre Methode zur Elektrophysiologie etabliert [1]
[2]. Sie liefern Zusatzinformationen bei vielen klinischen Fragen bzw. Erkrankungen:
-
Veränderungen des die peripheren Nerven umgebenden Gewebes,
-
Veränderung der Lagebeziehung von Nerven zum umliegenden Gewebe,
-
Ort der Schädigung,
-
Ursache der Schädigung.
Für die klinische Praxis stellt sich in jedem Einzelfall die Frage nach der Notwendigkeit
bildgebender Nervendiagnostik [1]
[2]
[3]
[4]
[5]
[6].
Wir möchten deshalb hier eine Systematik zur Beantwortung dieser Frage vorstellen
und an Fallbeispielen erläutern. Dazu beschränken wir uns auf Funktionsstörungen und
Erkrankungen eines einzelnen Nervs und schließen damit komplexere Fragestellungen
und Polyneuropathien aus. [Abb. 1] fasst die Systematik in ein Flussdiagramm.
Abb. 1 Systematik zur Indikation von bildgebenden Untersuchungen bei peripheren Nervenläsionen.
Basis sind die eingehende Anamnese mit gezielten Fragen nach dem „Seit wann?“ und
„Gab es einen Auslöser, eine Situation die zum Symptom führte?“ sowie die klinische
Untersuchung, aus denen die Arbeitshypothese einer Funktionsstörung eines peripheren
Nervs folgt. Mit der elektrophysiologischen Diagnostik, Neuro-/Myografie wird die
Arbeitsdiagnose bestätigt oder verworfen. Im letzteren Fall muss eine breitere Differenzialdiagnostik
erfolgen und ggf. wiederholte Untersuchungen im Verlauf ausgeführt werden. Eine normale
Neuro-/Myografie bei wiederholten Untersuchungen in mehrwöchigem Zeitabstand schließt
eine relevante Läsion eines peripheren Nervs mit hoher Wahrscheinlichkeit aus. Verlaufsuntersuchungen
und damit ggf. eine spätere Diagnose sind gerechtfertigt, weil auch bei hochgradigen
peripher nervös verursachten Muskelfunktionseinschränkungen auch dann eine Operation
mit gutem Ergebnis möglich ist [7]
[8].
Der elektrophysiologische Nachweis einer peripheren Nervenläsion ist Voraussetzung
für eine sinnvolle bildgebende Diagnostik eines Nervs.
Die Fragen, die zur Indikation einer bildgebenden Diagnostik führen, sind in der Checkliste
zusammengefasst ([Abb. 1]). Wird eine Frage positiv beantwortet, sollte eine bildgebende Diagnostik erfolgen.
Die Fragen in der Checkliste werden im Folgenden an Fällen erläutert.
Fragen während der Anamnese
Ist die Schädigungslokalisation elektrophysiologisch unzureichend bestimmt?
Die 70-jährige Patientin wurde wegen Rückenschmerzen und einer Fußheberparese rechts
unter der Annahme einer Wurzelläsion L5 in die Neurochirurgische Klinik eingewiesen.
Die Parese war sehr langsam progredient, sodass die Patientin den Beginn und die Dauer
nicht angeben konnte. Die neurologische Untersuchung zeigte eine Parese der Fuß- und
Großzehenheber vom Kraftgrad 3/5 nach Einteilung des MRC [9]. Störungen der Sensibilität wurden unscharf am Fuß angegeben. Die Patientin war
deutlich übergewichtig, hatte schon lange Rückenschmerzen, die aktuell nicht ins Bein
ausstrahlten.
In der Neurografie konnte keine Läsion des N. fibularis am Fibulaköpfchen gefunden
werden ([Abb. 2a]). Eine geringe Amplitudenminderung des Muskelaktionspotenzials distal des Fibulaköpfchens
war nicht pathologisch. Die F-Welle des N. tibialis, untersucht, um eine subklinische
proximale Läsion nicht zu übersehen, war normal ([Abb. 2b]). In der Myografie fand sich pathologische Spontanaktivität im M. tib. ant. und
M. extensor hall. longus rechts. Der M. tib. posterior war wegen der adipösen Unterschenkel
nicht mit der EMG-Nadel erreichbar. Ebenfalls war der M. biceps femoris caput breve
nicht sicher untersuchbar. Damit war eine Nervenläsion zwischen der Wurzel L5 und
dem N. fibularis oberhalb des Fibulaköpfchens möglich.
Abb. 2 Der Ort der Läsion ist mit Neuro-/Myografie unzureichend gesichert. a) Normale motorische Neurografie des N. fibularis über das Caput fibulae. b) Normale f-Welle des N. tibialis. c) MRT koronare Schichtführung T2 signalintenser Tumor (Pfeil). d) MRT in einer Schichtführung parallel mit dem Hüftkopf T2 signalintenser Tumor (Pfeil).
Eine MRT wurde vom lumbalen Rücken ausgeführt und nach fehlendem Nachweis einer Wurzelkompression
L5 entlang des N. ischiadicus. Wegen der tiefen Lage des Nervens aufgrund der adipösen
Oberschenkel wurde keine Sonografie versucht. Am proximalen Nerven wurde ein in T2
hyperintenser Tumor gefunden und ein Neurinom operativ entfernt ([Abb. 2c, d]). Nach der Operation kam es zu einer für die Patientin befriedigenden Rückbildung
der Paresen.
Die hohe Teilung des N. ischiadicus in N. tibialis und N. fibularis (peronaeus) verhindert
eine genaue elektrophysiologische Lokalisation der Läsion entlang des N. fibularis
am Oberschenkel. Eine Läsion des weit proximalen N. fibularis verursacht die gleichen
Symptome wie eine distale Läsion, weil der Nerv in seinem proximalen Abschnitt nur
den Ast zum M. biceps femoris caput breve abgibt. Als Kennmuskel für eine oberhalb
des Kniegelenks gelegene N.-fibularis-Läsion kann der M. biceps femoris caput breve
myografiert werden. Nach unserer Erfahrung kann das bei „stämmigen“ Beinen schwierig
sein, dann ist nur der Nachweis von Spontanaktivität sicher pathologisch. Seit Langem
ist die weit proximale Aufteilung von peripheren Nerven in Faszikel, die distal einen
Muskel erreichen, bekannt. Die faszikuläre Struktur wurde für die großen Nerven in
Armen und Beinen zusammen mit ihren klinischen Konsequenzen eindrucksvoll von Stewart
2003 beschrieben [10] und mit der MRT für den N. interosseus anterior und den N. ischiadicus gezeigt [11]
[12]. Faszikel sind bindegewebig ummantelte Bündel von Nervenfasern, die bereits weit
proximal in Nerven zusammen verlaufen und die Nervenzellen mit einem gemeinsamen Zielmuskel
verbinden. Ein Faseraustausch zwischen Faszikeln findet nicht statt.
Das Fallbeispiel zeigt eine vergleichbare Konstellation. Eine sprunghafte Amplitudenminderung
des Muskelaktionspotenzials von einem proximalen gegenüber einem distalen Stimulationsort
kann der einzige Nachweis einer Läsion entlang eines Nervs sein. Dazu ist eine sichere
proximale supramaximale Stimulation erforderlich, was in vielen Situationen mit der
konventionellen Stromstimulation am Oberarm oder Oberschenkel nicht möglich ist. Die
Interpretation einer proximalen Amplitudenminderung des Muskelaktionspotenzials kann
vieldeutig sein. Möglich ist eine Myelinstörung (Konduktionsblock), eine axonale Schädigung
vor Abschluss Wallerʼscher Degeneration oder auch eine temporale Dispersion. Das sog.
Inching, das Verschieben des Orts der Stimulation entlang des Nervs, kann beim Auftreten
einer Amplitudenminderung des distal stimulierten Muskelaktionspotenzials im Vergleich
zum proximal stimulierten, den Ort der Funktionsstörung auf cm genau bestimmen. Jedoch
kann auch diese Methode nur bei längerstreckig zugänglichen, oberflächlich gelegenen
peripheren Nerven problemlos durchgeführt werden. Eine aktuelle Arbeit hat die Sonografie
und das Inching des N. ulnaris verglichen. Die Sonografie zeigte im Vergleich zum
elektrophysiologischen Inching sekundäre Veränderungen, eine Schwellung des Nervs
in der Nachbarschaft des Amplitudensprungs und nicht am Ort der Läsion [13].
Die faszikuläre Struktur peripherer Nerven kann die exakte Bestimmung des Orts der
Läsion entlang des Nervs erschweren oder sie unmöglich machen.
Im Fallbeispiel war die Lokalisation der Schädigung der elektrophysiologischen Diagnostik
untersuchungsmethodisch bedingt nur sehr eingeschränkt zugänglich. Die faszikuläre
Struktur peripherer Nerven, wie über die Strecke des Kniegelenks bis in den N. ischiadicus,
erschwert die neurophysiologische Bestimmung des Orts der Läsion oder macht sie unmöglich.
Hieraus ergab sich die Indikation zu bildgebender Diagnostik.
Besteht kein typisches Nervenkompressionssyndrom?
Der 61-jährige Patient berichtete von einer seit wenigen Tagen bestehenden Schwellung
am linken Unterarm und Schmerzen sowie einem tauben Gefühl an der Handkante links.
Es bestanden keine Paresen, die subjektiv bemerkte Schwellung war nicht tastbar. Drei
Tage später bemerkte er eine Schwäche der Hand. Es fanden sich nun Paresen der Zeigefinger-
und Kleinfingerabduktion vom Kraftgrad 1/5 und eine Hypästhesie im Versorgungsgebiet
des N. ulnaris. Es wurden keine der häufigen auslösenden Ursachen, wie Körperhaltungen
über eine längere Zeit mit Druck auf den Nerv, berichtet.
In der Neurografie war nach Stimulation des N. ulnaris sowohl am Handgelenk als auch
weiter proximal kein Muskelaktionspotenzial des M. abductor digiti V evozierbar. Im
EMG aus dem M. interosseus dorsalis I fanden sich keine Spontan- und keine Willküraktivität.
Nach der Anamnese und der Neurografie handelte es sich um einen akuten distalen Konduktionsblock
oder eine akute komplette axonale Schädigung des N. ulnaris unklarer Ursache.
In der Sonografie des N. ulnaris fand sich distal des Kubitaltunnels eine im Längsschnitt
ca. 2,1 × 1,2 cm messende, glatt begrenzte, gekammerte und hypoechogene Struktur mit
Kompression des Nervs. Im MRT wurde dieser Befund bestätigt ([Abb. 3a, b]).
Abb. 3 Es besteht kein typisches Nervenkompressionssyndrom. a) Sonografie des N. ulnaris mit Nachweis einer echoarmen runden Struktur distal des
Ellenbogens mit Kompression des Nervs. b) MRT des N. ulnaris mit Nachweis einer im T2 hyperintensen runden Struktur distal
des Ellenbogens mit Kompression des Nervs. c) Operationsfeld nach Entfernung des Ganglions mit deutlicher Kompression des Nervs
und Verdickung distal davon.
Am folgenden Tag wurde ein Ganglion ausgehend vom Ellenbogengelenk operativ entfernt.
Der N. ulnaris war massiv komprimiert. Es wurde eine Neurolyse bis auf Faszikelebene
ausgeführt, die keine Unterbrechung zeigte ([Abb. 3c]). In klinischen und neuro-/myografischen Verlaufsuntersuchungen verblieb eine komplette
axonale Läsion des N. ulnaris.
Es wurde keiner der typischen Auslöser für eine Druckschädigung berichtet. Die hochgradigen
Paresen entstanden binnen weniger Tage und damit viel schneller, als dies bei einer
typischen Druckläsion, z. B. dem Kubitaltunnelsyndrom, der Fall ist. Da sich anamnestische
Hinweise ergaben, die nicht mit der Diagnose eines typischen Kubitaltunnelsyndroms
vereinbar waren, bestand die Indikation zu bildgebender Diagnostik.
Exkurs: Was ist typisch?
Die 24-jährige Studentin hat mit der rechten Hand über viele Stunden repetitive Bewegungen
mit viel Druck auf das Handgelenk ausgeführt. Die Handhaltung zeigt [Abb. 4a]. Nach Tagen bemerkte sie eine Hypästhesie im Versorgungsgebiet des N. ulnaris begrenzt
am Handgelenk und erst 1 – 2 Wochen später eine Schwäche der Hand. Zu diesem Zeitpunkt
war die Zeigefinger-Abduktion (M. interosseus dorsalis I [IOD1]) vom Kraftgrad 0 und
die der Abduktion des Kleinfingers (M. abductor digiti V) vom KG 3/5.
Abb. 4 Es besteht kein typisches Nervenkompressionssyndrom. a) Haltung der rechten Hand über viele Stunden. b) Kein Muskelaktionspotenzial des M. abductor digiti V nach Stimulation des N. ulnaris
am Handgelenk. c) Sonografie des N. ulnaris ohne einen pathologischen Befund. d) MRT des N. ulnaris ohne einen pathologischen Befund. Nach 72 Tagen: e) Motorische Neurografie des N. ulnaris im Seitenvergleich mit verlängerter distaler
Überleitzeit und gering niedrigerer Amplitude der Muskelaktionspotenziale rechts gegenüber
links. Reproduzierte Messungen mit einer Verstärkung von 1 mV bzw. 5 mV pro DIV. f) Sensibel orthodrome Neurografie des N. ulnaris mit nahe am Nerv platzierter Nadelelektrode
im Seitenvergleich mit gering niedrigerer Amplitude des Nervenaktionspotenzials rechts
gegenüber links. g) Im Myogramm des M. interosseus dorsalis I wenige Fibrillationen und h) ein normales Aktivitätsmuster.
In der Neurografie fand sich eine verlängerte Überleitzeit vom N. ulnaris am Handgelenk
zum M. abductor digiti V und kein Aktionspotenzial zum M. interosseus dorsalis I ([Abb. 4b]). Im Myogramm aus dem IOD1 fanden sich keine Spontanaktivität und keine Potenziale
motorischer Einheiten ([Abb. 4b]). Dieser Befund kann einem akuten Leitungsblock oder einer akuten axonalen Läsion
entsprechen. In der Sonografie und der MRT des N. ulnaris vom Handgelenk bis zum Oberarm
konnte keine pathologische Veränderung gefunden werden ([Abb. 4c, d]).
Nach ca. 56 Tagen bemerkte die Studentin eine Besserung und nach ca. 72 Tagen war
sie subjektiv beschwerdefrei. Zu diesem Zeitpunkt waren die Muskelaktionspotenziale
des M. abductor digiti V im Seitenvergleich in der Amplitude gering gemindert, die
Überleitzeit vom Handgelenk zum Muskel verlängert, das sensible Nervenaktionspotenzial
des N. ulnaris im Seitenvergleich in der Amplitude gemindert, und in der Myografie
aus dem IOD1 fanden sich wenige Fibrillationen bei normalem Aktivitätsmuster ([Abb. 4e, f, g]). Es bestand noch eine geringe axonale Läsion des N.ulnaris im Abschnitt über das
Handgelenk (Loge de Guyon). Die sehr gute Rückbildung der zu Beginn kompletten Parese
mit nur geringer verbleibender axonaler Schädigung spricht dafür, dass initial ein
Konduktionsblock vorgelegen hat.
Die typischen Symptome peripherer Nervenläsionen werden in Müller-Vahl et al. beschrieben
[14].
Untypische Symptome einer Kompression eines peripheren Nervs sind häufig ein ungewöhnlich
lang anhaltender oder heftiger Schmerz oder ein Auftreten der Funktionsstörung in
längerem Zeitabstand nach einem vermuteten Auslöser. Dann besteht die Indikation für
eine bildgebende Untersuchung.
Eine akute komplette Leitungsunterbrechung kann durch einen Nervenleitungsblock (Myelinisierung)
oder durch einen akuten axonalen Schaden vor Abschluss der Wallerʼschen Degeneration
verursacht sein. Ein Leitungsblock liegt elektrophysiologisch vor, wenn an einer gegebenen
Lokalisation im Nerv ein Impuls aufgrund einer Demyelinisierung nicht weitergeleitet
wird. Zum elektrophysiologischen Nachweis ist eine supramaximale proximale und distale
Stimulation des Nervs erforderlich. Eine Leitungsunterbrechung aufgrund einer axonalen
Schädigung wird nicht als Leitungsblock bezeichnet.
Die verzögerte Entstehung der Funktionsstörung des N. ulnaris erst Stunden bis Tage
nach der vermuteten Druckbelastung ist sehr ungewöhnlich. Sie gibt Anlass, über eine
Prädisposition für die Läsion wie z. B. einem Nervenscheidentumor oder einer Raumbedrängung
des Nervs zu spekulieren.
Die fehlende morphologische Ursache in der bildgebenden Nervendiagnostik brachte die
notwendige Sicherheit für Arzt und Patientin, die sehr ungewöhnlich lange Zeit bis
zu einer funktionell kompletten Rückbildung des Konduktionsblocks abwarten zu können.
Traumatische Läsion – Liegt eine mögliche OP-Indikation vor?
Der 51-jährige Patient war gestürzt und hatte sich eine Schnittverletzung am lateralen
linken Ellenbogen zugezogen. Über die nächsten Tage bemerkt er eine Hypästhesie der
ulnaren Handkante, aber keine Paresen. Bei der Untersuchung nach 4 Wochen bestanden
Paresen der Mm. interosseus dorsalis I und abductor dig. V vom Kraftgrad 0 mit deutlicher
Atrophie.
Neurografisch und myografisch wurde eine komplette Läsion des N. ulnaris unterhalb
der Verletzungsstelle festgestellt. In der Sonografie fand sich eine Durchtrennung
des Nervs ([Abb. 5]). Nach Beratung entschied sich der Patient, weil er sich nur wenig beeinträchtigt
fühlte gegen eine Operation.
Abb. 5 Traumatische Läsion. In der Sonografie fand sich eine Durchtrennung des Nervs. Zu
sehen ist die Narbe der Schnittverletzung (Blitz) und die beiden Nervenenden, deren
proximales Epineurium durch Sterne und distales Epineurium durch Pfeile gekennzeichnet
ist.
Traumatische oder iatrogene Läsionen sind immer Indikationen zu einer bildgebenden
Diagnostik, um die Kontinuität des Nervs zu untersuchen. Bei scharfen Traumen und
eindeutigem Ort der Läsion besteht die Indikation zu einer explorativen Operation
ohne vorherige Bildgebung.
Bei akuten scharfen Traumata wird in der Regel primär chirurgisch exploriert, sodass
eine Nerven(teil)durchtrennung erkannt werden sollte. Bei stumpfen Traumata oder iatrogenen
postoperativen Nervenschädigungen gibt die Sonografie Informationen über die Kontinuität
des Nervs und über pathologische Veränderungen des angrenzenden Gewebes [1]. Zusammen mit der Dauer des Bestehens der Schädigung ist dies die Basis für die
Indikation zur operativen Behandlung.
Bleibt eine Symptomrückbildung in erwarteter Zeit aus?
Der 23-jährige Patient hatte rund ein Jahr zuvor eine Fraktur des rechten Humerus
erlitten, die operativ mit einem Marknagel behandelt wurde. Intraoperativ wurde keine
Schädigung des N. radialis gesehen. Postoperativ bestand dennoch eine Fallhand, die
sich über die folgenden Monate nur gering verbesserte. Bei der Untersuchung ca. ein
Jahr nach der Operation bestand eine Parese der Finger- und Handextension vom Kraftgrad
2 bis 3. In der Elektromyografie fand sich im M. extensor indicis lebhafte Spontanaktivität
und keine Willkürinnervation, entsprechend einer hochgradigen axonalen Schädigung.
In der Sonografie des N. radialis fand sich im mittleren Humerusdrittel eine deutliche
Kallusbildung am Frakturspalt mit enger Lagebeziehung zum N. radialis. Die Nervenfaszikel
erschienen aufgetrieben, die Kontinuität des Nervs war erhalten ([Abb. 6]).
Abb. 6 Rückbildung einer Funktionsstörung nicht in erwarteter Zeit. Sonografie des N. radialis
im mittleren Humerusabschnitt: a) Im Querschnitt eine deutliche Kallusbildung (Pfeile nach oben) neben dem Nervus
radialis (Pfeil nach unten). Der intakte Humerusknochen ist mit einem Stern markiert.
b) Im Querschnitt unterhalb der Läsion. Nervus radialis (Pfeil nach unten) und intakter
Humerus (Stern).
Auf der Basis dieses Befunds mit erhaltender Kontinuität des Nervs, erhaltener, wenn
auch geminderter Kraft der innervierten Muskeln und normaler Gelenkfunktion als Voraussetzung
für eine Übungsbehandlung wurde eine weitere Reinnervation erwartet. Man entschied
sich deshalb für eine konservative Behandlung.
In einer Verlaufsuntersuchung nach weiteren 3 Monaten waren die Paresen deutlich auf
einen Kraftgrad 4+ bis 5 gebessert. In der Elektromyografie fand sich nun keine pathologische
Spontanaktivität mehr, die Potenziale motorischer Einheiten waren von niedriger Amplitude
und verlängerter Dauer.
Eine ausbleibende Symptomrückbildung kann viele Gründe haben. Die Bildgebung kann
hilfreich sein, diese aufzudecken.
Die sonografische Information über die erhaltene Kontinuität des Nervs war zusammen
mit dem klinischen Befund die Basis für die Entscheidung gegen eine Operation. Beim
Nachweis einer Schädigung der Kontinuität des Nervens hätte die Indikation zu einer
Operation bestanden.
Option zur Operation
Wurde nach den oben angeführten Fragen die Indikation zur ergänzenden Bildgebung gestellt
und die spezifische Ursache der Nervenschädigung nachgewiesen, muss über die Indikation
zur Operation entschieden werden. Hierzu sollte man folgende Aspekte berücksichtigen:
-
Ist eine Operation mit einer genügend hohen Wahrscheinlichkeit für eine Funktionsverbesserung
verbunden? Wenn z. B. komplette Paresen mit hochgradigen Muskelatrophien schon lange
bestehen, ist das eher nicht der Fall.
-
Ist eine Operation technisch möglich und welche Operationstechnik sollte gewählt werden?
Schwierige Bedingungen sind z. B. hochgradige knöcherne Veränderungen in der Umgebung
der Läsion.
-
Wird eine Operation vom Patienten nach umfassender Aufklärung gewünscht?
Die Autoren möchten darauf hinweisen, dass es eine anhaltende Diskussion darüber gibt,
ob klinisch hochgradige Läsionen unabhängig vom bildgebenden Befund und unabhängig
davon, ob eine scharfe oder stumpfe Verletzung vorliegt, zeitnah explorativ operiert
werden sollten [7]
[8].
Diskussion
Die hier vorgestellte Systematik zu Beantwortung der Frage, wann es notwendig wird,
eine bildgebende Nervendiagnostik auszuführen, fußt auf der Anamnese, der qualifizierten
Untersuchung und dem elektrophysiologischen Nachweis einer Läsion eines einzelnen
peripheren Nervs.
Wir sehen keine Indikation zu einer Nervensonografie oder MRT ohne vorherige elektrophysiologische
Diagnostik. Die Funktion und nicht alleine das Bild eines Nervs bestimmt das therapeutische
Vorgehen. Dies entspricht der Position der EMG-Kommission der DGKN [5].
Ebenso sehen wir keine eindeutige Indikation für eine Sonografie des N. medianus bei
einem klinisch und elektroneurophysiologisch eindeutigen Karpaltunnelsyndrom. Grundsätzlich
kann die Sonografie durchgeführt werden, um einen präoperativen Überblick über den
Operationssitus zu gewinnen. Der Nutzen der Bildgebung im Hinblick auf das operative
Ergebnis beim Karpaltunnelsyndrom ist jedoch nicht belegt [3]
[4]
[5]
[15]
[16]
[17]. Bei einem Rezidiv oder einer unzureichenden Besserung nach einer Operation sehen
wir entsprechend unseres Vorschlags eine Indikation zur Bildgebung.
Die hier vorgeschlagenen 4 Fragen in der Checkliste sind nach unserer Erfahrung und
in guter Übereinstimmung mit der Literatur geeignet, die Indikation zu einer Bildgebung
zu stellen, wenn nur eine der Fragen positiv beantwortet wird.
Die Fragen in der Zusammenfassung:
-
Ist die Schädigungslokalisation des Nervs elektrodiagnostisch unzureichend? Meist
geht es dann, wie in unserem Fallbeispiel, um die Frage, ob die Schädigung distal
oder proximal gelegen ist.
-
Ergeben sich anamnestisch, klinisch oder elektrophysiologisch Hinweise, die gegen
ein typisches Nervenkompressionssyndrom sprechen? Meist passen dann ein ungewöhnlicher
Schmerz oder Zeitintervalle zwischen dem vermuteten Auslöser und dem Auftreten der
Funktionsstörung nicht zu den typischen Symptomen.
-
Handelt es sich um eine traumatische oder postoperative Nervenschädigung? Dann geht
es um das Ausmaß der Läsion, eine Unterbrechung der Kontinuität und um die frühe Indikation
zu einer Nervenrekonstruktion.
-
Bleibt eine Symptomrückbildung in erwarteter Zeit aus? Dann geht es um die Frage nach
der Ursache und der Indikation zur Operation.
Die bildgebenden Untersuchungen peripherer Nerven, Sonografie und MRT, werden sich
technisch weiter entwickeln. Daraus werden sich ggf. neue Indikationen und neue Argumente
ergeben.
Zusammenfassung
Die bildgebenden Verfahren zur Untersuchung peripherer Nerven (Sonografie, MRT) sind
technisch und methodisch etabliert. Für die klinische Praxis stellt sich in jedem
Einzelfall die Frage nach der Notwendigkeit bildgebender Nervendiagnostik. Es wird
eine Systematik zur Beantwortung der Frage vorgestellt und an Fallbeispielen erläutert.
Voraussetzung ist eine elektrophysiologische Diagnostik, Neuro-/Myografie, mit dem
Nachweis einer peripheren Nervenläsion. Wird dann eine der folgenden Fragen positiv
beantwortet, besteht eine Indikation zur bildgebenden Untersuchung:
-
Ist eine Schädigung des Nervs elektrodiagnostisch nicht eindeutig lokalisierbar?
-
Besteht kein typisches Nervenkompressionssyndrom?
-
Besteht eine traumatische oder postoperative Nervenschädigung?
-
Bleibt eine Symptomrückbildung in erwarteter Zeit aus?
Danksagung
Die Autoren danken den Reviewern für viele wichtige Anmerkungen und eine sehr hilfreiche
Diskussion.