Einleitung
Kortisol ist ein systemisch wirksames Steroidhormon, das in der Zona fasciculata der Nebenniere gebildet
wird. Seine biologische Bedeutung liegt in der Aufrechterhaltung der Homöostase bei Hunger- und
Stresszuständen sowie in der Regulation von Reparaturvorgängen nach Gewebeverletzungen. Die Synthese und
Freisetzung von Kortisol wird durch einen negativen Feedback-Mechanismus unter Beteiligung hypothalamischer
und hypophysärer Hormone reguliert. Dieser führt beim Hund zu mehreren, über den Tag verteilten
Freisetzungspeaks. In Stresssituationen kann die Synthese von Kortisol kurzzeitig um das 10fache gesteigert
werden. Es ist daher Konsens, im Rahmen einer Substitutionstherapie der Nebennierenrinden-Insuffizienz die
Tagesdosis auf mehrere Einzelgaben pro Tag aufzuteilen und in Belastungssituationen zu erhöhen [[1]].
Klinische Pharmakologie
Pharmakokinetische Eigenschaften
Die synthetischen Glukokortikoide leiten sich von Kortisol ab. In der Kleintierpraxis wird hauptsächlich
Prednisolon verwendet, das als Standardglukokortikoid gilt. Seine volle Wirkung tritt bei einer
Dosis von 1–1,5 mg/kg ein, bei der bereits sämtliche Rezeptoren besetzt sind. Durch Veränderungen am
Steroidgerüst des Prednisolons wurden weitere Vertreter gewonnen, die sich durch eine gesteigerte
glukokortikoide und abgeschwächte mineralokortikoide Wirkung auszeichnen. Ihr Wirkprofil bleibt dagegen
unverändert. Aufgrund der höheren Wirkpotenz nimmt die Wirkdauer bei vergleichbarer Dosierung lediglich
zu.
Als Besonderheit bei den Glukokortikoiden ist zu beachten, dass ihre pharmakologischen Eigenschaften auch
durch die Darreichungsform bestimmt werden. Als freier Alkohol sind Glukokortikoide in Wasser beinahe
unlöslich. Sie werden daher enteral gut resorbiert und eignen sich für die orale Applikation.
Für Injektionslösungen müssen Glukokortikoide dagegen verestert werden. Bei wässrigen
Injektionslösungen (Dihydrogenphosphat, Hydrogensuccinat etc.) liegen die Wirkstoffe in freier Form vor,
sodass die Wirkung schnell eintritt. Bei Suspensionen (Acetat, Acetonid, Dipropionat etc.) liegen die
Wirkstoffe dagegen nicht gelöst vor, woraus ein Depoteffekt mit verzögerter Wirkstofffreisetzung
resultiert. Bei den Dosierungsempfehlungen und den Angaben für die Wirkdauer von Glukokortikoiden ist
daher immer die vorliegende Arzneiform zu berücksichtigen. Die Literaturangaben beziehen sich in der
Regel auf die schnell wirkenden Präparate.
Die Eigenschaften der derzeit in der Kleintiermedizin eingesetzten Glukokortikoide werden in ▶
Tab.
[
1
] zusammengestellt [[1],
[14]].
Tab. 1
Pharmakologische Eigenschaften gebräuchlicher Glukokortikoide.
Wirkdauer
|
Wirkstoff
|
veterinärmedizinische Präparate
|
Dosierung Hund (mg/kg)
|
relative mineralokortikoide Wirkung (Kortisol = 1)
|
< 12 h
|
Hydrokortison (Kortison)
|
-
Injektionspräparate: keine
-
orale Applikation: keine
-
lokale Applikation: als Cortavance® 0,584 mg/ml (als Hydrokortisonaceponat;
Wirkdauer > 12 h)
|
-
Substitutionstherapie: 1–2 mg/kg p.o., 2 × tgl.
-
Allergien:5 mg/kg p.o., auf 2–3 Tagesdosen
-
Anaphylaxie und Endotoxinschock:bis 50 mg/kg langsam i.v., alle 2–3 h
-
Atopische Dermatitis:1,52 µg Hydrocortisonaceponat/cm2,1 × tgl. für 7
Tage
|
1
|
12–36 h
|
Prednisolon
|
-
Depotpräparate zur Injektion: Prednisolon ad us. vet. 10 mg/ml, Prednisolonacetat 1
%
-
orale Applikation: Prednisolon 5 mg, Prednisolon 50 mg
|
-
Substitutionstherapie: 0,25–0,5 mg/kg p.o., 1 × tgl.
-
Anaphylaxie und Endotoxinschock: 10–30 mg/kg i.v., alle 8–12 h
-
Initialbehandlung bei allergischen oder entzündlichen Erkrankungen: 1–3 mg/kg i.m.,
p.o., auf 2–3 Tagesdosen
-
Erhaltungsdosis bei allergischen oder entzündlichen Erkrankungen: ca. 0,5–1 mg/kg p.o.,
1 × tgl. oder alternierend jeden 2. Tag
|
0,3
|
12–36 h
|
Methylprednisolon
|
|
Anaphylaxie und Endotoxinschock: 4–10 mg/kg i.v., alle 3–6 h
|
0
|
12–48 h
|
Triamcinolon
|
lokale Applikation: Panolog®
|
Entzündungshemmung: 0,2–0,3 mg/kg i.m. eines umgewidmeten Depotpräparats, 1-malig
|
0
|
> 48 h
|
Flumetason
|
–
|
Entzündungshemmung: 0,01–0,02 mg/kg i.v., i.m., 1-malig, kann in Ausnahmefällen wiederholt
werden
|
0
|
> 48 h
|
Dexamethason
|
-
schnell wirksame Injektionslösungen: Dexa-ject 2 mg/ml, Dexamethason ad us. vet. 2
mg/ml, Dexasel 2 mg/ml, Dexatat 2 mg/ml, Hexadreson® 2 mg/ml, Rapidexon
Albrecht 2 mg/ml, Dexamethason 4 mg/ml
-
Depotpräparate zur Injektion: Dexadreson® forte 1,32/2,67 mg/ml, Voren
Suspension 1 mg/ml
-
orale Applikation: Dexamethason 0,5 mg
-
lokale Applikation: Dexamethason in DMSO, Hydrocortisel, Prurivet S
|
-
Anaphylaxie und Endotoxinschock: 2–5 mg/kg i.v., bei Bedarf nach 8–12 h wiederholen
-
allergische und entzündliche Erkrankungen: 0,05 mg/kg p.o., 1 × tgl. oder 0,1–0,25 mg
i.v., i.m., 1 × tgl. oder alternierend jeden 2. Tag
|
0
|
> 48 h
|
Betamethason
|
-
systemische Applikation: Celestovet® 12,0/3,948 mg/ml
-
lokale Applikation: Isaderm® Gel, Osurnia®
|
bei entzündlichen Erkrankungen des Bewegungsapparats: 0,18–0,35 mg/kg i.m., i.a., 1-malig,
i.m.-Injektion kann bei Bedarf bis zu 4 × wiederholt werden
|
0
|
Indikationen
Glukokortikoide verfügen über ein breites Wirkspektrum, das durch ihre komplexen zellulären
Wirkmechanismen erklärt werden kann. Auf zellulärer Ebene wirken Glukokortikoide zunächst als
Genregulatoren, die ihre Wirkungen über die Aktivierung zytosolischer Rezeptoren vermitteln. Welche Gene
am Ende reguliert werden und wie lange die biologische Wirkung anhält, hängt maßgeblich von der
Halbwertszeit der regulierten Proteine, vom Zelltyp, vom Wirkstoff und von der verabreichten Dosis ab.
Darüber hinaus besitzen Glukokortikoide eine membranstabilisierende Wirkung, indem sie sich aufgrund
ihrer strukturellen Ableitung vom Cholesterin direkt in die Zellmembran einlagern. Zusammengenommen
resultieren die genannten Mechanismen in der antiphlogistischen, antiproliferativen und immunsuppressiven
Wirkung der Glukokortikoide. Daraus lassen sich die verschiedenen Indikationsgebiete ableiten
(▶
Kasten
[
1
]).
Indikationsgebiete für Glukokortikoide
Nebenniereninsuffizienz
Im Rahmen der Substitutionstherapie werden die physiologischen Wirkungen der Glukokortikoide auf den
Protein-, Glukose- und Fettstoffwechsel ausgenutzt. Hierfür werden in der Regel die natürlich
vorkommenden Glukokortikoide in niedriger Dosierung verwendet.
Entzündungen
Um pharmakologische Wirkungen zu erzielen, werden höhere Dosierungen oder stärker wirksame
Glukokortikoide benötigt. In diesen sog. „supraphysiologischen Dosierungen“ besitzen Glukokortikoide
u. a. eine ausgeprägte antiinflammatorische Wirkung.
Daran sind die folgenden Mechanismen beteiligt:
-
Abschaltung proinflammatorischer Gene (NFkB)
-
Blockade der Arachidonsäurekaskade auf Ebene der Phospholipase A2
-
Hemmung mesenchymaler Prozesse
-
Beeinflussung zellulärer Entzündungsreaktionen
-
direkte Membranstabilisierung
Hieraus resultiert bei allen akuten Entzündungen ein antiexudativer und analgetischer Effekt, der eine
Chronifizierung der Prozesse durch Hemmung der bindegewebigen Reaktion und leukozytäre Infiltration
verhindert.
Allergien und Autoimmunerkrankungen
In höheren Dosierungen besitzen Glukokortikoide neben ihrer antiinflammatorischen Wirkung ebenfalls
antiallergische und immunsuppressive Wirkungen. Diese beruhen auf einer ausgeprägten
antiproliferativen Wirkung und einer Hemmung der Mediatorenfreisetzung, der Makrophagenfunktion und
der T-Zell-vermittelten Effekte. Diese Effekte können therapeutisch bei akuten Allergien, beim
Endotoxinschock und bei Autoimmunkrankheiten ausgenutzt werden.
Tumorerkrankungen
Aufgrund ihrer antiproliferativen und lympholytischen Wirkung können Glukokortikoide auch alleine oder
in Kombination mit Zytostatika u. a. zur Behandlung lymphatischer Tumore bei Hund und Katze eingesetzt
werden.
Jeder Einsatz von Glukokortikoiden erfordert aufgrund der unerwünschten Nebenwirkungen eine strenge
Indikationsstellung und eine gründliche Nutzen-Risiko-Abwägung.
Unerwünschte Nebenwirkungen
Für den klinischen Einsatz der Glukokortikoide ist von Bedeutung, dass ihre Wirkung bis auf den direkten
membranstabilisierenden Effekt erst mit einer zeitlichen Verzögerung von einigen Stunden bis Tagen
eintritt. Zudem können bei jeder Anwendung inhärente, also kalkulierbare unerwünschte
Arzneimittelwirkungen auftreten, die sich in Abhängigkeit der Wirkstoffstärke, der Dosierung und der
Anwendungsdauer entwickeln. Mit steigenden Dosierungen werden zunächst die metabolischen Effekte
verstärkt, bevor es zu einer Hemmung der Nebennierenrinden-Hypothalamus-Hypophysen-Achse und zur
Ausbildung des Cushing-Syndroms kommt. Hunde entwickeln dabei zunächst eine Polyphagie und Polydipsie,
während Katzen mit Hyperglykämie reagieren. Bei längerfristiger Anwendung höherer Dosierungen treten beim
Hund zudem Wundheilungsstörungen, Hautatrophie und -kalzinose auf. Ebenfalls steigt das Infektionsrisiko
an. Bei der Katze werden nach Langzeitanwendung Polyurie, Polyphagie und Gewichtszunahme beobachtet
[[1], [14]].
Therapiegrundsätze
Aus dem Wirkmechanismus und der Gefahr für unerwünschte Wirkungen können folgende allgemein bekannte
Anwendungsrichtlinien abgeleitet werden (▶
Kasten
[
2
]).
Anwendungsrichtlinien für Glukokortikoide
-
Glukokortikoide wirken symptomatisch und können die Grunderkrankung maskieren. Daher sind vor
jeder Indikationsstellung die diagnostischen Maßnahmen abzuschließen.
-
Bei jeder Anwendung ist ein Therapieziel zu definieren, an dem die Wirkung beurteilt und die
Dosierung angepasst werden kann.
-
Bei akuten Indikationen können einmalig höhere Dosen eines gelösten Glukokortikoids verabreicht
werden.
-
Für eine Langzeittherapie wird meist Prednisolon oral verabreicht. Um die Gefahr für
Nebenwirkungen zu reduzieren, wird die Dosis nach dem Eintreten der erwünschten klinischen
Wirkung schrittweise im Abstand von 1 Woche bis zum Erreichen der niedrigsten, gerade noch
wirksamen Erhaltungsdosis reduziert.
-
Je nach verwendetem Glukokortikoid kann es bereits wenige Tage nach dem Absetzen des Präparats
zur Ausbildung von Entzugserscheinungen (Addison-Krise) kommen. Nach einer Anwendungsdauer von
mehr als 2 Wochen soll die Therapie ausgeschlichen werden, indem abnehmende Dosen nur noch jeden
2. oder 3. Tag verabreicht werden. Nach Langzeitanwendung über 1 Monat ist die ausschleichende
Therapie über 2–3 Wochen durchzuführen.
-
Für ausgewählte Indikationsgebiete stehen Wirkstoffe mit besonderen pharmakokinetischen
Eigenschaften wie Budesonid (Enteropathie) und Fludrocortison (inhalativ bei Asthma) zur
Verfügung.
Gegenanzeigen
Als allgemeine Kontraindikationen gelten [[1], [14]]:
Kontrovers diskutiert wird in der Tiermedizin nach wie vor die kombinierte Anwendung von
Glukokortikoiden mit nicht
steroidalen Antiphlogistika (NSAID). Hintergrund ist, dass NSAID
und Glukokortikoide sequenziell in den Arachidonsäurestoffwechsel eingreifen und es dadurch zu einer
synergistischen Hemmung der Prostaglandinsynthese kommt. Therapeutisch kommt dieser Effekt jedoch nur
eingeschränkt zum Tragen, da der Wirkeintritt der Glukokortikoide im Gegensatz zu den NSAID zeitlich
verzögert ist.
Das Risiko für gastrointestinale Nebenwirkungen steigt bei einer klinisch relevanten Wirkverstärkung
daher unverhältnismäßig stark an.
So wurden nach einer 30-tägigen Behandlung von Hunden mit Prednisolon (0,5 mg/kg) und einer um 50 %
reduzierten Dosis von Ketoprofen (0,25 mg/kg) oder Meloxicam (0,1 mg/kg) signifikant häufiger
gastrointestinale Läsionen, schwere Beeinträchtigungen der Nierenfunktion und -integrität sowie der
Plättchenaggregation nachgewiesen [[11]].
Die klinische Evidenz für eine erfolgreiche Prävention gastrointestinaler Komplikationen bei
gleichzeitiger Verabreichung gastroprotektiver Medikationen wie Misoprostol, Hemmstoffe der Protonenpumpe
oder H2-Antihistaminika ist gering [[7]]. Die Kombination von
Glukokortikoiden mit einem NSAID wird daher heute nur noch in Sonderfällen akzeptiert, z. B. bei lokaler
Applikation eines Glukokortikoids und gleichzeitiger systemischer Verabreichung eines NSAID.
Evidenzbasierte Medizin
Glukokortikoide eignen sich grundsätzlich für die Behandlung entzündlicher, allergischer und immunologischer
Erkrankungen. Darüber hinaus werden sie jedoch auch bei einer Reihe weiterer Indikationen eingesetzt, bei
denen ihr therapeutischer Nutzen nicht in jedem Fall ausreichend gesichert ist. Ein Grund hierfür ist, dass
Glukokortikoide nur symptomatisch wirken und bei jeder Anwendung vielfältige Auswirkungen auf die Homöostase
und den Heilungsverlauf auftreten können.
Es stellt sich daher die Frage, bei welchen der genannten Anwendungsgebieten der Einsatz von
Glukokortikoiden für den Patienten von Vorteil ist? Eine Antwort hierfür versucht die evidenzbasierte
Medizin zu geben, die aufgrund einer systematischen Auswertung aller verfügbaren wissenschaftlichen
Informationen eine für den individuellen Patienten bestmögliche Therapieempfehlung ausarbeitet [[4]]. So gilt es heute als anerkannt, dass Glukokortikoide nicht mehr bei allen
Formen des Kreislaufschocks sinnvoll sind. Sie zeigen lediglich beim anaphylaktischen Schock und beim
Endotoxinschock eine ausreichende Wirksamkeit. Beim hypovolämischen Schock werden sie heute nicht
mehr empfohlen. Bei Erkrankungen des Bewegungsapparats bleibt ihre Anwendung ebenfalls nur auf
nicht infektiöse entzündliche Veränderungen beschränkt. Bei degenerativen Erkrankungen wie der
Osteoarthrose sollen Glukokortikoide dagegen aufgrund ihrer knorpelkatabolen Eigenschaften nicht mehr
angewendet werden [[1]]. Weniger eindeutig ist die Einschätzung ihrer
Wirksamkeit bei Erkrankungen des ZNS, des Magen-Darm-Trakts und der Haut. Im Folgenden soll daher der
aktuelle Diskussionsstand zum Einsatz von Glukokortikoiden bei diesen Indikationen wiedergegeben werden.
Wissenswert
Bei folgenden Erkrankungen ist der Einsatz von Glukokortikoiden differenziert zu betrachten:
ZNS-Erkrankungen
Durch die Stabilisierung der mikrovaskulären Integrität werden Glukokortikoide häufig bei folgenden
Erkrankungen eingesetzt:
-
akute Wirbelsäulenverletzungen
-
Traumata
-
Diskopathie
-
ZNS-Traumata
-
nicht infektiöse Meningoenzephalitis
-
septische Meningitiden
-
Hydrozephalus
-
nekrotisierende Vaskulitiden
-
Spondylopathien
-
Neoplasien
Aufgrund der teilweise komplexen Krankheitsgeschehen in Verbindung mit einer relativ dünnen Datenlage in
der Kleintiermedizin ist die Beurteilung des therapeutischen Nutzens von Glukokortikoiden nur bei einigen
Indikationen möglich, die im Folgenden besprochen werden.
Akute Wirbelsäulenverletzungen
Hierzu zählen Traumata und vor allem die Diskopathie des Hundes. Die Prognose bei diesen
Erkrankungen wird maßgeblich durch die Lokalisation des Traumas und den Zeitpunkt der Vorstellung des
Patienten bestimmt. Die spezifische Therapie mit Glukokortikoiden zielt auf eine Prävention von
Sekundärschäden wie Thrombosen und Nekrosen ab, die sich als Reaktion auf die Freisetzung von
Entzündungsmediatoren, Neurotransmittern und reaktiven Sauerstoffspezies hin entwickeln. In diesem
Zusammenhang konnte nur für hochdosiertes Methylprednisolon eine antioxidative Wirkung nachgewiesen
werden, nicht aber für Prednisolon oder Dexamethason. Im geschädigten Gewebe konnte keines der
Glukokortikoide die Bildung von Prostaglandinen hemmen.
Untersuchungen in der Humanmedizin konnten bei Patienten verbesserte motorische und sensorische
Leistungen beobachten, die innerhalb von 8 Stunden nach dem Ereignis mit Methylprednisolon behandelt
wurden. Eine spätere Verabreichung war ohne Einfluss auf die genannten Endpunkte, erhöhte aber das Risiko
für die Entstehung einer Sepsis und Pneumonie signifikant. Als weitere unerwünschte Arzneimittelwirkungen
wurden gastrointestinale Blutungen, Wundinfektionen und Hyperglykämie beobachtet [[13]]. Für Hund und Katze liegen aktuell keine aussagekräftigen Studien vor, die
einen therapeutischen Vorteil für Methylprednisolon und andere Glukokortikoide bei der Diskopathie
belegen. Eine routinemäßige Anwendung von Glukokortikoiden bei der Diskopathie kann daher gegenwärtig
nicht empfohlen werden [[6]].
ZNS-Trauma
In der Humanmedizin hat sich bei der Behandlung des akuten Schädel-Hirn-Traumas mit Glukokortikoiden im
letzten Jahrzehnt ein Paradigmenwechsel vollzogen. Galt früher ein drohendes Gehirnödem als absolute
Indikation für Glukokortikoide, förderte eine systematische Auswertung mehrerer randomisierter
prospektiver Studien eine erhöhte Mortalität 14 Tage und 6 Monate nach der Verabreichung von
Glukokortikoiden zu Tage [[1]].
Akute Schädel-Hirn-Traumata weisen auch bei Hund und Katze eine hohe Morbidität und Mortalität infolge
der komplexen intra- und extrakraniellen Regulationsmechanismen auf [[15]]. Die Pharmakotherapie zielt daher auch bei dieser Indikation auf eine Minimierung der
sekundären Gewebeschädigung ab. Neben systemischen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Gewebeperfusion,
der Atmung und Blutversorgung werden spezifische Maßnahmen zur Reduktion des intrakranialen Druckes mit
Osmodiuretika und zur Unterdrückung von Krampfanfällen mit Benzodiazepinen durchgeführt. Nachdem eigene
Studien für die Tiermedizin aber fehlen, werden Glukokortikoide heute entsprechend der Erfahrungen in der
Humanmedizin nicht mehr für die Behandlung des Schädel-Hirn-Traumas bei Hund und Katze empfohlen [[6], [15]].
Nicht infektiöse Meningoenzephalitis
Die Beurteilung des Therapieerfolgs bei der Behandlung der nicht infektiösen Meningoenzephalitis beim
Hund wird dadurch erschwert, dass die Erkrankung zu Behandlungsbeginn nicht sicher diagnostiziert werden
kann. Die Studienkollektive sind daher sehr heterogen. In einer Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2010 wurden
insgesamt 8 retrospektive Studien zur Behandlung der granulomatösen Meningoenzephalitis und anderer
Enzephalitiden unbekannten Ursprungs beim Hund systematisch ausgewertet und die Wirksamkeit von
Glukokortikoiden im Vergleich zu anderen Therapieoptionen betrachtet. Als Endpunkt für die Beurteilung
der Wirksamkeit wurde die Überlebenszeit der Tiere herangezogen [[9]]. Je
nach Studie konnte für Prednisolon in einer Dosierung von 0,25–2 mg/kg 2 × tgl. eine mittlere
Überlebenszeit zwischen 28–357 Tagen (n = 43) bestimmt werden. Bei der Kombination von Prednisolon mit
einem Immunsuppressivum verlängerte sich die Überlebenszeit auf 240–590 Tage (n = 96). Die einzelnen
Studien unterschieden sich jedoch in Bezug auf die getroffenen Einschlusskriterien und die verwendeten
Dosierungen der Glukokortikoide und Immunsuppressiva. Aus diesem Grund werden weitere prospektive Studien
gefordert, um eine fundierte Empfehlung für ein Dosierungsregime mit Glukokortikoiden auszusprechen.
Chronisch-entzündliche Darmerkrankung des Hundes
Bei der „Chronic Inflammatory Bowel Disease“ (CIBD) handelt es sich um eine gesteigerte Immunreaktion der
Darmschleimhaut gegen intestinale Mikroben, die zusammen mit diätetischen Maßnahmen grundsätzlich mit
Glukokortikoiden behandelt werden kann.
Wesentlich für die Indikationsstellung ist, dass vorab andere gastrointestinale Erkrankungen wie eine
Nahrungsmittelallergie und infektiöse Ursachen sicher ausgeschlossen werden.
Bei diesen Fällen wäre der Einsatz von Glukokortikoiden nicht gerechtfertigt.
Für die Beurteilung verschiedener Therapieoptionen der chronisch-entzündlichen Darmerkrankung liegen
erste Studien zur klinischen Wirksamkeit von Prednisolon und Budesonid vor. Budesonid wurde für diese
Indikation entwickelt, da es einen ausgeprägten „First-Pass-Effekt“ in der Leber aufweist und somit nur
lokal in der Darmschleimhaut wirken soll, unter Umgehung systemischer Nebenwirkungen. In einer Studie mit
54 Hunden, die an unterschiedlichen Schweregraden der chronisch-entzündlichen Darmerkrankung litten,
konnte bei einer Monotherapie mit Prednisolon in einer Dosis von 1 mg/kg bei 80 % der Tiere eine
Remission erzielt werden. Als Endpunkte wurden der „Chronic Inflammatory Bowel
Disease“(CIBD)-Activity-Index oder laborchemisch das C-reaktive Protein (CRP) herangezogen. Die
zusätzliche Gabe von Metronidazol hatte keinen Effekt auf die Remissionsrate [[10]].
Die Wirksamkeit von Budesonid wurde in einer randomisierten, doppelt verblindeten prospektiven Studie an
40 neu an chronisch-entzündlicher Darmerkrankung erkrankten Hunden untersucht und mit derjenigen von
Prednisolon verglichen. Als Endpunkt wurde die Verbesserung des „CIBD-Activity-Scores“ nach 6 Wochen
herangezogen. Budesonid wurde in einer Dosierung von 0,2 mg/kg 1 × tgl., Prednisolon in einer Dosierung
von 1,0 mg/kg 2 × tgl. eingesetzt. Die Dosis von Prednisolon wurde nach 3 Wochen halbiert. Es konnte kein
statistisch signifikanter Unterschied in der Remission errechnet werden: 78 % bei Budesonid versus 69 %
bei Prednisolon. Auch konnte kein Unterschied in der Ausbildung unerwünschter Arzneimittelwirkungen
festgestellt werden. Unter diesen Bedingungen besitzt Budesonid keinen therapeutischen Vorteil gegenüber
Prednisolon [[8]].
Die genannten Studien liefern jedoch keinen Hinweis auf das optimale Dosierungsschema für Budesonid. Für
eine abschließende Beurteilung der Wirksamkeit von Budesonid sowie von Kombinationen eines
Glukokortikoids mit nicht immunsuppressiven Substanzen, z. B. Sucralfat, Sulfasalazin, Metronidazol,
Tylosin, Ranitidin oder Omeprazol, stehen noch gut geplante prospektive Studien aus [[3]].
Atopische Dermatitis des Hundes
Die atopische Dermatitis des Hundes stellt eine der wenigen Erkrankungen beim Kleintier dar, zu der
umfangreiche Konsensuspapiere zur klinischen Diagnostik und zur Wirksamkeit verschiedener
Therapieoptionen existieren [[5], [12]]. Sie
zählt zu den allergisch-entzündlichen Erkrankungen, die mit Juckreiz und Hautveränderungen einhergeht.
Als primärer Endpunkt zur Beurteilung der Wirksamkeit einer Therapie werden die Intensität des Juckreizes
und der Umfang der Hautveränderungen anhand des „Canine Atopic Dermatitis Extent and Severity Index“
(CADESI) herangezogen. Sekundäre Endpunkte stellen die Remission der Symptome und die Ausbildung
unerwünschter Arzneimittelwirkungen dar. Die Auswertung mehrerer aussagekräftiger, prospektiver
randomisierter Studien ergab übereinstimmend eine gute Wirksamkeit von oral appliziertem Prednison,
Prednisolon und Methylprednisolon mit einer Startdosis von 0,5 mg/kg 1- oder 2-mal tgl. Eine
vergleichbare Wirksamkeit konnte zudem für Hydrocortisonaceponat belegt werden, das als Spray 1 × tgl.
für 7 Tage lokal angewendet wird. Die Wirksamkeit der Glukokortikoide ist grundsätzlich mit derjenigen
von Ciclosporin vergleichbar [[12]].
Fazit
Glukokortikoide sind hochwirksame Arzneimittel, die nicht wahllos verabreicht werden dürfen. Ihr Einsatz
erfordert vielmehr eine strenge Indikationsstellung, die eine gründliche Diagnosestellung und umfassende
Nutzen-Risiko-Abwägung einschließt. Die klinische Wirksamkeit von Glukokortikoiden ist generell bei allen
allergischen Erkrankungen, nicht infektiösen Entzündungen und Autoimmunerkrankungen gegeben. Ihr
therapeutischer Nutzen ist ebenso bei einigen Schockformen und ausgewählten Tumorerkrankungen belegt.
Kontraindiziert sind Glukokortikoide dagegen aus heutiger Sicht beim akuten ZNS-Trauma des Hundes. Bei der
Diskopathie von Hund und Katze ist die Datenlage noch unvollständig, sodass keine allgemeine Empfehlung
ausgesprochen werden kann.