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DOI: 10.1055/s-0042-118767
Koronare Herzerkrankung – vor dem Katheter erst zum Radiologen
Publication History
Publication Date:
06 December 2016 (online)
Die koronare Herzerkrankung (KHK) ist ein häufiges klinisches Problem und sowohl die Diagnostik als auch die Therapie stellen in der täglichen Routine häufig eine große Herausforderung dar. Im Jahr 2016 wurde die Nationale VersorgungsLeitlinie (NVL) chronische KHK überarbeitet und liefert jetzt klare Empfehlungen für die Patientenversorgung vom Erstkontakt beim Hausarzt bis zur fachärztlichen interventionellen oder operativen Behandlung durch Kardiologen und Kardiochirurgen. Neben diesen Fachinformationen gibt es auch eine Version für Patienten mit dem Ziel, auch die Betroffenen umfassend und verständlich zu informieren. Das NVL-Programm ist eine gemeinsame Initiative von Bundesärztekammer, Kassenärztlicher Bundesvereinigung und Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften zur Qualitätsförderung in der Medizin.
Viele Ärzte und Patienten denken bei der Diagnostik der KHK reflexartig und teilweise auch ausschließlich an die Koronarangiografie. Die Folgen sind bekannt: Pro Jahr werden in Deutschland mehr als 900 000 Patienten mittels Linksherzkatheter untersucht – also jedes Jahr mehr als 1 % der Bevölkerung. Während der Nutzen der invasiven Untersuchung und Intervention bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom in zahlreichen Studien belegt werden konnte, ist die Situation bei der weitaus größeren Zahl von Patienten mit einer stabilen chronischen KHK unklar. Die Stent-Implantation lindert bei diesen Patienten zwar in den meisten Fällen rasch die Beschwerden, sie hat aber im Vergleich zur alleinigen medikamentösen Therapie keine eindeutigen Vorteile in Bezug auf das Überleben.
Die möglichen Komplikationen der Linksherzkatheteruntersuchung, die hohen Kosten und der nicht nachgewiesene Nutzen in Bezug auf das Überleben führt in der NVL chronische KHK zu einem von der alltäglichen Praxis abweichenden Algorithmus, bei dem die Radiologie eine zentrale Rolle einnimmt. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang die Vortestwahrscheinlichkeit, die sich aus Alter, Geschlecht und den klinischen Beschwerden ergibt und in Tabellen ermittelt werden kann. Bei Patienten mit einer Vortestwahrscheinlichkeit unter 15 % ist keine weitere KHK-Diagnostik indiziert, während Patienten mit einer Vortestwahrscheinlichkeit von mehr als 85 % sofort mittels Linksherzkatheter abgeklärt werden sollten. In der großen Gruppe der Patienten mit einer Vortestwahrscheinlichkeit zwischen 15 und 85 % sind dagegen die nicht invasiven Verfahren (z. B. Kardio-CT, Stress-MRT) der erste diagnostische Schritt.
Auch bei der Therapie der KHK gibt es klare Empfehlungen, die in der klinischen Routine nicht immer konsequent umgesetzt werden. Wichtig ist einerseits, dass für viele Patienten mit einer stabilen chronischen KHK die optimale konservative Therapie eine gute Behandlungsoption darstellt, die den Patienten auch angeboten werden sollte. Andererseits zeigen die Empfehlungen der NVL chronische KHK, dass nicht alles, was technisch machbar ist, auch interventionell behandelt werden sollte. Gerade bei der großen Gruppe der Diabetiker, aber auch bei Patienten mit einer komplexen Mehrgefäßerkrankung ist die Bypass-OP gemäß aktuellen Studien der interventionellen Behandlung überlegen.
Leitlinien können aber nur dann wirksam werden, wenn ihre Empfehlungen im Alltag der Gesundheitsversorgung berücksichtigt werden. Dazu müssen die Inhalte den Ärzten der beteiligten Fachbereiche und auch den Patienten bekannt sein. Darum nach der aktuellen Ausgabe von Radiologie up2date unbedingt die NVL chronische KHK lesen (http://www.leitlinien.de/nvl/khk)! Für Radiologen ist insbesondere das Kapitel 5 (Diagnostik) wichtig, und es liegt an uns, diese neuen diagnostischen Algorithmen im klinischen Alltag zu implementieren. Viel Spaß beim Lesen!
Für die Herausgeber
Ihr
Jörg Barkhausen, Lübeck