Subscribe to RSS
DOI: 10.1055/s-0042-118546
Praxisabgabe durch Anstellung des Abgebers – die schriftlichen Urteilsgründe liegen vor
Publication History
Publication Date:
26 October 2016 (online)
Bereits in DER RADIOLOGE 2016, S. 565, Rechtsprechungsreport 372, hatten wir über die Entscheidung berichtet:
Das BSG hat mit seinem Urteil vom 04.05.2016 einen Riegel vor die Umgehungsmöglichkeit der öffentlichen Ausschreibung einer Nachfolgezulassung durch Anstellung des Abgebers vorgeschoben. Nach dem Urteil der Karlsruher Richter muss ein Arzt, der auf seine Zulassung verzichtet, um bei einem MVZ oder in einer anderen Vertragsarztpraxis angestellt zu werden, dort mindestens drei Jahre tätig sein wollen, bevor die Angestelltenstelle nachbesetzt werden kann.
Inzwischen liegen die schriftlichen Urteilsgründe vor, so dass wir nachfolgend die Entscheidung im Detail darstellen möchten.
Der aufsehenerregende Richterspruch hat zunächst mit dem zu entscheidenden Fall nicht viel zu tun. Es ging um die Nachbesetzung einer Angestelltenstelle, die ein MVZ im Wege des Verzichts zur Anstellung nach § 103 Abs. 4 a SGB V übernommen hatte. Allerdings hat der verzichtende Arzt von Anfang an nur in einem Umfang von 23,5 Stunden (Anrechnungsfaktor für die Bedarfsplanung 0,75) in dem MVZ gearbeitet. Die restliche Anstellungsstelle blieb zunächst von Anfang an unbesetzt. Erst 1,5 Jahre später wollte das MVZ nach Ausscheiden des ursprünglich angestellten Arztes einen Nachfolger in vollem Umfang anstellen. Dies haben Zulassungs- und Berufungsausschuss abgelehnt, das Sozialgericht München in erster Instanz jedoch zugesprochen. Der dagegen eingelegten Berufung von KV und Berufungsausschuss hat das LSG Bayern stattgegeben und das BSG die Entscheidung schließlich bestätigt. Eine Zulassung, die im Wege des Verzichts des abgebenden Arztes zur Anstellung auf ein MVZ oder in eine Arztstelle umgewandelt wird, geht nur in dem Umfang auch tatsächlich über, wie sie von Anfang an durch den abgebenden Arzt besetzt wird. Schon dieses Ergebnis hat durchaus Folgen: So ist es z. B. zukünftig nicht mehr möglich, gleich zum Zeitpunkt des Übergangs die Anstellung auf zwei unterschiedliche Ärzte aufzuteilen und so z. B. ein neues MVZ zu gründen.
Damit hätte es das BSG in seinem Urteil eigentlich bewenden lassen können. Denn was es danach in den Gründen noch umfangreich ausführt, war für den zu entscheidenden Streitfall nicht entscheidungserheblich. Es war dem BSG aber offensichtlich ein Dorn im Auge, dass flächendeckend die gesetzlichen Vorschriften zum Ausschreibungsverfahren im Falle der Praxisabgabe nicht zur Anwendung gekommen sind, weil das Modell des Zulassungsverzichts zur Anstellung als Umgehung genau dieser öffentlichen Ausschreibung und der damit verbundenen Entscheidung, ob die vertragsärztliche Zulassung überhaupt versorgungsnotwendig ist oder eingezogen werden muss, umgangen wurde.
Im Norden der Republik haben die Zulassungsausschüsse regelmäßig Genehmigungen erteilt, wenn der abgebende Arzt zur Anstellung auf seine Zulassung verzichtet hat und noch in der gleichen Sitzung, also innerhalb einer juristischen Sekunde, die Anstellung des abgebenden Arztes durch einen Nachfolger nachbesetzt wurde. In den südlichen Teilen der Republik dagegen wurde eine Schamfrist von mindestens einer vertragsärztlichen Abrechnung, also etwa zwei Quartale für erforderlich gehalten. Das BSG hat dies aufgegriffen und einem sog. obiter dictum, also nur anlässlich einer von ihm zu entscheidenden Fallkonstellation ausgeführt, dass der abgebende Arzt, der auf seine Zulassung zum Zweck der Anstellung verzichtet, mindestens drei Jahre als Angestellter im MVZ, beim Vertragsarzt oder in der Gemeinschaftspraxis tätig sein muss.
Dies wird zunächst nicht bei der Entscheidung relevant, ob die Anstellung des abgebenden Arztes genehmigt wird, sondern spielt erst eine Rolle, wenn der so angestellte Arzt seine Tätigkeit beendet und die inzwischen übergegangene Arztstelle mit einem Nachfolger neu besetzt werden soll. Erfolgt diese Nachfolgeanstellung vor Ablauf der geforderten drei Jahre, haben die Zulassungsgremien zukünftig zu prüfen, ob zumindest im Zeitpunkt der ursprünglichen Abgabe der Wille des abgebenden Arztes bestanden hat für mindestens drei Jahre tätig zu werden. Umstände, wie z. B. die Erkrankung oder der Tod des angestellten Arztes, die zum Zeitpunkt der Umwandlung noch nicht bekannt oder absehbar waren, stehen dann der Genehmigung nicht entgegen. Je kürzer die Anstellung aber gedauert hat, desto schwieriger dürfte es sein, den Zulassungsausschuss davon zu überzeugen, dass der Austausch des Angestellten nicht bereits bei der Umwandlung geplant war.
Dazu dürfte es hilfreich sein, wenn der Arbeitsvertrag mit dem abgebenden Arzt für beide Seiten die ordentliche Kündigung vor Ablauf von drei Jahren ausschließt. Zudem müsste man aber wohl allerdings vereinbaren, dass der Kaufpreis für die übernommene Praxis mit Zulassung zurückzuerstatten ist, wenn nach Ausscheiden des Abgebers die Nachbesetzung nicht genehmigt wird. Dies kann problematisch sein, weil der abgebende Arzt den Praxiskaufpreis nicht nur sofort nach Übertragung der Zulassung erhalten möchte, sondern im Übrigen auch sofort versteuern muss. Der ggf. später entstehende Rückzahlungsanspruch müsste dann entsprechend abgesichert werden.
Zulässig soll nach den Ausführungen des BSG auch sein, wenn der abgebende Arzt zunächst für ein Jahr vorzeitig beim Übernehmer tätig wird und dann seine Tätigkeit im Folgenden jährlich um 10 Stunden reduziert. Ob dies ein realistisches Szenario ist, wird sich erst in der Zukunft erweisen. Es dürfte schon schwierig sein, einen potentiellen Nachfolger in derart kleinen Schritten, mit jeweils 10 Stunden Anstellung langsam und schleichend „aufzubauen“. Diskutiert werden deshalb auch Modelle, in denen die übernommene Arztstelle im Wege des Jobsharing gleich zwischen abgebenden Arzt und Nachfolger aufgeteilt werden. Hier ist aber noch nicht absehbar, in welchem Umfang die Zulassungsgremien dies genehmigen.
Entgegen der Veröffentlichung im Terminbericht durch das Bundessozialgericht gilt die dargestellte Rechtsprechung erst für Fälle, in denen der Antrag auf Genehmigung zur Anstellung nach der Entscheidung, also nach dem 04.05.2016 gestellt wurde. Ursprünglich hieß es, das Urteil wäre für alle Fälle anwendbar, die noch nicht rechtskräftig entschieden sind. Jetzt ist klargestellt, sämtliche Fälle, die vor der Entscheidung beantragt wurden, sind von der Entscheidung des BSG nicht berührt, auch wenn sie bis heute nicht rechtskräftig entschieden sind.
Um eine Praxisübertragung zukünftig sicher zu gestalten, wird wohl der Weg über die Ausschreibung zu empfehlen sein. Das aber war genau Ziel des BSG, nämlich diese Fälle wie vom Gesetz vorgesehen zunächst darauf zu prüfen, ob die vertragsärztliche Zulassung überhaupt ausgeschrieben werden kann oder einzuziehen ist, weil sie nicht versorgungsrelevant ist. Nach der dann folgenden Ausschreibung hat der Zulassungsausschuss zwischen den einzelnen Bewerbern im Zweifelsfall eine Auswahlentscheidung zu treffen. Bewerben kann sich für die Übernahme der Zulassung auch ein MVZ oder ein Vertragsarzt bzw. eine Gemeinschaftspraxis, um dann die ausgeschriebene Praxis mit einem oder mehreren angestellten Ärzten nach zu besetzen. Für MVZ gilt aber allerdings zu beachten, dass diese nachrangig bei der Auswahl zu berücksichtigen sind, wenn dort nicht die Mehrheit der Gesellschafteranteile und Stimmrechte bei Ärzten liegt, die im MVZ als Vertragsärzte tätig sind. Das benachteiligt MVZ, die von Krankenhäusern oder anderen Investoren betrieben werden – allerdings auf Grundlage einer ausdrücklichen Vorgabe des Gesetzgebers -, kann aber auch von Ärzten betriebenen MVZ Probleme bereiten, die in der Rechtsform einer GmbH nur mit angestellten Ärzten betrieben werden.
Im Ergebnis verhindert die Entscheidung nicht, wie vielfach angenommen wurde, dass Praxen noch übertragen werden können. Sie verweist den abgebenden Arzt aber auf das bisher vermeidbare und mit verschiedenen Risiken verbundene Ausschreibungsverfahren, wie es der Gesetzgeber grundsätzlich vorgesehen hat.
Es ist nicht zu erwarten, dass die Entscheidung des BSG über den Weg der Rechtsprechung korrigiert werden kann. Eine Verfassungsbeschwerde wäre gegen das Urteil zwar grundsätzlich denkbar, sie hätte aber zum einen wenig Aussicht auf Erfolg und zum anderen dürfte das im Rahmen des obiter dictum vom BSG festgestellte Ergebnis wohl kaum vom Verfassungsgericht überprüft werden, weil es für das Urteil letztlich nicht relevant ist – gerade das ist ja das Wesen eines obiter dictums. Auch der Gesetzgeber wird die Entscheidung des BSG wohl nicht grundsätzlich durch eine gesetzliche Klarstellung zurücknehmen, sondern allenfalls – so munkelt man – überdenken, ob die Frist von drei Jahren nicht doch etwas lang ist. Praxisabgaben sind nach wie vor grundsätzlich möglich, sie werden nur zukünftig langfristiger zu planen sein und Abgeber und Übernehmer sollten sich versierter anwaltlicher Hilfe versichern, damit im Verfahren nichts schief geht.
Gerne senden wir Ihnen den RRR 372. zu: lingelbach@radiologenverband.de
#